Interkulturelle Kompetenz

Herausforderung für unsere Gesellschaft


Weiter-Button Zurück-Button Verhältnis zur Umwelt

Um Karl-Heinz Flechsigs Idee der "Kulturellen Orientierungen" eines Menschen näher zu kommen, müssen wir uns diese Koordinaten für den Standpunkt eines Menschen im kulturellen Raum nur genauer anschauen. Beginnen wir mit dem Verhältnis eines Menschen zur Umwelt.

Maschinengerechte Natur

Zurechtgeschobene Terrassenanlage

"Badische Zeitung", Samstag, 15. August 2009
Bildunterschrift: "Die Flurneuordnung am Schelinger Kirchberg
gilt auch bei Umweltschützern als gelungen."

© Benjamin Bohn
Mit Dank an die "Badische Zeitung" und Herrn Bürgermeister Bohn, Vogtsburg

Große Diskussionen gab es in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als in der strukturschwachen Region des Kaiserstuhls die Pläne zu einer Flurbereinigung umgesetzt wurden. Die Rebhänge, die zuvor in kleine Terrassen zergliedert waren, wurden mithilfe großer Maschinen abgetragen und dabei der ganze Berg neu modelliert. Ich selbst kann mich noch an die Bilder, die damals durch die Presse gingen und den Eindruck einer Mondlandschaft vermittelten, erinnern.

Für die Menschen in dieser Region waren diese Arbeiten mehr als ein einschneidendes Ereignis. Verließen noch im 20. Jahrhundert mehr und mehr Menschen ihre Heimatdörfer, boten die neu gewonnen Möglichkeiten für den Weinbau neue Perspektiven.

Und nachdem man aus vielen Fehlern und deren nachteiligen Auswirkungen auf die Umwelt offenbar gelernt hatte, betrachten neuerdings selbst Umweltschützer Nachfolgeprojekte aus jüngerer Zeit als gelungen. ⋅1⋅

Das aber setzt voraus, dass ich das Bewusstsein habe, mit der Umwelt auf diese Art und Weise auch umgehen zu dürfen. Diese Einstellung ist jedoch nicht überall auf der Welt gegeben.

Das gute Glas Wein ...

Dies wurde mir erstmals sehr deutlich bewusst, als wir Besuch hatten:

Der Bruchsaler Perukreis hatte den Pfarrer seiner Partnergemeinden auf den Anden, Padre Gabriel, eingeladen und ihm eine Reise nach Deutschland ermöglicht. Man traf sich an einem schönen Sommerabend im Garten des Pfarrhauses und begrüßte den weitgereisten Gast mit einem guten Glas Wein - einem teuren Wein! Umso größer war die Verwunderung - das Entsetzen! - dass Padre Gabriel, nachdem man sich zugeprostet hatte, den Inhalt des Glases komplett auf die Erde schüttete: den guten Wein!

Für Europäer unverständlich, für einen Menschen aus den Anden eine Selbstverständlichkeit, dass der erste Schluck der Pachamama, der Mutter Erde, gebührt.

In Peru ist die Verbindung mit der Natur bei der andinen Bevölkerung noch so ausgeprägt, dass das Bewusstsein, von der Erde abhängig und auf sie angewiesen zu sein, um ein Vielfaches stärker ist als bei uns.

Auch mehrere Jahrhunderte Christentum haben nichts daran geändert, dass in weiten Teilen der traditionellen Bevölkerung die Apus, die Berge, als Gottheiten und die Pachamama als Muttergottheit verehrt werden. Und der Pago a la Pachamama, bei dem der Mutter Erde rituelle Opfer dargebracht werden, ist auch heute selbst bei offiziellen Anlässen nicht wegzudenken.

Für Menschen, die in diesem Umfeld groß geworden sind, ist es ein Unding, die Natur maschinengerecht zu machen. Hier macht man Maschinen umweltgerecht und passt sie den natürlichen Gegebenheiten an.

Für Menschen aus den Anden ist es deshalb auch völlig unbegreiflich, wie amerikanische Konzerne auf der Suche nach den letzten Bodenschätzen ganze Berge abtragen und andernorts regelrechte Quecksilberseen hinterlassen.

Einflüsse der Religionen

Wie stark solche Prägungen durch Religion beeinflusst sind, wird am Beispiel der Verehrung der Pachamama bereits deutlich. Auch die europäische Art und Weise des Umgangs mit der Umwelt hat allerdings ihre Wurzeln in religiösen Vorstellungen.

Die Bibel legte großen Wert darauf, sich von den Religionen der Umwelt und ihren magischen und mythischen Praktiken abzugrenzen. Schon beim Bericht über die Schöpfung wird die Welt deshalb gleichsam entzaubert. Sonne und Mond, die in den Kulturen der Nachbarvölker als Gottheiten verehrt werden, sind im biblischen Schöpfungsbericht lediglich große "Leuchten" und der Erde wird jeglicher göttliche Charakter abgesprochen. Ihr wird reine Dienstfunktion zugesprochen und der Mensch gleichsam zum Herrscher über die Welt bestellt. Der in der Lutherübersetzung sprichwörtlich gewordene Auftrag Gottes an den Menschen, sich die Erde untertan zu machen ⋅2⋅ hat in der Folge dann das Bewusstsein jener Menschen, die von der Bibel geprägt sind, so beeinflusst, dass man ohne Scheu Regenwald rodet, um Ackerboden zu erlangen, und Berge zurechtschiebt, um Weinterassen anlegen zu können.

Berpanorama

Links im Bild der Apu Ausangate, mit einer Höhe von 6384 m vierthöchster Berg Perus

Lizenz: © Elisabeth Rieger
Mit herzlichem Dank an Elisabeth Rieger und den Perukreis Bruchsal

Weltmeister in Sachen Umweltschutz

An dieser Stelle sei lediglich erwähnt, dass der nüchterne Blick auf andere kulturelle Prägungen im Verhältnis mit Natur und Umwelt häufig vorschnelle Urteile relativiert.

Deutschland gefällt sich ja meist in der Vorstellung, so etwas wie Weltmeister in Sachen Umweltschutz zu sein. Seit einigen Jahrzehnten hat sich das Thema "Bewahrung der Schöpfung" in allen gesellschaftlichen Kreisen - und nicht zuletzt im religiösen Umfeld - neu Bahn gebrochen. Die schon sprichwörtlich gewordene "Mülltrennung" ist etwas, was vielen Neuankömmlingen in Deutschland mit als Erstes ins Auge sticht.

Auf der anderen Seite sind es aber häufig Impulse aus Deutschland, die darauf bedacht sind, Abgaswerte nicht zu eng zu begrenzen, um der heimischen Autoindustrie keine übermäßigen Hindernisse in den Weg zu legen. Und wenn es darum geht, mobil zu sein, genießt für die meisten Deutschen die Frage der Reduzierung von Luftverschmutzung - angefangen bei der Bildung von Fahrgemeinschaften bis zur Vermeidung von Flugreisen - nicht die höchste Priorität. Bereits im Verhältnis zur Umwelt wird eine Diskrepanz zwischen Selbstwahrnehmung und Wirklichkeit recht deutlich. Auch wenn wir für uns selbst reklamieren, dass die Umwelt bei uns einen hohen Stellenwert einnimmt, so sieht es - bei genauerem Hinsehen - in vielen Bereichen doch sehr viel differenzierter aus; ganz abgesehen davon, dass für einen Menschen aus den Anden unser Umgang mit dem Kaiserstuhl nicht einmal vorstellbar wäre.

Dr. Jörg Sieger

Weiter-Button Zurück-Button Anmerkungen

1 Vgl. zum Beispiel das "Infoblatt Flutbereinigung im Kaiserstuhl" des Klett-Verlages = https://www.klett.de/alias/1006208 (abgerufen am 12.5.2016) und den Bericht der Badischen Zeitung vom 15. August 2009 = http://www.badische-zeitung.de/vogtsburg/rheingefluester-winzer-und-umweltschuetzer-auf-einer-linie--18343784.html (abgerufen am 12.5.2016). Zur Anmerkung Button

2 "Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht." (Genesis / 1. Buch Mose 1,28 - Übersetzung nach Martin Luther). Zur Anmerkung Button