Kar- und Ostertage 2020

ein wahrhaft besonderes Osterfest


Hört das Lied der finstern Nacht

Karfreitag, 10. April 2020

Heute, am Karfreitag möchte ich Sie in das Geschehen der Passion entführen. Ich möchte Sie mit hineinnehmen in die Dunkelheit und die Ereignisse der letzten Stunden im Leben Jesu und zwar anhand eines Liedes aus dem Gotteslob, "Hört das Lied der finstern Nacht" (Nr. 288). Es erzählt, was nach dem letzten Abendmahl geschah in sechs Strophen. Es geht um die Ereignisse, die in der Nacht geschahen oder die an Nacht erinnern, an Dunkelheit, weil sie so voll Trauer sind. Der Verrat des Judas, die Verhaftung, das Urteil, die Verleugnung durch Petrus und der Tod am Kreuz werden angesprochen.

Der Beginn des Liedes bezieht sich auf die Johannespassion. Judas verlässt den Abendmahlssaal und es ist Nacht. Von diesem Geschehen berichten Strophe 1 und 2. (Johannes 13,30)

1. Hört das Lied der finstern Nacht,
Nacht voll Sünde und voll Not,
hört, was drin geschah,
fern und doch so nah.

2. Judas geht, und es ist Nacht,
Nacht voll Sünde und Verrat.
Jesus lässt ihn gehn,
denn es muss geschehn.

Danach beschreibt das Lied die Ereignisse im Garten Gethsemane. Jesus fühlt sich einsam und verlassen, von seinen Freunden verraten. Die Soldaten und Gerichtsdiener kommen, um ihn zu holen. Er wird gefangengenommen.

3. Alle fliehen, es ist Nacht,
Nacht voll Sünde und voll Angst,
Jesus steht allein
in dem Fackelschein.

Jesus wird zu Hannas, dem Schwiegervater des Kajaphas gebracht, der ihn ausliefert.

4. Kaiphas richtet, es ist Nacht,
Nacht voll Sünde und voll Hass,
Jesus leidet still,
wie's der Vater will.

Die Menschen haben das Urteil über ihn gefällt. Auch sein Freund Petrus lässt ihn im Stich und leugnet, ihn gekannt zu haben (alle Ereignisse 18. Kapitel des Johannesevangeliums).

5. Petrus leugnet, es ist Nacht,
Nacht voll Sünde und voll Schuld,
Jesus blickt ihn an,
draußen kräht der Hahn.

Die letzte Strophe berichtet von Jesu Tod. Wieder wird es Nacht, das Matthäusevangelium berichtet von einer Finsternis im ganzen Land, als Jesus am Kreuz stirbt.

6. Jesus stirbt, da wird es Nacht,
doch er bricht die Finsternis,
reißt durch seinen Tod
uns aus Nacht und Not.

Ich lade Sie ein, dieses Lied zu meditieren, die Passion mithilfe der Strophen und einer Bibel schrittweise mitzuvollziehen.

Als ich mich nach Einführung des Liedes das erste Mal mit dem Lied befasste, fand ich Hinweise, es basiere auf der Johannespassion. Dies stimmt bis zur letzten Strophe. Hier wird das Matthäusevangelium zitiert. Dort wird von einer Finsternis im ganzen Land berichtet, als Jesus am Kreuz stirbt.

Vorhang vor einer Kapelle

Der Vorhang wird weggezogen.

Kirche St. Laurentius, Kenzingen - Foto: Jörg Sieger, Mai 2020

Dort ruft Jesus im Sterben: "Eli, Eli, lema sabachtani?" und zitiert Psalm 22. Diese Frage, "mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?" ist eine Frage, die sich Menschen im Leid oft stellen.

Jesus selbst hat in seiner Todesstunde Ängste und Zweifel gehabt, so wie wir Menschen es haben. Er ist uns damit unsag­bar nah.

In der Todesstunde Jesu wollen wir innehalten und an das Sterben Jesu denken, den Blick aber auch auf den allgegen­wärtigen Tod in unserem Leben lenken.

  • Wir wollen an die Menschen denken, die beim Anschlag in Hanau ihr Leben verloren haben
  • Wir wollen an alle denken, die auf der Flucht ihr Leben verlieren
  • Wir wollen an die Menschen denken, die weltweit aufgrund der Coronapandemie sterben müssen

Das Lied endet nicht in der Dunkelheit der Nacht, sondern es verheißt, Jesus beendet die Finsternis und reißt uns aus dem Tod. Im Matthäusevangelium wird davon berichtet, dass der Vorhang vom Tempel entzwei riss, als Jesus starb. Das Lied endet in der Hoffnung, dass Jesus die Finsternis bricht.

Wenn ich im Theater sitze, frage ich mich, was ist hinter dem Vorhang? Dort tut sich eine neue Welt auf. Ich erlebe eine andere Dimension des Seins. So ist Jesus durch den Vorhang, der im Tod fällt, hindurchgeschritten. Er hat den Durchgang in eine andere Wirklichkeit geschafft und hat uns mit hineingenommen bzw. hindurchgenommen.

So wünsche ich Ihnen am Karfreitag auch inmitten des Todes ein Stück Auferstehung

Marieluise Gallinat-Schneider