Die Bibel
Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...
Die "große Jesaja-Apokalypse" (Jes 24-27) ⋅1⋅
- 1. Das große Weltgericht unter Auflösung der gegenwärtigen Weltordnung (Jes 24,1-23)
- 2. Das Festmahl für alle Völker auf dem Zion nach dem göttlichen Sieg über die Macht des Todes (Jes 25,6-8)
- 3. Die "Auferstehung der Toten" (Jes 26,19)
Wenn wir von einer "kleinen Jesaja-Apokalypse" sprechen, dann kann man daraus bereits schließen, dass es auch eine "große Jesaja-Apokalypse" gibt. Diese "große Jesaja-Apokalypse" findet sich nun in Jes 24-27.
Es handelt sich dabei um einen Text, der zu den spätesten Einschüben in das Jesaja-Buch überhaupt gehört. Vermutlich wurde dieser Abschnitt aus mehreren Vorlagen im späten 3. Jahrhundert v. Chr. zusammenkomponiert. Erst dann wurde er in das Buch des Propheten Jesaja aufgenommen.
Jes 24-27 bietet uns nun ein gewaltiges Endzeitgemälde, das von drei Hauptthemen beherrscht wird:
- vom großen Weltgericht,
- vom Festmahl aller Völker auf dem Zion
- und von der Auferstehung der Toten.
1. Das große Weltgericht unter Auflösung der gegenwärtigen Weltordnung (Jes 24,1-23)
In Jes 24, der Schilderung vom großen Weltgericht, wird nicht mehr nur von einer Vernichtung der jahwefeindlichen Mächte gesprochen. Hier ist bereits von einem Weltgericht die Rede, in dessen Folge sich die gegenwärtige Weltordnung auflösen wird. Wir haben hier also eine Weiterentwicklung des endzeitlichen Gedankens vorliegen. Die jetzt bestehende Welt und ihre Ordnung wird vergehen. Dies läuft bereits parallel mit den späteren Vorstellungen der Apokalyptik.
Charakteristisch dafür ist etwa Jes 24,4:
"Die Erde welkt, sie verwelkt, die Welt zerfällt, sie verwelkt, Himmel und Erde zerfallen!" (Jes 24,4) ⋅2⋅
Und ähnlich sagt es auch Jes 24,19:
"Es berstet und zerbricht die Erde, es reißt und zerreißt die Erde." (Jes 24,19.)
Und selbst die "Himmlischen" werden von diesem universalen Gerichtshandeln Gottes nicht verschont:
"An jenem Tag wird Jahwe heimsuchen das Heer des Himmels in der Höhe und die Könige der Welt auf der Erde." (Jes 24,21.)
So erweist sich Jahwe am Ende der Tage über Himmel und Erde, über den ganzen Kosmos als universaler König. Er tritt seine Königsherrschaft auf dem Berg Zion und in Jerusalem an. Dort offenbart er seinen Ältesten seine "strahlende Pracht" (Jes 24,23).
2. Das Festmahl für alle Völker auf dem Zion nach dem göttlichen Sieg über die Macht des Todes (Jes 25,6-8)
Darauf folgt ein großes Festmahl, das "Krönungsmahl" des Königs Jahwe. Und im Zusammenhang mit diesem Mahl - so schildert es Jes 25,7 in apokalyptischer Sprache - nimmt Jahwe die Hülle, die alle Nationen verhüllt weg und zerreißt die Decke, mit der alle Völker bedeckt waren (Jes 25,7).
Die Erklärung für dieses rätselhafte Wort bietet der nächste Vers (Jes 25,8). Mit dieser Decke und der Hülle meint der Text nämlich die Trauer der Menschheit um die Toten. Die Decke der Trauer wird von den Menschen weggenommen, denn Gott vernichtet den Tod. Ja, ganz wörtlich übersetzt, er "verschlingt den Tod" richtiggehend.
Die Überwindung der "Macht des Todes" wird damit nach Jes 25 zum zentralen eschatologischen Heilsgut. Erst durch die Überwindung des Todes - und genau dadurch - wird das Festmahl auf dem Zion zum universalen Freudenmahl.
Damit sind wir am Gipfel der Zukunftserwartung des Alten Testamentes angelangt: Gottes Königsmacht setzt sich durch gegen alle widrigen chaotischen Mächte. Und sie setzt sich letztlich auch durch gegen die Gewaltmacht des Todes, die unsere Weltzeit versklavt.
Dies wird gefeiert in einem endzeitlichen Mahl, ein Bild, das sich auch im Neuen Testament findet. Dort wird ja von einem frohen Hochzeitsmahl gesprochen.
Das Alte Testament ist hier sogar noch ein wenig griffiger. Es handelt sich hier schließlich nicht nur um ein normales Fest, es handelt sich um eine währende, eine andauernde Siegesfeier. Die Siegesfeier anlässlich der Vernichtung des Todes. Einen Aspekt, den man bei uns dann im eucharistischen Mahl wiederfindet. Denn das Mahl der Eucharistie ist ja ebenfalls die "Siegesfeier" anlässlich der Überwindung des Todes durch Jesus Christus.
Damit wird die Eucharistie für uns schon zur "Vorausfeier" (vgl. Lk 22,18; Lk 12,35-37) dieses Mahles im kommenden Königreich Gottes, das dem Gottesvolk in Jes 25 verheißen ist.
3. Die "Auferstehung der Toten" (Jes 26,19)
Der Gedanke der Überwindung des Todes findet in Jes 26 dann noch einmal seinen Ausdruck.
Den Text, um den es hier geht, wird man gattungsmäßig wohl am Besten mit "Klagelied des Volkes" umschreiben können (Jes 26,7-19). Es handelt sich dabei um eine für die Text- und Formkritik äußerst schwierige Stelle.
Die Beter klagen allem Anschein nach über die Unterdrückung durch ungerechte Zwingherren. Sie vertrauen aber darauf dass Jahwe diese Unterdrücker schlagen wird. Und dies kulminiert dann gleichsam in dem Bekenntnis:
"Die Toten leben nicht wieder, die Schatten stehen nimmer auf; denn du hast sie heimgesucht und vernichtet, und jedes Andenken an sie ausgelöscht." (Jes 26,14.)
Diese Aussage zielt dem Kontext nach also auf die von Jahwe ausgeschalteten Zwingherren. Wenn Gott sie erst einmal heimgesucht hat, wenn sie vernichtet und tot sind, dann ist die Gefahr gebannt, denn "die Toten leben nicht wieder".
Was hier nun aber durchaus gut ist, dass die Unterdrücker dann nämlich wirklich auch nichts mehr vermögen, das führt andererseits jedoch zur Klage über die eigenen Verstorbenen. Das Volk ist nämlich ausgeblutet und es gibt kaum noch Nachkommenschaft.
Genau hier aber mündet dieses Klagelied in ein Heilsorakel, einen Gottesspruch, der das Motiv von Jes 26,14 wieder aufnimmt. Die vernichteten Zwingherren sind tot, sie werden nicht mehr aufstehen. Anders als diesen Gegnern aber wird den Toten Israels nun die Auferstehung verheißen. Die Toten des Volkes bleiben nicht im Tod.
Der schwierige Text in Jes 26,19 ist wohl im Deutschen am sinnvollsten so wiederzugeben:
"Deine Toten werden leben, meine Leichen (?) werden auferstehen. Aufwachen und jubeln werden die Bewohner des Staubes. Denn Tau der Lichter ist der Tau auf dir, und die Erde wird die Schatten (= Toten) gebären (= herausgeben?)." (Jes 26,19) ⋅3⋅
In der Substanz ist es unbezweifelbar, dass dieser Text ein Auferstehungstext ist. Hier wird ganz eindeutig die Auferstehung von Toten angekündigt.
In der Forschung ist aber umstritten, ob man diesen Auferstehungstext jetzt wirklich real, als Verheißung einer tatsächlichen Auferstehung deuten darf, oder ob man ihn vielmehr wie etwa Ez 37 bildlich zu verstehen habe. Ez 37, die Schilderung der "Auferweckung des toten Israels", war ja lediglich ein Bild für die Wiederherstellung des Volkes, nach der Katastrophe des Exils.
Die Situation in Jes 26 scheint aber eine andere zu sein. Hier ist ganz im Gegensatz zur Ezechielvision, eine überaus konkrete Sprache gewählt. Und diese konkrete Sprache sperrt sich eigentlich gegen die Deutung, dass hier im Bild lediglich von der Wiederaufrichtung Israels als Volk gehandelt würde.
Es spricht vieles dafür, ⋅4⋅ dass wir hier ein erstes großes Zeugnis für das Aufkeimen eines biblischen Glaubens an eine individuelle Auferstehung der Toten vorliegen haben.
Anmerkungen
(Vgl.: Alfons Deissler, Was wird am Ende der Tage geschehen? - Biblische Visionen der Zukunft (Freiburg 1991) 70.)