Interkulturelle Kompetenz

Herausforderung für unsere Gesellschaft


Weiter-Button Zurück-Button Kulturelle Orientierungen

In den Boden gerammtes Schild

Umleitungsschild bei Freiburg im Breisgau

Lizenz: Willy Pragher,
Freiburg im Breisgau Umleitung 094165, CC BY 3.0

Im Zeitalter der Navigationsgeräte bekommen Koordinaten wieder eine ganz neue Bedeutung. Es ist schließlich viel einfacher, anstelle einer umständlichen Wegbeschreibung, lediglich auf die entsprechenden GPS-Koordinaten zu verweisen. Dadurch wird ein Ort ja exakt bezeichnet.

Dass zwei solcher Koordinaten ausreichend sind, um einen Punkt in einer Fläche genau anzugeben, ist weithin bekannt. Ab und an muss man allerdings in Erinnerung rufen, dass es noch eine weitere Voraussetzung gibt. "x" und "y", die beiden Koordinaten, reichen allein nicht aus. Entscheidend ist, dass man auch um den Bezugspunkt weiß. Ohne den entsprechenden "Null-Punkt" sind die Koordinaten völlig wertlos.

Dies gilt auch im übertragenen Sinne. Wenn ich den Standpunkt eines Menschen bestimmen möchte, muss ich mir immer über den entsprechenden Bezugspunkt im Klaren sein. Und nicht selten bin dieser Bezugspunkt ich selbst. Ich frage ganz oft, wo ein anderer Mensch im Verhältnis zu mir steht.

Die Idee von Karl-Heinz Flechsig

Dies kann man sehr gut auf die Frage nach der Kultur, die einen Menschen prägt, übertragen. Karl-Heinz Flechsig - im Jahre 2000 emeritierter Göttinger Professor für interkulturelle Didaktik - betrachtete Kultur analog zu einem Raum. Jeder Mensch nimmt dabei eine bestimmte Position in diesem kulturellen Raum ein. Und den Ort, an dem dieser Mensch steht, den kann man dementsprechend - so die Idee von Karl-Heinz Flechsig - auch mit Koordinaten bestimmen.

Natürlich reichen zwei Koordinaten dafür nicht mehr aus. Im dreidimensionalen Raum benötigt man ja bereits drei entsprechende Angaben. Während ich den Ort eines Punktes auf einem Blatt Papier noch mit einer x- und einer y-Koordinate bestimmen kann, braucht es in einem räumlichen Gebilde schon eine x-, y- und z-Koordinate. Je mehr Dimensionen ein solcher Raum einnimmt, desto mehr Angaben brauche ich letztlich, um den genauen Standpunkt zu bestimmen. Da für Flechsig dieser kulturelle Raum vieldimensional ist, benötigt er auch eine Vielzahl von Koordinaten. Flechsig nennt dieselben "Kulturelle Orientierungen".

Lichter in einem unbekannten Raum

Wem diese Vorstellung zu technisch ist, für den sei hier ein weiteres Bild bemüht.

Der Freiburger Alttestamentler Alfons Deissler wurde nicht müde, auf den Unterschied zwischen griechisch-abendländischem Denken und semitischem Denken hinzuweisen. Er verwies dabei immer wieder auf die grundsätzlich andere Herangehensweise der Menschen in diesen unterschiedlichen Gedankenwelten, wenn es darum geht, komplexe Zusammenhänge zu beschreiben.

Der Abendländer geht in aller Regel analytisch an die Dinge heran. Er analysiert und seziert die Gegenstände seiner Betrachtung, nimmt sie auseinander und fügt sie wieder zusammen. Menschen, die von der griechischen Logik geprägt sind, sind es gewohnt, Baupläne zu erstellen und eindeutige Antworten zu geben.

Im semitischen Denken geht man völlig anders vor. Eine Sache, die ich beschreiben möchte, behandle ich dabei viel eher wie einen unbekannten dunklen Raum.

In diesen Raum stelle ich nun - sagen wir - eine Taschenlampe hinein. Sie wirft einen winzigen Lichtkegel und lässt mich einen kleinen Ausschnitt dieses Raumes - und das meist auch nur schemenhaft - erkennen. Für sich genommen reicht dieser Spot absolut nicht aus, um eine auch nur annähernd verlässliche Aussage zu machen.

Wenn ich jetzt aber mehrere Lampen platziere, dann wird mit jedem Lichtkegel ein weiteres Detail des Raumes sichtbar. Und wenn ich dann alle diese Spots zusammennehme, dann lassen sie mich diesen Raum, zwar nicht in allen Einzelheiten erfassen, sie vermitteln mir aber eine Ahnung über seine Beschaffenheit.

Dies ist ein schönes Bild, mit dem sich auch Flechsigs "Kulturelle Orientierungen" beschreiben lassen. Diese Orientierungen sind wie Spots die uns den letztlich unergründlichen kulturellen Raum ein wenig erschließen, von ganz ferne erahnen lassen. Und sie vermitteln uns ein ungefähres Bild davon, wo etwa ein Mensch sich in diesem kulturellen Raum befindet oder gerade bewegt.

Auf den folgenden Seiten sollen solch unterschiedliche kulturellen Orientierungen in Anlehnung an Karl-Heinz Flechsig näher beschrieben werden.

Weiter-Button Zurück-Button Literatur

Debrah Falk, Kulturelle Orientierungen bei Karl-Heinz Flechsig (München 2013)