Die Bibel
Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...
Zwei Berichte vom Werden des Menschen ⋅1⋅
- 1. Der jahwistische Schöpfungsbericht (Gen 2,4b-24)
- 2. Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht (Gen 1,1-2,4a)
- a. Die Entstehungszeit
- b. Der geistige Hintergrund der Darstellung
- c. Auffallende Unterschiede beider Texte
- 3. Die Redaktion beider Texte
Was aber berichtet die Bibel nun vom Werden und damit vom Wesen des Menschen und der Menschheit?
Sie antwortet - wenn wir es genau nehmen - mit zwei ursprünglich selbständigen und auch unterschiedlich alten Werde-Erzählungen, nämlich mit dem Schöpfungsbericht von Gen 1 und noch einmal einem zweiten Bericht über die Schöpfung, der in Gen 2 festgehalten ist.
Beide Texte stammen - wie wir in der Einführung ja bereits festgestellt haben - sowohl aus unterschiedlichen Zeiten als auch aus unterschiedlichen Milieus.
1. Der jahwistische Schöpfungsbericht (Gen 2,4b-24)
Der ältere Text entstammt der sogenannten "jahwistischen" Tradition ("J"). Er liegt in Gen 2,4b-24 vor und ist gleichzeitig die Eröffnung für die Schilderung vom Fall des Menschen in Gen 3. Für dieses dramatisch geschilderte Ereignis bereitet er gleichsam die Bühne vor.
a. Die Zeit der Abfassung
Niedergeschrieben wurde dieser Text mit einiger Wahrscheinlichkeit von einem Theologen am Hof König Salomos, also - ganz grob gesagt - im 10. Jahrhundert v. Chr. Der Verfasser konnte sich dabei auf eine Reihe von Erzählungen stützen, die im Umfeld Israels überliefert wurden. Solche Menschenschöpfungsmythen gab es in der Umwelt Israels schließlich nicht wenige.
b. Der geistige Hintergrund der Darstellung
Noch im heutigen jahwistischen Schöpfungsbericht ist die Gedankenwelt, in der diese Erzählung einmal entstanden sein muss, deutlich abzulesen. Im Hintergrund steht hier ganz klar das Weltbild der Nomaden.
Der Anfang wird so geschildert, als sei der Urzustand der Schöpfungswelt die Wüste. So stellt es sich der Nomade vor. Am Anfang muss es überall wie in der Wüste gewesen sein.
In dieser Gedankenwelt des Nomaden entstand nun ein Schöpfungsmythos, der dem Verfasser unseres biblischen Schöpfungsberichtes bekannt war. Er hat diese Erzählung nun genommen und im Glauben Israels umgeformt. Er formt also, auf der Basis alter, nomadischer Erzählungen über die Erschaffung der Menschheit durch die Gottheit bzw. die Götter, eine jahwistisch gereinigte, mythenartige Erzählung über das Werden der Welt und des Menschen.
c. Inhaltliche Besonderheiten
Steinwüste - Auf dem Weg zum Mosesberg.
© Katholisches Bibelwerk Linz, Kapuzinerstr. 84, A-4020 Linz
So schildert er, wie - gleichsam auf wundersame Weise - dieser wüstenhafte Anfangszustand der Welt von einer Flut getränkt wurde. Daraufhin erschafft nun Jahwe-Gott den Menschen. Und nach dem jahwistischen Schöpfungsbericht ist dies das aller erste, was Gott nach der Erschaffung dieser Anfangswüste tut.
"Am Tage, da Jahwe Gott Erde und Himmel machte, gab es auf der Erde noch kein Gesträuch des Feldes und wuchs noch keinerlei Kraut des Feldes. Denn Jahwe Gott hatte noch nicht auf die Erde regnen lassen, und der Mensch war noch nicht da, um den Erdboden zu bebauen. Da stieg eine Flut von der Erde auf und tränkte die ganze Fläche des Erdbodens. Dann bildete Jahwe Gott den Menschen aus Staub von dem Erdboden und blies in seine Nase einen Lebenshauch. So wurde der Mensch ein lebendes Wesen." (Gen 2,4b-7.)
2. Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht (Gen 1,1-2,4a)
Ganz anders schildert es der sogenannte erste Schöpfungsbericht, der sich heute in Gen 1,1-2,4a findet.
a. Die Entstehungszeit
Wir haben bereits im Zusammenhang mit der Einführung in das Alte Testament gesehen, dass er wohl im 6. vorchristlichen Jahrhundert in Priesterkreisen ("P") ausformuliert wurde. Man nennt ihn daher auch den priesterschriftlichen Schöpfungsbericht. Es handelt sich hier um einen weisheitlich eingefärbten "Lehrbericht" mit einer ganz strengen Zahlenstruktur.
b. Der geistige Hintergrund der Darstellung
Der Hintergrund der Darstellung ist deutlich sichtbar ein anderer, als der des älteren, jahwistischen Berichtes. War dort die Wüste der Ausgangspunkt, so ist es im priesterschriftlichen Bericht ein ursprüngliches Wasserchaos, das den Anfangszustand darstellt.
Ein Wasserchaos als Ausgangspunkt gehört aber natürlich nicht mehr in die Vorstellungswelt der Nomaden. Ein Wüstenbewohner kann sich so etwas kaum denken. Hier ist es das Weltbild der Menschen an den großen Strömen und am Meer auf dessen Hintergrund diese Werde-Erzählung formuliert wurde. Dieses Weltbild verweist uns also nach Mesopotamien, wo die Archäologie in der Vergangenheit ganz ähnliche Texte ans Tageslicht gefördert hat.
Die Verwandtschaft des biblischen Berichtes zu babylonischen Texten lässt sich dabei leicht erklären, wenn man bedenkt, dass der priesterschriftliche Schöpfungsbericht in einer Zeit entstanden ist, in der Israel - zumindest was die Intelligenz und die Oberschicht des Volkes anging - in babylonischer Gefangenschaft war.
Natürlich hat man sich in dieser Zeit ganz besonders mit der Gedankenwelt und der Mythologie der Babylonier auseinandergesetzt. Dies ist der Hintergrund der Entstehung des priesterschriftlichen Berichtes, der sich demnach auch - wie bereits der jahwistische Text - als eine Über- und Bearbeitung fremden Gedankengutes auf der Basis des Glaubens Israels darstellt.
c. Auffallende Unterschiede beider Texte
Das Ergebnis dieser Darstellung ist allerdings ein ganz anderes als das, was uns vier Jahrhunderte zuvor der jahwistische Verfasser dargeboten hat.
- Nicht nur, dass nun nicht mehr die Wüste sondern gewaltige Wasserfluten der Ausgangspunkt sind,
- der Mensch ist nun auch chronologisch das letzte der irdischen Schöpfungswerke. Erst am sechsten Tag entsteht der Mensch. Beim Jahwisten wurde er ganz am Anfang, als erstes Schöpfungswerk, erschaffen.
Aus naturkundlicher Sicht sind also beide Darstellungen miteinander völlig unvereinbar. Entweder ist nun der Mensch am Anfang oder am Ende entstanden. Beides gleichzeitig ist ja schlechthin unmöglich.
3. Die Redaktion beider Texte
a. Keine naturkundliche Absicht
Die Theologen des 6. bzw. 5. vorchristlichen Jahrhunderts stellten beide Texte nun aber schlicht und ergreifend hintereinander, ohne diese Spannungen auch nur im geringsten zu beseitigen. Damit dokumentieren sie bereits, dass es ihnen nicht um diese naturwissenschaftlichen Fragestellungen ging. Sie bezeugen damit eindrücklich, dass es der biblischen Offenbarung nicht um Naturkunde bzw. Naturgeschichte geht. Und auch die entsprechenden Weltbilder sind also nicht der eigentliche Lehrgegenstand dieser Texte.
b. Der Mensch als "Erst-" bzw. "Sonder-Geschöpf" Gottes
Die eigentliche Aussage, die beide Schöpfungsberichte auf ihre je eigene Art machen, ist, dass der Mensch ein gottgeschaffenes Wesen ist und dass er anders geschaffen wurde, als alles andere, was Gott darüber hinaus auch noch gemacht hat.
Gen 1 sagt dies, indem dort davon gesprochen wird, dass der Mensch gleichsam das Ziel, der Abschluss, die Vollendung der Schöpfung ist. Gen 2 bringt dies zum Ausdruck, indem es dem Menschen einen chronologischen Vorrang einräumt.
Damit bezeugen beide Texte auf ihre Art: der Mensch ist in der irdischen Schöpfung das "Erst-Geschöpf" - und jetzt nicht im temporären sondern im qualitativen Sinne - und er ist damit gewissermaßen das "Sonder-Geschöpf" Gottes.
Diese Aussage wird nun von beiden Schöpfungsberichten weiter entfaltet.
Anmerkung