Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Jahwe als König ⋅1⋅

1. Die Verbindung des Bildes vom "Hirten" mit der Vorstellung vom "König"

a. Beispiele aus dem Buch Micha

Das Bild vom "Hirten Jahwe" aus Ez 34 erscheint dann in einem späteren Zusatz auch im eigentlich älteren Buch des Propheten Micha. Dort heißt es in Mi 4,6-7:

"An jenem Tage, spricht Jahwe, da will ich sammeln, was hinkt, und was versprengt war, zusammenbringen und(!) die, denen ich Übles getan habe. Was hinkt, mache ich zu einem Rest, und was schwach ist, zu einem mächtigen Volke..." (Mi 4,6-7.)

Jetzt wird dieses Bild aber ergänzt. Der Text fährt fort und schließt mit den Worten:

"... und Jahwe wird über sie König sein auf dem Berg Zion von nun an bis in Ewigkeit." (Mi 4,7.)

Hier wird also das Bild von Jahwe als Hirten mit der Vorstellung vom Königtum Jahwes verbunden.

Ähnlich finden wir das auch in Mi 2,12-13, einem Text der vermutlich auch nicht auf den Propheten selbst zurückgeht, sondern in späterer Zeit eingefügt wurde.

"Sammeln will ich ganz Jakob, versammeln will ich den Rest Israels. Ich will sie zusammenbringen wie Schafe im Pferch, wie eine Herde auf der Trift, vor niemandem haben sie Angst. Vor ihnen her geht der Bahnbrecher. Er bricht durch, sie schreiten durch das Tor und ziehen hinaus, und ihr König schreitet vor ihnen her; Jahwe ist an der Spitze." (Mi 2,12-13.)

Diese vermutlich nachexilischen Texte binden also die beiden alten Bilder vom Hirten und König zusammen und wenden beide auf Gott an.

b. Die Problematik um den Beginn des Sprechens von Jahwe als König

Das können sie um so leichter tun, als diese beiden Begriffe immer schon sehr eng miteinander verbunden waren. "König" und "Hirte" sind im Alten Orient nämlich von früh her korrespondierende Begriffe. Und als orientalischem Volk war auch Israel diese Sichtweise geläufig (vgl. 2 Sam 5,3).

So dürfte es eigentlich nicht überraschen, dass man neben dem Hirtentitel auch den Königstitel mit Jahwe in Verbindung brachte. In Micha haben wir vermutlich nachexilische Zeugnisse dafür vorliegen.

Wann aber begann dieses Sprechen von Jahwe als König? Gibt es auch frühere Aussagen, die Gott in diesen Horizont hineinstellen? Wie, wann und wo kam es nun dazu, dass man Jahwe König nannte? Und was will dieser Titel letztlich besagen?

Diese Problematik wird seit Jahrzehnten in der exegetischen Forschung zu lösen versucht. Dabei ist eine einhellig angenommenen Lösung immer noch nicht in Sicht.

2. Das Königtum im alten Orient

Außerbiblisch gibt es ein Fülle von Zeugnissen. Die hier erhaltenen Texte erweisen ganz klar, dass von Anfang an im Alten Orient irdisches und göttliches Königtum in innigstem Konnex miteinander standen.

Der irdische König ist in der altorientalischen Königsideologie ja nicht einfach der oberste Machthaber, sondern er ist eine Heilsgestalt. Er ist der "große Mensch" (sumerisch: "lu-gal"). In ihm pulsiert gleichsam das Lebenszentrum seines Volkes.

Seine Macht ist die Garantie für das Leben und das Heil der Gemeinschaft nach außen und nach innen. Denn mit dem König hat die chaotische Epoche, in der das Recht des Stärkeren galt, in der der Schwächere rücksichtslos gebeugt und ausgelöscht wurde, ⋅2⋅ ein Ende gefunden.

Diese Vorstellung vom König, lief aber von Anfang an parallel mit der Vorstellung, die man vom Walten der Götter hatte. So wie der König nämlich ganz konkret das Heil der Gemeinschaft garantierte, so garantierte der Gottkönig, mit seiner Schöpfermacht letztlich den ganzen Kosmos.

  • Marduk von Babylon z. B. galt als König der Götter und der Welt, weil er den Kampf mit den Chaosmächten siegreich bestanden und aus ihnen den Kosmos gebildet hatte.
  • Und in Kanaan hatte El den Königstitel weil er der Schöpfergott war und die Welt erschaffen hatte. Aber auch Baal wurde als König verehrt, denn er hatte den Meergott Jam besiegt, damit die Chaosmacht überwunden und die Ordnung hergestellt.

Im Leben und Heil garantierenden Wirken des Königs sah man daher eine Parallele zum Wirken der Götter und im Letzten glaubte man so das Wirken des Gottkönigs im Wirken des irdischen Königs repräsentiert. Im König war demnach der Gottkönig wirksam.

3. Das Königtum in Israel

Während in der Umwelt Israels das Sprechen von Gott als König demnach völlig geläufig ist, tut sich Israel selbst damit anscheinend äußerst schwer.

Das hängt schon damit zusammen, dass das Königtum in Israel erst relativ spät entstanden ist. Erst zwei Jahrhunderte nach der Landnahme gibt es einen König in Israel.

Aber selbst nach der Errichtung des israelitischen Königtums scheint es nicht zu einer unmittelbaren Übernahme der Königstitulatur auf Gott hin gekommen zu sein. Und das obwohl auch in Israel die Macht des Königs gleichsam als "Lebenshauch" (vgl. Klgl 4,12) galt, der die Existenz des Volkes garantiert (vgl. Jes 9,3). Die recht verstandene und recht ausgeübte Macht des Königs räumte den Armen und Schwachen im Volk schließlich ihren Lebensraum ein. Sie garantierte diesen Lebensraum letztlich, getreu der Willensoffenbarung Jahwes.

Vor allem die messianischen Texte schildern das Königtum in diesem Horizont (vgl. vorab Jes 11,3-5; Ps 72).

4. Schwierigkeiten mit dem Königstitel

Von hier aus müsste es doch eigentlich leicht gewesen sein, auch Jahwe den Königstitel zuzusprechen. Dennoch zögerte man in Israel augenscheinlich, diese weitverbreitete Benennung des "obersten Gottes" zu rezipieren.

a. Der Kult des Gottes Molek

Wahrscheinlich war dafür letztlich die kanaanäische Mythologie ausschlaggebend. Vor allem der "Molek-Kult" dürfte hier hinderlich gewesen sein.

Im Namen des Gottes מֺלֶךְ ["molæk"], steckt schließlich das hebräische Wort für König drin. Der Konsonantenbestand von מֺלֶךְ ["molæk"] ist nämlich identisch mit dem hebräischen Wort מֶלֶךְ ["mælæk"], dem Wort für "König". Und der Gott Molek konnte auch in der Frühzeit - ganz anders als der Gott El und auch anders als zumindest am Anfang noch der "Himmelsbaal" - unter keinen Umständen mit Jahwe in Verbindung gebracht werden. Molek war nämlich ein äußerst grausamer Gott. In seinem Kult wurden sogar Kinderopfer gefordert.

b. Die Übertragung der Lade nach Jerusalem

Vermutlich hat erst die Übertragung der Bundeslade nach Jerusalem den Israeliten langsam die Scheu genommen, auch von Jahwe als König zu sprechen.

Die durch den Molek-Kult entstandene eigenartige Aura des Königstitels verlor im Umkreis des Tempels langsam seine Bedeutung. Sicher hat das davidische und salomonische Königtum hier zu einem neuen Bewusstsein geführt. Dazu trug sicher auch bei, dass der König in Israel ja auch gleichzeitig oberster Kultherr im Tempel war. So wurde die allmähliche Verwendung des Königtitels in Bezug auf Gott letztlich doch noch ermöglicht.

Möglicherweise hatte hier der Titel "Jahwe Zebaot" so etwas wie eine Brückenfunktion gehabt. Er bedeutet vermutlich soviel wie "Jahwe der Heerscharen". Dieser alte Titel war ursprünglich mit der Lade verknüpft. Und vermutlich pries man Jahwe daher in alten Hymnen mit diesem überkommenen Titel.

In Anlehnung an diese Hymnen dürften dann neue Lieder gedichtet worden sein, in denen dann nach und nach auch die Königstitulatur Eingang gefunden hat. Solche Hymnen wären dann als Vorgänger oder auch als Grundlage unserer heutigen Jahwe-Königs-Psalmen (Ps 47; 93; 96-99) zu denken.

Zur Zeit Jesajas muss der Titel "König" für Jahwe dann bereits - zumindest einigermaßen - gebräuchlich gewesen sein. In Jes 6,5 verwendet ihn der Prophet zumindest:

"Da sprach ich: "Wehe mir, ich bin verloren. Denn ich bin ein Mann mit unreinen Lippen und wohne unter einem Volk mit unreinen Lippen, und meine Augen haben den König, Jahwe Zebaot, geschaut!" (Jes 6,5.)

Auffallend ist gerade hier, in dieser frühen Stelle, die Verbindung mit der alten Bezeichnung "Jahwe Zebaot". Dies könnte ein Hinweis auf die oben vermutete Brückenfunktion dieser älteren Titulatur sein.

Nichtsdestoweniger scheint aber auch Jesaja nicht auf den Königstitel zu insistieren. Er verwendet ihn noch recht verhalten.

5. Veränderung der Perspektive

Wenn dieser Titel aber verwendet wird, dann wird deutlich, dass er in Israel nun unter einem anderen Aspekt rezipiert wurde, als in der Umwelt. Auch hier scheint die alte Titulatur "Jahwe Zebaot" ihre Spuren hinterlassen zu haben.

a. Der Königstitel und seine kosmische Dimension

Der Königstitel hat angewandt auf Gott in Israel nämlich auffallenderweise nicht mehr allein die sonst in der Umwelt übliche kosmische Dimension. Wenn Israel Jahwe als König bezeichnet, dann betont es nicht mehr allein den Aspekt seiner kosmischen Gewalt und seines Schöpfertums.

Natürlich ist der Königstitulatur auch in Israel diese kosmische Dimension nicht fremd. Auch Jesaja verbindet den Königstitel mit der Aussage:

"... die ganze Erde ist seiner Herrlichkeit voll" (Jes 6,3.)

Aber der eigentliche Blickwinkel ist in Israel nun geschichtlicher Natur. Dieser Gottkönig ist nicht der Herrscher über ein Pantheon, er ist der König Israels und dieser König engagiert sich in der Geschichte, deren Mächte er nach seinem Plan lenkt.

b. Der Einfluss des Titels "Jahwe Zebaot"

Schon der alte Titel "Jahwe Zebaot" war ja mit dem Heerbann verknüpft. Jahwe war der Gott der Heerscharen, und er begleitete sein Volk in der Schlacht, wohin man ja auch die Lade mitführte. Schon das Sprechen von Jahwe als "Zebaot" zielte demnach ganz konkret auf die jeweilige geschichtlichen Situation des Volkes.

An diese Wüstentradition mit ihrem Theologumenon von "Jahwe als Herzog" knüpft nun in Israel vermutlich auch die Königsprädikatur an. Wenn man Jahwe König nennt, dann heißt das vorab, dass man ihn glaubt als denjenigen, der an der Spitze der

"Transmigration" steht - wie Alfons Deissler sagt ⋅3⋅ -, der Wanderung des Gottesvolkes in der Dimension der Zeit.

c. Jahwe als Schutzherr seines Volkes

Von daher bekommt der Königstitel dann auch seine leuchtende Strahlkraft in der weiteren Verkündigung der alttestamentlichen Botschaft. Das Sprechen von der Königsmacht Jahwes wird nun letztlich ein Sprechen vom Inbegriff des Schutzes Israels. Jahwe, der König, ist der in der Geschichte wirkmächtige Schutzherr seines Volkes.

Nicht von ungefähr fragt sich das Volk dann in Jer 8,19 angesichts der Katastrophe der Zerstörung Israels:

"Ist Jahwe nicht mehr auf Zion? Sein König nicht mehr dort?" (Jer 8,19.)

Denn wenn die Königsherrschaft Gottes auf dem Zion noch aufgerichtet wäre, dann könnte Israel ja auch nichts Böses widerfahren.

6. Erwartung einer neuen Heilszeit

Auf diesem Hintergrund kann die Vorstellung von Jahwe als König in der Zeit der großen Katastrophe des Exils dann letztlich auch zum Ausgangspunkt einer neuen Hoffnung werden. Von der schöpferischen Königsmacht Jahwes erwartet man nun eine neue Zukunft.

a. Ezechiel

So verkündet Ezechiel:

"Mit starker Hand und erhobenem Arm und ausgeschüttetem Grimm will ich König sein über euch ⋅4⋅ und will euch aus den Völkern herausführen und aus den Ländern, wohin ihr zerstreut worden seid." (Ez 20,33-34.)

Hier, bei Ezechiel, erhält nun die Königstitulatur eine stark verheißende und auf die Endzeit verweisende Bedeutung: Jahwe wird als König, der er ja schon ist, ⋅5⋅ vor aller Welt seine Macht in den Dienst seines "Bundeswillens" stellen. So wird er das Chaos der Geschichte für das Gottesvolk beenden.

b. Deutero-Jesaja

Deutero-Jesaja lässt angesichts der Nähe der Befreiung, die Ezechiel angesagt hatte, und der nun bevorstehenden neuen Landnahme Israels folgende Frohbotschaft an Zion ausrichten:

"Dein Gott ist König!" (Jes 52,7.)

Königtum Jahwes bedeutet für ihn also bereits weit mehr, als in der Frühzeit. Gott als König ist nicht nur der "Schöpfer", nicht nur "der Lenker der Geschichte", er ist zugleich auch und noch viel mehr der "Erlöser". Jes 43,14-15 bezeugt dies eindrucksvoll:

"So spricht Jahwe, euer Erlöser, der Heilige Israels: Um euretwillen sende ich nach Babel und lasse die Riegel der Kerker fallen... Ich bin Jahwe, der Schöpfer Israels, euer König." (Jes 43,14-15; vgl. 52,9.)

Und in Jes 44,6 heißt es ganz schlicht:

"So spricht Jahwe, der König Israels und sein Erlöser" (Jes 44,6.)

Bei Deutero-Jesaja wird das Königtum Jahwes so zu einem zentralen und sogar hymnisch gestalteten Thema (vgl. Jes 52,7-10). Ja, Deutero-Jesaja verkündet, dass dieses Königtum Gottes am Ende sogar allen Völkern offenbar werden wird.

Das Sprechen von Jahwe als König gewinnt bei ihm also stark eschatologische und zugleich universale Züge. ⋅6⋅

c. Die Jahwe-König-Psalmen

Auf diesem Hintergrund sind auch die meisten Jahwe-König-Psalmen entstanden, gleichsam "prophetische" Psalmen, die das königliche Walten Jahwes preisen. Sie haben dieses Thema und den Horizont von Deutero-Jesaja übernommen.

d. Die späteren Propheten

Damit ist der Höhepunkt der alttestamentlichen Botschaft von Jahwe als König erreicht. Bei den Propheten der Folgezeit erhalten die Aussagen über das Königtum Gottes, dann immer wieder ein betont nationales Kolorit (vgl. auch Dtn 2,44; 4,22; 7,27). Dies entspricht der beginnenden Apokalyptik.

Erst in der Botschaft Jesu wird das Sprechen von Gottes Königtum von solch nationalen und gar nationalistischen Zügen wieder befreit. Jesus macht den Gedanken von der Königsherrschaft Gottes letztlich sogar zu einem seiner zentralen Verkündigungsthemen, und zwar ganz im Sinne der endgültigen Zuwendung Gottes zu Welt und Mensch.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Alfons Deissler, Die Grundbotschaft des Alten Testaments (Freiburg 1972) 109-112. Zur Anmerkung Button

2 Vgl. den Ausdruck: "die kaiserlose, die schreckliche Zeit". Zur Anmerkung Button

3 Alfons Deissler, Die Grundbotschaft des Alten Testaments (Freiburg 1972) 110. Zur Anmerkung Button

4 Mit dem Verbum מלךְ ["malak"] (Futur) ausgedrückt. Zur Anmerkung Button

5 Die מלךְ ["malak"] vorangehenden Umschreibungen verweisen auf das 1. Exodusgeschehen (vgl. Dtn 26,8), das also für Ezechiel bereits Auswirkung von Jahwes Königswalten war. Zur Anmerkung Button

6 Selten wird nach Deutero-Jesaja der Akzent des Königswaltens Jahwes auf sein allgemeines kosmisches und geschichtliches Walten gelegt, wie etwa in Jer 10,7. 10 [inauthentisch] und Mal 1,14. Eigentlicher Blickwinkel seiner Äußerungen ist die das Heil Israels schaffende zukünftige Königsherrschaft Jahwes.
Das zeigt sich sowohl in Zef 3,15 [Nachtrag] wie in den eingangs zitierten Texten von Mi 4,6-7 und 2,13, in Obd 21; Jes 24,23 ["Jesaja-Apokalypse"] und Sach 14,9. 16-17. Zur Anmerkung Button