Weckruf - Wegruf
Mit dem Propheten Amos auf dem Weg
Begleitheft zum Amos-Prozess
Mittwoch, 10. Juni (Amos 1,11-12)
Unterdrücktes Mitleid
Wieso? Weshalb? Warum? ...
Diese Verse sind eine Anklage gegen Edom. Den Edomitern wird erbarmungsloses blutiges Vorgehen gegen den Bruder Jakob (= Israel), also gegen ein Volk, das mit ihm verwandt ist, vorgeworfen. Verbrechen gegen ein Brudervolk galten zu allen Zeiten als besonders schwer.
Die Exegeten fragen sich, ob diese Stelle aus der Zeit des Amos stammen kann. Zu dieser Zeit waren es vor allem Spannungen mit Juda und nicht mit (Nord-)Israel, die das Verhältnis zu Edom prägten. Möglicherweise wurde diese Stelle in späterer Zeit, nach dem 5. vorchristlichen Jahrhundert, nachgetragen. Edom galt in dieser Zeit ganz besonders als "Erbfeind" (Weiteres zu Edom siehe die Erklärung zum 9. Juni.).
Zur Formulierung "Wegen der drei... wegen der vier" siehe zu Amos 1,3-5 (Erklärung zum Sonntag, 7. Juni.)
Vor- und nachgedacht...
Immer, wenn jemand mitleidet, geschieht etwas Heilsames. Die ägyptische Prinzessin begegnet dem Kind im Binsenkorb. Jahwe hört das Schreien des versklavten Volkes in Ägypten. Jesus trifft auf Aussätzige und er sieht eine Frau, die ihren einzigen Sohn beerdigen muss. In jeder dieser Situationen hat jemand Mitleid. Aus dem Mitleid wächst das Rettende: für das Kind im Nil, für die Sklaven und Sklavinnen in Ägypten, für die verwitwete Frau.
Mit-Leid, Com-Passion, die Sensibilität für das Leid eines anderen Menschen, hat Folgen. Aus ihm erwächst Solidarität mit dem, der Not leidet und Hilfe für die, die nicht mehr ein noch aus weiß.
Der Prophet Amos weiß darum, dass den Edomitern ihr Mit-Leid nicht absichtslos "einfach so" abhanden kam, dass sie es vielmehr aktiv zerstören mussten, um gegen ihre Brüder und Schwestern kämpfen zu können. Aus der Ausbildung von Rekruten wissen wir, dass das wichtigste Ziel der Ausbildung darin besteht, jegliches Mitleid abzutrainieren. Wir haben eine Wahl: Wir können uns unsere Fähigkeit zum Mit-Leiden abtrainieren - oder sie aufmerksam und achtsam pflegen. Im ersten Fall haben wir Gott gegen uns; im zweiten Fall steht Gott auf unserer Seite.
Erika Kerstner
Lust auf mehr?
Gewalt und Verbrechen in der Familie
unter Freunden,
oder dort, wo man sich eigentlich sicher fühlt
ist FATAL -
weil du nicht nur die Gewalt ertragen musst, sondern auch
den erlittenen Verrat.
Uschi Schedlik
Von Liebe keine Spur
Bei unseren Pfarreien habe ich manchmal das Gefühl, ich bräuchte nur Pistolen auszugeben und zu sagen: 'Verschießt alle, mit denen ihr Krach habt' - und ich hätte 14 Tage alle Hände voll zu tun mit Beerdigungen und dann nie mehr etwas...
Nicht umsonst spricht man bei unseren Gemeinden von Pfarrfamilien: Ähnlich lieblos gehts nur noch zu, wenn Ehepartner sich auseinanderleben, die Generationen sich entzweien oder Geschwister aneinandergeraten. Für viele Familien ist das Wort Liebe zum Fremdwort geworden.
Von daher ist die Forderung des Evangeliums "Liebt einander", eine Aufgabe, die so hoch angesiedelt ist, dass wir sie wohl kaum verwirklicht bekommen. Darum weiß wohl auch der Kolosserbrief (3,13). Das mit der Liebe funktioniert wohl nicht. Aber eines könnte klappen und dazu ruft uns der Kolosserbrief auf: Ertragt euch wenigstens! - Das könnte ein Anfang sein!
Wir müssen nicht in allem der gleichen Meinung sein und uns nicht einmal sympathisch finden, aber ertragen müssen wir uns - damit das Leben erträglich bleibt.
Jörg Sieger, aus: Lichtblick im Alltag