Kar- und Ostertage 2020
ein wahrhaft besonderes Osterfest
Helden der Arbeit
Dienstag, 24. März 2020
Am vergangenen Samstag stellten die "Badische Neuesten Nachrichten" sie auf einer eigenen Seite vor: die "Helfer im Alltag und in der Not". Exemplarisch wurden Vertreterinnen und Vertreter von Berufsgruppen aufgeführt, die sich auch in der Krise nicht zurückziehen können. "Ohne diese Helden würde es nicht laufen", war die Seite überschrieben. Neben dem Feuerwehrmann, der Polizistin, der Hebamme und dem Strom-Aufseher wurde auch die Bestatterin porträtiert. Nicht erwähnt wurde die Gemeindereferentin, die die Trauernden im Vorfeld der Bestattung begleitet und die Beerdigung hält.
Ich bin Gott froh, dass sich unsere Pflegerinnen und Pfleger und das ganze medizinische Personal rund um die Uhr für die Menschen einsetzen. Und ich habe großen Respekt vor allen, die in diesen Tagen selbst unter der Gefahr sich dabei zu infizieren, ungebrochen ihren Dienst tun. Einfach nur Danke dafür.
"Offene Kirche ..."
Foto: Jörg Sieger
Ich erlebe aber auch, dass dies die erste große Krise in unserem Land ist, bei der Kirche keine wirkliche Rolle mehr zu spielen scheint. Ich weiß von Kollegen, die aus den Medien erfahren haben, dass am Sonntag keine Gottesdienste mehr gefeiert werden können. Weit entfernt von den Zeiten, in denen Pfarrer, Bürgermeister und der Lehrer die großen Autoritäten im Ort waren.
Ich weiß natürlich, unter welchem Druck die Verantwortlichen in der Politik und in der Verwaltung stehen. Und ich mache auch niemandem einen Vorwurf. Ich hätte nicht erwartet, dass die Dinge anders laufen. Ich stelle nur fest, dass es so ist, dass im Zusammenhang mit den jetzt getroffenen Maßnahmen von Kirche und ihren Vertretern kein wirklicher Beitrag gekommen ist. Es wurde, wie ich das sehe, nicht einmal ein solcher Beitrag erwartet. Und das scheint mir symptomatisch zu sein.
Immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft erwarten von Kirche kaum noch etwas. Selbst Menschen, die nominell immer noch in der Kirche sind, haben die Erwartung schon längst aufgegeben, dass diese Institution für sie wirklich hilfreich wäre - schon gar nicht in Krisensituationen, wie wir sie jetzt erleben. Da sind die Fachleute gefragt, die Behörden, die Helden der Arbeit - zu denen Kirchenvertreter in Deutschland offenbar schon eine ganze Weile nicht mehr gehören.
In Italien ist das anders. Ich lese in diesen Tagen voller Beschämung von all den Priestern, die in der Gegend von Bergamo bereits gestorben sind, weil sie Sterbende begleitet haben, weil sich kaum jemand dort vorstellen kann, auf den Beistand von Kirche gerade in solchen Situationen verzichten zu können. Dort sterben Gemeindepfarrer, weil Kirche so nah bei den Menschen ist, dass es kaum möglich ist, sich dabei nicht selbst zu infizieren - eine von der Menschlichkeit infizierte Kirche...
Die Versuche, die bei uns unternommen werden, muten da eher hilflos an; und vor allem distanziert. Ich sitze in sicherer Entfernung am Rechner und am Sonntag kommen Gottesdienste aus großer Distanz via Fernsehen und YouTube aus leeren Kirchen - ein bedrückenderes, aber leider auch passenderes Bild für die Lage von Kirche in unserer Gesellschaft kann es wohl kaum geben: leere Kirchen.
Unsere Kirche ist an dieser Situation ein gutes Stück weit selbst schuld. Jahrzehntelang haben wir uns in ewigen Strukturdebatten festgebissen. Die gegenwärtig riesigen Kirchengemeinden und die projektierten Megapfarreien der Zukunft atmen alles, nur nicht die Atmosphäre von Nähe und Beziehung. Viele unserer Pfarrbüros haben ein Flair, das sich kaum noch von dem einer Sparkassenfiliale unterscheidet - mit der Ausnahme, dass Banken in der Regel eine deutlich längere Öffnungszeit haben. Wer einen Pfarrer außerhalb der Sprechzeiten erreichen möchte, scheitert oftmals an der Bandansage des Anrufbeantworters, der in vielen Fällen nicht einmal eine Antwort verheißt. Die Zeiten in denen das Telefon rufbereit am Bett stand, sind vielerorts schon lange vorbei.
Dass in der gegenwärtigen Situation die hauptamtlichen Kräfte es gar nicht mehr anders schaffen würden, ist mir bestens bekannt. Aber die Überlastung unserer pastoralen Mitarbeitenden ist letztlich auch nichts anderes als eine Folge jener Einheiten, die aufgrund der weniger werdenden Priester immer größere Ausmaße annehmen.
Ich bin deshalb fest davon überzeugt, dass wir nicht nur mehr sondern vor allem andere Priester brauchen. Was Gemeindereferentinnen und Pastoralreferenten in der Seelsorge leisten ist priesterlicher Dienst. Sie werden sogar offiziell ausgesandt. Das Rüstzeug für diesen Dienst, die sakramentale Weihe, wird ihnen aber verweigert. An dieser Stellschraube müssten wir drehen, um Gemeinden wieder eine Größe zu geben, die Menschen Heimat, Halt und Nähe schenkt.
Es gibt immer noch Menschen in unserer Kirche, die auf Reformen hoffen. Und es gibt Verantwortliche, die diese Hoffnung nähren. Die Zahl derer, die die Hoffnung auf Veränderung schon lange aufgegeben hat, wird aber immer größer. Zu sehr haben die ewig Gestrigen auch schon bisher jedes zarte Reform-Pflänzchen im Keim erstickt. Und die Angst vor Macht- und Kontrollverlust wird ein Übriges dazu beitragen, auch noch die letzten Knospen zu zerquetschen. Und dann bleiben ja auch noch die wirtschaftlichen Zwänge. Wo aber die Spezialisten von PricewaterhouseCoopers in den bischöflichen Ordinariaten mehr Einfluss haben, als die neueren Erkenntnisse an den theologischen Fakultäten, dort wird jeder noch so hoffnungsvoll begonnene synodale Weg zu einer ins Aussichtslose führenden Durststrecke. Und - das ist das bedrückendste daran - die meisten Menschen in unserer Gesellschaft werden es nicht einmal registrieren. Es ist den allermeisten letztlich schon völlig egal.
Wenn in dieser Krise das Bedürfnis nach Nähe und Zuwendung wieder neu erwachen wird, wenn Menschen anfangen werden, verstärkt nach einem Sinn hinter dem Stillstand zu fragen, wenn auch in unserer Gesellschaft wieder deutlich werden wird, dass Effizienz nicht alles ist, vielleicht beginnt dann auch ein Umdenken bei den Verantwortlichen in unserer Kirche. Vielleicht wird auch unsere Kirche neu infiziert - infiziert von der Menschlichkeit
Jörg Sieger
Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände.
(II. Vatikanisches Konzil, Pastorale Konstitution "Gaudium et Spes" - Über die Kirche in der Welt von heute, 1)