Kar- und Ostertage 2020
ein wahrhaft besonderes Osterfest
Kollektive Depression
Montag, 27. April 2020
"...wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig. Grundrechte beschränken sich gegenseitig. Wenn es überhaupt einen absoluten Wert in unserem Grundgesetz gibt, dann ist das die Würde des Menschen. Die ist unantastbar. Aber sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen." ⋅1⋅
Memento mori
Foto: Jörg Sieger
In einem Interview mit dem Tagesspiegel formulierte Wolfgang Schäuble diese bemerkenswerten Sätze. Er weitet damit einen Blick, der sich - wie mir scheint - in den letzten Tagen immer mehr zu verengen droht. Medien, Wissenschaft und Politik schauen offenbar nur noch auf eine einzige Bedrohung: steigende Infektions- und Todeszahlen infolge der Corona-Pandemie. Und die einzige Antwort, die im Augenblick von den Verantwortlichen gegeben wird, lautet: das Leben, wie wir es gewohnt waren, möglichst herunterzufahren, um die Zahl der Neuinfektionen zu reduzieren.
Was aber ist das Ziel? Sicher, das erste Ziel ist leicht zu formulieren: Die Infektions- und Todeszahlen zu reduzieren. Aber über dieses Etappenziel hinaus wird momentan kaum wirklich hinausgedacht. Wenn unsere Maßnahmen lediglich weiter auf die Reduzierung der Neuinfektionen abzielen und dies nur durch eine fast völlige Stilllegung der Wirtschaft zu erreichen ist, verlängern wir die gegenwärtige Situation ja nur weiter. Das Virus ist weiter in der Welt und die Bedrohung wird nicht kleiner. Das würde aber letztlich bedeuten, dass wir mit diesem Zustand leben sollen, bis - vielleicht in einem Jahr - ein entsprechender Impfstoff entwickelt ist
Was aber ist dann mit der Würde der Menschen in den Pflegeheimen, deren Einsamkeit weiter zunehmen wird? Was ist mit der Würde der Kinder, die in ihrer Entwicklung - wie immer wieder beteuert wird - Schaden nehmen werden, wenn sie über Monate hinweg vom Umgang mit Gleichaltrigen ferngehalten werden sollen? Was ist mit den Chancen der Jugendlichen, für deren schulische Bildung die derzeitigen Versuche mit häuslichen Aufgaben nicht einmal ein billiger Ersatz sein kann?
Was derzeit Not tut, ist der Blick in die Weite. Schockstarre kann keine Antwort auf keine Bedrohung sein. Die Lösungen aber, die momentan diskutiert werden, sind von solcher Starre geprägt. Und sie wurzeln fast allesamt in allen möglichen Ängsten: Angst vor dem Virus, Angst vor der tödlichen Gefahr, Angst vor Überforderung... Und hinzu kommt, alles andere überschattend, die Angst - vor allem von Politikern - falsche Entscheidungen zu treffen.
Angst ist hilfreich. Sie sorgt dafür, dass ich im Augenblick einer Bedrohung rasch reagiere und Kräfte mobilisiere, die es in Gefahrensituationen dringend braucht. Aber genauso rasch muss Angst auch überwunden werden. Wenn sie andauert, dann lähmt sie. Und monatelanges Verharren in der Angst führt zu kollektiver Depression. Nicht auszudenken, wenn man aus lauter Angst vor dem Ansteigen von Sterberaten am Ende den Tod einer ganzen Gesellschaft konstatieren müsste.
Jörg Sieger
Wer im Schutz des Höchsten wohnt, der ruht im Schatten des Allmächtigen. Ich sage zum Herrn: Du meine Zuflucht und meine Burg, mein Gott, auf den ich vertraue. Denn er rettet dich aus der Schlinge des Jägers und aus der Pest des Verderbens. Er beschirmt dich mit seinen Flügeln, unter seinen Schwingen findest du Zuflucht, Schild und Schutz ist seine Treue. Du brauchst dich vor dem Schrecken der Nacht nicht zu fürchten, noch vor dem Pfeil, der am Tag dahinfliegt, nicht vor der Pest, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die wütet am Mittag.
Psalm 91,1-6
Anmerkungen