Kar- und Ostertage 2020
ein wahrhaft besonderes Osterfest
Grenzüberschreitung
Montag, 4. Mai 2020
Ja, ich habe eine Akte in Rom. Davon gehe ich zumindest aus. Es gab schließlich einmal eine Zeit in der jüngeren Vergangenheit unserer Kirche, da hat ein Papst dazu aufgerufen, in Rom zu melden, wenn Priester gegen irgendwelche Vorschriften verstoßen - gerne auch anonym. Und da konnte es schon vorkommen, dass das bischöfliche Ordinariat nachfragen musste, weil jemand nach Rom geschrieben hatte, dass man etwa evangelische Christen zum Empfang der Eucharistie eingeladen habe.
Foto: Jörg Sieger
Ich habe meine leidvollen Erfahrungen mit Denunzianten gemacht. Und ich bin deshalb auch besonders sensibilisiert, wenn Menschen dazu aufrufen, andere anzuzeigen. Als Ende März Innenminister Strobl meinte, dass er dankbar sei, wenn die Bürger wachsam wären und dabei helfen würden, die Regeln einzuhalten, und dass es sinnvoll sei, wenn jemand einen Rechtsverstoß wahrnehme, die Polizei anzurufen, fühlte ich mich wie im falschen Film. Und als der Ministerpräsident ihm auch noch den Rücken stärkte und verlauten ließ, dass er darin in keinster Weise eine Aufforderung zum Denunziantentum oder zum Belauschen der Nachbarn sehe, war ich entsetzt. ⋅1⋅
Denn genau das haben diese Politiker erreicht: Es werden Nachbarn angezeigt, weil sie im Garten Besuch von einem befreundeten Ehepaar empfangen haben. Und jüngst wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit mit denen, für die sie ein Patenamt übernommen haben und die gerade jetzt noch viel mehr auf Hilfestellungen und Unterstützung angewiesen sind, als es schon zuvor der Fall gewesen ist, selbst bei aller Wahrung von Hygienemaßnahmen nur noch insgeheim zusammenkommen, weil dies ja ein Verstoß gegen die Kontaktsperre bedeute und man Angst davor habe, von anderen deswegen angezeigt zu werden.
Diese Krise bringt durchaus auch die schlechtesten Seiten von Menschen ans Tageslicht. Und es überrascht mich, wie schnell Teile unserer Gesellschaft - soll ich sagen "wieder"? - dabei sind, aufgrund eines vermeintlich höheren Gutes, Grenzen zu überschreiten, die wir bisher zumindest weitestgehend erfreulich übereinstimmend beachtet hatten.
Denunzianten verachte ich. Menschen, die einen Aufruf dazu auch noch decken, sind in meiner Achtung deutlich gesunken. Und Menschen, die dazu aufrufen, andere anzuzeigen, kann ich nicht achten - weder in Politik und erst recht nicht in Kirche.
Jörg Sieger
Noch während er redete, siehe, da kam eine Schar Männer; und der Judas hieß, einer der Zwölf, ging ihnen voran. Er näherte sich Jesus, um ihn zu küssen. Jesus aber sagte zu ihm: Judas, mit einem Kuss lieferst du den Menschensohn aus?
Evangelium nach Lukas 22,47-48
Anmerkung