Kar- und Ostertage 2020
ein wahrhaft besonderes Osterfest
Steckdosen an der Decke
Mittwoch, 15. April 2020
"Wir müssen noch festlegen, wo die Steckdosen hin sollen!"
Als junger Pfarrer stand ich plötzlich vor dieser Frage und man schaute mich erwartungsvoll an. Mit einem Mal war ich Bauherr und vor mir lagen Baupläne. Weil ich der Pfarrer war, war ich nun auch der Herr über die Steckdosen. Ich denke, wenn ich darauf bestanden hätte, dass sie alle an die Decke kommen sollen, man hätte vielleicht mit mir über die Sinnhaftigkeit dieser Anbringung diskutiert, aber - da gehe ich jede Wette ein - wenigstens zwei wären dann doch an der Decke angebracht worden.
"Fragen Sie doch bitte diejenigen, die damit arbeiten müssen!"
Für meine Antwort erntete ich ungläubige Blicke. Das könne man ja gerne machen, das verzögere zwar den ganzen Prozess, ...
"...aber entscheiden müssen am Ende Sie!"
Wie komme ich hier wieder heraus?
Foto: Jörg Sieger
Es gibt immer jemanden, der zuständig ist. Nicht immer ist das auch derjenige, der - oder diejenige, die - dann wirklich eine Ahnung hat.
Heute tagt das Corona-Kabinett und dann die Ministerpräsidentenrunde. Sie müssen entscheiden, wie es weitergeht. Viel Ahnung in der Sache haben die wenigsten von ihnen.
Wie wenig konkret die Vorstellungen von diesem unsichtbaren Gegner sind, mit dem wir gegenwärtig ringen, wird deutlich, wenn man sich Äußerungen aus der jüngsten Vergangenheit anschaut. Der Baden-Württembergische Gesundheitsminister erwartete etwa über Ostern einen gewissen "Peak", also einen Höhepunkt der Infektionen. ⋅1⋅ Die Zahlen geben das heute nicht wirklich her. Die Kanzlerin sprach davon, dass man die Verdoppelungsrate auf wenigstens 10 Tage drücken müsse, ⋅2⋅ dann sagte Sie 14 Tage, jetzt sind wir bei einer Rate von 24 Tagen und es heißt, einen Trend könne man noch nicht absehen.
Die vielen Interviews und Statements, die im Augenblick gegeben werden, machen deutlich, wie sehr unsere Politiker schwimmen. Ihnen steht das Wasser nicht nur bis zum Hals, sie strampeln mit Armen und Beinen und versuchen dabei Sicherheit und Ruhe auszustrahlen, denn sie müssen am Ende entscheiden.
Aber Politik ist ja nicht alleine. Sie hat ja eine Fülle von Beraterinnen und Beratern. Die Kakophonie der unzähligen Experten, die da augenblicklich jedoch zu hören ist, beruhigt mich in diesem Fall allerdings nicht besonders.
Angeklungen ist bereits, dass es eine bundeseinheitliche Lösung geben soll, das sei das Einzige, was auf jeden Fall klar sei. Und das ist das Erste, wo ich bereits Fragezeichen anbringen würde. Warum in der Gegend von Schwerin, wo man Infizierte suchen muss, die gleichen Bestimmungen gelten sollen wie in Bad Aibling oder Stuttgart, wo die Kliniken keine Kapazitäten mehr haben, leuchtet mir absolut nicht ein. Das klingt ja schon fast so nach: 'Wenn wir nicht raus dürfen, dann ihr auch nicht; wenn wir nicht produzieren können, dürft ihr das ebenfalls nicht tun!'
Ich habe mich selten so ohnmächtig gefühlt, wie in diesen Tagen. Da fällt jetzt irgendwo eine Entscheidung, die von keiner Instanz wirklich kontrolliert wird, und ich - wir alle - müssen dann damit leben. Natürlich ist das in Politik fast immer so - selten aber betrifft es uns alle auf solch direkte Weise und so weitreichend, wie das augenblicklich der Fall ist.
Ich bin lediglich froh, jetzt nicht in Frankreich zu leben, wo ein einziger Mann entscheidet, dass alle Franzosen weitere vier Wochen lang die Wohnungen fast nicht verlassen dürfen. Bei uns gibt es wenigstens noch ein paar Landesfürstinnen und -fürsten, die miteinander im Wettstreit der richtigen Entscheidung liegen. Viel wohler fühle ich mich dabei aber nicht wirklich.
Jörg Sieger
Ein Mensch denkt sich manches aus, aber das letzte Wort dazu spricht der HERR. Der Mensch hält alles, was er tut, für richtig; der HERR aber prüft die Beweggründe. Lass den HERRN über dein Tun entscheiden, dann werden sich deine Pläne erfüllen!
Buch der Sprichwörter 16,1-3 (in der Übersetzung der Ausgabe "Gute Nachricht")
Anmerkungen