Interkulturelle Kompetenz

Herausforderung für unsere Gesellschaft


Weiter-Button Zurück-Button Verhältnis zum Wettbewerb

Welche Rolle spielt Kooperation und welchen Stellenwert haben Leistung und Wettbewerb?

Eine wichtige "Koordinate", um den Standpunkt eines Menschen im vieldimensionalen "kulturellen Raum" zu beschreiben, ist das Verhältnis zum Wettbewerb. Welche Rolle spielen Erfolg und Leistung in einer Gesellschaft?

Beispiel Sport

Es macht schließlich einen Unterschied, ob ich das Empfinden habe, als erster durchs Ziel zu kommen, ist ganz besonders wichtig oder ob es darum geht, dass alle gemeinsam die Ziellinie erreichen.

Beim Hürdenlauf wird bei uns - in einer stark von Leistung und Wettbewerb geprägten Gesellschaft - kaum jemand auf die Idee kommen, einem Mitbewerber, der an einer Hürde mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat, über das Hindernis hinweg zu helfen. Das könnte mich ja den eigenen Sieg kosten. Dieses Verhalten und die dahinter stehende Einstellung sind bei einem Wettlauf so selbstverständlich, dass alles andere bestenfalls Verwunderung, wenn nicht gar völliges Unverständnis hervorrufen würde.

Natürlich spielen auch im Leistungssport Teams eine Rolle. Sie dienen aber in aller Regel allein dem Ziel, den entsprechenden Leistungsträger auch wirklich an die Spitze zu bringen. Und auch im Mannschaftssport geht es darum, andere Mannschaften zu übertrumpfen.

Wirkliche Kooperation zwischen allen Beteiligten gibt es meist nur dort, wo Wettbewerb eine weniger dominante Rolle spielt.

Religiöse Einflüsse

Auch im Zusammenhang mit Wettbewerb und Leistung sind die Einflüsse von Religion nicht zu vernachlässigen. In Teilen des Protestantismus - insbesondere im Calvinismus - gelten bzw. galten Erfolg und Reichtum etwa als Zeichen dafür, dass Gottes Gnade auf einem Menschen ruht. Erfolglosigkeit war dann ein Indiz dafür, dass Gott einen Menschen für irgendwelche - selbst unbewusste - Schuld und Sünde bestrafen würde. Natürlich wollte niemand nach außen dokumentiert haben, dass er nicht unter der Gnade Gottes stehe oder gar ein Sünder sei, der für seine Schuld bestraft werde. Wer will auch schon gerne von den anderen als Sünder betrachtet werden. Dieser Zusammenhang beförderte das Streben nach Erfolg ungemein. In einem solchen Umfeld, gedieh Leistungsdenken selbstverständlich prächtig - in den Niederlanden beispielsweise hat dies entsprechende Spuren hinterlassen.

Weder Verlierer noch Gewinner

Flugzeuge am Terminal

Guangzhou International Airport (Baiyun) bei Nacht

Lizenz: 豆沙包 at Chinese Wikipedia,
广州老白云国际机场夜景3711711, CC BY-SA 3.0

Für jemanden, der im Umfeld eines solch ausgeprägten Leistungs­denkens groß geworden ist, muss das fernöst­liche Verlangen nach Harmonie völlig be­fremdlich wirken. Dass es in diesem Kontext weder Verlierer noch Gewinner geben darf, ist für einen vom Wett­bewerb geprägten Menschen schon beinahe unvorstellbar.

Umso bemerkenswerter ist, was der deutsche Manager Tom Ramoser in China erlebt hat: Er berichtet davon, wie sich auf einem Provinzflug­hafen die Menschen im Wartebereich drängten. Bereits zwei Maschinen nach Peking fehlten. Nach zwei Stunden des Wartens taucht dann doch ein Flugzeug auf. Selbstredend diskutieren die Passagiere lebhaft darüber, wessen Maschi­ne das jetzt sei. Wer kann endlich starten, wer muss weiter warten? Es gibt keine Lösung...

"Das ist der Moment, in dem ich mich am liebsten in eine stille Ecke zurückziehe. Effizienz ist hier kein primäres Ziel. Nach einer weiteren Stunde kommt dann die chinesische Lösung. Die Landeschweinwerfer seien defekt, heißt es. Das leere Flugzeug wird wieder weggeschoben. Es vergehen noch zwei Stunden. Dann kommt ein größeres Flugzeug, das uns alle mitnehmen kann. So ärgerlich dieser Zwischenfall auch war, ich bin um eine chinesische Weisheit reicher geworden. Es herrscht hier eine tiefe Überzeugung, dass alle die gleichen Vorteile haben sollen - und die gleichen Nachteile." ⋅1⋅

Dr. Jörg Sieger

Weiter-Button Zurück-Button Anmerkung

1 Tom Ramoser, Jiuzhaigon. In China darf keiner gewinnen und keiner verlieren, in: Zeitschrift "absatzwirtschaft / Medien & Kommunikation" vom 1.1.2005, 22-24; vgl. auch: Stefan Müller / Katja Gelbrich, Interkulturelle Kommunikation (München 2014) 133. Zur Anmerkung Button