Interkulturelle Kompetenz

Herausforderung für unsere Gesellschaft


Weiter-Button Zurück-Button 22.09.2019 - Eröffnungsvortrag der Interkulturellen Woche 2019 im Landkreis Rastatt

"Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?" - oder - Angst ist ein denkbar schlechter Ratgeber

"Was bin ich?"

Sehr verehrte Damen und Herren,

vielleicht erinnert sich der eine oder die andere von Ihnen noch an das "heitere Beruferaten", mit dem Robert Lembke vor etlichen Jahrzehnten die Fernsehnation unterhielt. Mit Ja-Nein-Fragen hatte ein Rateteam den Beruf eines Menschen herauszubekommen. Und das Ganze lief unter der Überschrift: "Was bin ich?"

Gut, ich bin Theologe, Pfarrer, aber ist das schon alles? Kann man sagen, wenn man meinen Beruf kennt, was ich bin?

Der ist zwar ein wichtiger Teil, dieser Beruf, aber er ist doch nur ein Teil von mir. Und es wäre schlimm, wenn ich mich einzig und allein über meinen Beruf definieren würde. Was bliebe dann von mir übrig nach der Pension oder im Falle von Arbeitslosigkeit. Der Beruf ist doch nur ein Teil meiner Persönlichkeit.

Wirklichkeit hat viele Facetten

Menschen sind Vater und Mutter. Ich bin Kind, ich liebe die Oper, mag Modelleisenbahnen und setze mich für die Geschichtsforschung ein. Ich bin Ettenheimer, jetzt Karlsruher, bin Deutscher und Europäer und Christ bin ich natürlich auch. All das gehört zu mir. All das zusammen macht mich doch erst aus.

Natürlich kennen viele Menschen nur eine Facette dieser ganzen Vielfalt, aber dann kennen sie mich eben nicht wirklich.

Deshalb fand ich es auch immer ganz besonders schlimm, wenn Menschen mich überhaupt nicht kennenlernen wollten, wenn ihnen eine Facette von mir schon völlig ausreichte - und zwar vor allem, um mich in eine Ecke zu stellen. 'Du bist ja eigentlich ganz nett, aber katholisch und Pfarrer ..., dann kannst Du mir gestohlen bleiben!'

Hallo, nein! Ich habe keine Hexen verbrannt und ich war auf keinem der Kreuzzüge und was der Papst sagt, unterschreibe ich auch nicht alles.

Ich habe immer darunter gelitten, wenn Menschen überhaupt nicht interessiert hat, was ich sage und ich tue, weil ihnen eine Facette meiner Persönlichkeit völlig genügte, weil sie sich, ausgehend von dieser Facette schon ein Bild gemacht hatten, ein Bild, das mit mir letztlich zwar nichts zu tun hatte, aber absolut ausreichte, um mich abzulehnen und abzuqualifizieren.

Alle in einen Topf

Vielleicht glaube ich deshalb auch nachvollziehen zu können, wie sich Millionen Menschen in unserem Land im Augenblick fühlen müssen.

Ihnen geht es nämlich kein bisschen besser: Man interessiert sich nicht für sie als Person, hat es vielleicht nie getan, wichtig an ihnen ist lediglich ein einziger Aspekt - ihre Religion nämlich. Sie sind Muslime und deswegen sind sie suspekt.

Ich habe im Internet eine Seite mit dem Titel "Kein Platz für Rassismus". Und als Reaktion auf diese Website erhalte ich häufig Zuschriften. Und ganz oft geht es um den Islam. Denn man habe ja nichts gegen Fremde und Flüchtlingen muss man selbstverständlich helfen, aber der Islam ...

Wie ich so blind sein könne, so verblendet, die Gefahren nicht zu erkennen, die von Muslimen ausgehen. "Ein westlicher Pass macht eben noch keinen westlichen Kopf", schrieb mir letzthin eine Frau. Die Ignoranz gegenüber diesem simplen Fakt sei der Kardinalfehler westlicher Willkommenserotiker. Durch die Erziehung richte der Islam massivste Schäden an, die tiefgreifend und in aller Regel irrreversibel seien. Das sei auch beim scheinbar so friedlichen und integrierten Nachbarn so, der viele Jahre unauffällig neben uns leben könne, bis seine "Religion" ihn einhole.

Und ich als Theologe müsse doch viel besser wissen, dass der Islam absolut keine Religion sei. Er sei nichts anderes als purer, institutionalisierter und bösartiger Rassismus, der jenem der Nazizeit in absolut nichts nachstehe.

Hätte ich diese Mail nicht selbst bekommen, ich hätte nicht glauben wollen, dass Menschen so zu denken in der Lage sind. Da behauptet jemand allen Ernstes, 1,5 Milliarden Menschen hätten keine Religion, sondern würden einer Ideologie folgen. Diese Frau sagt ja nicht, der Islam sei die falsche Religion, sie schreibt ganz einfach: Er sei gar keine Religion.

Auf meine Rückfrage, wie sie alle Muslime über einen Kamm scheren könne, bekam ich zur Antwort: "Sie fragen, warum ich so über Muslime sprechen und dabei alle in einen Topf werfen könne? Die Antwort ist einfach: Weil es so ist! Ich spreche aus Beobachtung, Wissen und Erfahrung."

Und Gegenargumente hat sie in keiner Weise akzeptiert. Alles was sie schreibt, seien selbstverständlich belegbare Fakten und alles, was ich sagen würde, Irrtum und Verblendung.

Argumente zählen nicht mehr

Diese Haltung ist mittlerweile durchaus verbreitet. Jüngst hat ein katholischer Priester, der lange Jahre im Nahen Osten gelebt hat, in Karlsruhe einen Vortrag über den Koran gehalten. Er hat zusätzlich zu katholischer Theologie Islamwissenschaften studiert und er weiß, wovon er spricht.

Eine der Teilnehmerinnen war wie besessen von der Vorstellung, dass Muslime die große Bedrohung für unsere Gesellschaft seien. Und sie hat ihm vehement widersprochen. Was er sage, sei absolut falsch, denn der Koran würde ganz andere Sachen fordern und mit Frieden und Liebe habe er absolut nichts zu tun. Und sie zitierte Stellen, gab wieder, was sie im Internet und in Aufsätzen gelesen hatte und ließ keine andere Meinung gelten.

Mein Kollege hatte Erfahrung, er hat dort gelebt, er war der Einzige in dieser Runde, der fließend Arabisch spricht und den Koran im Original gelesen hatte. Seine Meinung zählte absolut nichts.

Das erleben augenblicklich auch Muslime in Deutschland: sie zählen nicht - nicht was sie sagen, nicht was sie denken, nicht was sie praktizieren und auch nicht was sie glauben. Nichts davon zählt.

In der Logik dieser Mailschreiberin haben Muslime selbst nämlich keine Ahnung. Man unterstellt ihnen, dass sie einfach nicht genügend über ihre eigene Religion wüssten, dass sie selbst verblendet seien oder - was noch viel schlimmer ist - dass sie sich lediglich verstellen würden, damit wir ihre üblen Absichten einfach nicht bemerken und ihnen auf den Leim gehen.

Es gibt weder das Christentum noch den Islam

Hier passieren genau genommen zwei grauenhafte Dinge:

Ich muss mir erstens ja schon die Frage stellen, von welchem "Islam" solche Menschen hier überhaupt sprechen. Hier wird doch ein Bild von "Islam" kreiert, den es so schlicht und ergreifend nicht gibt. Es gibt nicht den Islam.

Wenn wir uns die Religion vor Augen führen, die die meisten von uns aus eigener Anschauung kennen, das Christentum nämlich, dann wird das sehr schnell deutlich.

Ich habe große Schwierigkeiten in Griechenland, wenn ich mich dort in einem Sonntagsgottesdienst wiederfinde. Diese Art der Frömmigkeit ist absolut nicht die meine. Und selbst innerhalb der katholischen Kirche muss ich feststellen, dass ich in der spanischen oder italienischen Religiosität nie heimisch werden könnte. Zwischen den Frauen, die in Münster im Rahmen der Aktion 'Maria 2.0' auf die Straße gehen, und den Zeugen Jehovas, die ihren "Wachtturm" anbieten, liegen Welten. Und Theologen, die in Amerika wieder verkünden, dass die Bibel wortwörtlich zu lesen sei und Gott die Welt in 6 mal 24 Stunden erschaffen habe, kann ich nicht ernst nehmen. Aber all das gibt es unter dem Dach des Christentums.

Und die islamische Welt kennt nicht weniger Spielarten und ist mindestens genauso vielfältig wie die christliche. Das nicht sehen zu wollen, grenzt an Einfalt, Ignoranz oder wurzelt in einer übersteigerten Angst bis hin zu einem ausgesprochenen Hass, der mehr als gefährlich ist.

Das ist das Eine: Es wird ein einheitlicher Islam kreiert, den es so schlicht und ergreifend zwar gar nicht gibt, der von diesen Menschen aber genau beschrieben und definiert wird.

Deutungshoheit beansprucht

Und die Folge davon ist das Zweite: ich brauche die Menschen, die zu diesem Islam gehören, dann ja gar nicht mehr kennenzulernen, weil ich - und vornehmlich ich - genau weiß, wie solche Menschen sind.

In einer Reihe von Diskussionen habe ich selbst erlebt, wie Muslime ihren Glauben und ihre Art zu glauben beschrieben haben. Und wie Menschen ihnen dann schon beinahe ins Wort gefallen sind und meinten: "Das was Sie sagen, stimmt aber so nicht. Das ist nämlich nicht der Islam. Muslime sind schließlich ganz anders."

Nicht nur, dass Menschen als Individuum nicht mehr interessieren, dass sie einfach im Lager einer Gruppe zusammengepfercht werden, man spricht ihnen auch noch ab, selbst beschreiben zu können, wer und vor allem wie sie sind. Man nimmt ihnen die Deutungshoheit über sich selbst. Ich weiß sehr viel besser, wer Du bist.

Was passiert hier eigentlich? Nun, was hier geschieht, hat eigentlich ganz wenig mit Muslimen zu tun. Hier geht es nicht um Religion und auch nicht um Fakten und konkrete Ereignisse. Es ist ein Phänomen, das es in der Geschichte eigentlich schon immer gegeben hat und das deswegen auch so gefährlich ist. Es ist etwas, was letztlich jeden treffen kann.

Ein problematisches Kinderspiel

Ich habe diesen Beitrag ganz bewusst mit den Worten "Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?" überschrieben.

Ich denke, eine ganze Reihe von Ihnen werden dieses alte Kinderspiel noch kennen. Da steht auf der einen Seite der "schwarze Mann", und ruft die bekannte Frage, wer denn Angst vor ihm habe. Und auf der anderen Seite stehen alle anderen Mitspielenden und rufen lautstark: "Niemand!" Bis er dann weiter fragt: "Und wenn er kommt?"
"Dann laufen wir!" lautet die Antwort und alle Kinder rennen los, bis eines dann gnadenlos gefasst wird.

Dieses Spiel ist ins Gerede gekommen. Es scheint ja so zu sein, als ob hier schwarze Menschen - der "schwarze Mann" - diskriminiert würden.

Dabei hat das Spiel eigentlich gar nichts mit Rassismus zu tun. Dieser "schwarze Mann" ist eine fiktive Figur, eine sogenannte "Kinderschreckfigur". Sie entstammt zunächst einmal der "schwarzen Pädagogik" und diente ursprünglich dazu, Kinder einzuschüchtern und gefügig zu machen. Und vielleicht hatte der "schwarze Mann" ja auch seine historischen Wurzeln in jenem Bildwort für die Pest, im "schwarzen Tod" nämlich. Er steht möglicherweise ganz einfach für die größte Bedrohung, die es für menschliches Leben überhaupt gibt: für den Tod.

Von daher ist der "schwarze Mann" letztlich Sinnbild aller Bedrohung, aller Dinge und Menschen, die dazu geeignet sind, menschliches Leben - unser Leben - zu vernichten. Er flößt Angst ein, dieser "schwarze Mann". Und er eignete sich deshalb auch bestens, um anderen Angst zu machen, bis hin zum Kinderschreck eben.

Der schwarze Tod, die Pest, sie wurde von Menschen besiegt. Aber der "schwarze Mann", der ist in der Welt. Und er macht weiter Angst - und nicht nur Kindern.

Und was das Gefährliche an ihm ist: Er ist die Personifikation all dessen, was unser Leben bedroht. Eine Personifikation, eine Person, nicht eine undefinierbare Größe, wie eine Krankheit, eine Epidemie oder das Schicksal. Er ist eine Person. Und Personen kann man greifen.

Sie machen Angst, aber man kann laufen wie im Kinderspiel. Und man kann sich gegen sie zur Wehr setzen, wenn man sich dazu in der Lage fühlt. Denn gegen Personen kann man sich wehren - ganz anders als gegen das Schicksal oder sonstige wenig definierbare und vor allem komplexe Gefahren.

Angst bekommt ein Gesicht

Deshalb hatte man in der Geschichte gerne solch schwarzen Männer und auch schwarze Frauen: Sündenböcke für Bedrohungen, die man letztlich nicht greifen konnte. Waren es im Mittelalter vor allem der Teufel und die Hexen, die Ursprung allen Übels waren, so war es im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts "der Jude", dem man die Urheberschaft alles Bösen zuschrieb. Und in der Zeit des kalten Krieges - die meisten werden sich erinnern - "der Russe", von dem man befürchtete, er würde die ganze westliche Welt verschlingen.

Ganz gleich, welchen Namen man ihm gab, es gab fast immer einen irgendwie gearteten "schwarzen Mann", vor dem man sich fürchtete, der Angst einflößte und manches irrationale Handeln bestimmte.

Nicht Rassismus ist das Problem dieses alten Kinderspieles, es ist die Personifikation der Angst. Eine gefühlte oder sehr reale Bedrohung wird identifiziert mit sehr realen Menschen; mit Menschen, die sehr häufig mit dieser Bedrohung nichts, aber auch rein gar nichts zu tun haben.

Wir leben in einer Welt, die viele Menschen als kompliziert empfinden, als immer komplizierter, als bedrohlich und schwer fassbar. Es ist die Globalisierung mit allem Drum und Dran, die Menschen Angst macht.

Und Menschen, die im rechten politischen Spektrum Halt suchen, fürchten die Globalisierung ganz besonders. 78 Prozent der AfD-Wähler hätten laut Bertelsmann-Studie Angst vor der Globalisierung. Und für 53 Prozent derer, die diese Angst haben, sei das eigentliche Problem der Globalisierung die Migration.

Das nicht fassbare Phänomen Globalisierung, das vornehmlich aus Zahlen und Wirtschaftsdaten besteht, aus Logistik und künstlicher Intelligenz - in der Migration wird es zu einer greifbaren Größe. Das komplexe Phänomen wird reduziert auf Fremde. Es sind die Fremden, die letztlich die Bedrohung darstellen.

Und weil fremd in sich auch wieder eine nur schwer zu fassende Größe darstellt, wird dieses Fremde ganz einfach identifiziert mit einer klar zu umschreibenden Gruppe von Menschen: den Muslimen nämlich und dem Islam.

Der Islam als Sündenbock

Er ist der neue "schwarze Mann", der durchs Dorf getrieben wird. Er ist die Personifikation einer diffusen Bedrohung. Und Muslime werden auf diesem Weg zum Sündenbock für alles, was Leben augenblicklich bedroht.

Solch eine Angst lässt sich instrumentalisieren. Man kann mit ihr Massen bewegen. Man kann mit ihr Wahlen gewinnen. Sie kann unkontrollierbare Züge annehmen, Menschen können zu Mördern werden, Politiker zu Opfern. Und Menschen, die mit der Gruppe dieses "schwarzen Mannes" identifiziert werden, finden sich plötzlich mit einem Etikett versehen, das sie für sich selbst so nie gewählt hätten.

Für wie viele Muslime in unserem Land spielte die Religion in ihrem Leben kaum eine größere Rolle als für die meisten Christen die ihre. Menschen werden plötzlich in eine Ecke geschoben, in der sie zuvor nie gestanden haben. Jugendliche werden so sehr mit ihrer Religion identifiziert, dass dieselbe schon aus Trotz und Trotzdem immer mehr zur eigenen Identität werden muss.

Und die Gefahr, dass diese Stigmatisierung umschlägt in tatsächliche psychische und physische Gewalt, ist sehr real und nicht von der Hand zu weisen. Wie schrieb mir jene Frau? "Wir haben schon Millionen von Rassisten importiert", und damit meint sie Millionen von Muslimen, "es ist höchste Zeit aufzuräumen."

Wie sie oder andere aufräumen würden, beschreibt sie mir gegenüber nicht.

Argumente kontra Gefühle

Ich mache mir Sorgen, große Sorgen sogar. Wir müssen diesem Denken begegnen. Es ist für unsere Gesellschaft eine der ganz großen, wenn nicht die große Herausforderung der Gegenwart schlechthin.

Allerdings glaube ich mittlerweile gelernt zu haben, dass Diskutieren hier kaum die Lösung bringen wird. Es geht nicht um das Austauschen von Argumenten, wo Menschen für Argumente nicht mehr offen sind und wo Sachargumente wohl auch gar nicht das eigentliche Problem darstellen.

Vielleicht haben wir in der Vergangenheit viel zu sehr auf Argumente gesetzt, auf Rationalität, wo es vor allem Emotionen waren, Gefühle und Verletzungen, die hier ihre Wirkung entfalten.

Wo Zahlen übermächtig wurden, wirtschaftliche Zusammenhänge alternativlos, die Märkte allesbeherrschend und die Sachzwänge selbst die Politik wie am Nasenring durch die Manege führte, dort spielten Gefühle keine Rolle mehr: Mein Beitrag zum Gelingen des großen Ganzen, die Wertschätzung meiner Lebensleistung, die Würde meiner Person als Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer, als Rentnerin und Rentner, all das hatte und hat keine Bedeutung mehr.

Menschen erlebten und erleben alles, was um sie herum geschieht, plötzlich als Bedrohung. Eine Bedrohung für die eigene Existenz, eine Gefährdung, die diffus und nicht fassbar ist.

Solche diffusen Bedrohungen halten wir Menschen aber nicht lange durch. Sie schreien förmlich danach, greifbar zu werden, ein Gesicht zu bekommen, im sprichwörtlichen "schwarzen Mann" Gestalt anzunehmen, so dass ich mich dagegen zur Wehr setzen kann.

Das rechtfertigt keine kruden Ideen und verquere politische Meinungen. Und es rechtfertigt erst recht keine Gewalt gegen die Gruppen von Menschen, die man als vermeintlich Schuldige ausgemacht zu haben glaubt. Aber es lässt Zusammenhänge eher verstehen. Und erst wenn ich verstehe, kann ich die richtigen Schlüsse daraus ziehen, Konsequenzen ergreifen und nachhaltig umsteuern.

Nachhaltiges Umsteuern

Wir müssen neu begreifen, dass ganzen Bevölkerungsgruppen in diesem Land ihre Würde wieder zurückgegeben werden muss. Menschen sind keine Fußabtreter und lästige Kostenfaktoren für immer größer werdende Unternehmen, die am Global-Player-Dasein immer mehr Gefallen finden. Es darf in unserer Gesellschaft keine überflüssigen Menschen geben, aller Digitalisierung und allen Anstrengungen um künstliche Intelligenz zum Trotz. Wenn wir diese Aufgabe nicht lösen, werden wir die Zukunft nicht meistern.

PEGIDA und Konsorten machen mir große Sorgen, und sie sind aller Sorgfalt Wert. Denn wir müssen begreifen und verstehen lernen, was da vor sich geht, um die richtigen Weichenstellungen zu treffen.

Ich glaube nicht, dass wir die Zusammenhänge schon ganz verstehen. Viel zu lange wurden sie von Wissenschaft und Politik überhaupt nicht wahrgenommen. Ich ahne aber, dass sie sehr viel mit sozialer Gerechtigkeit zu tun haben. Und dabei geht es nicht um Zahlen, um irgendwie zu messenden Wohlstand, sondern um das Gefühl von Gerechtigkeit.

Auf dem Boden dieser Versäumnisse wuchs in der Vergangenheit ein ausgesprochen gefährliches Denken. Ein Denken, das mir Sorgen bereitet.

Menschen, wie jene Frau, die mir diese Mails geschrieben hat, machen mir große Sorgen. Aber ich lasse mir trotz allem von diesen Menschen keine Angst machen. Sie machen mir keine Angst. Denn eines glaube ich begriffen zu haben: Letztlich ist die Angst vor solch diffusen Bedrohungen, letztlich ist Angst die eigentliche Ursache dieses verqueren Denkens. Es ist die Angst, die dazu führt, andere Menschen zu Sündenböcken zu machen.

Das habe ich begriffen: Angst ist kein Boden, auf dem Lösungen wachsen.

Sorgen mache ich mir, aber ich lasse mir keine Angst machen. Angst nämlich wäre der denkbar schlechteste Ratgeber.

Ich danke Ihnen.

(Jörg Sieger, Karlsruhe)

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