Interkulturelle Kompetenz

Herausforderung für unsere Gesellschaft


Weiter-Button Zurück-Button Sind drei Sprachen nicht genug?

Dies ist ein Beispiel für die Arbeit mit einem sogenannten "kritischen Ereignis". Auf diese Art und Weise kann man gut mit solchen und ähnlichen Vorfällen - auch aus der eigenen Arbeit vor Ort - zum Beispiel in einem Helferkreis in der Flüchtlingsarbeit arbeiten.

Zur Arbeit mit diesem Formular:

  1. Lesen Sie das "kritische Ereignis" und machen Sie sich ihre eigenen Gedanken über die möglichen Gründe.
  2. Blenden Sie die vorgegebenen Möglichkeiten ein und bewerten Sie dieselben mit 1-10.
  3. Blenden Sie die Bemerkungen zu den Möglichkeiten ein und vergleichen Sie die dort angegebene Bewertung mit Ihrem Ergebnis.

Wenn Sie das Formular mehrfach ausfüllen möchten und mit dem "Firefox"-Browser arbeiten, beachten Sie bitte, dass hier die Formulareinträge gespeichert werden. Sie müssen gegebenenfalls "Steuerung-Umschalt-R" ("Control-Shift-R") drücken, um die vorherigen Einträge zu löschen.

Zunächst das "kritische Ereignis":

Die ehrenamtliche Koordinatorin eines Helferkreises im Südbadischen hatte sich alle Mühe gegeben. Die Flüchtlinge sollten den Ort besser kennenlernen und man hatte ein ausgiebiges Besichtigungsprogramm erarbeitet. Ein Professor aus der Schweiz hatte sich bereit erklärt, die Führung zu übernehmen. Am Sonntagnachmittag war der Rundgang durch den Ort geplant. Umso erschrockener war die Verantwortliche, als sie am Montag eine wütende Mail aus der Schweiz erreichte. Der Professor war nach halbstündiger Anreise überpünktlich am vereinbarten Ort. Von den dreißig angemeldeten Teilnehmern aber war kein einziger gekommen. Fast eine halbe Stunde hatte er gewartet, bevor er enttäuscht wieder zurückgefahren ist. "Ich habe meine Zeit auch nicht gestohlen!" schrieb er ihr und man konnte seine Verärgerung hinter den Zeilen erahnen. Wie stand die Helferin jetzt vor dem Professor da? Sie machte sich Vorwürfe. Dabei hatte sie doch alles Erdenkliche berücksichtigt. "Sie wollen doch sicher unseren Ort näher kennenlernen!" hatte Sie in der Unterkunft die einzelnen Bewohner ausdrücklich gefragt und jeder einzelne hatte "Ja" gesagt. Sie hatte die Namen der Interessenten alle notiert und sie hatte auch noch den Termin für die Ortsbesichtigung am schwarzen Brett auf Deutsch und Englisch ausgehängt. Einer der Bewohner hatte ihr sogar noch eine arabische Übersetzung angefertigt. Was hätte Sie denn sonst noch machen können? Waren drei Sprachen nicht genug?

Versuchen Sie sich zuerst in die Helferin hineinzudenken. Wie ist sie vorgegangen? Was mag in den Bewohnern der Unterkunft vorgegangen sein? Warum ist keiner gekommen? Hatten Sie ihr Interesse an der Führung nicht alle bekundet? Diskutieren Sie die möglichen Gründe - am besten in einer Gruppe - und halten Sie die Ergebnisse fest.

Einige mögliche Gründe finden Sie, wenn Sie auf untenstehendes Icon klicken. Haben Sie andere gefunden? Finden sich hier Möglichkeiten, auf die Sie nicht gekommen sind? Klicken Sie erneut, um die Einblendung wieder zu schließen.

Untersuchen Sie die folgenden Gründe für die Reaktion der jungen Frau. Stimmen Sie mit Ihren Ergebnissen überein?


Die Bewohner hatten den Termin einfach vergessen und den Aushang am Schwarzen Brett nicht wahrgenommen.

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Das kann natürlich sein. Nicht alle Menschen gehen mit Terminen so um, wie das bei uns üblich ist. Und darauf zu vertrauen, dass sich die Bewohner einer Gemeinschaftsunterkunft gegenseitig an Termine erinnern würden, entspricht wohl auch nicht wirklich der Realität. Häufig meint man bei uns: 'Die sind doch alle aus Syrien, die müssen sich doch untereinander austauschen; die sind doch eine Schicksalsgemeinschaft, die müssen doch zusammenhalten.' Das aber ist vielfach ein Trugschluss. Diese Menschen sind auf der Flucht. In den zurückliegenden Monaten haben viele zahlreiche schlechte Erfahrungen gemacht. Viele sind unterwegs übers Ohr gehauen und ausgeraubt worden - auch von Landsleuten. In vielen Herkunftsländern herrschen Kriege oder bürgerkriegsähnliche Zustände. Es gibt Parteiungen und Fehden. Das hat viele misstrauisch gemacht. So offen sich manche den ehrenamtlichen Helfern gegenüber zeigen, so verschlossen sind sie häufig Landsleuten gegenüber. Und selbst wenn das nicht der Fall ist: Stellen Sie sich ein Hotel in der Türkei vor und auf dem Stockwerk wohnen nur deutsche Familien. Wieviel reden Sie mit den anderen auf dem Stock, selbst wenn sie vierzehn Tage Tür an Tür miteinander leben?

Wahrscheinlichkeit im Bereich 2-5.


Die Antwort auf die Frage der Helferin, ob Sie denn Interesse an einem Rundgang hatten, war nicht wirklich ernst gemeint - zumindest nicht so, wie die Helferin es verstanden hatte.

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Das ist recht wahrscheinlich. In vielen Kulturkreisen gilt es als unhöflich, "nein" zu sagen. Man kommuniziert indirekt, umschreibt und hofft, dass der oder die jeweils andere aus meiner Antwort schließen kann, dass ich eigentlich gar kein Interesse habe. Auch bedeutet das Wort "Ja" in einem solchen Kontext nicht wirklich "Ich stimme Dir zu!". Vielfach bedeutet "Ja" nichts anderes, als "Ich habe Dich verstanden!"

Wahrscheinlichkeit im Bereich 7-10.


Der Professor hätte länger warten müssen. Eine halbe Stunde Verspätung war für die Bewohner wohl noch völlig normal.

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Das ist möglich, aber wohl kaum von hoher Wahrscheinlichkeit. Eine halbe Stunde ist zwar für viele Menschen aus anderen Kulturkreisen keine lange Zeit, es hätte aber durchaus sein können, dass auch nach einer Stunde niemand gekommen wäre.

Wahrscheinlichkeit im Bereich 1-3.


Drei Sprachen für einen Aushang sind wirklich zu wenig. Es hätte wenigstens noch ein Aushang auf Französisch erfolgen sollen.

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Das ist nicht wirklich wahrscheinlich. Zwar erreicht man mit drei Sprachen nicht alle möglichen Bewohner einer Gemeinschaftsunterkunft, aber auch fünf oder sechs Sprachen hätten wohl kein anderes Ergebnis zu Tage gefördert. Wir verkennen häufig, dass man in vielen Kulturen nicht wirklich liest. Man kann zwar lesen, aber man holt sich seine Informationen nicht dadurch, dass man ein Plakat oder eine Bekanntmachung studiert. Das gilt insbesondere für Diktaturen und totalitäre Regime. Dort sind die Menschen daran gewöhnt, dass öffentliche Aushänge nur die gefärbte Meinung der Machthabenden wiedergeben. Will man wirkliche Informationen haben, muss man eine vertrauenswürdige Person fragen. Solche Verhaltensweisen legt man nicht einfach von einem Tag auf den anderen ab. Sozialarbeiterinnen berichten immer wieder, dass Bewohner einer Gemeinschaftsunterkunft ihnen eine Frage stellen - und dabei stehen sie unmittelbar vor dem schwarzen Brett, an dem die Antwort auf genau diese Frage groß angeschlagen ist.

Wahrscheinlichkeit im Bereich 1-3.


Dass die Bewohner selbständig zu einem Sammelplatz kommen, hätte die Helferin nicht erwarten dürfen. Jeder einzelne hätte im Zimmer abgeholt werden müssen.

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Auch wenn wir der Auffassung sind, wenn wir Menschen zwei Mal persönlich im Zimmer abgeholt haben, dann müssten sie das dritte Mal doch von alleine zu einem vereinbarten Treffpunkt kommen können, kann ich das in vielen Fällen nicht wirklich voraussetzen. Enttäuschungen sind hier meist vorprogrammiert. Das hängt aber auch damit zusammen, dass man in vielen Kulturen vor allem beziehungsorientiert und nicht sachorientiert denkt und handelt: 'Wir gehen nicht zu einer Führung, sondern wir treffen uns mit einem Menschen, zu dem wir eine Beziehung haben'.

Wahrscheinlichkeit im Bereich 4-7.


Unter dem Angebot, den Ort kennenzulernen, hatten sich die Bewohner etwas ganz anderes vorgestellt. Die Führung durch einen Professor wollten sie nicht wirklich und waren deshalb einfach nicht gekommen.

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Die Führung durch einen Professor war gut gemeint, aber wohl nicht wirklich das, was die Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft gewollt haben. Vermutlich haben Sie viel weniger einen wissenschaftlichen Vortrag über die Geschichte des Ortes erwartet, als einen Spaziergang mit einem Menschen zusammen, den sie kennen und der ihnen wichtig war. Zu einem Rundgang mit der ehrenamtlichen Helferin wären sie vielleicht sogar eher gekommen, als zu einer Führung mit einem Menschen, den man nicht kannte und zu dem man auch keine Beziehung hatte.

Wahrscheinlichkeit im Bereich 7-10.


Versuchen Sie die unterschiedlichen Möglichkeiten zu gewichten. Wie wahrscheinlich ist es, dass die Führung aus einem dieser Gründe nicht zustande gekommen ist? Gewichten Sie die einzelnen Möglichkeiten auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 1 "ganz unwahrscheinlich" und 10 "höchst wahrscheinlich" bedeutet.

Sie können Ihre Ergebnisse in der obenstehenden Tabelle eintragen.

Ein paar Bemerkungen zu diesen Möglichkeiten finden Sie, nach Klick auf den untenstehenden Pfeil-Button. Sie Bemerkungen werden jeweils unter den einzelnen Möglichkeiten angezeigt. Sie finden dort auch eine Einschätzung der Wahrscheinlichkeit für dieses Verhalten. Sind Sie zu einem ähnlichen Schluss gekommen?
Klicken Sie erneut, um die Bemerkungen wieder auszublenden.

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