Interkulturelle Kompetenz
Herausforderung für unsere Gesellschaft
Interkulturelle Kompetenz
"Die Fähigkeit, effektiv mit Menschen, die über andere kulturelle Hintergründe verfügen, umzugehen und zusammenzuarbeiten, wobei die Effektivität auf beiden Seiten als solche empfunden werden sollte, wird mit interkultureller Kompetenz beschrieben." ⋅1⋅
So definiert eines der Institute, die augenblicklich in der interkulturellen Trainerausbildung tätig sind, den Begriff interkulturelle Kompetenz. Schon an diesem einen Satz wird deutlich, wo die meisten Überlegungen im Blick auf Befähigung in interkulturellen Zusammenhängen ihren Ursprung haben. Seit Mitte des letzten Jahrhunderts hat vor allem die Wirtschaft erfasst, dass es ohne entsprechende Informationen und Schulungen nicht funktioniert, wenn man geschäftliche Unternehmungen in Gegenden angehen möchte, die kulturell völlig anders geprägt sind.
Wirtschaftliche Interessen
Im Blick auf Wirtschaftsbeziehungen mit fernöstlichen Staaten ist dies offensichtlich. Aber auch Länder, die uns scheinbar ganz nah sind, unterscheiden sich häufig in vielen Gepflogenheiten.
Lizenz: Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay
Es gibt beispielsweise wenige Staaten, die über eine gemeinsame Grenze verfügen und deren Menschen so unterschiedlich "ticken", wie das für die Länder Deutschland und Frankreich gilt. Die Hälfte aller wirtschaftlichen Unternehmungen zwischen deutschen und französischen Firmen scheitern - und zwar allem voran an kulturell bedingten Differenzen.
Viele Unternehmen lassen ihre Manager deshalb diesbezüglich schulen und die meisten Institute, die auf diesem Feld unterwegs sind, haben sich dementsprechend auch den Erfordernissen der Wirtschaft angepasst - was auch schon mit dem Umstand zusammenhängt, dass in der Regel nur Firmen Honorare zu bezahlen imstande sind, die die Existenz solcher Institute überhaupt erst möglich machen.
Deshalb liegt der Fokus der meisten Schulungen und Publikationen in diesem Bereich auch auf der Frage nach der Effizienz. Es geht darum, wie ich mich in einer mir fremden Kultur wirtschaftlich so positioniere und wie ich dort am besten agiere, um eine entsprechende Unternehmung gewinnbringend zum Abschluss zu bringen.
Dies ist für Firmen das eigentliche Movens, sich mit interkulturellen Fragestellungen auseinanderzusetzen.
Begegnung auf Augenhöhe
Manche Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit beginnen mit einer ganz ähnlichen Motivation. Sie beschäftigen sich mit interkulturellen Fragestellungen, weil sie erfahren haben, wie schnell es zu Missverständnissen kommt, gut Gemeintes am Ende völiig daneben geht und sich dann bestenfalls noch Frustrationen in der Arbeit mit Geflüchteten einstellen. Sie möchten mögliche Fettnäpfchen vermeiden und ihre Arbeit so angehen, dass sie wirklich hilfreich ist. Schließlich will man den Flüchtlingen helfen und ihnen auch beibringen, worauf man bei uns zu achten hat, wenn man hier Fuß fassen möchte.
Was bedeutet Begegnung?
© Caritas
Ich selbst habe meine Ausbildung bei einem jener Institute absolviert, die ansonsten vor allem mit Firmen und im wirtschaftlichen Kontext arbeiten. Und ich habe dabei gespürt, wie schnell auch ich in genau diese Falle getappt bin. Im Rahmen dieser Ausbildung hatte ich unter anderem ein entsprechendes Seminarkonzept selbst zu erarbeiten. Dabei habe ich selbstredend versucht, ein Format zu entwickeln, das ich in der Arbeit mit Ehrenamtlichen später auch verwenden könnte. Als es dann daran ging, einen Titel zu finden, bin ich recht rasch - Menschen in meinem Alter erinnern sich noch an Eduard Zimmermann ⋅2⋅ - beim Ausdruck "Vorsicht Falle" hängen geblieben. Mit dem Zusatz "Vorsicht 'kulturelle' Falle" hatte ich einen durchaus griffigen Titel gefunden, der meines Erachtens ganz gut zum Ausdruck brachte, worum es in diesem Seminar gehen sollte.
Größere Schwierigkeiten machte mir der Untertitel. Ein erster Versuch lautete: "Flüchtlinge begleiten - aber effektiv!" Meine Ausbilder bestärkten mich und waren recht zufrieden damit. Ihnen war nichts Falsches aufgefallen. Ich war letztlich in genau der gleichen Spur geblieben, die interkulturelle Trainings im Bereich der Wirtschaft normalerweise verfolgen.
Und auch der ein oder andere Ehrenamtliche würde sich vermutlich wünschen, dass meine Veranstaltungen diese Blickrichtung hätten. Jüngst sagte mir ein Teilnehmer knapp anderthalb Stunden nach dem Beginn:
"Ich sitze hier jetzt schon fast zwei Stunden - wann endlich kommen Sie zum Punkt? Sie hätten bei ihrem ersten Titel bleiben sollen!"
Es gibt auch unter den Ehrenamtlichen einige, die vor allem nach Effizienz fragen. Niemand hat seine Zeit gestohlen. Es geht darum, dass man mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel erreichen möchte, darum, dass Flüchtlinge rasch integriert werden und wir das, was wir ihnen beizubringen haben, schnell und nachhaltig an den Mann oder die Frau bringen können.
Was im Bereich des Wirtschaftens aber richtig sein mag, bzw. woran wir uns dort zumindest gewöhnt haben, das ist im Blick auf die Begegnung zwischen Menschen - gelinde gesagt - zumindest fragwürdig. Sind wir wirklich diejenigen, die anderen etwas beizubringen haben, die wissen, wie es läuft und vor allem wie man es richtig macht?
Dragonervase aus der
Staatlichen Kunstsammlung Dresden
Foto: Jörg Sieger, 2006
Vor allem die Sache mit dem "richtig" scheint mir höchst problematisch zu sein. Gibt es hier denn wirklich ein "richtig" und ein "falsch"? Ich stelle immer mehr fest, dass Menschen Dinge einfach anders angehen. Und auch sie kommen zum Ziel. Manches ist einfacher, manches holpriger - ist es deswegen falsch? Ist bei uns alles Gold was glänzt?
Ich möchte ernst nehmen, dass sich Menschen aus verschiedenen Kulturen erst einmal ganz einfach begegnen. Und dann möchte ich die andere kennenlernen. Und ich hoffe, dass der andere auch das Interesse mitbringt, mich näher kennenzulernen.
Nur so kommt es schließlich überhaupt zu wirklicher Begegnung. Viel zu häufig erlebe ich, dass Menschen bei uns das Gefühl entwickeln, Subjekt zu sein. Für die Flüchtlinge und Neuankömmlinge bleibt dann aber nur noch die Rolle des Objektes. Das aber ist fatal. Das degradiert Menschen und beraubt sie letztlich ihrer Würde.
Wenn interkulturelle Begegnung gelingen soll, dann begegnen sich zwei Menschen auf Augenhöhe und sie interagieren miteinander und sie verändern sich in dieser Interaktion letztlich beide: Beide erweitern am Ende ihren Horizont.
Meinen Untertitel habe ich deshalb ganz schnell verändert. Der Begriff "effizient" musste dem Ausdruck "achtsam" weichen. Es heißt jetzt: "Flüchtlinge achtsam begleiten". Und dieses Wort "Achtsamkeit" wird mir immer wichtiger, beschreibt es doch, was es in der Begegnung mit Angehörigen anderer Kulturen letztlich wirklich braucht. Im Wörtchen "achtsam" steckt "auf etwas achten" drin. Das hat mit "beobachten" und "genau hinschauen" zu tun. Wenn ich Menschen aus einer fremden Kultur begegne, dann gilt es zunächst einmal, einfach genau hinzuschauen und wirklich wahrzunehmen - ohne zu werten und ohne gleich mit den Kategorien "richtig" und "falsch" zu hantieren.
"Achtsamkeit" hat darüber hinaus etwas mit "Vorsicht" zu tun. Das erinnert mich daran, dass man etwa mit einer kostbaren Porzellanvase "achtsam" umgehen muss, damit sie nicht zerbricht. Genauso ist es mit der Beziehung zu anderen Menschen. Wer hier mit dem Holzhammer kommt, läuft ganz schnell Gefahr, viel wertvolles Porzellan zu zerstören.
Die nächsten Seiten sollen dazu helfen, den Blick für einen achtsamen Umgang miteinander zu schärfen. Und vor allem erst einmal genau hinzuschauen - und das ohne zu bewerten. Es gibt zunächst einmal weder "richtig" noch "falsch". Zunächst einmal ist vieles ganz einfach nur "anders". Und meist gibt es sogar gute Gründe dafür.
Dr. Jörg Sieger
Anmerkungen