Kar- und Ostertage 2020

ein wahrhaft besonderes Osterfest


"Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich"

Mittwoch, 8. April 2020

Heute Abend startet eine ökumenische Gebetsaktion: Deutschland betet gemeinsam. Es geht darum, in Zeiten der Coronakrise für die Helferinnen und Helfer, die Kranken und Sterbenden, für trauernde Angehörige, Einsame und Isolierte zu beten.

Als Termin wurde von den Initiatoren bewusst der 8. April ausgewählt. Denn da beginnt das jüdische Pessachfest.

Ich finde es gut, dieses Fest mit einzubeziehen. Wir dürfen nicht vergessen, dass es in Deutschland auch andere Gefahren gibt, als nur die Coronaepidemie.

Zu einem Zeitpunkt, an dem in Christentum und Judentum die höchsten Feiertage anstehen, denken wir auch daran, dass es einen wachsenden Antisemitismus gibt. Nicht erst seit den Anschlägen auf die Synagoge von Halle ist dieser in Deutschland wieder so erschreckend präsent, wie es viele Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr für denkbar gehalten hätten.

Gerade die Karwoche ist ein höchst sensibler Moment, sich dies vor Augen zu führen.

Wir als Kirchen haben unseren Anteil an der Judenfeindlichkeit, die schon vor 1933 in Deutschland herrschte. Es gibt einen christlich religiös begründeten Antijudaismus, der schon in der Bibel seine Wurzeln hat. Gerade das Johannesevangelium beinhaltet eine Fülle an Formulierungen, die als antisemitisch bezeichnet werden müssen und Wurzel für den späteren kirchlichen Antisemitismus waren. Die Juden wurden von den Christen als Gottesmörder bezeichnet, weil sie angeblich verantwortlich waren, dass Jesus gekreuzigt wurde. Gerade an Karfreitag kam es nach dem Hören des biblischen Berichts vom Leiden und Sterben Christi, aus eben dieser Johannespassion, oft zu einer aufgeheizten Stimmung, die zu Übergriffen auf jüdische Familien, zu Ausschreitungen und Pogromen führte.

Als Benedikt XVI. 2007 die tridentinische Liturgie wieder ermöglichte, kam die Diskussion auf, ob dann in der Karfreitagsliturgie nach altem Ritus auch wieder die unsägliche Fürbitte vorgetragen wird, in der es um die Judenmission geht, oder diese einfach unerlaubt bleibt. Bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil gab es diese Fürbitte am Karfreitag in katholischen Kirchen. Daran hat sich selbst durch den Holocaust nichts geändert. Erst nach 1968 wurde eine neue Fürbitte formuliert, die an die Gemeinsamkeit von jüdischer und christlicher Religion erinnert.

Ab 2008 wurde ein eigens vom Papst formuliertes Gebet in seiner Neufassung erlaubt, in dem es heißt:

"Wir wollen auch beten für die Juden, dass unser Gott und Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen als Heiland aller Menschen."

Daraufhin gab es natürlich massive Proteste durch Menschen jüdischen Glaubens, jüdische Vertreter sagten ihre Teilnahmen am Katholikentag in Osnabrück 2008 ab, es gab seitens der Rabbiner heftige Proteste.

In der eigentlichen Karfreitagsfürbitte, die in den katholischen Kirchen in der Liturgie zur Sterbestunde Jesu gelesen wird, heißt es dagegen:

"Lasst uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat: Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will."

Es geht nicht um Mission, es geht um die Erinnerung an das gemeinsame Erbe, es geht um die Verbundenheit und die gemeinsame Wurzel.

Im Römerbrief sagt Paulus: "Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich" (Röm 11,18)

Wir dürfen auch nie vergessen, Jesus war am Tag seines letzten Abendmahls wie alle gläubigen Juden in Jerusalem, um mit seinen Freunden Pessach zu feiern.

Wenn wir heute beten und uns dem Aufruf anschließen, dann wollen wir damit auch ein Zeichen gegen Judenfeindlichkeit setzen, wollen Ökumene nicht nur als gemeinsames Gebet verschiedener christlicher Konfessionen verstanden wissen, sondern auch als Zeichen der Verbundenheit der abrahamitischen Religionen, als Zeichen gegen Intoleranz gegenüber Andersgläubigen und als Zeichen der Einheit in der Bedrohung durch die Pandemie. Wir treten gemeinsam vor Gott, der unser Schöpfer und unser Vater ist und bitten ihn für diese Welt, die bedroht ist.

Marieluise Gallinat-Schneider