Kar- und Ostertage 2020

ein wahrhaft besonderes Osterfest


Kein Zweck heiligt die Mittel

Karsamstag, 11. April 2020

Der Karsamstag ist ein eigenartiger Tag. Mit ihm habe ich schon seit jeher meine Schwierigkeiten. Er ist nicht Fisch und nicht Frosch. Leiden ist der Inhalt des Karfreitages, für Auferstehung ist noch nicht die Zeit. Schon in der Vergangenheit wartete ich eigentlich nur darauf, dass dieser Tag möglichst bald vorbeigeht.

Ich habe dieses Jahr kein anderes Gefühl. Und während ich darüber nachdenke, merke ich, dass an meinen Gefühlen auch die derzeitige Krise nichts geändert hat. Ich habe die gleichen Gefühle wie immer. Ich freue mich über dieselben Dinge, mir tut genau das Gleiche gut und ich habe keine anderen Sehnsüchte und Bedürfnisse als sonst.

Die Pandemie nötigt mir einige Einschränkungen ab. Ich kann weit weniger tun, als in den vergangenen Jahren. Sonst aber hat sich eigentlich nichts verändert.

Das ist mir heute ganz besonders wichtig. Wir leben in keiner anderen Zeit, wir haben keine andere Welt und wir sind auch keine anderen Menschen, nur weil es jetzt eine neuartige Bedrohung gibt.

Deshalb gilt es jetzt auch, so viel als irgend möglich von unserem normalen Leben beizubehalten. Wer jetzt alles andere schleifen lässt, weil er - wie das Kaninchen auf die Schlange - nur noch auf die Gefahr, die von diesem Virus ausgeht, starrt, dem droht weit größerer Schaden für sein Leben, als ihn eine Infektion je verursachen würde. Was in sogenannten "normalen Zeiten" notwendig ist, das ist es auch jetzt.

Und vielleicht ist es das jetzt sogar ganz besonders. Die Regeln etwa, die unser Zusammenleben über­haupt erst möglich machen, sind jetzt von ganz besonderer Bedeu­tung. Das beginnt schon vor Ort im Blick auf die Menschen, mit denen wir zusammen sind. Hier gilt es jetzt sogar, einander noch achtsamer und behutsamer zu begegnen. Die Gefahr der Zunahme häuslicher Gewalt wurde ja nicht nur in den Medien ausgiebig thematisiert.

Blick von oben auf einen Platz

Alles im Blick

Foto: Jörg Sieger

Und was wir uns im "Normalfall" als Spielregeln für das gesellschaftliche Miteinander erarbeitet haben, gilt im Krisenfall ganz besonders. Hier müssen wir sehr sensibel sein, um uns in keiner Spirale zu verheddern, aus der wir am Ende nicht mehr herauskommen.

Ich sehe deshalb mit Sorgen, wie jetzt ganz schnell darüber diskutiert wird, ob man die Kontaktsperre nicht etwa mit Drohnen überwachen könne. So sei der Schutz der Bevölkerung einfach und effektiv zu gewährleisten. Warum wissen wir dann in "normalen" Zeiten so genau, dass die Überwachung von Straftätern mittels Drohnen ein unerlaubter Eingriff in die Persönlich­keits­rechte ist? Ich dachte immer, dass so etwas bei uns mit gutem Grund unerlaubt sei. Die Menschen im Osten, die die Zeit vor dem Mauerfall noch vor Augen haben, wissen vermutlich noch weit besser als ich, welche Gefahren von solcher Überwachung ausgehen können.

In einer der vielen Sondersendungen zur Corona-Krise dieser Tage meinte eine der Personen, mit denen die unzähligen Gesprächsrunden derzeit gefüllt werden, angesichts der Bedrohung durch das Virus könne man doch jetzt auch zeitweilig auf den Datenschutz ein wenig verzichten. Aber wenn uns in "normalen Zeiten" durch den Missbrauch unserer Daten Gefahr droht, droht dieselbe jetzt weniger?

Manchmal denke ich in diesen Tagen an amerikanische Krimiserien - etwa an die Kultserie "24" mit Kiefer Sutherland. Jack Bauer, den er spielt, zeichnet sich durch seine unorthodoxen Methoden in Krisensituationen aus. Da wird auch schon einmal ein Verdächtiger gefoltert, um in Erfahrung zu bringen, wo die Bombe, die Tausende bedroht, denn jetzt versteckt sei. Diese Serien suggerieren immer, dass das jetzt doch auch möglich sein muss, wo ein sehr viel höheres Gut in Gefahr sei. Irgendwie heilige der Zweck doch die Mittel.

Ich fürchte mich vor den Jack Bauers dieser Tage. Und ich mache mir Sorgen angesichts all derer, die die Errungenschaften, wie sie in langen Jahren erkämpft worden sind, sehr leichtfertig aufs Spiel setzen. Unsere Bedürfnisse sind in diesen Tagen keine anderen, als zu allen Zeiten. Und deshalb es ist auch in Krisenzeiten genauso richtig wie zu jeder Zeit: Kein Zweck heiligt die Mittel!

Jörg Sieger

Wenn es also eine Ermahnung in Christus gibt, einen Zuspruch aus Liebe, eine Gemeinschaft des Geistes, ein Erbarmen und Mitgefühl, dann macht meine Freude vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig, einträchtig, dass ihr nichts aus Streitsucht und nichts aus Prahlerei tut. Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen.

Paulus an die Gemeinde in Philippi 2,1-2