Die Bibel
Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...
"Jahwe glauben" als das Gebot der geschichtlichen Stunde (Jes 7,1-9) ⋅1⋅
Beginnen wir mit Jes 7,1-9, einem Text, auf den wir in den verschiedensten Zusammenhängen bereits zu Sprechen gekommen sind. Ein Umstand der eigentlich nur verdeutlicht, wie bedeutend er ist.
Nur noch einmal zur rechten Einordnung: Jes 7,1-9 geht der "Immanuel-Verheißung" unmittelbar voraus.
1. Der geschichtliche Hintergrund von Jes 7,1-9
Der geschichtliche Hintergrund dieser Stelle war die Situation Syro-Palästinas im Jahre 734 v. Chr. Das assyrische Großreich griff unter Großkönig Tiglatpileser seit 740 v. Chr. immer stärker nach dem Westen aus und machte Staat um Staat zum Vasallen.
In dieser Situation suchte der König des Aramäerstaates von Damaskus eine rettende Koalition gegen den großen Angreifer zustande zu bringen. Beim König Nordisraels in Samaria fand er einen ersten Bundesgenossen. Nun sollte aber auch König Ahas von Jerusalem und Juda der Allianz beitreten.
Doch Ahas hielt den Widerstand für aussichtslos und verweigerte sich als Bundesgenosse. Damaskus und Samaria versuchten daher den Beitritt des Südreiches zu dieser Koalition mit Gewalt zu erzwingen.
Als nun die die anti-assyrischen Alliierten anrückten, ergriff ganz Jerusalem und Judäa verständlicherweise die schiere Angst. König Ahas von Juda entschloss sich daher zu zwei Abwehrmaßnahmen:
- Zum einem ließ er ein Hilfegesuch an den assyrischen Großkönig richten. Tiglatpileser sollte Damaskus und Samaria vom Rücken her angreifen.
- Zum anderen beschleunigte er die Instandsetzung Jerusalems. Und dies hieß für ihn zuallererst die prekäre Wasserversorgung der Stadt im Hinblick auf eine drohende Belagerung zu beheben.
Dies ist der geschichtliche Hintergrund für das Auftreten des Propheten Jesaja.
2. Das Auftreten Jesajas
Vor allem das Hilfegesuch an den assyrischen Großkönig war ja mit einem großen Risiko verbunden. Wenn Tiglatpileser darauf einging und Juda sich mit ihm verbündete, dann war es höchst wahrscheinlich, dass Tiglatpileser Jerusalem auch die Verehrung des Obergottes der Assyrer, des Gottes Assur, aufoktroyierte. Die Verehrung des Gottes Assur im ganzen Herrschaftsgebiet der Assyrer zu verbreiten, war ja erklärtes Ziel der mesopotamischen Großmacht.
Es ging also nicht nur um eine politische Koalition. Der Jahwe-Glaube stand gleichzeitig auf dem Spiel. In dieser Situation sollte Jesaja ein warnendes und zugleich wegweisendes Wort sprechen.
a. Das Vertrauen auf Jahwe allein bringt Ruhe und Furchtlosigkeit
Wir haben in anderem Zusammenhang bereits gesehen, wie Jesaja nun mit seinem Sohn zum König ging, der gerade dabei war die Festungswerke und die Wasserversorgung zu inspizieren.
Jesaja forderte den König dabei auf, sich vor dem Vertrauen auf eigene Rettungsmittel zu hüten. Allein im Bauen auf Jahwe würde er zur Ruhe und Furchtlosigkeit zurückfinden. Allein im Bauen auf Jahwe würde er die Geborgenheit in Gott zurückgewinnen (vgl. Jes 30,15; Jes 32,17). Vor Jahwe, der "in Ruhe" und überlegen dem Tumult in der Völkerwelt zuschaut (vgl. Jes 18,4), sind die beiden alliierten Könige jetzt schon nur noch ausgebrannte Holzstummel, die keine Zukunft haben werden.
So heißt es in Jes 7,3-4:
"Da sprach Jahwe zu Jesaja: "Geh hinaus zu Ahas, du und dein Sohn Schear-Jaschub, an das Ende der Wasserleitung des oberen Teiches, auf den Weg am Walkerfeld und sprich zu ihm: Hüte dich, bewahre die Ruhe und sei ohne Furcht! Dein Herz verzage nicht wegen dieser beiden rauchenden Brennholzstummel,..." (Jes 7,3-4.)
Der Text ist zwar im einzelnen schwierig und zeigt Spuren späterer Überarbeitung. Aber es kann kein Zweifel bestehen, dass der Prophet dem Ahas - und damit der Davidsdynastie - auf dem Walkerfeld im Süden Jerusalems den göttlichen Beistand neu zugesprochen hat. Ahas hat keinen Grund an Jahwe zu zweifeln. Gleichzeitig hat Jesaja den Feindkönigen hier den "Nicht-Bestand" versichert.
b. Jes 7,9b und seine Übersetzungen
Darauf zu bauen und Gott diese Verheißung zu glauben, dazu ruft Jesaja auf. Und er tut dies mittels eines Wortspieles, das er mit göttlicher Autorität verkünden sollte. Im hebräischen Original lautet es:
אִם לֹא תַאֲמִ֔ינוּ כִּי לֹא תֵאָמֵֽנוּ [">im lo> ta>aminu, ki lo> te>amenu"] (Jes 7,9b)
Jesaja spielt hier mit der Wortwurzel אמן [">aman"], die wir ja bereits im Zusammenhang mit Gen 15,6 kennengelernt haben. Von dieser Wortwurzel her, die ja etwa soviel wie "fest sein" bedeutet, wird - wie wir bereits gesehen haben - das hebräische Wort für "glauben" abgeleitet.
Wenn wir uns nun verschiedene Übersetzungen von Jes 7,9b anschauen, dann stellen wir bereits fest, welche Mühe es macht, dieses Wortspiel adäquat ins Deutsche zu übertragen.
So übersetzt die Jerusalemer Bibel, bzw. die Herder-Übersetzung mit den Worten:
"Wenn ihr euch nicht an mich haltet, werdet ihr keinen Halt haben." (Jes 7,9b.)
Die erste Ausgabe der Einheitsübersetzung gab Jes 7,9b folgendermaßen wieder:
"Glaubt ihr nicht, so überlebt ihr nicht." (Jes 7,9b.)
Und in der revidierten Fassung, also unserem heutigen liturgischen Text, heißt es:
"Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht." (Jes 7,9b.)
Dies kommt Martin Luther sehr nahe. Der übersetzt Jes 7,9b mit den Worten:
"Gläubet ihr nicht, so bleibt ihr nicht!" (Jes 7,9b.)
Hans Walter Wolff versucht stärker an der Wortwurzel אמן [">aman"] zu bleiben und den Charakter des Wortspieles zu erhalten. Er überträgt Jes 7,9b daher folgendermaßen:
"Wer kein Amen erklärt, kein Amen erfährt" (Jes 7,9b) ⋅2⋅
Und auch Martin Buber versucht den Wortspielcharakter nachzuahmen. Er übersetzt:
"Vertraut ihr nicht, bleibt ihr nicht betreut." (Jes 7,9b) ⋅3⋅
Dem Hebräischen am nächsten sowohl im Wort wie im Sinn dürfte wohl die Übersetzung von Alfons Deissler kommen:
"Nehmt ihr nicht Stand (sc. in Jahwe), fürwahr, so habt ihr keinen Bestand." ⋅4⋅
c. Die Bedeutung des Jesaja-Wortes
Natürlich spielte Jesaja in diesem Wort ganz unverhohlen an die Natan-Verheißung in 2 Sam 7,16 an. Der Prophet Natan hatte David ja zugesagt:
"Dein Haus und dein Königtum sollen immerdar vor mir Bestand haben. Dein Thron soll immer fest gegründet sein." (2 Sam 7,16.)
Wenn Jesaja nun davon spricht, dass der, der keinen Stand in Jahwe nimmt, auch keinen Bestand hat, dann ist dies schon von der Wortwahl her eine ganz klare Anspielung auf diese Natan-Weissagung. Ahas und seine Berater konnten ganz deutlich erkennen, dass Jesaja hier auf den Bestand seiner Dynastie anspielte.
Doch Jesaja hat zugleich so allgemein formuliert, dass dieses Wort auch über den König hinaus eine bleibende Gültigkeit hat. Diese unnachahmlich prägnante Formulierung hat in ihrer lapidaren Kürze den Charakter einer währenden Anrede an alle Generationen.
d. Die Konsequenz der ablehnenden Haltung des Königs
Im Blick auf König Ahas hat Jesaja ganz klar recht behalten.
Wir haben ja bereits an anderer Stelle gesehen, dass Ahas fest entschlossen war, dem Prophetenwort nicht Folge zu leisten. Selbst als Jesaja ihm ein "Gotteszeichen" zur Beglaubigung der Verlässlichkeit seiner Botschaft angeboten hat, lehnte der König dies ab. Und zwar mit dem fromm klingenden Satz:
"Ich will keins (sc. Zeichen) erbitten und Jahwe nicht versuchen." (Jes 7,12.)
Aus dem Zusammenhang heraus wird aber klar, dass dies keine fromme Bescheidenheit des Königs war. Er gab klar zu erkennen, dass er nichts mehr hören möchte. Er hat sich entschieden. Er vertraute auf die "immanente" Lösung, das heißt auf militärisch-politische Maßnahmen. Er traute dem Stütz-Bund mit Assur und seiner eigenen Stärke (vgl. 2 Kön 16,7ff).
Dass dies verderblich war, wissen wir aus dem weiteren Verlauf der Geschichte. Die Geister, die König Ahas rief, wurde er nämlich nicht mehr los. Der Assyrer-König Tiglatpileser nahm das Hilfegesuch Judas zum Anlass, Damaskus und Samaria zu überfallen. Dies verschaffte Ahas und Juda zunächst durchaus auch etwas Luft. König Ahas konnte anfangs sogar seinen Machtbereich auf Kosten Samarias erweitern (vgl. Hos 5,10-11), doch er erkaufte diesen kurzfristigen Erfolg um den Preis einer bleibenden Abhängigkeit vom assyrischen Großkönig.
Und diese Abhängigkeit von den Assyrern hatte letztlich die Folge, dass der Kult des Gottes Assur auch im Tempel von Jerusalem Einzug hielt. Der König der Assyrer war fortan sogar Kultherr im Jerusalemer Tempel (vgl. 2 Kön 16,10-16.)
Noch zu Lebzeiten des Jesaja hat demnach sein Wort "nehmt ihr nicht Stand, habt ihr keinen Bestand" "gegriffen", es hat also bereits begonnen, sich ganz unmittelbar in der Geschichte auszuwirken.
Die bereits jetzt schon geschwächte Davidsdynastie konnte sich zwar noch halten, beim Fall und der Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezzar (587 / 586 v. Chr.) verlor aber auch sie endgültig ihren Bestand.
e. Fazit
Wir können im Blick auf Jes 7,9 demnach zusammenfassend sagen, dass hier das Thema "glauben" ähnlich wie in Gen 15,6 ganz ins Zentrum der "Religion" Israels gerückt wird.
Jesaja spricht zwar zunächst den König an, aber im König wird nach hebräischer Vorstellung schließlich das ganze Gottesvolk repräsentiert. Der Prophet verkündet ein "währendes Wort". Und wir dürfen nicht vergessen, dass dieses Wort selbstverständlich auch das neubundliche Gottesvolk umfasst.
Ich denke wir müssen uns dieses große Wort gerade heute wieder verstärkt auf unsere Fahnen schreiben, vor allem im Zeitalter der großen Pastoralpläne und Seelsorgs-Strategien. Wenn es uns um den Bestand unserer Kirche und unseres christlichen Abendlandes geht, dann sind nicht zuerst Qualifikation und Professionalität gefragt. Der lebendige Glaube ist das wichtigste und tragendste Fundament des Lebens und Gedeihens von Kirche.
Im Lichte von Jes 7,9 muss es schon bedenklich stimmen, wenn wir die Existenzsicherung unserer Kirche immer mehr zu einer Frage der Hauptamtlichkeit, der gut funktionierenden Institution und der Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen machen.
Das alles ist sicher wichtig und richtig. Es wird nur gefährlich, wenn die lebendige Mitte dabei immer stärker in den Hintergrund gerät. Und diese lebendige Mitte des Gottesvolkes ist vor allem anderen der personale Bezug zu dem Gott, dem wir vertrauen und auf den wir bauen.
"Nehmt ihr nicht Stand (sc. in Jahwe), fürwahr, so habt ihr keinen Bestand." (Jes 7,9b) ⋅5⋅
Anmerkungen