Interkulturelle Kompetenz

Herausforderung für unsere Gesellschaft


Weiter-Button Zurück-Button 4/2015 - Artikel in den "caritas-mitteilungen für die Erzdiözese Freiburg": Willkommenskultur will eingeübt sein

Die Hilfsbereitschaft für die Flüchtlinge ist groß - Fachliche Begleitung hilft Missverständnissen vorzubeugen

Die vielen Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, rufen eine nach wie vor beeindruckende Hilfsbereitschaft bei vielen Ehrenamtlichen quer durch alle Gesellschaftsschichten hervor: Die Menschen von weither sollen spüren, dass sie hier willkommen sind. Damit diese Energie für die vielbeschworene Willkommenskultur nicht ins Leere läuft oder gar ins Gegenteil umschlägt, ist eine fachlich-kompetente Begleitung der Helferinnen und Helfer nicth nur sinnvoll, sondern notwendig.

Mehrere Wochen hatten Ehrenamtliche mit der Herstellung von Sandkästen zugebracht. Dann standen dieselben im ansonsten tristen Innenhof der Gemeinschaftsunterkunft. Endlich sollten die Kinder hier spielen können. Nach kurzer Zeit aber waren die Sandkästen verschwunden. Auf die entrüstete Nachfrage bei den Sozialarbeiterinnen in der Unterkunft zuckten diese nur mit den Schultern. "Die Bewohner wollten sie nicht", war die hilflose Antwort. Über eine halbe Stunde drehte sich die Diskussion im Helferkreis um die Sandkästen. "Wir müssen die Wohnungen auch sauber machen, wenn Kinder Sand vom Spielen mit nachhause bringen." Und schon war von undankbaren Flüchtlingen die Rede.

Ein Freund von mir musste lachen, als ich ihm die Geschichte erzählte. Er hat lange Jahre in Nordafrika und im Nahen Osten gearbeitet und kennt die Regionen und die Menschen, wie wenige andere. "Menschen, die am Rande der Wüste groß geworden sind, Sandkästen hinzustellen …" Und er musste wieder lachen. "Sand ist Dreck", erklärte er mir und ich verstand: Das war, als würde man unseren Kindern einen Misthaufen zum Spielen hinstellen.

Das ist eine winzige Begebenheit am Rande der Arbeit mit Flüchtlingen und Asylbewerbern, die aber einiges sehr deutlich macht.

Es gibt zum einen diese überwältigende Hilfsbereitschaft, die selbst die allergrößten Optimisten in unserem Land völlig überrascht hat. Wo in den letzten Monaten Unterbringungen von Flüchtlingen angekündigt wurden, bildeten sich fast immer spontan Helferkreise. Zu Infoveranstaltungen kamen statt der erwarteten 30 gleich 200 Hilfewillige und ein Bürgermeister sprach schon scherzhaft davon, dass er bald mehr Flüchtlinge bräuchte, um die Ehrenamtlichen zu beschäftigen.

Die Motivation ist ganz unterschiedlich. Auf der Basis einer starken christlichen Frömmigkeit, auf dem Hintergrund einer humanistischen Geisteshaltung, eigener Flucht- und Migrationserfahrung fühlt sich eine große Zahl von Bürgern durch Menschen, die unverschuldet in Not geraten sind, herausgefordert. Sehr schnell entstanden Beziehungen und Integration ereignete sich manchmal schneller, als den Behörden lieb war, was vor allem dann zu Leid und Enttäuschung führte, wenn Menschen beispielsweise in eine Anschlussunterbringung wegzogen oder gar die Abschiebung vollzogen wurde.

Immer wieder wurde in der Vergangenheit zurecht betont, dass dieses Land auf diese überwältigende Hilfsbereitschaft stolz sein kann. Ich stelle mir manchmal vor, was denn wäre, wenn Obdachlose, Langzeitarbeitslose und Hartz-IV-Empfänger bei uns eine ähnliche Welle der Solidarität erfahren würden - unsere Gesellschaft sähe anders aus.

Zwar gut gemeint, aber nicht wirklich hilfreich

Manche Energie von Ehrenamtlichen ging aber auch ins Leere und verpuffte regelrecht, weil da und dort Dinge zwar gut gemeint, aber nicht wirklich hilfreich für die Betroffenen waren. Die Sandkästen sind dafür nur ein Beispiel. Sie machen deutlich, dass wir viel zu oft viel zu wenig von den Menschen wissen, die jetzt plötzlich mitten unter uns leben.
Das hängt nicht nur an Sprachbarrieren und der dadurch nicht selten schwierigen Verständigung, sondern auch an den oft recht einseitigen Bildern von Flüchtlingen, die wir im Kopf haben. Dass uns hier Menschen begegnen, die Tausende von Kilometern hinter sich gebracht, ihr Leben schon in ganz anderen Situationen gemeistert haben und selbst am besten wissen, was gut für sie ist, müssen sich viele von uns erst richtig bewusst machen. Kulturelle Eigenheiten - vor allem ein ganz anderer Umgang mit der Zeit - führen immer wieder zu Spannungen, Missverständnissen und Frustrationen. Und der ein oder die andere haben deshalb ihr Engagement auch schon enttäuscht beendet.

All dies macht deutlich, wie notwendig fachliche und kompetente Begleitung des Einsatzes von Engagementwilligen ist. Die 26 Mitarbeitenden in der Diözese, die im Laufe des Jahres 2015 in 22 örtlichen Caritasverbänden im Projekt "Nah an Menschen von weit weg" diese Aufgabe angetreten haben, sind die Antwort des Erzbistums Freiburg und der jeweiligen Caritasverbände im Verein mit dem Diözesancaritasverband. Schulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen etwa im interkulturellen Bereich, sind eine der Hilfestellungen, die das gegenseitige Verstehen fördern sollen. Viele der bei uns Angekommenen, haben Unsägliches erlebt und sind stark traumatisiert. Eine Ehrenamtliche berichtete von einem Kind, das jedes Mal in Panik unter dem Tisch verschwand, wenn draußen ein Polizeiwagen mit Blaulicht und Sirene vorbeifuhr. Hier muss ich wissen, wie ich in solchen Situationen reagiere. Und vor allem: hier muss ich um meine Grenzen wissen; einmal schon um mich selbst zu schützen, aber vor allem auch, um nicht noch größeren Schaden anzurichten. Das gilt nicht weniger bei rechtlichen Fragestellungen. Wie schnell hat eine falsche Auskunft negative Folgen für ein ganzes Asylverfahren.

Die Aufgabe der Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter ist alles andere als einfach, zumal sie - wie es Projektleiterin Dr. Ulrike Hahn ausdrückt - "mit jeweils "halben Stellen" ein hohes Maß an Anforderungen und Erwartungen balancieren müssen". Die Entwicklung der letzten Monate konfrontiert jeden und jede fast täglich mit ganz neuen Voraussetzungen. Die Struktur, die ich gestern geschaffen habe, greift morgen möglicherweise schon wieder völlig zu kurz. Einige Kolleginnen und Kollegen sind Berufseinsteigerinnen bzw. Berufseinsteiger. Beim Arbeiten im "andauernden Krisenmodus" - wie es eine Mitarbeiterin jüngst formulierte - kommt Einarbeitung oft zu kurz. Kollegen, die im gleichen Arbeitsfeld tätig sind, sind selbst aufs höchste gefordert und haben kaum Ressourcen für kollegiale Beratung. Die Hilfestellungen, die der Diözesancaritasverband bieten kann, sind hilfreich, reichen häufig aber bei weitem nicht aus. Vernetzungen werden initiiert, Schulungsangebote aufgebaut, Arbeitshilfen erstellt und weitergegeben - wohl wissend, dass es viel schneller gehen müsste, viel mehr gebraucht würde und auch hier mehr auf die Entwicklungen reagiert als vorausschauend agiert werden kann.

Bis an die Grenze der Belastbarkeit

Nichtsdestoweniger wird an den Projektstandorten engagiert und bis an die Grenze der Belastbarkeit gearbeitet. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nehmen an Treffen der Helferkreise teil, beraten etwa in versicherungstechnischen oder auch rechtlichen Fragen, stellen Kontakte zu Behörden und Entscheidungsträgern her, vermitteln zwischen Ehrenamtlichen und hauptamtlich Tätigen in den jeweiligen Einrichtungen und halten selbst oder vermitteln entsprechende Fortbildungsveranstaltungen. Patenschaftsprojekte sind entstanden, die Kooperation mit den Seelsorgeeinheiten hat an einigen Orten ganz neue Dimensionen erreicht und durch beispielsweise die Einrichtung eines Heimbeirates in einer Gemeinschaftsunterkunft werden echte Schritte zur Betroffenenbeteiligung unternommen.

Von besonderer Bedeutung für die Zukunft wird sein, dass die Stimmung in der Bevölkerung bereits eine andere geworden ist. Der Wahlkampf in Baden-Württemberg hat begonnen und mit diesem Thema kann man sich gut profilieren. In vielen Gesprächen und Diskussionen geht es nicht mehr um differenzierte Betrachtung der Problematik, sondern nur noch um die Frage: "Bist Du für Flüchtlinge oder dagegen?" Die Diskussion zu versachlichen, den Ehrenamtlichen den Rücken zu stärken und vor allem in Schulen, Vereine und Gesellschaft und - nicht zuletzt - in unsere Kirchengemeinden hineinzuwirken, das werden die zusätzlichen großen Herausforderungen sein, vor denen wir in den nächsten Monaten stehen.

(Jörg Sieger, Karlsruhe)

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