Die Bibel
Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...
Der Reichtum von Gen 1 und 2 ⋅1⋅
Ich hoffe, es ist in diesem kurzen Blick auf die beiden Schöpfungsberichte bereits deutlich geworden, welcher Reichtum in diesen Texten steckt.
Die christliche Tradition hat beide Schöpfungserzählungen in der Vergangenheit meist als Einheit gelesen und leider fast immer nur als Vorspiel für das Geschehen des Sündenfalles, das sich dann ja in Gen 3 anschließt.
Dieser Erzählung vom Sündenfall, die für die Theologie ja der eigentliche Haftpunkt der Erlösungslehre war, hat man sich ganz besonders zugewandt. Die Schöpfung, als gleichsam nur vorbereitendes Geschehen, hat man häufig fast völlig außen vor gelassen.
Dabei hat man nur allzu oft übersehen, welch großartige "Theologie" und welch ungeheure "Anthropologie" Gen 1 und Gen 2 entfalten.
Ich möchte - so gleichsam als Zwischenresümee - nur noch einmal einige Punkte nennen, die Alfons Deissler im Blick auf die beiden Schöpfungsberichte zusammengestellt hat ⋅2⋅. Sie scheinen ihm ganz besonders eines vertieften Nachdenkens wert:
- Schon der kreatürliche Mensch ist als gottverwandtes und gottoffenes Sondergeschöpf vom Schöpfergott entworfen. Darum haben alle Religionen der Völker zum Göttlichen hin "Du" gesagt. Der Mensch degradiert sich selbst, wenn er Gott aus seinem Horizont streicht. Es ist dies, wie wenn die Erde sich von der Sonne losketten würde ⋅3⋅: Sie flöge in das Chaos der Selbstzerstörung. ⋅4⋅
- Der Mensch ist von Haus aus zum Weltdienst berufen d. h. zur herrscherlichen, aber vor Gott zu verantwortenden Verwaltung der Welt. Dies bedeutet gerade das Gegenteil von der "Vergewaltigung" der Schöpfung, wie sie die modernen "Macher" mit der Hilfe von Wissenschaft und Technik sich anmaßten und anmaßen.
- Die Ebenbildlichkeit ist vom אָדָם [">adam"] ausgesagt und damit von allen, die ein menschliches Antlitz tragen - ohne Rücksicht auf Geschlecht, vermeintliche "Rasse", Alter und sozialen Stand. Insbesondere gilt sie für die Frau ebenso wie für den Mann. Dies ist überaus gewichtig nicht nur für alle Zivilisationen und Nationen, sondern auch für die Kirche.
- Der Mensch ist und bleibt in seiner individuellen Personalität ein "Würdewesen" von höchstem Rang, aber sein "Ich" hat als Gegenüber ein "Du" in den Mitmenschen, und damit ist er eingebettet in das "Wir" der mitmenschlichen Gemeinschaft. Ein schrankenloser Individualismus ist darum schlicht inhuman.
- Der allernächste Mitmensch ist jeweils der Ehepartner. Schon die Schöpfungsbotschaft drängt hin zur unauflöslichen Partnerschaft (vgl. Mt 19,4ff). Und so sehr die Ehe auch auf Fruchtbarkeit hin angelegt sein mag, Gen 2 macht überdeutlich, dass die eheliche Liebe in sich bereits den großen Wert und ein hohes Humanum darstellt.
Anmerkungen
(Vgl.: Alfons Deissler, Wer bist Du Mensch? (Freiburg 1985) 15.)