Interkulturelle Kompetenz

Herausforderung für unsere Gesellschaft


Weiter-Button Zurück-Button Verhältnis zur Lebensführung

Greift man ein, wenn etwas nicht in Ordnung, ist oder erduldet man eher, was gerade vor sich geht?

Ganz eng mit dem Verhältnis, das Menschen zur Herrschaft haben, hängt zusammen, was Karl-Heinz Flechsig etwas sperrig mit "Einstellung zur Lebensführung" bezeichnet. Ein kleines Erlebnis aus Ägypten mag dies verdeutlichen.

Ägypten im Ramadan

Diese Begebenheit beginnt am Kontroll­häuschen von Deir el Bahri, das man auf nebenstehendem Bild am Ende der Straße sehen kann. Und sie fand statt im November 2001.

Ich war dort mit einer deutschen Reisegruppe in Theben-West, gegen­über der ägyptischen Stadt Luxor.

Und - alle, die schon einmal dort gewesen sind, werden es wissen - man kauft dort am Morgen an einem zentralen Eintrittskartenschalter alle Tickets für den ganzen Tag. Und meistens kauft man viel zu viel, weil man ja möglichst viele der Sehenswürdigkeiten an diesem einen Tag, den man zur Verfügung hat, besuchen möchte. Die letzte auf unserer Liste war nun dieser Tempel der Hatschepsut, an dem wir kurz vor halb fünf ankamen. Die Eintrittskarten wurden abgerissen, wir gingen die Straße entlang und waren gerade am Eingang zum innersten Bereich angelangt, als uns das Wachpersonal entgegenkam und erklärte, es sei Ramadan und da schließe die Anlage eine Stunde früher als üblich. Das Entsetzen war groß. Wir hatten noch nicht einmal einen Blick hineinwerfen können. Aber ordentlich wie Deutsche nun einmal sind - wenn das so geregelt ist! Wir drehten, innerlich grollend, äußerst unzufrieden, aber absolut gehorsam auf der Treppe um und gingen dem Ausgang entgegen - als der Bus kam, der mit der französischen Reisegruppe.

"faire la révolution"

Der Bus hielt, die französische Reisegruppe stieg aus, zeigte die Eintrittskarten, die wurden abgerissen, die Gruppe betrat das Gelände und ein Wachmann trat ihr entgegen und bedeutete, dass wegen Ramadan früher geschlossen würde. Das war eine französische Reisegruppe! Aus etwa der Perspektive, aus der ich Jahre später dieses Bild gemacht habe, konnte ich die kleine Revolution miterleben. "Achtung, gleich zünden sie das Kassenhaus an", sagte ich zu meiner Begleitung. Haben sie nicht getan - aber es hat nicht viel gefehlt und sie hätten das Kontrollhäuschen umgeworfen.

Ergebnis war, dass der jüngste Wachmann mit allen wieder nach oben musste und der Tempel noch einmal geöffnet wurde. Auch unsere Gruppe war auf diese Weise noch einmal in den Genuss gekommen, die Anlage zu besichtigen. Aber nur deshalb, weil sich die andere Gruppe die Behandlung nicht hat gefallen lassen.

Greife ich ein, wenn etwas nicht in Ordnung ist, oder erdulde ich, was gerade vor sich geht? Die Art und Weise, wie ich in diesem Horizont agiere, liefert eine weitere Koordinate, um meine kulturelle Orientierung besser beschreiben zu können.

Dr. Jörg Sieger

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