Interkulturelle Kompetenz

Herausforderung für unsere Gesellschaft


Weiter-Button Zurück-Button Es sind unsere Grenzen

Von Grenzen und Nationen

Einerseits engen Grenzen ein und bilden beinahe unüberwindliche Hindernisse, vor allem, wenn einem selbst das Überschreiten verwehrt ist. Von daher erleben wir in Mitteleuropa die Möglichkeit innerhalb des sogenannten "Schengen-Raumes" nahezu ungehindert reisen zu können, als großartige Errungenschaft. Grenzen sind vielerorts nicht einmal mehr sichtbar.

Landkarte

Afrika - politische Grenzen

Lizenz: TUBS, Africa, administrative divisions - de - colored,
Beschriftung entfernt von Jörg Sieger, CC BY-SA 3.0

Andererseits haben Menschen in den zurückliegenden Jahrhunderten oft lange für "ihre" Grenzen kämpfen müssen. Deutschland beispielsweise - ganz anders als Frankreich - bildete vor allem ab dem 17. Jahrhundert einen Flickenteppich kleiner und kleinster Staaten und konnte erst Ende des 19. Jahrhunderts einen wirklichen Nationalstaat gründen. Italien ging es ganz ähnlich.

Vor allem seit dem 19. Jahrhundert bekam die Vorstellung, dass zu einer Nation auch ein einheitlicher Staat gehört, eine solch beherrschende Bedeutung, dass der damit verbundene Nationalismus ganze Weltenbrände entfachen konnte.

Afrikanische Grenzen

Zur gleichen Zeit ordneten die europäischen Kolonialmächte die Grenzen der Welt nach ihrem Gutdünken neu und teilten die Länder anderer Kontinente untereinander auf. Dabei spielten lediglich die eigenen Machtverhältnisse und politische wie wirtschaftliche Interessen eine Rolle und die Landkarte von Afrika lässt bis heute nachvollziehen, dass viele dieser Grenzen am grünen Tisch einfach mit dem Lineal gezogen wurden.

Dass in den jeweiligen Regionen ganz unterschiedliche Bevölkerungsgruppen lebten und leben, spielte bei der Grenzziehung keine Rolle. So gibt es kaum einen wirklichen Nationalstaat in Afrika. Jedes einzelne Staatengebilde war von vorneherein eine multikulturelle Gesellschaft und Spannungen bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen waren letztlich vorprogrammiert.

Landkarte

Afrika - politische Grenzen

Afrika entsprechend der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen -
nachgezeichnet entsprechend einer Karte
von George Peter Murdock (1959) -

© Jörg Sieger

Nebenstehende Karte vermittelt einen Eindruck davon, wie Afrika eigentlich aussehen müsste, wenn sich die Grenzen an der Bevölkerungsstruktur orientieren würden. So aber sind die unterschiedlichsten Kulturen, teilweise ursprünglich verfeindete Stämme und Gruppen, in jeweils einem Staatswesen vereinigt worden. Dass es immer wieder zu blutigen Zusammenstößen bis hin zu langwierigen Bürgerkriegen kommt, war vielerorts eigentlich von Anfang an absehbar.

Vielerorts in Afrika wüten augenblicklich solche Bürgerkriege. Wenn es sich dabei um Regionen handelt, die für Europa und die sogenannte westliche Welt wirtschaftlich uninteressant sind, finden sie nahezu unbemerkt statt. Die Menschen in Afrika sind sich selbst überlassen worden. Sie kämpfen dabei auch mit den Grenzen, die nicht die ihren sind. Sie leiden bis heute unter den Folgen einer unverantwortlichen Politik der europäischen Großmächte. Denn letztlich sind es nicht ihre, es sind unsere Grenzen, mit denen sie jetzt leben müssen. Und viele Flüchtlinge aus Bürgerkriegsregionen in diesen Ländern sind deshalb mittelbar auch Opfer unserer europäischen Politik, für die wir im wahrsten Sinne des Wortes Verantwortung haben.

Ein Blick in den Nahen Osten

Was hier für Afrika gilt, stimmt unter veränderten Vorzeichen auch für die Staaten des Vorderen Orients. Auch sie sind von Grenzen geprägt, die europäische Kolonialmächte zu verantworten haben. Die Situation wird verschärft durch die Problematik zwischen Israelis und Palästinensern, bei deren Entstehen die Kolonialmacht Großbritannien eine ebenfalls fragwürdige Rolle spielte. All die Spannungen und Auseinandersetzungen, die es in der Folge gab und gibt, sind aufgrund der immer noch reichen Ölvorkommen allerdings seit jeher Gegenstand des besonderen Interesses der Weltöffentlichkeit.

Unabhängig davon müssen wir uns klar machen, dass es aufgrund dieser geschichtlichen Zusammenhänge in aller Regel auch für die Menschen in diesen Ländern wenig emotionale Bindung bezüglich der Grenzen ihrer Staaten gibt. Die Staatengebilde Jordanien, Libanon oder Syrien sind Ergebnisse europäischer Politik. Die Menschen dort haben über Jahrhunderte hinweg gelernt in Clans, Stämmen und vor allem in Familienzusammengehörigkeiten zu denken. Sie haben eine große Liebe zu ihrer Heimat. Das bedeutet aber nicht, dass sie sehr viel mit dem Staatswesen verbindet, das ihnen letztlich als Erbe der einstigen Kolonialherren hinterlassen wurde. Dies wird in vielen westlich geprägten Betrachtungen der Zusammenhänge häufig übersehen.

Dr. Jörg Sieger

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