Kar- und Ostertage 2020

ein wahrhaft besonderes Osterfest


Wunder des Alltags

3. Sonntag der Osterzeit, 26. April 2020

In jener Zeit offenbarte sich Jesus den Jüngern noch einmal, am See von Tibérias, und er offenbarte sich in folgender Weise. Simon Petrus, Thomas, genannt Dídymus, Natánaël aus Kana in Galiläa, die Söhne des Zebedäus und zwei andere von seinen Jüngern waren zusammen. Simon Petrus sagte zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sagten zu ihm: Wir kommen auch mit. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot. Aber in dieser Nacht fingen sie nichts. Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Doch die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Jesus sagte zu ihnen: Meine Kinder, habt ihr keinen Fisch zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sagte zu ihnen: Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus und ihr werdet etwas finden. Sie warfen das Netz aus und konnten es nicht wieder einholen, so voller Fische war es. Da sagte der Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr sei, gürtete er sich das Obergewand um, weil er nackt war, und sprang in den See. Dann kamen die anderen Jünger mit dem Boot – sie waren nämlich nicht weit vom Land entfernt, nur etwa zweihundert Ellen – und zogen das Netz mit den Fischen hinter sich her. Als sie an Land gingen, sahen sie am Boden ein Kohlenfeuer und darauf Fisch und Brot liegen. Jesus sagte zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt! Da stieg Simon Petrus ans Ufer und zog das Netz an Land. Es war mit hundertdreiundfünfzig großen Fischen gefüllt, und obwohl es so viele waren, zerriss das Netz nicht. Jesus sagte zu ihnen: Kommt her und esst! Keiner von den Jüngern wagte ihn zu befragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war. Jesus trat heran, nahm das Brot und gab es ihnen, ebenso den Fisch. Dies war schon das dritte Mal, dass Jesus sich den Jüngern offenbarte, seit er von den Toten auferstanden war.

Evangelium nach Johannes 21,1-14

Nachdem das Johannesevangelium eigentlich schon abgeschlossen war - Joahnnes 20,30-31 ist schließlich bereits der Schluss des Textes - wurde ihm noch ein weiteres Kapitel angefügt. Es beginnt mit einer Schilderung, wie Jesus den Jüngern nach seinem Tod beim Fischen erschienen ist.

Boot auf einem See

Foto: Jörg Sieger

Die übrigen Evangelien wissen von dieser Erscheinung nichts zu berichten. Dafür aber begegnet uns bei Lukas eine ganz ähnliche Begebenheit. Allerdings nicht mit dem Auferstandenen. Sie handelt von der Begegnung mit dem lebenden Jesus von Nazareth - ganz zu Beginn seines öffentlichen Wirkens. Damals, als ihn die Jünger noch nicht gekannt haben, trat er in ihr Leben. Dieses Ereignis hat sich im Bericht des Lukas-Evangeliums vom wunderbaren Fischfang erhalten. ⋅1⋅

Für die meisten Exegeten ist es keine Frage, dass der Verfasser des Johannes-Epiloges diesen älteren Text kannte. Und man vermutet, dass er ihn einfach überarbeitet und dem Johannes-Evangelium ganz bewusst nachgestellt hat. Aus einer Überlieferung, die ursprünglich keine Erscheinung des Auferstandenen berichtet, wird eine Ostererzählung.

Nicht alle können dieser Argumentation folgen. Dann nämlich wäre die Erscheinung aus dem Johannes-Evangelium alles andere, als ein Bericht über ein Ereignis, das tatsächlich so stattgefunden hat. Es würde sich dann also nicht um ein historisches Faktum handeln. Für manche Menschen aber bricht alles zusammen, wenn sich die Ereignisse der Bibel nicht so zugetragen haben, wie sie Wort für Wort aufgeschrieben worden sind.

Diese Art an den Text der Bibel heranzugehen, verkennt aber die Eigenart biblischer Überlieferung. Die Bibel ist nämlich ein Glaubensbuch und keine Geschichtsschreibung. Und es ist auch kein Zeichen von besonders großem Glauben, sich an die einzelnen Buchstaben zu klammern. Letztlich ist dies ein Verlangen nach Sicherheit, die es im Glauben nie geben kann. Glauben bedeutet nämlich Vertrauen und nicht Sicherheit. Und es bedeutet Vertrauen auf einen persönlichen Gott, nicht auf Buchstaben.

Dieses Vertrauen auf Gott hat in aller Regel nicht viel mit großartigen Wundern und alles überstrahlenden Zeichen zu tun. Gottes Eingreifen in die Welt und unser Leben ist meist wenig spektakulär. Das, was wir als normal bezeichnen und worüber wir uns in der Regel auch gar keine großen Gedanken machen, ist nämlich vor allem anderen der eigentliche Hinweis auf Gottes Wirken in dieser Welt. Dass diese Welt und unser Leben einer Ordnung folgt, dass die Sonne jeden Morgen auf- und am Abend wieder untergeht, lässt sich von Naturwissenschaftlern beobachten und unter den Gesichtspunkten von Gesetzmäßigkeiten beschreiben. Dass dem aber so ist, hängt für den gläubigen Menschen damit zusammen, dass es einen Gott gibt, der diese Gesetzmäßigkeiten garantiert. Ohne ihn verfiele alles ins Chaos.

Deshalb dürfte die Glaubensüberzeugung der Jünger Jesu, dass der Meister den Tod überwunden hat und auferwerckt wurde, historisch betrachtet, weit weniger mit aufsehenerregenden Wundererscheinungen zu tun haben, als mit der Erinnerung an die wunderbare Begleitung, die man in Jesus von Nazareth erfahren hatte, und seine Botschaft, dass sich Gottes Reich endgültig Bahn brechen wird.

Im Erleben, das sich im Bericht vom wunderbaren Fischfang - wie ihn das Lukas-Evangelium überliefert - erhalten hat, findet sich nichts Spektakuläres. Dass man auch nach einer Nacht des völlig erfolglosen Einsatzes am anderen Morgen ein volles Netz aus dem Wasser zieht, widerspricht keiner naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeit. Aber es war für die Jünger ein solch einschneidendes Erlebnis, dass es diese Begegnung mit Jesus ein für alle Mal aus der Reihe normaler Alltagserfahrungen heraushob. Und diese Erfahrungen, diese Erlebnisse, solche Erinnerungen waren es, die sich nach Ostern langsam wie Puzzle-Teile nahtlos zu einem Ganzen zusammenfügten.

Von daher ist es durchaus folgerichtig, wenn der Verfasser des Johannes-Epiloges diese Überlieferung in solch einen neuen Zusammenhang stellt. Die Erinnerung an die alltäglichen Begegnungen mit diesem Jesus wurden zum Fundament für die Glaubensüberzeugung, dass die Begleitung durch diesen Jesus mit dessen Tod am Kreuz nicht zu Ende ist. Er ist weiter mit den Jüngern auf dem Weg - nach Emmaus und überallhin. Und er begleitet uns heute genauso wie diese Jünger damals.

Wer auf herausragende Wundererlebnisse wartet, wer erleben möchte, wie der Auferstandene über das Wasser wandelt, der wird kaum zum Glauben an diesen Gott finden. So ereignet sich Glaube an Gott heute nicht und damals genauso wenig.

Gott begegnet auch uns - genauso wie den Jüngern im Lukas-Evangelium - in aller Regel im Alltäglichen. Seine Gegenwart ist im Alltag zu spüren, manchmal sogar bei geisttötender monotoner Arbeit. Und nicht selten wird erst in der Rückschau, in der Erinnerung an all das, was sich - auch in unserem Leben - bereits ereignet hat, die Gewissheit wachsen, dass all dies mehr war, als einfach eine Abfolge von unbedeutenden Ereignissen: Es war mein Weg durch dieses Leben, ein Weg mit dem Auferstanden - Begegnung wie sie auch das Johannes-Evangelium schildert, wenn man diese Schilderung nicht mit einem Zeitungsbericht verwechselt.

Jörg Sieger

Anmerkungen

1 Es geschah aber: Als die Volksmenge Jesus bedrängte und das Wort Gottes hören wollte, da stand er am See Gennesaret und sah zwei Boote am See liegen. Die Fischer waren aus ihnen ausgestiegen und wuschen ihre Netze. Jesus stieg in eines der Boote, das dem Simon gehörte, und bat ihn, ein Stück weit vom Land wegzufahren. Dann setzte er sich und lehrte das Volk vom Boot aus. Als er seine Rede beendet hatte, sagte er zu Simon: Fahr hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus! Simon antwortete ihm: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen. Doch auf dein Wort hin werde ich die Netze auswerfen. Das taten sie und sie fingen eine große Menge Fische; ihre Netze aber drohten zu reißen. Und sie gaben ihren Gefährten im anderen Boot ein Zeichen, sie sollten kommen und ihnen helfen. Sie kamen und füllten beide Boote, sodass sie fast versanken. Als Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füßen und sagte: Geh weg von mir; denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr! Denn Schrecken hatte ihn und alle seine Begleiter ergriffen über den Fang der Fische, den sie gemacht hatten; ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, die mit Simon zusammenarbeiteten. Da sagte Jesus zu Simon: Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen. Und sie zogen die Boote an Land, verließen alles und folgten ihm nach. (Evangelium nach Lukas 5,1-11) Zur Anmerkung Button