Interkulturelle Kompetenz

Herausforderung für unsere Gesellschaft


Weiter-Button Zurück-Button Gottes Flüchtlinge finden Platz

hebräischer Bibeltext

"Und Juda nahm Gaza und sein Gebiet ein und Aschkelon und sein Gebiet und Ekron und sein Gebiet. Und Jahwe war mit Juda und er nahm das Bergland in Besitz, denn nicht waren in Besitz zu nehmen die Bewohner der Ebene, denn ihnen waren eiserne Streitwagen."
Richter 1,18-19

Was soll man von einem Gott halten, der in den Krieg zieht? Was soll das für ein Gott sein, von dem die Bibel berichtet, dass er sich an die Spitze der Israeliten stellt, Stadt um Stadt erobern hilft und die einheimische Bevölkerung vertreiben oder gar hinschlachten lässt?

Ein Gott als Kriegsherr?

Viele Menschen wenden sich gerade wegen solcher Berichte vom Gott der Bibel ab. Und sie hätten allen Grund dafür, wenn es tatsächlich so wäre, wenn Gott hier wirklich für historisch so stattgefundene Schlachten Verantwortung hätte. Die Schilderung vom kriegerischen Eroberungszug Israels ist aber kein historischer Bericht.

So haben archäologische Untersuchungen ergeben, dass Jericho beispielsweise schon längst in Trümmern lag, als die israelitischen Stämme sich im Land niederließen. Die Zerstörung der Stadt gehört in eine schon damals bereits weit zurückliegende Epoche der Geschichte. Davon, dass die Einwanderer Jericho in einer spektakulären Schlacht erobert hätten, kann, historisch betrachtet, nicht die Rede sein. ⋅1⋅

Das biblische Josuabuch ist kein Geschichtsbuch. In ihm schreiben Theologen mehrere hundert Jahre nach den Ereignissen. Ihre Absicht ist nicht die Schilderung der historischen Zusammenhänge, sondern die theologische Deutung des Geschehens.

Letztlich geht es den Autoren des Buches Josua darum zu zeigen, dass das Land nicht einfach erobertes Gebiet ist, in dem Israel Rechte des Siegers hat. Es ist "Erbe Jahwes", "Land Jahwes". Kein Stamm, keine Sippe darf besondere Ansprüche erheben. Das Land ist Gottes gute Gabe an das ganze Volk. ⋅2⋅

Wer dann aber nach den historischen Ereignissen fragt, findet einen wichtigen Hinweis im Richterbuch.

Gott kann die Städte nicht einnehmen ...

Im ersten Kapitel des Richterbuches hat sich einer der ältesten Texte der Bibel erhalten. Hier wird deutlich, was beim Einzug der ehemaligen Halbnomadengruppen in das Land Kanaan historisch tatsächlich geschehen ist. Die Inbesitznahme des Landes wird dort letztlich ganz anders geschildert: Gott war mit Juda und nahm das Bergland in Besitz. In den fruchtbaren Ebenen, in denen sich die großen kanaanäischen Städte befanden, konnte er allerdings nichts ausrichten, weil deren Bewohner über eiserne Streitwagen verfügten.

Historisch betrachtet gab es demnach kaum größere kriegerische Auseinandersetzungen. Die neu ankommenden Gruppen ließen sich dort nieder, wo noch niemand war: im dünn besiedelten Bergland etwa. Sie nahmen die Bereiche in Besitz, die von den gutsituierten Kulturlandbewohnern schon lange nicht mehr oder noch nie wirklich genutzt worden waren.

Das heißt aber letztlich auch, dass Gott - in der Schilderung der Bibel - diese Menschen einerseits dorthin führt, wo sie eine Perspektive haben, andererseits aber auch dafür sorgt, dass sie einen Platz erhalten, an dem Neuankömmlinge und Alteingesessene gut nebeneinander existieren können.

Das entspringt keinem Flyer von Multi-Kulti-Anhängern - das ist biblische Botschaft.

Linien bis in die Gegenwart hinein

Von diesen Texten lassen sich Linien bis in die Gegenwart hinein ziehen: Keiner der kanaanäischen Stadtstaaten wäre wohl begeistert gewesen, hätte man ihm die Frage gestellt, ob sich ehemalige Halbnomadenstämme in seiner Nachbarschaft niederlassen können. Die Bewohner des Kulturlandes wurden nicht gefragt. Sie wurden plötzlich mit den anströmenden Menschenmassen konfrontiert - Menschen, die neuen Lebensraum suchten, weil sie in ihrer Heimat nicht mehr genug zum Überleben fanden.

Was bedeutet diese biblische Botschaft für die heutige Zuwanderung von Fremden? Was würde das denn für das Miteinander in modernen Gesellschaften bedeuten? Wo kann ich für heute festmachen, dass so etwas nicht zwangsläufig wachsende Konkurrenz bedeutet, dass hier Bereiche neu belebt oder gar erstmals mit Leben gefüllt werden können, die bislang einfach nur brach gelegen sind?

Die nach Kanaan eingewanderten Hebräer vertrieben die Bewohner der Städte nicht. Sie siedelten im Bergland, sie siedelten einfach daneben...

Aber natürlich beschnitten sie auch die finanziellen und wirtschaftlichen Ressourcen der bestehenden Kultur - daran gibt es nichts zu deuteln. Nur kümmert das den Gott der Bibel offenbar wenig. Der Verlust an Überfluss und übermäßigem Reichtum ruft ihn nicht auf den Plan. Der Gott der Bibel ist Anwalt der Schwachen. Und so steht er, nach biblischer Darstellung, beständig auf der Seite dieser Neuankömmlinge. Denn - so haben es später die Propheten ausgeführt - Gott will nicht zuerst schöne Gottesdienste, große liturgische Feiern und rituelle Opfer. Dieser Gott steht zuallererst für die Forderung, dass alle Menschen ihr Auskommen haben, dass alle versorgt sind.

Und dort, wo Menschen nicht genau darauf achten, dass dies auch wirklich der Fall ist, dort greift nach biblischer Überlieferung dieser Gott - und da und dort durchaus schmerzhaft spürbar, aber auf jeden Fall - korrigierend ein.

Dr. Jörg Sieger

Weiter-Button Zurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Annemarie Ohler, Grundwissen Altes Testament (Stuttgart 1987) II/15-18. Zur Anmerkung Button

2 Ausführlich dargestellt werden diese Zusammenhänge unter http://www.joerg-sieger.de/einleit/zentral/02gott/zent_e2.htm und dort im Abschnitt "Schwierige Aussagen über Gott" - "Gott als Kriegsherr". Zur Anmerkung Button