Die Bibel

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Weiter-ButtonZurück-Button Jahwe ist ein übergeschlechtlicher Gott ⋅1⋅

Wir haben in den bisherigen Betrachtungen nun schon eine ganze Reihe einzigartiger Wesenszüge im Gottesbild Israels entdeckt. Ein weiterer einzigartiger Zug ist der folgende Aspekt.

1. Die Liebeseinung der Götterpaare in der Umwelt Israels

Zur Lebensfülle und zum Glück der Götter gehörte in den orientalischen Mythen ganz selbstverständlich die geschlechtliche Erfüllung. Die orientalischen Gottheiten bilden jeweils Paare aus männlichen und weiblichen Partnern.

Ihre Liebeseinung bedeutet dabei zugleich kosmische Fruchtbarkeit. Deshalb versuchten die Verehrer dieser Gottheiten auch, in kultischer Nachahmung die "heilige Hochzeit", den ἱερός γάμος ["hierós gámos"], des Götterpaares magisch zu stimulieren. Dadurch glaubte man deren Fruchtbarkeitskraft, wirkmächtig gegenwärtig setzen zu können.

Man hat dies häufig ganz konkret verstanden. Der Regen, der auf die Erde fällt und das Leben hervorbringt, ist der Same der Gottheit, der bei der Vereinigung des Götterpaares auf die Erde tropft. Deshalb versuchte man diesen ἱερός γάμος ["hierós gámos"] durch den kultischen Vollzug magisch zu stimulieren.

In der Baalsreligion ist dieser orgiastische Kult dann sogar ins Zentrum gerückt.

2. Jahwe als Alleinwesen

Im Gegensatz zu all diesen Vorstellungen ist der Gott des Alten Testamentes ein Alleinwesen. Nicht einmal das hebräische Wort für "Göttin" ist uns überliefert. Jahwe hat kein weibliches Gegenüber, ja er ist nicht einmal Mann oder Frau. Er ist ein übergeschlechtliches Alleinwesen.

In diesem Zusammenhang ist es höchst interessant, dass dieser Gott nach Gen 2 dem Menschen das Alleinsein ersparen will. Er erschafft ihm ja die Frau als Gegenüber. Und Gen 1,28 bezeugt, dass die Menschheit "Bild Gottes" sei, und zwar als eine männlich und weiblich erschaffene Menschheit.

Von einer biblischen Sexusfeindlichkeit im Sinne von "geschlechtlich" ist "schlecht", kann also nicht gesprochen werden. Sexus und Eros gründen nach der Botschaft des Alten Testamentes im göttlichen Schöpfungsentwurf des Menschen und haben durchaus nicht nur die Nachkommenschaft zum Ziel.

  • Dies legt schon Gen 2,24 dar, wie wir bei der Frage nach der biblischen Anthropologie bereits gesehen haben.
  • Vor allem aber die Deutung des "Bundes" zwischen Jahwe und Israel als Liebes- und Ehebund durch den Propheten Hosea (vorab Hos 2,18-23) macht dies deutlich.
  • Auch das Hohe Lied und die Spruchweisheit sind hier zu nennen. Eine Stelle wie Spr 5,18-20 kann sicherlich nicht als leibfeindlich bezeichnet werden:
    "Dein Born sei gesegnet; freu dich der Frau deiner Jugend: Die liebliche Hindin, die anmutige Gazelle! Sie habe Umgang mit dir, ihre Brüste sollen dich sättigen jederzeit, ihre Liebe mache dich immerfort trunken! Was sollst du dich an einer anderen berauschen, mein Sohn? den Leib einer Fremden umfangen?" (Spr 5,18-20)

Bei solch sinnenfreudigen und positiven Aussagen über die Geschlechtlichkeit muss die Geschlechts-Transzendenz Jahwes um so auffallender wirken. Sie ist für den alten Orient beispiellos.

Im Zusammenhang mit der Botschaft der Propheten werden wir noch einmal auf einzelne Aussagen in diesem Zusammenhang zurückkommen. Hier sei nur darauf verwiesen, dass diese Übergeschlechtlichkeit im Letzten nur aus der absoluten Welttranszendenz Gottes zu erklären ist. So bezeugt auch die Übergeschlechtlichkeit Jahwes diese Welttranszendenz nur noch einmal auf eindrückliche Weise.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkung

1 Vgl.: Alfons Deissler, Die Grundbotschaft des Alten Testaments (Freiburg 1972) 40; Alfons Deissler, Einleitung in das Alte Testament - Zusammenschrift entsprechend einer autorisierten Vorlesungsmitschrift des WS 1969/70 bzw. einer nicht autorisierten Mitschrift anhand von Bandaufnahmen des WS 1976/77 mit teilweisen Ergänzungen für das WS 1979/80 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.) 168. Zur Anmerkung Button