Die Bibel

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Weiter-ButtonZurück-Button Jahwe ist der wesenhaft heilige Gott ⋅1⋅

Wenden wir uns nun einem weiteren Aspekt zu, der wesentlich zur israelitischen Botschaft vom welttranszendenten Gott gehört; und zwar der Heiligkeit Gottes. Jahwe ist der wesenhaft heilige Gott.

1. Der Begriff קָדוֺשׁ ["qadosch"]

a. Die Etymologie des Wortes

Das hebräische Wortfeld, das dem deutschen Begriff "heilig" korrespondiert, ist hauptsächlich von der Wortwurzel קדשׁ ["q-d-sch"] samt ihren Derivaten besetzt.

Die Idee, die dieser Wortwurzel zugrunde liegt, bedeutet zunächst "getrennt sein", "anders sein". ⋅2⋅

b. Die besondere Verwendung in Israel

Disteln am Rande des Ackers

Disteln am Rande des Ackers.

Foto-Button© Katholisches Bibelwerk Linz, Kapuzinerstr. 84, A-4020 Linz

Mit diesen Prädikaten werden im Alten Te­sta­ment zunächst Orte und Dinge belegt, die zu Jahwe in einer be­son­deren Beziehung stehen. Diese Orte, diese Dinge sind daher dem profanen Gebrauch entzogen.

So wird z. B. in Ex 3,5 (E) der Ort der Dorn­busch-Theo­phanie "hei­lig" genannt. Mose wird aufgefordert, die San­da­len abzulegen.

Die "Qualität", ein hei­liger Ort oder Ge­gen­stand zu sein, bekommt etwas jedoch nur durch seine Beziehung zu Gott. So wird der Ort der Dornbusch-Theophanie erst durch die Gottesbegegnung heilig. Er ist es nicht von sich heraus. Das ist ein merklicher Unterschied zu heidnischen Vorstellungen.

Symptomatisch für diesen ganz eng an Gott geknüpften Heiligkeitsbegriff ist der Ausruf der Einwohner von Bet Schemesch. Sie wurden bestraft, weil sie der Bundeslade, die ja als heilig bezeichnet wird, eine unehrerbietige Haltung entgegengebracht hatten. Darauf rufen sie voller Entsetzen aus:

"Wer vermag vor dem Angesicht Jahwes, dieses heiligen Gottes, standzuhalten?" (1 Sam 6,20.)

Auffallend ist hier, dass sie jetzt nicht von der Heiligkeit der Lade sprechen, um die es ja eigentlich die ganze Zeit ging. Sie sprechen von Jahwe, dem heiligen Gott.

Von daher wird die Bezeichnung "heilig" immer mehr zu einem Sonderprädikat für Jahwe selbst.

c. Das Zeugnis der Propheten

So nennt schon Amos den Namen Gottes "heilig" (Am 2,7). Und er lässt Jahwe bei seiner "Heiligkeit" schwören. Da beim Schwur immer das Höchste und Hehrste beschworen wird - wir haben dies im Bezug auf den "lebendigen Gott" bereits gesehen -, enthüllt sich hier bei Amos Jahwes Heiligkeit als sein besonderes Wesensmerkmal.

Von da aus führt nur ein kurzer Schritt zur Berufungsvision des Jesaja, in der die Serafim Jahwe als "heilig, heilig, heilig" preisen (Jes 6,3). Es geht in dieser Bezeichnung zunächst um die erschreckende Erhabenheit Jahwes, seine blendende Lauterkeit und seinen niederschmetternden Glanz, seine כָּבוֺד ["kabod"] also. Der Ausruf "heilig, heilig, heilig" zielt also zuerst auf die Größe und Erhabenheit Gottes. Heiligkeit ist also zunächst eine ontische Qualität.

2. Der Begriff כָּבוֺד ["kabod"]

Der Prophet erfährt aber vor dieser "Lichtwucht", vor dieser כָּבוֺד ["kabod"] Jahwes, nicht nur seine kreatürliche Kleinheit. Er spürt gleichzeitig seine ganze ethische Fragwürdigkeit und Sündhaftigkeit. Das bedeutet, dass Jahwes Heiligkeit auch höchste ethische Lauterkeit, also auch eine ethische Qualität ist.

Diese ethische Lauterkeit Gottes fordert aus ihrem innersten Wesen heraus nun natürlich auch die menschliche Lauterkeit. Sie deckt in der "Lichtwucht" dieser göttlichen Heiligkeit, in ihrer schonungslosen Helle, alle Bundesbrüchigkeit des Menschen auf. Darum verkündet Jes 10,17:

"Israels Licht wird zum Feuer und sein Heiliger zur Flamme: sie zündet und verzehrt seine Dornen und Disteln an einem einzigen Tag." (Jes 10,17.)

Von daher ist es verständlich, dass die Heiligkeit Jahwes bei den Gotteserscheinungen zumeist im Phänomen des Feuers geschildert wird, beispielsweise im Bild des brennenden Dornbusches. Beim "Zusammenprall" der Heiligkeitssphäre Jahwes mit dem irdischen Bereich sprühen im Bild gesprochen gleichsam Funken und Lohen. ⋅3⋅

3. Der ganz Andere

Unsere Bilder und Begriffe sind heute natürlich andere. Manche sind dabei treffend, manche weniger glücklich. Ein Begriff, der in der Theologie des 20. Jahrhunderts - vor allem in der Folge Karl Barths - geprägt worden ist, gehört sicherlich zu den Bezeichnungen, die man gelungen nennen kann.

Man sagt heute nämlich anstelle des Ausdrucks "der heilige Gott" gerne "der ganz Andere". Das ist eine durchaus glückliche Begrifflichkeit. Sie erfasst eigentlich ganz gut, was der Begriff heilig meint und kann sich zudem auch noch auf eine Reihe von alttestamentlichen Zeugnisse berufen.

So heißt es etwa in einem Gottesspruch bei Hosea:

"Wie könnte ich von dir lassen, Ephrahim, dich preisgeben, Israel? Wie könnte ich von dir lassen gleich Adma, dich gleichstellen Zebojim? Mein Herz kehrt sich um in mir, und zugleich regt sich mein Mitleid. Nicht will ich tun, was die Glut meines Zornes mir eingibt, nicht Efraïm wieder verderben. Denn Gott bin ich und nicht ein Mensch, heilig in deiner Mitte, ich liebe es nicht, zu verderben." (Hos 11,8-9.)

Hier bezeugt Jahwe selbst, dass er heilig ist, und zwar weil er anders ist als der Mensch, der seinem Zorn freien Lauf lässt. Er ist heilig, denn er ist "der ganz Andere".

Als der "Ganz-Andere", der mit Welt und Mensch Unvergleichliche, begegnet der "Heilige Israels" dann vorab bei Deutero-Jesaja⋅4⋅ Es heißt dort beispielsweise:

"Mit wem wollt ihr Gott vergleichen, und was wollt ihr neben ihn stellen?" (Jes 40,18.)

Und wenn Ezechiel sagt, dass Gott "sich heiligt", dann meint er damit, dass Jahwe sich vor bzw. an den Heidenvölkern als absoluter und weltüberlegener Gott erweist. ⋅5⋅ Er erweist sich also als derjenige, der die Welt übersteigt, der letztlich ganz anders ist, als alles, was in dieser Welt begegnet.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Alfons Deissler, Die Grundbotschaft des Alten Testaments (Freiburg 1972) 41-43; Alfons Deissler, Einleitung in das Alte Testament - Zusammenschrift entsprechend einer autorisierten Vorlesungsmitschrift des WS 1969/70 bzw. einer nicht autorisierten Mitschrift anhand von Bandaufnahmen des WS 1976/77 mit teilweisen Ergänzungen für das WS 1979/80 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.) 171-172. Zur Anmerkung Button

2 Das "Heilige" ist von jeher neben dem Wahren, Guten und Schönen ein Grundbereich, auf den sich Menschen ausrichten. Ihm entspricht in etwa die religionsgeschichtliche Kategorie des "tabu".
(Vgl.: Alfons Deissler, Die Grundbotschaft des Alten Testaments (Freiburg 1972) 41.) Zur Anmerkung Button

3 Vgl.: Ex 19,18; Mi 1,4; Ps 29,7; Ps 50,3 u. a. Zur Anmerkung Button

4 Vgl.: Jes 40,18. 25; 55,8 u. a. Zur Anmerkung Button

5 Vgl.: Ez 20,41; 28,33; 36,23 u. a. Zur Anmerkung Button