Kar- und Ostertage 2020
ein wahrhaft besonderes Osterfest
Hinter ihm her
5. Ostersonntag, 10. Mai 2020
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott, und glaubt an mich! Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten? Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin. Und wohin ich gehe - den Weg dorthin kennt ihr. Thomas sagte zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir dann den Weg kennen? Jesus sagte zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.
Evangelium nach Johannes 14,1-6
Im Jahr 2009 haben wir uns in den Bruchsaler Gemeinden St. Peter, St. Paul und St. Anton intensiv mit der Botschaft des Propheten Amos auseinandergesetzt. Das Herzstück dieses Weges, der unter dem Titel "Weckfruf-Wegruf - Mit dem Propheten Amos auf dem Weg" dokumentiert ist, war nach zweijähriger Vorbereitungszeit der sogenannte "Sieben-Wochen-Prozess". Aus den Seiten "Kar- und Ostertage 2020 - ein wahrhaft besonderes Osterfest" ist jetzt auch ein sieben Wochen währender Prozess geworden. Als ich am 22. März gemeinsam mit Marieluise Gallinat-Schneider damit begonnen habe, täglich einen Impuls zu formulieren, geschah dies zunächst einmal im Blick auf das damals noch bevorstehende Osterfest. Es war wie ein Schock, dass an Ostern keine Gottesdienste stattfinden konnten.
Für den Hausgottesdienst bereiteter Tisch.
Foto: Marieluise Gallinat-Schneider
Diese Seiten sollten dem "Lockdown" etwas entgegensetzen - keine pseudo-frommen Floskeln, sondern Überlegungen, Bemerkungen und Gedanken aus dem Leben heraus. Nicht selten habe ich mich dabei einfach von dem inspirieren lassen, was gerade in den Nachrichten Thema oder in den Zeitungen zu lesen war. Manches ist auf diese Weise auch zu einem Kommentar der Geschehnisse der letzten fünfzig Tage geworden.
Von besonderer Bedeutung waren die Gottesdienstformulare für die Kar- und Ostertage. Hier sollten diejenigen Menschen gestärkt werden, für die Gottesdienstübertragungen und Livestreams nur bedingt eine Alternative zu gemeinsamem Feiern darstellen. Und sie sollten auch die Mündigkeit von Christen befördern - etwas, was mir immer schon ein Herzensanliegen war. In diesem Anliegen weiß ich mich diesem Jesus von Nazareth auch ausgesprochen nahe.
Mir selbst haben diese Seiten auch dabei geholfen, die im Zusammenhang mit den Geschehnissen aufkeimenden Fragen zu verarbeiten und ihnen zu begegnen. Nicht selten waren diese Tage wie ein Marschieren in konzentrischen Kreisen um ein tiefes Loch herum, das einen nur allzugern verschlingen wollte.
Eine ganze Reihe dieser Fragen sind geblieben. Wie viel wurde in den vergangenen Wochen abgesagt, weil es jetzt nicht wirklich notwendig war. Wenn es aber jetzt nicht notwendig gewesen ist, welche Not soll es dann wenden, wenn einmal wieder keine Infektion unser Land in ihrem Würgegriff hält?
Vor allem überrascht war ich, wie klaglos und schnell unsere Kirchenleitung dabei war, die Eucharistiefeiern mit den Gemeinden aufzugeben. Ich sage ganz bewusst "mit den Gemeinden". Messen ohne Gemeinde gab es schließlich weiterhin. Und manchmal hatte es durchaus den Anschein, als würde das vielen Kirchenvertretern auch durchaus reichen. Welche Bedeutung die Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils nach fünfzig Jahren noch hat, lässt sich hier durchaus anfragen.
Für die Gemeinden in Deutschland werden die letzten sieben Wochen verheerende Folgen haben. Gottesdienste sind zwar wieder möglich, aber in den kirchlichen Instruktionen heißt es weiterhin, dass die Sonntagspflicht ausgesetzt sei. Diese Verpflichtung zur sonntäglichen Feier des Abendmahles ist aber doch keine Verwaltungsvorschrift, die man aus- und wieder einsetzen könnte. Wenn es diese innere Verpflichtung des Christen zum Brotbrechen am Herrentag gibt, dann ist sie in Notzeiten vor allem notwendig. Wenn sie das aber nicht ist, dann hat sie sich selbst ad absurdum geführt. Die Formulare für die Feier von Hausgottesdiensten wollten eine adäquate Antwort auf diese Not sein.
Ich hoffe nicht, dass ich recht behalte. Ich befürchte nämlich, dass noch viel mehr Menschen als in der Vergangenheit, den sonntäglichen Gottesdienst nicht mehr zu vermissen gelernt haben. Sie werden nicht zurückkehren. Das Virus wird den Niedergang einer im Sterben liegenden Institution nur noch beschleunigen.
Ein Übriges wird zu diesem Siechtum auch der Umstand beitragen, dass Kirche in den letzten sieben Wochen - mit ganz wenigen Ausnahmen - in Deutschland völlig versagt hat. So schnell konnte man gar nicht schauen, wie Kirchenvertreter wegen der Infektionsgefahr abgetaucht waren. Wo in der Vergangenheit Kirche vor allem ihren Platz bei den Kranken und Notleidenden gesehen hat, ging es jetzt um Abstand halten, Infektionsschutz und "Rette sich wer kann". Bei all den "Helden der Arbeit", die in den vergangen Wochen in den Medien benannt wurden, war in Deutschland kein einziger Bischof, kein einziger Priester, kein einziger Vertreter der Institution Kirche dabei. Und auch die kirchlichen Wohlfahrtsverbände haben sich nicht besonders hervorgetan.
Ganz schön gewachsen seit dem Ostermontag.
Foto: Jörg Sieger
Nach meinem ersten Studienjahr hatten wir einen großartigen Studientag mit dem Alttestamentler Ernst Haag. Es ging um den Propheten Jeremia und seine tragische Biographie. Bis zum Schluss hat er seinem Volk die Treue gehalten, wohl wissend, dass es den falschen Weg geht. Haag hatte dieses Nachdenken überschrieben mit den Worten "Solidarität mit einem Volk ohne Zukunft und Hoffnung".
Die römisch-katholische Kirche will das neue Gottesvolk sein. Bei ihrem Agieren, gerade in unserem Land, setzt sie nicht viele Zeichen der Hoffnung. Die ständigen Rückzugsgefechte, die man unter dem Begriff "Konzeption" versteckt, erwecken viel mehr den Eindruck, als hätte Kirche die Hoffnung selbst schon aufgegeben. Was für eine Zukunft sie da noch haben könnte, weiß allein der Herr.
Heute vor 34 Jahren bin ich in der Stadtpfarrkirche in Ettenheim zum Priester geweiht worden. Auch damals schon gab es Wetterleuchten am Horizont. Nichtsdestoweniger gab es noch den Schwung, den uns die Konzilsgeneration hinterlassen hatte. Davon ist nicht mehr viel zu spüren
Im heutigen Evangelium gesteht Thomas, dass er keinen Weg mehr sieht. Jesus zeigt ihm diesen Weg auch nicht. Er verweist ihn lediglich auf die Nachfolge, denn dieser Jesus ist der Weg die Wahrheit und das Leben. Vielleicht ist das alles, was uns bleibt. Uns bleibt der Weg Jesu: hin zu den Menschen, hin zu denen, die unsere Hilfe brauchen. Nur dort kann Kirche Jesu Christi auch wirklich überzeugend sein.
Ich erinnere mich an meinen Lehrer Alfons Deissler, der einmal während einer Vorlesung sagte, er wolle den Gott Abrahams so gerne fragen, was er damit vorhabe, dass er den Islam zur derzeit schnellst wachsenden Religion auf dieser Erde gemacht hat. Ich möchte diesen Gott noch so viel mehr fragen. Ich fürchte aber schon jetzt, dass ich keine andere Antwort erhalten werde, als diejenige, die dieser Thomas schon bekommen hat. Also weiter denn: mit senilem Volldampf voraus - hopp, hinter ihm her.
Jörg Sieger