Weckruf - Wegruf
Mit dem Propheten Amos auf dem Weg
"Propheten heute - in Literatur, Kunst und der gesellschaftlichen Wirklichkeit"
Weckruf am Dienstag, 13. Juli 1010, in St. Paul
Gottesdienst in der Pauluskirche
Eingangslied
Manchmal kennen wir Gottes Willen Manchmal kennen wir nichts.
Erleuchte uns, Herr, wenn die Fragen kommen.
Manchmal sehen wir Gottes Zukunft, manchmal sehe wir nichts.
Bewahre uns, Herr, wenn die Zweifel kommen.
Manchmal spüren wir Gottes Liebe, manchmal spüren wir nichts.
Begleite uns, Herr, wenn die Ängste kommen.
Manchmal wirken wir Gottes Frieden, manchmal wirken wir nichts.
Erwecke uns, Herr, dass dein Friede kommt.
(Kurt Marti/ Arnim Juhre)
Begrüßung
Bußakt (Annemarie Lebert)
zunächst Gebet dann Überleitung zum "Herr erbarme Dich"
Tagesgebet
Lesung
Jona machte sich auf den Weg; doch er wollte nach Tarschisch fliehen, weit weg vom Herrn. Er ging also nach Jafo hinab und fand dort ein Schiff, das nach Tarschisch fuhr. Er bezahlte das Fahrgeld und ging an Bord, um nach Tarschisch mitzufahren, weit weg vom Herrn. Aber der Herr ließ auf dem Meer einen heftigen Wind losbrechen; es entstand ein gewaltiger Seesturm, und das Schiff drohte auseinanderzubrechen. Die Seeleute bekamen Angst, und jeder schrie zu seinem Gott um Hilfe. Sie warfen sogar die Ladung ins Meer, damit das Schiff leichter wurde. Jona war in den untersten Raum des Schiffes hinabgestiegen, hatte sich hingelegt und schlief fest. Der Kapitän ging zu ihm und sagte: Wie kannst du schlafen? Steh auf, ruf deinen Gott an; vielleicht denkt dieser Gott an uns, so daß wir nicht untergehen. (Jona 1, 3-16)
Antwortgesang
Im Dunkel unsrer Nacht,
entzünde das Feuer, das nie mehr erlischt,
das nie mehr erlischt.
(Taizé)
Evangelium
Was habt ihr sehen wollen, als ihr hinausgegangen seid? Einen Mann in feiner Kleidung? Leute, die fein gekleidet sind, findet man in den Palästen der Könige. Oder wozu seid ihr hinausgegangen? Um einen Propheten zu sehen? Ja, ich sage euch: Ihr habt sogar mehr gesehen als einen Propheten. Er ist der, von dem es in der Schrift heißt: Ich sende meinen Boten vor dir her; er soll den Weg für dich bahnen. Amen, das sage ich euch: Unter allen Menschen hat es keinen größeren gegeben als Johannes den Täufer; doch der Kleinste im Himmelreich ist größer als er. Seit den Tagen Johannes' des Täufers bis heute wird dem Himmelreich Gewalt angetan; die Gewalttätigen reißen es an sich. Denn bis hin zu Johannes haben alle Propheten und das Gesetz (über diese Dinge) geweissagt. Und wenn ihr es gelten lassen wollt: Ja, er ist Elija, der wiederkommen soll. Wer Ohren hat, der höre! (Mt 11, 8-15)
Ansprache
Zwischen Tag und Traum, gibt es merkwürdige Situationen. Man kennt sie seit der Kinderzeit. Bin ich schon wach? Oder ist es, wie im Gedicht von Paul Maar, "Mitten in der Nacht":
Keine Ahnung, wo ich bin.
Nichts als Dunkel um mich her.
Wie im Bauch von einem Fisch
meilentief im Schwarzen Meer.
Liebe Gemeinde,
natürlich kennen wir diese Situation auch, dass wir nicht wissen, wo wir sind, vor allem, wenn wir mal in Hotelzimmern, Ferienwohnungen oder bei Freunden und Verwandten übernachten. Plötzlich ist alles falsch, wir haben die Orientierung verloren. Nach einem intensiven Traum kann das sogar im eigenen Schlafzimmer, im eigenen Bett geschehen. Als Kinder jedoch, hat uns die Schwärze, die Dunkelheit im eigenen Zimmer ohnehin gefürchtet, da war aufwachen im Winter, wenn es noch dunkel ist oder dann, wenn wir mitten in der Nacht erwacht sind, oft mit Ängsten verbunden.
Mit Ängsten wie sie der Prophet Jona im Bauch des Fisches sicher auch gefühlt hat. Ich musste bei dem Gedicht gleich an Jona denken. Jona, im Bauch vom Fisch, im Dunkel, weit draußen im Meer. Diesen Jona sehen Sie ja auch auf dem Liedblatt, klein, in Embryohaltung, im Dunkel, tief im Bauch des Fisches. Und das nur, weil er versucht, Gott zu entfliehen. Er will Gottes Auftrag nicht erfüllen, er will sich von Gott nicht berufen lassen. Er versucht alles, um dem zu entkommen. Ich denke, in dieser Situation sind wir alle auch schon gewesen, wir hatten schon das Gefühl etwas machen zu müssen, was wir gar nicht wollen, aber es half nichts, egal wie wir es anstellten, wir mussten uns dieser Situation stellen. Ich denke, die Propheten hatten oft den Impuls wegzulaufen und die Stimmen oder was auch immer ihnen den Auftrag gab, zu ignorieren.
Und dann noch der Auftrag: eine Stadt soll zerstört werden! Elias Canetti schreibt: "Sie (die Propheten) müssen das Schlimmste wollen, sobald sie es einmal vorausgesagt haben: Ihre Rechthaberei macht sie erbarmungslos. Die Drohungen Gottes nehmen sie ernster, als dieser selbst. Ein Prophet hat es schwer: er wird nur in dem Augenblick für voll genommen, in dem seine Voraussage eintrifft, so kann er auf diesen Augenblick nicht verzichten. Gott, der ihm seinen Triumph entreißt, hat ihn getäuscht und der Prophet, der von den furchtbarsten Dingen spricht, mag alles, nur nicht lächerlich sein. Das Gefühl der Menschen um ihn, dass er das Böse, mit dem er droht, auf eine Weise verkörpert und mit herbeiführen hilft, ist also nicht ganz unberechtigt..."
Eine ungewohnte Sicht auf die Dinge! Jona kann also gar nicht anders, als seinen Auftrag, die Stadt zu zerstören, ausführen, sonst gibt er sich der Lächerlichkeit preis und verliert seine Glaubwürdigkeit. Der Prophet, der Unheil verkündet, ist nur dann auch ein guter Prophet, wenn die Katastrophe eintritt.
Aber genau deswegen mag auch niemand den Propheten, denn Menschen, die Negatives sehen, sind unbeliebt. Auch heute finden wir viele Gedichte, die prophetisch künden, aber immer sind sie mit vermeintlich unangenehmen Dingen verbunden. Mahner, Rufer, Propheten, solche Menschen können Partylaune kaputt machen. Sie machen die Stimmung mies, auch wenn bei genauerem Hinsehen ja die Situation genauso ist, wie sie es uns aufzeigen. Und wenn sie spüren, wie unbeliebt sie sind, möchten sie es machen wie Jona, wollen sie sich verkriechen, wollen sie weglaufen oder wollen vielleicht das das Schlimmste geschieht, damit alle sehen, dass sie recht hatten. Da kommt dann Trotz auf.
Viele Autoren haben sich mit dem Inneren der Propheten beschäftigt, mit ihren Ängsten, mit dem, von dem man in der Bibel nicht liest. Wie fühlt sich ein Prophet, wenn er spürt, er muss etwas sagen, was gegen die gesamtgesellschaftliche Meinung verstößt. Oder wie fühlt sich ein Prophet, wenn er gegen herrschende Mächte protestiert?
Dietrich Bonhoeffer hat sich mit der Schuld des Jona auseinandergesetzt. In seinem Gedicht Jona heißt es:
"Ihr ewigen, ihr guten, ihr erzürnten Götter,
helft oder gebt ein Zeichen, das uns künde
den, der Euch kränkte mit geheimer Sünde,
...
So flehten sie. Und Jona sprach: "Ich bin es!
Ich sündigte vor Gott. Mein Leben ist verwirkt.
Tut mich von Euch! Mein ist die Schuld. Gott zürnt mir sehr.
Der Fromme soll nicht mit dem Sündern enden!"
Sie zitterten. Doch dann mit starken Händen
verstießen sie den Schuldigen. Da stand das Meer."
Bonhoeffers Blick gilt der Stelle, die wir in der Lesung hörten. Sie gilt aber vor allem der Schuld. Dieses Gedicht wurde am 5. Oktober 1944 im Wehrmachts-Untersuchungsgefängnis in Berlin-Tegel geschrieben. Wenn Bonhoeffer sagt, der Fromme soll nicht mit dem Sünder enden, hat er dann die vielen im Blick, die im Nationalsozialismus schuldig geworden sind? Wie schwer muss es einem Widerstandskämpfer fallen, unschuldig mit den Schuldigen zu enden. Oder hat er im Angesicht des Todes Angst vor seiner eigenen Schuldhaftigkeit? Er weiß, kein Mensch ist ohne Sünde. Fragt er sich, wie er vor seinen Schöpfer treten wird? Fragt er sich, ob er sich der Vergebung sicher sein kann? Diese Zeilen aus der Haft geben viel vom Inneren des Häftlings preis.
Wenn Menschen in Diktaturen gegen das Regime etwas sagen wollen, benutzen sie gerne Propheten, um diese für sich sprechen zu lassen. Stefan Heym hat in seinem König David Bericht, einen Bericht über den biblischen König geschrieben, der nicht nur die Einheit des Reichs herbeigeführt hat, sondern auch massives Fehlverhalten seinen Untergebenen und Frauen gegenüber gezeigt hat. In dieser Situation muss der Prophet eingreifen. So schildert Heym in einer Szene, wie der Prophet Natan seine Kritik gegenüber dem Herrscher anbringt. Er verdeutlicht dessen Ängste, die Befürchtung, seinen Job zu verlieren. Die Parallele zu Heyms Realität, der gesellschaftlichen Wirklichkeit in der DDR ist offensichtlich! Wie gut ist es da, wenn man Propheten sprechen lassen kann.
Auch Alfred Delp bedient sich in einer Predigt im Advent dieses Stilmittels. Er legt das Evangelium, das wir heute hörten, aus und sagt:
"Da steht der Prophet vor dem König. Und das ist der erste Satz: Keine Rücksicht auf die private Sicherheit und die private Existenz darf den Menschen zum unechten Menschen machen. Wenn die beiden sich begegnen, Prophet und König, im Raum der Geschichte geschah es so und so oft, der König ist immer der Überlegene. Was ist leichter, was ist einfacher, als einen Propheten stumm zu machen! Und doch haben immer wieder nicht die Stimmen derer, die in die Paläste gingen und dort gern gesehen waren, sondern die Stimmen der Rufenden in der Wüste das Weltall erfüllt, die Wege bereitet.. "
Delp, der selbst genau wie Bonhoeffer oft als Prophet bezeichnet wird, lässt hier den Propheten gegen die Herrschenden sprechen. Wehe denen, die die Propheten stumm machen, stumm vor Angst. In einem solchen Regime hat Delp gelebt. Dies führt er den Menschen vor Augen. Aber nicht nur diese beiden haben von vielen den Rang eines Propheten bekommen, in Frankreich haben nach dem Krieg die Existentialisten, die Intellektuellen gleichsam die soziale Rolle eines säkularisierten Propheten, eines Künders der Wahrheit bekommen. Wem gebührt die Rolle? Künstlern? Politikern? Kirchenmänner wie Bonhoeffer und Delp gibt es heute vermutlich nur noch selten, vielleicht in Südamerika, so dass die Position der von Gott berufenen Rufer vermutlich vakant bleibt. Wer sind die Propheten unserer Zeit? Sind es Schriftsteller? Sind es Umweltschützer? Sind es Menschen, die sich für andere einsetzen? Reden diese Menschen auch im Auftrag Gottes, selbst wenn sie seinen Namen nicht nennen? Im Anschluss im Gespräch können wir uns darüber austauschen. Mich haben viele prophetische Gedichte, viele Zeilen berührt. Es darf aber nicht beim Lesen bleiben. Literatur, Kunst, die mich im Innersten berühren, ändern mich auch, wollen damit, dass sie meine Gefühle anrühren, eine Veränderung meines Verhaltens herbeiführen.
Wie sagt Delp zum Ende seiner Predigt: Und gebe Gott, dass wir Menschen haben und dass wir Propheten haben und die echt sind und ein echtes Zeugnis leisten! Dem kann ich mich nur anschließen, lassen wir uns von Autoren und Künstlerinnen anrühren, die uns prophetische Gaben vor Augen führen und lassen wir uns von Gott den Mut geben, prophetisch zu handeln. In dem eingangs zitierten Gedicht heißt es in der letzten Strophe: "Da entdeck ich in der Schwärze einen schmalen Strich aus Licht." Solche Lichtstreifen im dunklen Zimmer unter der Tür können vielleicht ein wenig schneller anwachsen, wenn wir uns der Prophetie bedienen. Amen.
(Marieluise Gallinat-Schneider, Gemeindereferentin)
Fürbitten (frei)
Lied zur Gabenbereitung
"Jetzt ist die Zeit" (Alois Albrecht / Ludger Edelkötter)
Gabengebet
Hochgebet
Sanctus
"Heilig, heilig, heilig, Herr Gott der Mächte" (Gotteslob Nr. 196 (alt Nr. 491))
Agnus Dei
"Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt: erbarme dich unser" (Erhard Quack 1964, Gotteslob alt Nr. 492)
Kommunion
Gebet nach der Kommunion von Anton Rotzetter
Lied nach der Kommunion
"Komm Herr, segne uns" (Gotteslob Nr. 451)
Segen
Austausch im Pfarrzentrum
Einstieg mit Gedicht von Johannes Paul II. (Annemarie Lebert) hören, sprechen, schreiben
danach Infos zur Person
Gedicht Rilke Ein Prophet (Marieluise Gallinat-Schneider)
Ein Prophet
Ausgedehnt von riesigen Gesichten,
hell vom Feuerschein aus dem Verlauf
der Gerichte, die ihn nie vernichten, —
sind die Augen, schauend unter dichten
Brauen. Und in seinem Innern richten
sich schon wieder Worte auf,
nicht die seinen (denn was wären seine,
und wie schonend wären sie vertan)
andre, harte: Eisenstücke, Steine,
die er schmelzen muß wie ein Vulkan,
um sie in dem Ausbruch seines Mundes
auszuwerfen, welcher flucht und flucht;
während seine Stirne, wie des Hundes
Stirne, das zu tragen sucht,
was der Herr von seiner Stirne nimmt:
Dieser, Dieser, den sie alle fänden,
folgten sie den großen Zeigehänden,
die Ihn weisen, wie Er ist: ergrimmt.
(Reiner Maria Rilke, Der neuen Gedichte anderer Teil, Leipzig im Insel Verlag, 1918, Seite 15)
Frage: Wo sehen wir heute in unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit Propheten, wo fehlen sie? Wo ist mein Platz.
Abschuss
Der Abend schloss in der Paulususkirche mit dem Text "Duckmäuser" von Cristy Orzechowski.