Kar- und Ostertage 2020

ein wahrhaft besonderes Osterfest


Die Grenze ist zu

Donnerstag, 26. März 2020

"Tschechisch-deutsche Grenze: Wenn die Ärzte nicht mehr zur Arbeit kommen",

titelte die Süddeutsche Zeitung am 25. März auf ihrer Website. Tschechien hat die Grenze jetzt auch für Pendler geschlossen. Das trifft vor allem die angrenzenden Gebiete. Sächsische Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen sind auf Arbeitskräfte aus dem Nachbarland angewiesen. Ein ganzes System bricht zusammen.

Deutlicher kann uns nicht vor Augen geführt werden, wie eng wir mittlerweile miteinander verflochten sind. Alle, die von nationalen Lösungen träumen, die gegen die Freizügigkeit polemisieren und am liebsten die Schlagbäume auf Dauer runter ließen, sollten ganz weit die Augen aufmachen. "Amerika first", "Unser Land zuerst" und das Weiterbauen an der Festung Europa, rütteln an den Fundamenten einer Welt, wie wir sie seit Jahrzehnten gewohnt sind. Diese Welt und das mit ihr zusammenhängende Lebensgefühl, haben die meisten von uns liebgewonnen. Und diejenigen, die etwas anderes wollen, profitieren nichtsdestoweniger von ihren Annehmlichkeiten. Die Pflegerinnen und Pfleger aus Tschechien und die Erntehelfer aus Rumänien sind das beste Beispiel dafür.

Weil wir aber so eng miteinander verbunden sind, deshalb betrifft und trifft auch jede und jeden alles, was anderen wiederfährt. Es kann nicht die Frage sein, ob Italien sein Gesundheits­wesen im Griff hat oder ob die Niederlande die richtige Strategie verfolgen. Wenn wir keine gemeinsamen Lösun­gen für Krisen finden, schlagen die Folgen auf alle durch. Die Welt ist ein Dorf geworden. Unsere Errungen­schaf­ten, auf die wir doch so stolz sind, haben sie dazu gemacht. Und das ist auch gut so. Aber es hat Konsequenzen.

"In China ist ein Sack Reis umgefallen", war in der Vergangenheit so etwas wie ein Gleichnis für eine völlig unbedeutende Nachricht. Vergiss es! Heute lernen wir, dass das genaue Gegenteil der Fall ist. In China fällt ein Sack Reis um und bei uns sterben Menschen.

Wie deutlich wird uns in diesen Tagen gemacht, dass wir nicht Badener, Nordrheinwestfalen, Deutsche, Europäer und Chinesen sind. Wir sind zuallererst Menschen. Und wir gehören zu der einen großen Familie, der diese Welt anvertraut ist. Wenn wir nicht lernen als Menschheitsfamilie die Herausforderungen gemeinsam anzugehen, werden wir letztlich daran scheitern.

Erfolg zu haben, heißt für uns - wirtschaftlich betrachtet - Gewinn zu machen. Wenn die Bilanzen wachsen, dann sprechen wir von erfolgreichem Wirtschaften. Es sind die Zahlen, die nicht nur unser Leben bestimmen, sie prägen mittlerweile auch unsere Wahrnehmung. Wenn der Dax nach oben geht, dann ist das ein Zeichen für den Aufschwung. Und häufig verbinden wir das mit dem Gefühl, dass es uns jetzt wieder besser geht. Persönliche Notlagen einzelner, Menschen, die durchs Raster fallen, und soziale Ungerechtigkeiten sind dann ganz schnell ausgeblendet.

Und erst gar nicht in den Blick kommt häufig, dass dieser Erfolg fast immer auf Kosten anderer geht. Wettbewerb bedeutet Verdrängung. Wachstumsraten bei uns gehen zu Lasten anderer Industrienationen und der Wohlstand Europas basiert darauf, dass Menschen in anderen Regionen dieser Welt, allem voran in Afrika, eben keine gleichgroßen Stücke vom Kuchen abbekommen. Und wenn sie es wollen, muss man sie daran hindern.

"Diese Wirtschaft tötet", hat Papst Franziskus resümiert. Und letztlich hat das, was wir als Erfolg bezeichnen - im Licht der Bibel betrachtet - mit wirklichem Erfolg auch absolut nichts zu tun. Erfolgreich zu wirtschaften im Verständnis der Bibel bedeutet nämlich, dass alle versorgt sind. Dann habe ich Erfolg mit meinem Planen und Handeln, wenn am Ende alle das haben, was sie zum Leben brauchen.

Dahinter steht natürlich nicht das Bild einer industriellen Gesellschaft. Dahinter steht das Bild der Familie. Eine Mutter kann eben nicht damit zufrieden sein, wenn am Ende des Monates mehr Haushaltsgeld übrig ist, als im Vormonat, die Kinder aber hungrig geblieben sind.

Um nichts anderes geht es in der Menschheitsfamilie. Wir sind alle aufeinander verwiesen und aufeinander angewiesen. Dies auszublenden führt möglicherweise kurzzeitig zu Wohlstand. Es ist aber mehr als kurzsichtig. Letztlich wird dabei die Existenz aller aufs Spiel gesetzt. Vielleicht kann man die vielen Erzählungen in der Bibel, in denen der Übeltäter davonkommt, aber Kinder und Kindeskinder für die Folgen der Untaten bezahlen müssen, auf diesem Hintergrund erst wirklich verstehen. Wir sind miteinander verflochten über alle Grenzen hinweg, aber wir sind auch eine Schicksalsgemeinschaft bis in die nächste und übernächste Generation.

Vielleicht müssen wir im realen Leben, um die Ausbreitung der Pandemie zu stoppen, augenblicklich Distanz voneinander halten. Das muss aber am Ende dazu führen, dass wir als Menschheitsfamilie nur noch enger zusammenrücken.

Jörg Sieger

[Jesus] erzählte ihnen folgendes Beispiel: Auf den Feldern eines reichen Mannes stand eine gute Ernte. Da überlegte er hin und her: Was soll ich tun? Ich weiß nicht, wo ich meine Ernte unterbringen soll. Schließlich sagte er: So will ich es machen: Ich werde meine Scheunen abreißen und größere bauen; dort werde ich mein ganzes Getreide und meine Vorräte unterbringen. Dann kann ich zu mir selber sagen: Nun hast du einen großen Vorrat, der für viele Jahre reicht. Ruh dich aus, iss und trink und freu dich des Lebens! Da sprach Gott zu ihm: Du Narr! Noch in dieser Nacht wird man dein Leben von dir zurückfordern. Wem wird dann all das gehören, was du angehäuft hast?

(Evangelium nach Lukas 12,16-20)