Interkulturelle Kompetenz

Herausforderung für unsere Gesellschaft


Weiter-Button Zurück-Button Alternativen zur Festung

Als der ungarische Premierminister Viktor Orbán im Jahr 2015 einen Grenzzaun bauen ließ, gab es einen medialen Aufschrei. Das Novum dabei war allerdings nicht der Zaun. Neu war lediglich, dass er innerhalb der Grenzen der Europäischen Union errichtet wurde. An den Außengrenzen sind Zäune nämlich schon seit langem unübersehbare Realität.

Festung Europa

Grenzzaun bei Melilla

Grenzzaun bei Melilla, August 2008

Lizenz: Ongayo, Verjamelilla (CC BY-SA 4.0)

Die spanischen Enklaven Melilla und Ceuta sind schon seit Jahren mit modernsten Grenzzäunen gesichert. Und Abkommen mit dem Ziel, Flüchtlinge vom Überqueren der Grenzen zur Europäischen Union fernzuhalten, wie jenes, das im Jahr 2015 mit der Türkei geschlossen wurde, sind ebenfalls kein Novum. Dem libyschen "Revolutionsführer" Muammar al-Gaddafi wurde unter anderem deshalb von den europäischen Regierungen so Vieles nachgesehen, weil er über Jahrzehnte hinweg dafür garantierte, dass afrikanische Flüchtlinge am Überqueren des Mittelmeeres gehindert wurden.

Um unseren Wohlstand zu sichern igeln wir uns ein und bauen Europa kontinuierlich zu einer Festung aus, die die heranstürmenden Massen fernhalten soll.

Das wird nicht funktionieren!

Der Druck im Kessel steigt

In der Geschichte der Menschheit hat noch keine Befestigung auf Dauer Bestand gehabt. Wenn der Druck zu groß geworden ist, wurde noch jede Bastion überrannt.

Eines der besten Beispiele hierfür ist die Französische Revolution. Damals lebten in Frankreich Menschen aufgrund ihrer Geburt gleichsam in einer anderen Welt. Königin Marie-Antoinette wird nachgesagt - zu ihrer Ehrenrettung sei angemerkt, dass sie diesen Satz nie wirklich gesagt hat -, dass sie auf der Fahrt durch Paris ihre Begleitung gefragt habe, warum die Menschen am Straßenrand denn so verzweifelt dreinschauten. Auf die Antwort,

"Majestät, sie haben kein Brot mehr!",

habe die Königin erwidert:

"Und warum essen sie dann keinen Kuchen?"

Die hier zum Ausdruck gebrachte Naivität und das Unvermögen, sich überhaupt vorstellen zu können, wie es Menschen jenseits der eigenen Standesgrenzen geht, finden ihre Parallelen in der Gegenwart. Wer aufgewachsen ist wie die Nachkriegs­generationen in der Bundesrepublik Deutschland, hat den Bezug zur Realität, die in weiten Teilen dieser Welt herrscht, häufig völlig verloren. Eine Teilnehmerin bei einem Diskussionsabend fragte sich, womit sie es eigentlich verdient habe, hier zu leben und nicht in irgendeiner Region, in der Krieg oder Hunger herrsche. Darauf erwiderte eine andere Frau:

"Das ist ganz einfach: Weil ich hier geboren bin! Dies ist mein Land. Und Ich will, dass dieses Land so bleibt. Andere sollen sich um ihre Länder kümmern. Das geht mich nichts an!"

Wir werden rasch lernen müssen, dass uns dies sehr wohl etwas angeht. Zum einen, weil wir die Zustände und die Perspektivlosigkeit in den ärmsten Ländern dieser Erde zu einem guten Teil mitverursacht haben und verursachen - und zum anderen, weil die Begründung von Privilegien einfach aufgrund der Geburt sich in der Geschichte schon mehrfach böse gerächt hat. Das Schicksal des französischen Hochadels während der Französischen Revolution gibt beredtes Zeugnis davon.

Wir können uns eigentlich noch glücklich schätzen, wenn Menschen aus anderen Ländern an unsere Türen klopfen und uns um Hilfe bitten. Eigentlich ist es schon längst überfällig, dass sich die Massen auf den Weg machen, um sich den ihnen zustehenden Teil vom Kuchen zu holen.

Moralisch betrachtet hätten sie alles Recht der Welt dazu.

Wirklich wirksame Maßnahmen

Zäune werden das nicht halten. Um dies wirklich zu verhindern, braucht es ein rasches Umdenken und genauso ein schnelles und effektives Handeln.

  • Menschen brauchen dort, wo sie leben, eine Perspektive. Dazu ist es notwendig, dass sie eine Arbeit finden, von deren Entlohnung sie auch wirklich leben können. Es braucht dafür gesetzliche und international anerkannte Vorgaben. Konzerne sind keine Wohlfahrtseinrichtungen, die dies von sich aus auf den Weg bringen werden. Wirtschaft und Handel müssen international reguliert werden.
  • Das Denken in Nationalstaaten muss überwunden werden. Nichts ist in einer Welt, die letztlich zu einem großen Dorf zusammengeschrumpft ist, anachronistischer als die Frage nach nationaler Identität und Größe. Wo die eigenen Interessen vor die aller anderen gestellt werden, ist das Ringen um eine gedeihliche Zukunft von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Die jüngsten Entwicklungen stimmen hier allerdings alles andere als hoffnungsvoll. Der Unterschied zwischen "Deutschland, Deutschland über alles" und "America first!" ist hoffentlich größer als er klingt.
  • Last not least: Die Kluft zwischen Arm und Reich muss geschlossen werden. Schon jetzt ist die Schieflage unübersehbar. Und die Ressourcen sind nicht vorhanden, um alle Menschen dieser Erde auf das Niveau der wirklich Vermögenden zu heben. Das aber macht bereits deutlich, dass es nur funktionieren wird, wenn die Wohlhabenderen bereit sind, in größerem Umfang Verzicht zu leisten und abzugeben.

Ob Menschen freiwillig dazu bereit sein werden, ob dies in den nächsten Jahren wirklich in Angriff genommen wird und die drohende Katastrophe abgewendet werden kann, darf - mit Recht? - bezweifelt werden.

Dialog der Religionen

Dabei wäre noch ein weiteres Umdenken erforderlich. Es betrifft vor allem diejenigen, die davon überzeugt sind, dass unsere Zeit von einem "Kampf der Kulturen" geprägt sei. Dies läuft bereits vom Wort her auf einen Kampf der Religionen hinaus. In unserem Wort Kultur steckt schließlich der lateinische Begriff "cultus". Und "cultus" meint zunächst einmal den Gottesdienst und damit die Religion. Nicht von ungefähr sind viele kulturelle Prägungen letztlich auch religiöse Prägungen.

Religionen erheben aber in aller Regel einen Alleingültigkeitsanspruch. Wo mehrere Religionen aufeinander­prallen, sind Konflikte deshalb auch meist schon vorprogrammiert.

Die Geschichte von Juden und Christen in unserem Land ist dafür nur ein Beispiel. Wer sich diese Geschichte wirklich anschaut, wird kaum ohne rot zu werden vom christlich-jüdischen Abendland sprechen. Dieses Abendland ist nämlich nicht geprägt von einer gemeinsamen christlich-jüdischen Geschichte, sondern von einer stets latenten und immer wieder brutal offenen Anfeindung der Juden in Europa.

Das Zusammenrücken der Menschen in dieser unumkehrbar globalisierten Welt führt nun eine Vielzahl von Religionen zusammen. Die multikulturelle Gesellschaft ist immer auch eine multireligiöse Gesellschaft mit all dem Konfliktpotential das unterschiedliche Religionen mit sich bringen.

Solche Konflikte finden sich übrigens auch in scheinbar monoreligiös christlichen Gesellschaften. Die vielen Spielarten des Christlichen machen durch die Geschichte hindurch zur Genüge deutlich, dass christliche Nächstenliebe spätestens an den Grenzen der Konfessionen Halt macht.

Von daher ist der Hinweis von Hans Küng ausgesprochen wichtig. Der Dialog der Religionen ist ein entscheidendes Zukunftsthema. Frieden zwischen den Völkern mit ihren unterschiedlichen Kulturen ist ohne einen Frieden zwischen den Religionen - und die derzeitigen politischen Entwicklungen beweisen das in ihrer blutigen Realität - nicht möglich. Ohne Religionsfrieden können kein Weltfrieden und kein friedliches Zusammenleben gelingen.

Religionsfriede aber ist ohne Religionsdialog nicht möglich, Hans Küng formuliert es so:

"Kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen. Kein Dialog zwischen den Religionen ohne gemeinsame ethische Werte und Standards." ⋅1⋅

Das ist eine weitere Herausforderung für die nächsten Jahrzehnte.

Dr. Jörg Sieger

Weiter-Button Zurück-Button Anmerkungen

1 Hans Küng, Handbuch Welthethos (München 2012) 13. Zur Anmerkung Button