Interkulturelle Kompetenz

Herausforderung für unsere Gesellschaft


Weiter-Button Zurück-Button Was ist deutsche Kultur?

Man spricht einfach von "unserer deutschen Kultur" und glaubt zu wissen, was das ist. Wer aber versucht, genauer zu beschreiben, was diese Kultur letztlich ausmacht, steht ganz schnell vor nicht geringen Schwierigkeiten. Vor allem wenn auch noch der Versuch unternommen wird, so etwas wie eine "deutsche Leitkultur" zu definieren. Dann bekommt ein solches Unterfangen sehr schnell etwas Gezwungenes, wenn nicht gar komische Züge.

Wie funktioniert Deutschland?

Nicht umsonst eignet sich das Thema "deutsche Kultur" so glänzend für Kabarett und Comedy. Torsten Sträter beispielsweise hat dazu einen ausgesprochen treffenden Beitrag verfasst. Er demonstriert, wie er seinem syrischen Freund Salih die Frage "Wie funktioniert Deutschland?" beantwortet und reiht dabei Klischee an Klischee:

Torsten Sträter, Porträt

Torsten Sträter,
Auftritt beim Wettbewerb Prix Pantheon 2013, Bonn

Lizenz: PantheonBonn,
Torsten Sträter, Prix Pantheon Preisträger 2013,
CC BY-SA 3.0

"Ach ja, der Deutsche ist sehr pünktlich! Ausnahmen: die Deutsche Bahn und Handwerker. Man weiß nicht warum. Vielleicht kommen die Handwerker mit der Bahn, vielleicht warten Lokführer auf 'nen Handwerker - ist ein Teufelskreis." ⋅1⋅

Und auch beim Sprechen vom "Volk der Dichter und Denker" bleibt bei ihm nur wenig Erhabenes. Torsten Sträter:

"Auch ein relevantes Thema: Trotz großen Denkern wie Schopenhauer und Schiller lauten die populärsten Aussprüche der Deutschen wie folgt:
'Wir schaffen das!',
'Da bin ich ganz bei Ihnen!',
'Draußen gibts nur Kännchen!',
'Das ist hier kein Fahrradweg!' und
'Normal müsste das halten!'" ⋅2⋅

Ihre Wirkung entfalten solche Sätze, weil jeder und jedem sofort eine Fülle entsprechender Situationen einfallen, die unterstreichen, dass es sich dabei tatsächlich um ganz typische Äußerungen handelt. Die Komik rührt letztlich daher, dass alle sehr deutlich spüren, dass damit eben noch lange nicht beschrieben ist, "wie Deutschland wirklich funktioniert". Andererseits wird entlarvt, dass nicht einmal eine so klassische Kategorie wie die vielbeschworene "Pünktlichkeit" dazu geeignet ist, exakt zu umschreiben, was eine Deutsche oder ein Deutscher zu sein jetzt wirklich ausmacht. Das Wort von einer "deutschen Kultur" ist eben leichter ausgesprochen als gefüllt.

Wann bin ich eigentlich Deutscher?

Trachtenkapelle

Trachten- und Schützenzug
am ersten Oktoberfestsonntag
München 2013

Lizenz: Usien,
010 Trachtenumzug Almrausch-
stammtisch
, CC BY-SA 3.0

Letztlich ist diese Kultur ebenso unterschiedlich und vielfältig wie die Menschen in Deutschland vielfältig und unterschiedlich sind.

Ich fühle mich beispiels­weise als Deutscher, ohne mich auch nur im Geringsten für Schützen­vereine, Fußball oder das Oktober­fest zu interes­sieren.

Jetzt könnte man einwenden, dass Deutsche und Deutscher zu sein eben von Generation zu Generation weitergegeben wird. Wenn man damit aber meint, dass das, was diese Kultur ausmacht, gleichsam "vererbt" wird, dann ist dies eine falsche Schlussfolgerung. Dies zeigt nicht zuletzt der Zuzug der sogenannten "Spätaussiedler" in den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Bei diesen Menschen handelte es sich ja durchweg um deutsche Staatsbürger. Wenn schon damit eine bestimmte Kultur verbunden wäre, hätte es, kulturell betrachtet, ja kaum Schwierigkeiten geben dürfen. Letztlich aber trafen hier sehr unterschiedliche Kulturen aufeinander - mit all den großen und kleinen Spannungen und Missverständnissen, die dies stets mit sich bringt.

Mit dem entsprechenden Abstand

Um der eigenen kulturellen Identität näher zu kommen, ist es manchmal hilfreich, darauf zu schauen, wie man von anderen beschrieben wird. Was Fremde über "die Deutschen" sagen, kann da und dort hilfreich sein. Oftmals sieht man Gemeinsamkeiten und das sogenannte "Typische" mit etwas Abstand klarer.

Andererseits bewegen sich solche Aussagen viel zu oft im Bereich von Klischee und Vorurteil. Hier begegnet man einer Fülle von Stereotypen, die wieder ganz eigene Gefahren in sich bergen.

Mehr als Grundgesetz, deutsche Sprache, Pünktlichkeit und Mülltrennung

Hilfreich kann letztlich eine Art "Kulturerkundung" sein, bei der man zunächst einmal einfach aufmerksam wahrnimmt, was es um einen herum eigentlich alles gibt und wie vielfältig sich schon meine eigene Umgebung gestaltet. Und wenn man dieser Wahrnehmung dann Eindrücke von anderen Kulturen, anderen Gegenden und Ländern gegenüberstellt, schärft sich möglicherweise der Blick für das, was den kulturellen Raum ausmacht, in dem ich lebe.

Zunächst einmal geht es demnach beim Verstehen von Kulturen - wie so oft - zuallererst um ein besseres Verständnis seiner selbst und dessen, was mich und meine Umwelt ausmacht. Erst wenn ich die ganze Vielfalt und Komplexität der Zusammenhänge erahne, in denen allein ich stehe, kann ich mich wirklich daran machen, andere Menschen und andere Kulturen verstehen zu wollen.

Und erst, wenn ich begreife, dass "deutsche Kultur" weit mehr und komplexer ist, als Grundgesetz, deutsche Sprache, Pünktlichkeit und Mülltrennung, kann ich versuchen, anderen einen Weg zum Verständnis dieser Zusammenhänge zu bahnen.

Dass im Normalfall Hineinwachsen in neue kulturelle Zusammenhänge und Umgebungen allerdings weit weniger akademisch und verkopft vor sich geht, als es hier jetzt den Anschein hat, steht auf einem ganz anderen Blatt. Torsten Sträter zumindest macht auch das auf seine ganz eigene Art mit einem Augenzwinkern deutlich.

"Ich sah ihm nachdenklich nach. Irgendwann wird er sich hoffentlich hier heimisch fühlen. Mitten auf der Straße blieb Salih plötzlich stehen und brüllte: 'Das ist hier kein Fahrradweg!'
'Wir schaffen das!' dachte ich…" ⋅3⋅

Dr. Jörg Sieger

Weiter-Button Zurück-Button Anmerkungen

1 Torsten Sträter, Der dreckige Mann von der 2. Etage = https://www.youtube.com/watch?v=lZNVCJaZlUc (abgerufen am 14.1.2017). Herzlichen Dank Torsten Sträter und der Agentur Susanne Buhr für die freundliche Genehmigung zur Verwendung der Textsequenzen. Zur Anmerkung Button

2 Torsten Sträter, Der dreckige Mann von der 2. Etage = https://www.youtube.com/watch?v=lZNVCJaZlUc (abgerufen am 14.1.2017). Herzlichen Dank Torsten Sträter und der Agentur Susanne Buhr für die freundliche Genehmigung zur Verwendung der Textsequenzen. Zur Anmerkung Button

3 Torsten Sträter, Der dreckige Mann von der 2. Etage = https://www.youtube.com/watch?v=lZNVCJaZlUc (abgerufen am 14.1.2017). Herzlichen Dank Torsten Sträter und der Agentur Susanne Buhr für die freundliche Genehmigung zur Verwendung der Textsequenzen. Zur Anmerkung Button