Interkulturelle Kompetenz

Herausforderung für unsere Gesellschaft


Weiter-Button Zurück-Button Ursachenzuschreibung

Habe ich die Dinge selber in der Hand und kann sie demnach auch entscheidend beeinflussen? Hängt meine Zukunft von mir ab oder liegt sie einfach in der Hand Gottes? Ist alles Zufall, gottgewollt, Schicksal und deshalb auch nicht zu beeinflussen? Und lohnt es sich überhaupt, sich in dieser Welt zu engagieren oder ist es nicht viel sinnvoller, sich aus der Welt zurückzuziehen oder gar vor ihr zu fliehen? Vielleicht, weil ich aus religiösen Gründen auf ein anderes, ein besseres Jenseits ausgerichtet bin?

Aber warum beschäftigt man sich mit all diesen Fragen überhaupt? Wieso möchte man etwas über diese Zusammenhänge erfahren? Hilft das wirklich, um andere Menschen besser zu verstehen? Und wenn ich die kulturelle Orientierung eines anderen Menschen kenne, kann ich dann irgendwelche Fettnäpfchen vermeiden? Oder muss ich gar um all diese kulturellen Orientierungen nur wissen, um eine optimale Kommunikation gleichsam herstellen zu können?

Herr Krolls Geschichtsstunde

Je nachdem, wie Sie diese Frage beantworten, verrät dies schon wieder etwas über Ihre eigene kulturelle Orientierung. Das macht das Beispiel von Herrn Kroll aus der folgenden Begebenheit deutlich:

"Herr Kroll meinte nach seiner Geschichtsstunde zu seinen ägyptischen Schülerinnen: "Nächste Stunde werden wir die Französische Revolution durchnehmen und dazu werde ich euch Kopien zu den wichtigsten Daten austeilen!" Die ägypti­schen Schülerinnen bestanden jedoch tadelnd auf ein "Inscha Allah". Herr Kroll verstand sie nicht. Er hatte doch schon alles für die nächste Stunde durchdacht und das Material vorbereitet. Seiner Meinung nach konnte nichts mehr dazwischen kommen!" ⋅1⋅

"In schā' allāh" - So Gott will!

Dieser kurze Absatz aus dem Handbuch von Alexander Thomas, der hier Ägypten und seine kulturellen Besonderheiten in den Blick nimmt, lässt uns die nächste Koordinate erkennen, die im Zusammenhang kultureller Orientierung wichtig ist.

Habe ich wirklich alles in der Hand? Kann ich den Ausgang einer Sache allein durch meine gute Vorbereitung gleichsam vorherbestimmen? Wie ist das mit Ursache und Wirkung? Kann ich die Dinge wirklich entscheidend beeinflussen? Hängt meine Zukunft von mir ab oder liegt sie einfach in der Hand Gottes? Ist alles Zufall, gottgewollt, Schicksal und deshalb auch nicht zu beeinflussen? Und lohnt es sich dann überhaupt, sich in dieser Welt zu engagieren oder ist es nicht viel sinnvoller, sich aus der Welt zurückzuziehen oder gar vor ihr zu fliehen? Vielleicht, weil ich aus religiösen Gründen auf ein anderes, ein besseres Jenseits ausgerichtet bin? Je nachdem, wie ich diese Frage beantworte, wird mein Handeln ganz unterschiedlich aussehen.

Die kulturelle Orientierung mit dem Titel "Ursachenzuschreibung" oder auch "Weltgestaltung" berührt sich dabei ganz stark mit den Kategorien von Wettbewerb und Leistung. Es sind ganz ähnliche Fragen, die hier eine Rolle spielen.

Bei beiden Koordinaten spielen nicht zuletzt religiöse Fragestellungen eine ganz große Rolle: Gibt es einen Gott, der Regeln vorgibt, mein Leben in der Hand hält und an dem ich mich zu orientieren habe? Ist das Leben mit dem Tod zu Ende? Fängt es wieder von vorne an? Kommt etwas ganz Neues und vielleicht noch sehr viel Besseres?

Gerade letztere Fragestellung hat letztlich auch ganz entscheidende Auswirkungen auf meine Einstellung zur Zeit. Die Rolle, die die Zukunft für meine Planung spielt, hängt ganz stark damit zusammen, was ich von der Zukunft erwarte.

An diesem Beispiel wird sehr schön deutlich, wie eng die einzelnen kulturellen Orientierungen miteinander vernetzt sind, zusammenhängen und einander bedingen. Es geht nicht um Kategorien, die einfach nebeneinander stehen. All diese Aussagen über die kulturelle Orientierung eines Menschen bilden vielmehr ein großes Netz. Oder besser gesagt - um das Bild vom Anfang zu gebrauchen -, sie sind wie Lichtkegel, die aus den unterschiedlichsten Richtungen einen dunklen Raum ausleuchten helfen. Es geht einfach um unterschiedliche Aspekte ein und desselben Raumes. Und bei vielen kleinen Lichtkegeln erhellen alle zusammengenommen den Raum so, dass man seine Konturen erahnen kann.

Dies lässt schon erahnen, dass es in allem, was mit Kultur und kulturellen Prägungen zu tun hat, nie einfache Antworten geben kann. Man muss immer noch einmal ganz genau hinschauen, bevor man Urteile fällt, bewertet oder gar abwertet bzw. verurteilt. Und jedwede Generalisierungen sind immer mehr falsch als sie richtig sind.

Dr. Jörg Sieger

Weiter-Button Zurück-Button Anmerkung

1 Zitiert nach: Alexander Thomas, Stefan Kammhuber, Sylvia Schroll-Machl (Hersg.), Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation - Band 2: Länder, Kulturen und interkulturelle Berufstätigkeit (Göttingen 2. Auflage 2007) 213. Zur Anmerkung Button