Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Jahwe, der alle Zeitlichkeit transzendierende Gott der Lebensfülle ⋅1⋅

Die Transzendenz Jahwes betrifft aber nicht nur alle räumlichen Dimensionen. Jahwe übersteigt auch die Zeit. Er ist ewiger Gott.

1. Jahwe und die Zeit

a. Das Werden und Vergehen der Götter in den Religion der Umwelt Israels

Hier widerspricht das Alte Testament ganz radikal den Mythen. Sie erzählen ja von der Entstehung der Götterwelt oder handeln vom Tod und vom Wiederaufleben des Vegetationsgottes. Der Gott Israels hingegen ist ein Gott, der nicht geworden ist und der auch nicht vergeht.

Dieser Wesenszug Gottes wird immer deutlicher ausgesprochen. Selbst heute noch kann man in den Texten des Alten Testamentes diese Entwicklung nachvollziehen.

b. Die Redaktionsgeschichte von Hab 1,12 - Die Ewigkeit Gottes

Ein Echo bietet uns zum Beispiel die Redaktionsgeschichte von Hab 1,12. Dieser Vers lautete nämlich in seiner ursprünglichen Fassung:

"Bist du nicht von Urzeit her, Jahwe, mein heiliger Gott, der nicht stirbt?" (Hab 1,12.)

Obschon Habakuk mit diesem Vers ja genau die Ewigkeit Jahwes zum Ausdruck bringen wollte, wurde der Vers-Schluss, also der Ausdruck "... der nicht stirbt", in späterer Zeit als anstößig empfunden. Allein schon auszusprechen, dass Jahwe nicht sterben kann, Gott also mit Sterben auch nur in Verbindung zu bringen, empfand man als Unding.

So änderten die Masoreten den Text ganz einfach ab. Anstelle von "... der nicht stirbt", setzten sie:

"Wir werden nicht sterben." ⋅2⋅

c. Gott kennt keinen Anfang

Werden und Vergehen sind also "unmögliche" Kategorien für das alttestamentliche Gotteszeugnis. Dies bringen die biblischen Texte unmissverständlich zum Ausdruck, auch wenn man in Israel unseren philosophischen Ewigkeitsbegriff nicht kennt.

Dieser Ewigkeitsbegriff umschreibt ja ein gefülltes und damit "stehendes Jetzt", das aber zu denken, läuft der hebräischen Vorstellung völlig zuwider. Einen solchen Begriff hätte man als allzu statisch sogar abgelehnt. Aber nichtsdestoweniger verneint die Bibel jedes "Sich-Zeitigen" Gottes. Gott kennt für sich selbst keinerlei Anfang. Jahwe ist der, der allem anderen Anfang gibt, selbst aber keinen Anfang hat.

Das war in Israel so selbstverständlich, dass der Endverfasser von Gen 1 den ersten Schöpfungsbericht nicht etwa mit dem Satz...

"Im Anfang war Gott",

... beginnen ließ. Er schreibt vielmehr:

"Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde." (Gen 1,1.)

Über die Zeit vor der Schöpfung, über Gottes Anfang gar wird absolut nicht reflektiert.

Wenn man das aber tut, wenn man über das Verhältnis von Gott und Zeit meditiert, wie das etwa der Verfasser von Psalm 90 unternimmt, dann kommt man lediglich bis zur Aussage:

"Du bist Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit." (Ps 90,2.)

d. Gott steht über der Zeit

Psalm 90 verweist also ganz deutlich darauf, dass Gott über der Zeit steht. Und er sagt dies sogar noch drastischer. Im Vers 4 heißt es:

"Vor deinen Augen sind tausend Jahre wie der gestrige Tag, wenn er vergangen." (Ps 90,4.)

Also nicht nur "tausend Jahre wie ein Tag", wie man gerne übersetzt, nein, "wie der gestrige Tag, wenn er vergangen ist". Ein vergangener Tag aber hat gar keine zeitliche Erstreckung mehr. Er ist nur noch ein flüchtiger Gedanke der Erinnerung.

Deutlicher kann man nicht zum Ausdruck bringen, dass alle irdische Zeiterstreckung vor Jahwes "Zeit" quantitativ und qualitativ unbedeutend ist.

So kann Deutero-Jesaja sagen, dass Jahwe nicht nur die Zeit übersteigt, er umgreift sie auch. Er ist "Erster und Letzter" (Jes 44,6; 48,12).

2. Jahwe, der lebendige Gott

Über den Grund für diese Ewigkeit Jahwes reflektiert das Jeremia-Buch.

Nach Jer 10,10, einem späteren Einschub in das 10. Kapitel des Buches, ist Jahwe deshalb ewiger Gott, weil er der lebendige Gott ist. Der ermöglichende Grund für Gottes Ewigkeit ist also seine Lebendigkeit, seine Lebensfülle.

a. Eine uralte Glaubensüberzeugung

Diese Lebendigkeit Gottes ist eine uralte Glaubensaussage in Israel. Alle Generationen des Volkes schwörten ja bei Jahwe, dem "lebendigen Gott" (vgl. Ri 8,18; 1 Sam 14,39 u. ö.).

Schwören tut man aber normalerweise immer beim wichtigsten und bedeutendsten Teil. Ich schwöre etwa beim Tempel von Jerusalem. Schon dadurch wird also zum Ausdruck gebracht, dass die Lebendigkeit Gottes als höchstes und tiefstes Merkmal seines Wesens betrachtet wurde.

b. Jahwes Leben kann nicht vermindert werden

Jahwe besitzt demnach die Fülle des Lebens. Ein Leben, das durch nichts gemindert werden kann. Auch die Sünde der Menschen kann daher Gottes Lebensfülle nicht beeinträchtigen. Im Buch Ijob spricht Elihu dies ganz ausdrücklich aus:

"Begehst du eine Sünde, was kannst du ihm schaden? Sind deine Sünden viel, was tust du ihm denn an?" (Ijob 35,6.)

Gott ist so überreich, dass er durch nichts vermindert werden könnte.

c. Jahwes Lebensfülle kann nichts hinzugefügt werden

Auf der anderen Seite kann er deshalb auch durch nichts vermehrt werden.

können Jahwes Lebensfülle etwas hinzufügen.

So sagt Jesaja:

""Was soll mir die Menge eurer Schlachtopfer?", spricht Jahwe, "Brandopfer von Widdern und Fett von Mastkälbern habe ich satt. Das Blut von Stieren und Böcken bin ich leid. Wenn ihr kommt, mein Angesicht zu schauen - wer hat von euch verlangt, dass ihr meine Vorhöfe zerstampft? Bringt mir nicht dauernd vergeblich Gaben, ihr Rauch ist mir ein Gräuel."" (Jes 1,11-13.)

Und im Psalm 50 heißt es:

"Hätte ich Hunger, ich müsste es dir nicht sagen; mein ist der Erdkreis mit all seiner Fülle. Sollte ich essen vom Fleisch der Tiere, von den Böcken trinken das Blut? Weihe Jahwe das Opfer des Lobes, dem Höchsten entrichte deine Gelübde." (Ps 50,12-14.)

Besonders der Umstand, dass Jahwe nicht auf Opfer angewiesen ist, bedeutet einen fundamentalen Unterschied der alttestamentlichen Gottesbotschaft gegenüber den Mythen. Nach der Vorstellung der Mythen erfahren die Götter schließlich durch Speise-, Trank- und Duftopfer eine "Lebenszufuhr" aus dem Kosmos. Jahwe dagegen ist der auf Welt und Mensch absolut Unangewiesene.

3. Jahwes Unveränderlichkeit und die Anthropomorphismen

Bei all dieser Betonung der weltunabhängigen Lebendigkeit Gottes, bei all den Aussagen über Jahwes Überregionalität und Überzeitlichlichkeit, eine Unveränderlichkeit Gottes wird im Alten Testament kaum einmal betont.

Der Gedanke der Unveränderlichkeit, der für uns ja mit all den Aussagen über Ewigkeit und Transzendenz ganz eng verbunden ist, tritt im Alten Testament auffällig zurück.

Ein solcher Gedanke scheint der hebräischen Mentalität offensichtlich im Wege zu stehen. Gott ist lebendig. Und das heißt für den Hebräer auch, dass in Gottes Innerem eine Dynamik vorwaltet.

Deshalb scheuen sich die alttestamentlichen Theologen auch nicht, von wechselnden Gemütswallungen Gottes zu reden, wie von Zorn, Hass, Schmerz, usw., ja sogar von Reue. ⋅3⋅

In Hos 11,8 und Jer 31,20 werden wir gar mit einem göttlichen "Gefühlsumschwung" konfrontiert, und das in ausdrücklich als Gottessprüche gekennzeichneten Stellen.
Die Hosea-Stelle möchte ich hier als Beispiel nennen:

"Wie könnte ich von dir lassen, Ephrahim, dich preisgeben, Israel? Wie könnte ich von dir lassen gleich Adma, dich gleichstellen Zebojim? Mein Herz kehrt sich um in mir, und zugleich regt sich mein Mitleid. Nicht will ich tun, was die Glut meines Zornes mir eingibt, nicht Efraïm wieder verderben. Denn Gott bin ich und nicht ein Mensch, heilig in deiner Mitte, ich liebe es nicht, zu verderben." (Hos 11,8-9.)

Solche Anthropomorphismen sind dabei nicht nur eine dem menschlichen Verstehen angepasste Redeweisen. So nach dem Motto: "Wir sprechen halt so über Gott, weil wir es uns nicht anders vorstellen können."

Für den Hebräer haben diese Aussagen eine positive Offenbarungsfunktion: Gottes personale Vitalität wird hier aufs deutlichste unterstrichen. Auf diese Art und Weise wird also Gottes unversiegbare, innerlich höchst bewegte und äußerlich alles überwaltende Lebendigkeit und personale Lebensfülle deutlich gemacht.

Das mag für uns mit den anderen Aussagen der Schrift über Gott nicht in eins gehen. Und gemessen an unserem Ewigkeitsbegriff scheint dies sogar unlogisch zu sein. Doch im hebräischen Denken geht es mehr um eine psychologische als um eine logische Vergegenwärtigung Gottes.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Alfons Deissler, Die Grundbotschaft des Alten Testaments (Freiburg 1972) 38-40; Alfons Deissler, Einleitung in das Alte Testament - Zusammenschrift entsprechend einer autorisierten Vorlesungsmitschrift des WS 1969/70 bzw. einer nicht autorisierten Mitschrift anhand von Bandaufnahmen des WS 1976/77 mit teilweisen Ergänzungen für das WS 1979/80 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.) 169. Zur Anmerkung Button

2 Vgl.: Alfons Deissler, Die Grundbotschaft des Alten Testaments (Freiburg 1972) 38. Zur Anmerkung Button

3 Vgl.: Gen 6,6; Ex 32,12. 14; 1 Sam 15,11; Jer 4,28; 26,3. 19 u. a. Zur Anmerkung Button