Interkulturelle Kompetenz
Herausforderung für unsere Gesellschaft
Vision vom Miteinander der Völker und Religionen
"An diesem Tag wird Ägypten sein wie Frauen; und es wird zittern und es wird beben vor dem Schwingen der Hand Jahwes Zebaots, die er schwingt gegen es. Und es wird sein das Land Juda für Ägypten zum Schrecken; sooft man es erwähnt gegenüber ihm wird es erschrecken vor dem Plan Jahwes Zebaots, den er über es beschließt. An diesem Tag werden fünf Städte im Land Ägypten in der Sprache Kannaans reden und Jahwe Zebaot schwören. Ir-Cheres (korrigiert: "Sonnenstadt") wird eine heißen. An diesem Tag wird ein Altar für Jahwe in der Mitte des Landes Ägypten sein und ein Malstein an der Grenze für Jahwe. Er wird sein zum Zeichen und zum Zeugnis für Jahwe Zebaot im Land Ägypten. Wenn sie schreien zu Jahwe wegen der Unterdrücker, dann wird er ihnen einen Heilbringer senden und er wird streiten und sie erretten. Und Jahwe wird sich Ägypten zu erkennen geben und Ägypten wird Jahwe erkennen an diesem Tag. Und sie werden mit Schlachtopfern und Speiseopfern dienen. Und sie werden Gelübde geloben für Jahwe und sie erfüllen. Und schlagen wird Jahwe Ägypten, (ein) Schlagen und (ein) Heilen und sie werden sich zu Jahwe kehren und er wird sich von ihnen erbitten lassen und sie heilen. An diesem Tag wird es eine Straße von Ägypten nach Assur geben und Assur wird kommen nach Ägypten und Ägypten nach Assur. Und Ägypten wird mit Assur dienen. An diesem Tag wird Israel der Dritte sein zu Ägypten und zu Assur, ein Segen inmitten der Erde, wovon gilt Jahwe segnete es, indem er sprach: Gesegnet sei mein Volk Ägypten und das Werk meiner Hände Assur und mein Erbbesitz Israel."
Jesaja 19,16-25
Im 19. Kapitel des Jesajabuches findet sich ein weithin kaum beachteter Text, der aber bei genauerem Hinsehen von ungeheurer Tragweite ist. Und das Wort "ungeheuer" ist in diesem Zusammenhang sogar im wahrsten Sinne des Wortes zu verstehen. Denn manchen, vor allem "frommen" Christen dürfte das, was diesem Abschnitt aus dem Prophetenbuch entnommen werden kann, wahrlich nicht geheuer sein.
Zum Hintergrund
Das 19. Kapitel des Jesajabuches in der
Jesajarolle aus Qumran (Spalte 15 und 16)
Lizenz: Photographs by Ardon Bar Hama,
author of original document is unknown.,
Great Isaiah Scroll, Auschnitt erstellt von Jörg Sieger, CC0 1.0
Der Prophet, auf den sich das gleichnamige Buch zurückführt, wirkte im achten vorchristlichen Jahrhundert.
Der hier zugrundeliegende Abschnitt scheint aber ein Zusatz aus späterer Zeit zu sein. Mit großer Wahrscheinlichkeit entstand er in persischer Zeit, also in der Epoche zwischen dem sechsten und vierten Jahrhundert vor Christus. Genauere Angaben lassen sich aus dem kurzen Abschnitt aber nicht entnehmen.
Die Endredaktion des Jesajabuches hat diese Verse offenbar aufgrund thematischer Überlegungen an dieser Stelle in den Text eingefügt. ⋅1⋅
Im 19. Kapitel geht es nämlich um Ägypten. Seitenweise wettert der Prophet gegen die Feinde Israels, gegen all diejenigen, die das Volk in der Vergangenheit mit Füßen getreten haben. Ihnen wird das Gericht Gottes angedroht.
Nachdem nun über sechs Kapitel bereits die verschiedensten Völker abgehandelt wurden, wird im Verlauf dieses Abschnittes davon gesprochen, wie Gott Ägypten bestrafen und der einstige Widersacher Israels am Boden liegen wird.
In den letzten Versen des Kapitels vollzieht sich aber nun eine interessante Wende. In fünf orakelhaften Sprüchen wird nun, ausgehend von Ägypten, eine regelrechte Vision entfaltet.
Ägypten - God's own country
Ägyptische Grenzstele bei
Tuna el Gebel (31. Juli 2007)
Foto: Jörg Sieger
Es beginnt damit, dass die Ägypter, die für Israel immer in einem Atemzug mit der Erfahrung der Sklaverei genannt werden, vor Schrecken erstarren. Der einstige Unterdrücker ist nun selbst der Gewalt so wehrlos ausgeliefert, dass man seine Lage fast nur mit der Situation von Frauen vergleichen kann, die durch all die Jahrhunderte hindurch immer wieder voller Hilflosigkeit die vollen Schrecken des Krieges durchlitten. Und das einst mächtige Ägypten zittert nun bereits, wenn nur der Name "Juda" erwähnt wird.
Genau in dieser Situation aber beginnen "fünf Städte in Ägypten die Sprache Kanaans zu sprechen" (Jesaja 19,18). Hier geht es nicht darum, dass Ägypter plötzlich ihre Begeisterung für Fremdsprachen entdeckt hätten. In einer anderen Sprache verehrte man eine andere Gottheit. Den Kult eines Gottes konnte man damals selbstredend nur in der diesem Kult eigenen Kultsprache vollziehen. Wenn in Ägypten in der Sprache Kanaans gesprochen und beim Herrn der Heere geschworen wird, dann bedeutet dies nichts anderes, als dass man in Ägypten plötzlich damit beginnt, Jahwe, den Gott der Bibel, zu verehren.
Und es geht noch weiter: Mitten in Ägypten wird ein Altar für Jahwe errichtet und Malsteine an den Grenzen verkünden jedem Fremden, der sich dem Land nähert, dass er nun das Land Ägypten, den Herrschaftsbereich des Gottes Jahwes, betritt (Jesaja 19,19). Denn das muss man zur damaligen Zeit immer mitbedenken: Staaten und Völker sind nie nur Staaten und Völker. Sie stehen in der Antike auch immer für den Herrschaftsbereich von jeweiligen Gottheiten. Jedes der alten Reiche hat seine eigene Staatsreligion, ist immer Herrschaftsgebiet je eigener Götter.
Die Stelen an den Grenzen verkünden nun jedem, dass Ägypten Territorium Jahwes geworden ist.
Für jüdische Ohren der damaligen Zeit, musste das völlig absurd, ja wie eine Ungeheuerlichkeit klingen. Spätestens seit der Reform unter König Joschija im ausgehenden siebten Jahrhundert vor Christus, gab es nur noch einen einzigen Altar für Jahwe und der stand im Tempel von Jerusalem. Und am Ende der Zeiten - so stellte man es sich in Israel vor - würden alle Völker der Erde genau dort hinkommen und mit Israel zusammen Gott auf dem Zion anbeten. So wie es ganz ähnlich - nur unter anderen Vorzeichen natürlich - die Christen hofften und hoffen: dass sich am Ende nämlich alle zum Christentum bekehren und - am besten den Papst an der Spitze - Gott entgegenmarschieren würden.
Aber mitten in Ägypten - nicht auf dem Zion und ohne Vermittlung Israels - beginnt man plötzlich, Gott zu erkennen und ihn zu verehren. Israel würde da sagen: Ist doch ganz unmöglich, die müssen doch zuerst zu uns kommen. Und die Christen würden sagen: Geht doch gar nicht, die müssen doch zuerst getauft werden. Und dann muss das Ganze ja auch noch kirchenrechtlich abgesichert sein...
Die biblische Vision aber kümmert sich wenig um solche Einwände.
Der Text der Bibel fährt nun fort: "Wenn sie" - die Ägypter - "beim Herrn gegen ihre Unterdrücker Klage erheben, wird er ihnen einen Retter schicken, der für sie kämpft und sie befreit." (Jesaja 19,20)
Da wird Ägypten eine Rettergestalt verheißen, ein regelrechter Heilsbringer. Die Ägypter haben ohne Zutun Israels Gott nicht nur auf ihre ganz eigene Weise erkannt und zu verehren begonnen, hier wird darüber hinaus unmissverständlich deutlich gemacht, dass Gott dies honoriert. Er nimmt sich der Ägypter an.
Die Jesajarolle aus Qumran
Lizenz: Photographs by Ardon Bar Hama, author of original document is unknown., Great Isaiah Scroll,
als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Die Todfeinde versöhnen sich
Noch einmal wird betont, dass Ägypten sich nach dem Gottesgericht bekehrt (Jesaja 19,22). Dann aber fährt der Text fort: "An jenem Tag wird eine Straße von Ägypten nach" - nein nicht nach Israel -, "nach Assur führen, so dass die Assyrer nach Ägypten und die Ägypter nach Assur ziehen können" (Jesaja 19,23). Die Todfeinde versöhnen sich und das ganz ohne Vermittlung des auserwählten Volkes.
Und dann kommt das für viele letztlich unvorstellbare: "Und Ägypten wird zusammen mit Assur (dem Herrn) dienen" (Jesaja 19,23). Unabhängig vom Judentum, unabhängig vom Christentum - die anderen Völker, die ehemaligen Feinde, erkennen den Herrn und verehren ihn auf ihre Weise.
Das muss man hören auf dem Hintergrund all der Vorstellungen, die sich Menschen normalerweise von Gott und von den Religionen machen. Da kommen die beiden Feindvölker über alle Grenzen von Nation und Religion zum Glauben an den einen Gott und verehren ihn ganz einfach auf ihre Weise - und Gott ist das recht!
Und dann setzt der Prophet sogar noch einmal eins drauf: "An jenem Tag wird Israel" - nicht als erster - "als drittes dem Bund von Ägypten und Assur beitreten, zum Segen für die ganze Erde" (Jesaja 19,24). Das auserwählte Volk stößt als letztes dazu!
Und wenn wir das Ganze in die heutige Zeit übertragen, steht plötzlich die Frage im Raum, wann die alleinseligmachende Kirche begreifen würde, was der Herr da unter den Völkern wirkt, wann wir uns aufraffen würden, solch einem weltumspannenden Friedensbund die Hand zu reichen.
Und beim abschließenden Satz, habe ich mich, schon seit ich die Stelle kenne, gefragt, warum nicht bereits die Theologen Alt-Israels diesen Teil aus der Bibel gestrichen haben. Eigentlich unvorstellbar, was Gott hier durch den Text der Bibel den Menschen sagen lässt: "Denn der Herr der Heere wird sie segnen und sagen: Gesegnet ist Ägypten, mein Volk," - nicht mein Volk Israel: mein Volk Ägypten! - "und Assur", "gesegnet ist Assur, das Werk meiner Hände," "und Israel," - ganz am Ende - "Israel mein Erbbesitz" (Jesaja 19,25).
Gottes Vision von Zukunft
Frieden!
Sonnenuntergang am Nil in Luxor (7. März 2005)
Foto: Jörg Sieger
Frieden unter den Menschen. Frieden zwischen den Religionen - Nirgendwo auf der Welt sind wir weiter davon entfernt als dort, wo die drei großen monotheistischen Religionen aufeinandertreffen: im Heiligen Land.
Wie soll es auch Frieden geben, wenn ein auserwähltes Volk, ein alleinseligmachendes Christentum und ein alleingültiger Islam an ein und demselben Ort aufeinanderprallen? Denn wo Religionen und religiöse Überzeugungen aufeinandertreffen, gibt es bekanntlich kaum Kompromisse. Entweder hat die eine recht oder die andere. Beides geht ja wohl schlecht - es kann doch nur eine geben, nur eine wahre Religion - und weil das eben so ist, deshalb kann es auch kaum Frieden geben, weder in Palästina noch sonst irgendwo, wo religiöse Überzeugungen zusammenprallen.
So scheint es zumindest zu sein und so denken es wir Menschen. Aber denkt Gott auch so? Jesaja 19,16-25 lässt eine andere Vorstellung Gottes vom Miteinander der Völker und Religionen erahnen. Daraus erwächst eine universale Heilsbotschaft, eine Friedensbotschaft, wie ich sie nirgendwo sonst bisher gefunden habe.
Die Bibel selbst zeichnet ein völlig unorthodoxes Bild eines weltumspannenden Friedens. Und dieses Bild, in dem jeder auf seine Weise zu ein und demselben Gott findet, muss auf dem Hintergrund dreier Weltreligionen, die letztlich ein und denselben Gott verehren, aufhorchen lassen.
In der biblischen Vision des 19. Kapitels des Jesajabuches sind diesem Gott am Ende die drei Völker, die mehr oder minder unabhängig voneinander zu ihm gefunden haben, gleich lieb und teuer: sein Volk, Werk seiner Hände und sein Erbbesitz. Alle Rechthaberei, alle Streitigkeiten, wer denn jetzt Gott richtig erkannt und recht verehrt habe, scheinen hier in den Augen Gottes nichtig und klein.
Vision von Frieden - einem Frieden, wie er allein auf diesem Weg im Nahen Osten zu erlangen sein dürfte - wie er allein auf diesem Weg zwischen den Religionen möglich sein dürfte.
Und eine Vision, die Grundlage für einen wirklichen Dialog zwischen den Religionen sein kann: Wenn wir in den Dialog mit Menschen anderen Glaubens treten, dann müssen wir uns immer vor Augen halten, dass wir mit Menschen reden, die Gott als Werk seiner Hände betrachtet. Wenn wir mit anderen Nationen und anderen Völkern verkehren, dann müssen wir uns bewusst machen, dass es sich auch hier um Völker handelt, zu denen Gott "mein Volk" sagt.
Und mühen wir uns darum, dies bald zu erkennen, damit wir diesem endzeitlichen, vorbehaltlosen und partnerschaftlichen Bund des Friedens nicht als allerletzte beitreten, oder ihn gar verschlafen und mit Scheuklappen vor den Augen unbeteiligt daneben stehen bleiben. Mühen wir uns darum, dass wir diesen Friedensbund initiieren helfen.
Wenn wir das fertig bringen, dann kann Friede werden: Friede im Heiligen Land, Friede bei uns und Frieden auf Erden.
Dr. Jörg Sieger
Anmerkungen