Louis René de Rohan
Kardinal im Schatten der Französischen Revolution
im Schatten der Franz. Revolution
2. Von Attentätern und Propagandisten
- a. Offizier im königlichen Dienst
- b. Zwischen Rache und Mord
- c. Zwischen Straßburg und Ettenheim
- d. Unter Verdacht des Hochverrates
- e. Hochverratsprozess im Ettenheimer Oberamt
- f. Straßburg contra Ettenheim
- g. Attentat oder Propaganda
"den 1: te(n) august ist ein ßpion auß straßburg,
wo ihrer 10 mann haben zueßamen geschloße(n)
unßerem kardinal, und lants fürsten, auff dass
leben zue gehn, und um zue bringen, hart
auf der haubt wacht, arredirt, und doplet
geschloßen, ein mann von 30 Jahren, dißer
ist in das Zuchthauß gefanger, gefüert=
worten." ⋅1⋅
In Mahlberg meldete man am 5. August 1791 der Regierung in Karlsruhe:
"Zu Ettenheim ist ein Franzos gefänglich einge-
zogen worden, der sehr enge verwahrt wird, wel-
her nach seiner eigenen Bekanntniß in Verhör,
von Paris zu dem Ende abgesendet worden seyen
solle, um den Herrn Cardinal zu ermorten,
andern die er zu gewinnen gesucht, und ihm ver-
braulich eröfneten, daß sie gleiche Absicht heg-
ten, haben sein Vorhaben alsdann gehöriger
Orten angezeigt." ⋅2⋅
Diese Sätze halten einen Vorfall fest, der über Monate hinweg ein ganzes Heer von Beamten in Atem hielt, und die Prozessakten des Generallandesarchives in Karlsruhe berichten in aller Ausführlichkeit über diesen Fall. Doch je tiefer man versucht in den Fall des Franzosen Julian d'Espiard einzudringen, desto undurchsichtiger, rätselhafter wird er. Obschon endgültige Klarheit aus heutiger Sicht nicht mehr zu erlangen sein wird, soll in folgendem dennoch der Versuch gewagt werden, wenigstens annähernd zu erfassen, worum es an jenem 1. August 1791 ging. Dazu müssen wir weiter ausholen und zurückblicken auf den Anfang des Jahres 1766.
a. Offizier im königlichen Dienst
Zu Beginn des Jahres 1766 wurde in Sauliere in Burgund dem Edelmann d'Espiard ein Sohn geboren und am 9. Januar von einem katholischen Priester auf den Namen Julian getauft. Das Kind wuchs mit seinen Eltern und weiteren 9 Geschwistern in Liernois heran, wo die Familie ein Lehen bewirtschaftete. Zwar aus adeligem Haus, doch bei weitem nicht reich, kamen die 8 Söhne der Familie in königlich französischen Diensten unter.⋅3⋅ Julian, der viertjüngste, wurde in der königlichen Militärschule in La Fleche erzogen und erhielt von dort eine Pension über 200 Livres.⋅4⋅ Während der militärischen Unternehmungen Frankreichs in der Neuen Welt befand sich Julian d'Espiard in Amerika, wo er nach eigenen Angaben M. J. Motier Marquis de la Fayette und Alexander Comte de Lameth kennenlernte.⋅5⋅
Mehrere Jahre lang war er daraufhin Offizier im königlich französischen Regiment Bourbonnais. Am 10. Februar 1783 ernannte man ihn zum 'Unterlieutenant', und am 3. Juli 1787 erhielt er das vom König unterschriebene Anstellungspaten als 'Zweiter Lieutenant'.⋅6⋅
Nach Ausbruch der Unruhen in Paris folgte der junge Offizier seinem Regiment, das im Laufe der Entwicklung in Frankreich den Namen '13. Französisches Infanterie-Regiment' erhalten hatte, im Frühjahr 1791 nach Straßburg. Am 4. Mai kam er in der elsässichen Metropole an.⋅7⋅
Bis zu diesem Zeitpunkt können wir das Leben d'Espiards einigermaßen objektiv verfolgen; von diesem Datum an finden wir uns jedoch zwischen grundverschiedenen, felsenfest verankerten Behauptungen wieder, zwischen denen es keinen Ausgleich zu geben scheint. Lediglich die unterschiedlichen Positionen sind festzuhalten und Tendenzen, Möglichkeiten und Lösungsversuche aufzuzeigen.
b. Zwischen Rache und Mord
Anfang Mai beginnt die Person des Julian d'Espiard im Zwielicht der Spekulation unterzutauchen. Stimmt es, dass das Regiment selbst mehrmals den Wunsch äußerte, den Offizier los zu werden, wie uns die Municipalität in Straßburg glauben machen möchte?⋅8⋅ Oder trifft die Aussage d'Espiards zu, der vorgibt, in Straßburg seine Beziehungen ausgespielt und vom dortigen Bürgermeister eine bedeutende Aufgabe in Aussicht gestellt bekommen zu haben?⋅9⋅ Wie glaubwürdig sind seine Angaben über den 25jährigen damaligen Präsidenten des Straßburger Clubs, Caspar Noisette, der etwa zu jener Zeit auf der dortigen Kaufmannsstube 'Zum Spiegel' die 'Motion', dass man Rohan ermorden solle, gemacht und dafür allgemeinen Beifall erhalten haben soll?⋅10⋅ Wie glaubwürdig ist er, wenn er von einem Auftrag des Straßburger Maire spricht, nämlich. Streitereien mit der Nationalgarde zu beginnen, um sein Einverständnis mit der Municipalität so geheim als möglich zu halten?⋅11⋅
Sicher ist lediglich, dass Julian d'Espiard am 12. Mai 1791 tatsächlich Streit begann und im Straßburger Münster randalierte.⋅12⋅ Zeugen, die bei der Überführung aufgeboten wurden, waren, da der Delinquent geständig war, überflüssig. Am 17. Mai wurde er zu 48 Stunden Gefängnis verurteilt. Die Unkosten des Prozesses, wie auch der 100 Exemplare des Urteils, das in Deutsch und Französisch verfasst an den 'gewöhnlichen Orten' in der Stadt Straßburg ausgehängt wurde, musste der Angeklagte tragen.⋅13⋅
Bereits am 26. Juni erregte Julian d'Espiard durch 'aufrührische' und 'verächtliche' Reden gegen die Nation in der Öffentlichkeit erneut Aufsehen. Auf eine Verwarnung hin beschimpfte er die Nationalgarde und wiederholte dies am darauffolgenden Tag noch einmal.⋅14⋅ Nach erfolgter Anzeige erging am 11. Juli 1791 über Julian d'Espiard folgendes Urteil: Er wurde
"... in
achttägige Thurnstrafe und in die Kosten
verfället, auch beschloßen, daß die Pro-
cedur ohnverzäglich den Comissarien der
National Versamlung vorgelegt werden
solle." ⋅15⋅
Am 18. Juli 1791 wurde d'Espiard vom kommandierenden General Gelb suspendiert.⋅16⋅
Drei Tage vergingen zwischen der Entlassung d'Espiards aus der Haft am 19. Juli gegen 18 Uhr ⋅17⋅ und seiner endgültigen Demission als Offizier des 13. Französischen Infanterie Regiments am 22. des selben Monats.⋅18⋅ In diesem Zeitraum - so behauptet Julian d'Espiard -‚ am 21. Juli, soll er um 6 Uhr zu Dietrich gerufen worden sein und in der Wohnung des Bürgermeisters von Maire und Gemeindeprokurator den Auftrag erhalten haben, als Spion nach Ettenheim zu gehen, so viele Soldaten als möglich zur Desertion zu bewegen und den Kardinal bei guter Gelegenheit zu ermorden.⋅19⋅
c. Zwischen Straßburg und Ettenheim
Nachdem d'Espiard seine Habe verkauft und die Schulden bezahlt hatte,⋅20⋅ beantragte er als Bürger von Sauliere bzw. Liernois einen Pass, der am 22. Juli ausgestellt wurde und als Ziel Lyon angibt.⋅21⋅ Am gleichen Tag brach der ehemalige Offizier von Straßburg auf und folgte dem Weg, der ihm nach eigenen Angaben von der Municipalität vorgeschrieben worden sein soll nach Belfort, wohin er mit seinem Pass leicht gelangen konnte.⋅22⋅ Von dort aus war es bekanntermaßen leicht über Mömpelgart - trotz des ausdrücklichen Verbotes - ins Reich zu gelangen. Obschon dem ehemaligen Offizier zunächst der Weg nach Mömpelgart verwehrt wurde,⋅23⋅ gelang es ihm dennoch mit Hilfe eines Bekannten, des Zahnarztes Leveque, dem er in Belfort begegnete, den Ort zu erreichen,⋅24⋅ wo er einen Teil seines Reisegepäcks zurückließ und sich über Pruntrut in Richtung Freiburg begab.⋅25⋅ Fünf Stunden oberhalb der Zähringergründung traf er, nachdem er den bisherigen Weg vermutlich allein und zu Fuß zurückgelegt hatte, auf den 21jährigen Metzger Leonard Pfister aus Schaffhausen,⋅26⋅ der ihn von da an - obschon das Verhältnis beider anscheinend gewisser Spannungen nicht entbehrte - mehr oder minder ständig begleitete.
Pfister behauptete später, dass er sich beinahe von d'Espiard, der beständig betrunken gewesen sei, gelärmt, laufend unanständige Lieder gesungen und von Weibsleuten gesprochen habe, getrennt hätte,⋅27⋅ blieb jedoch in der Begleitung des sich sonst unverdächtig verhaltenden Franzosen, bis beide in Freiburg ankamen, wo Pfister, seinem Vorhaben getreu, als Metzger unterzukommen suchte und d'Espiard allein weiterzog.⋅28⋅ Da sich in Freiburg für den Eidgenossen jedoch keine Stelle fand, beschloss er nach Lahr weiterzureisen, wobei er bei Emmendingen erneut auf den ehemaligen französischen Offizier stieß, ohne sich jedoch weiter um diesen zu kümmern. Unterhalb Hecklingens - Pfister wurde von einem nach Lahr fahrenden Bauern mitgenommen - holte er den vorausgezogenen d'Espiard noch einmal ein, und dieser überredete den Bauern gegen ein 'Maas Wein', ihn ebenfalls mitzunehmen. Beide gelangten auf diese Weise, ohne viel miteinander zu sprechen, da d'Espiard nach Pfisters Angaben nichts anderes als 'ärgerliche Sachen' geredet habe, in die Nähe von Altdorf.⋅29⋅
Zu dieser Zeit scheint d'Espiard davon gesprochen zu haben, dass er sich in Worms unter die Emigrantentruppen anwerben lassen wolle, wobei ihn der Bauer anscheinend auf die Möglichkeit, dies in Ettenheim zu tun, hingewiesen hat.⋅30⋅ Auf jeden Fall setzte er sowohl Pfister als auch d'Espiard bei Altdorf ab, wo beide in der Folge dem Schneider Driquet ⋅31⋅ begegneten.⋅32⋅ Dieser erkundigte sich, als er bemerkte, dass die beiden Fremden vor seiner Wohnung Französisch sprachen, woher sie kämen. Im Laufe des sich entwickelnden Gespräches versuchte der ehemalige Offizier zu erfahren, ob in dieser Gegend wirklich ein Korps Truppen stehe, wer dasselbe kommandiere, und ob man dafür anwerbe. Auch bat er, nachdem Driquet ihm diese Fragen beantwortet hatte, sich bei demselben umziehen zu dürfen, und einen Teil seiner Kleider, die er dort zu lassen gedenke, ihm später nachzusenden. Driquet bewilligte dies und schlug darüber hinaus Leonard Pfister vor, zu versuchen als Regimentsmetzger in Ettenheim unterzukommen, woraufhin er die beiden dorthin begleitete.⋅33⋅ Zwischen 17 und 18 Uhr an diesem Samstagabend begegnete ihnen der Quartiermeister Simmonaire,⋅34⋅ dem Driquet die beiden Fremden vorstellte und deren Anliegen unterbreitete. Julian d'Espiard bestand allerdings darauf, mit General Mirabeau persönlich zu sprechen und verhielt sich so erstmals verdächtig.⋅35⋅
d. Unter Verdacht des Hochverrates
Der Neuankömmling war für Quartiermeister Xaverius Simmonaire bereits nach dieser ersten Begegnung am 30. Juli 1791 suspekt, zumal die Beschreibung eines Feldwebels des Regiments Bourbonnais, der gerüchteweise den Kardinal zu ermorden suchte, auf den jungen Franzosen zu passen schien.⋅36⋅ Von daher erklärt sich Simmonaires Frage, ob Julian etwa bei Bourbonnais gedient habe und Feldwebel gewesen sei. Obgleich dieser versicherte, niemals Feldwebel gewesen zu sein, blieb Simmonaires Verdacht bestehen, weshalb er seinem Vorgesetzten, dem Chevalier de Duvailler ⋅37⋅ Meldung machte und den Neuankömmling zwei Kameraden zur vorläufigen Beobachtung übergab.⋅38⋅
De Duvailler, dem d'Espiard ebenfalls verdächtig schien,⋅39⋅ erfüllte dennoch dessen beständiges Bitten, mit Mirabeau persönlich sprechen können, indem er den General über den Verdächtigen informierte und auf Anweisung des Vicomte d'Espiard, nach der der General, alle Verdächtigungen zurücknehmend, d'Espiard in Freiheit setzte und seine Aufnahme unter die Freiwilligen veranlasste.⋅40⋅
Quartiermeister Simmonaire hatte den Auftrag erhalten, den Franzosen auf ein Jahr in Militärdienst zu nehmen.⋅41⋅ Doch während man im Korps der Freiwilligen dem Neuankömmling die übliche Achtung entgegenbrachte,⋅42⋅ war Duvaillers Verdacht - durch angebliche Widersprüche in den Formulierungen des jungen Franzosen genährt - nicht gewichen, so dass er zwei Personen damit beauftragte, d'Espiard zu beschatten.⋅43⋅ Einer von ihnen, Franz Simonet,⋅44⋅ erfuhr dabei, als er an diesem Samstagabend, 31. Juli, mit dem Verdächtigen in der Ettenheimer Sonne ein paar Gläser Wein trank, dass d'Espiard mit dem Straßburger Maire Schwierigkeiten bekommen habe, zwar Offizier gewesen wäre, sein Amt jedoch durch diesen verloren habe. Acht Tage sei er im Gefängnis gewesen, bis er endlich den Weg nach Ettenheim hätte einschlagen können und dabei noch zu einem Umweg von 76 Stunden gezwungen worden sei. Simonet fiel auf, dass der Verdächtige einen verwirrten Eindruck machte und ihm ins Gesicht zu sehen vermied.⋅45⋅
Als sich Johann König,⋅46⋅ der in der Zwischenzeit die Sonne betreten und dem unbewaffneten Simonet, sich heimlich mit einer Waffe zu versehen geraten hatte, zu d'Espiard gesellte, versuchte letzterer, während Simonet das Lokal verließ, zu erfahren, ob der Kardinal zu Hause oder ausgefahren sei, auch ob er in großer Begleitung wegzufahren und dabei die Grenzen seiner Herrschaft zu überschreiten pflege.⋅47⋅ Wieder zurückgekehrt nahm auch Franz Simonet an der sich nun entwickelnden lebhaften Unterhaltung teil. D'Espiard versuchte weiter in Erfahrung zu bringen, ob die Freiwilligen freien Zutritt zum Kardinal hätten, und erhielt die Antwort, dass nur Offiziere in das Schloss gelassen würden, worauf der ehemalige Offizier äußerte, ebenfalls vorgeführt werden zu wollen. Auf die verwunderte Rückfrage, ob er denn den Kardinal kenne, gestand d'Espiard, dass dies nicht der Fall sei, er ihn jedoch gerne kennenlernen würde,⋅48⋅ wobei er beiläufig erwähnte, den General Mirabeau alleine sprechen zu müssen, und selbiges im Laufe des Abends noch mehrmals wiederholte. Dabei wurden Simonet und König gemeinsam mit den mittlerweile hinzugekommenen Herren Galland und Desprès Zeugen, wie der verdächtige Franzose plötzlich den Seufzer ausstieß:
"Wenn ich nur einen gewüss(en) Menschen Neun stund von hier hätte..." ⋅49⋅
D'Espiard geriet bei der Frage, wen er denn meine, in Verwirrung, bemerkte dann nach einiger Zeit, dass er auf den Maire von Straßburg anspiele, den er ermorden wolle, wenn er seiner habhaft werden könne.⋅50⋅
Die Ereignisse begannen sich nun zu überstürzen. Desprès warf ein, dass nur ein niederträchtiger Mensch einen anderen ermorden wolle, d'Espiard verlor seine Fassung völlig, seufzte immerfort, rang nach Luft, wurde blass und schlug schließlich einen Spaziergang vor. Diesem Vorschlag folgend traf man unterwegs auf Leonard Pfister, der um diese Zeit mitten in seinen Bemühungen stand, als Regimentsmetzger angenommen zu werden, und d'Espiard versuchte anscheinend einige Worte mit ihm zu wechseln, was König durch sein Hinzutreten verhinderte, so dass Julian dem Schweizer lediglich laut zurief, dass es sich um einen guten Militärdienst handele und Pfister sich doch auch anwerben lassen solle. Der Metzger antwortete nicht und ging seines Weges.⋅51⋅
Während auch die kleine Gruppe Soldaten weiterging, sprach d'Espiard erneut davon, dass er Offizier im Regiment Bourbonnais gewesen sei, sich nun allerdings nur unter die Volontairs habe eintragen lassen, weil ihm nicht ausreichend Geld zur Verfügung stehe. Aus diesem Grund habe er bereits in Freiburg um Kriegsdienste nachgesucht.⋅52⋅ Dass d'Espiard im Besitz eines Offizierspatentes sei, stieß bei den Soldaten jedoch auf wenig Glauben. Franz Simonet nahm den Verdächtigen daher nach dem Spaziergang mit in sein Zimmer und aß dort gemeinsam mit ihm zu Nacht, bevor de Duvailler, dessen Verdacht sich immer mehr zu erhärten schien, vorbeikam, um die Papiere des Neuankömmlings an sich zu nehmen und die Anweisung zu erteilen, denselben vorsorglich die Nacht hindurch in seinem Zimmer beobachten zu lassen.⋅53⋅ Auch am darauffolgenden Sonntag blieb der junge Franzose keinen Augenblick unbewacht. Am Sonntag Nachmittag hatte beispielsweise Carl Lion ⋅54⋅ den Befehl erhalten, ein wachsames Auge auf denselben zu haben, obwohl er sich bislang ruhig verhalten hatte. Dann jedoch begann d'Espiard mit einigen Kameraden der Kompanie zu trinken, zog gegen Abend in offenbar angetrunkenem Zustand die Uniform an und begab sich vor das Haus, in dem er untergebracht war. Lion will dabei Vorbereitungen zur Desertion bemerkt haben,⋅55⋅ rief ihn laut an und hielt ihn zurück, wogegen d'Espiard heftig protestierte. Er habe keine Bewachung nötig, sei zuvor Offizier unter dem Regiment Bourbonnais gewesen und ließe nicht so mit sich umgehen. Dessen unbenommen nahm ihn Lion vorübergehend fest und erstattete Anzeige bei de Duvailler, der wiederum Noel de Pyrault und Joseph de Borie ⋅56⋅ verständigte und sich gemeinsam mit diesen in den Raum begab, in dem d'Espiard festgehalten wurde. Erneut wurde dem Verdächtigen durch Duvailler vorgeworfen, dass sein Verhalten nicht dem eines Offiziers entspreche und man daher nicht glaube, in d'Espiard einen solchen vor sich zu haben. Noch einmal protestierte dieser aufs heftigste, wollte seinen Kopf darauf verwetten, dass er wirklich Offizier, in La Fleche erzogen worden sei und d'Espiard heiße,⋅57⋅ brach jedoch nach einigem Zureden und der eindringlichen Mahnung, die Wahrheit anzugeben, in Tränen aus und seufzte: er sei ein verlorener Mensch, ein Elender, ein Verbrecher, er wäre im Club zu Straßburg gewesen und hätte dort viel Geld versprochen bekommen, dürfe jedoch weiter nichts sagen.⋅58⋅ Daraufhin ließ man ihn einige Zeit in Ruhe und brachte ihn in ein abgesondertes Zimmer,⋅59⋅ bevor man ihn scharf und wohl auch recht unorthodox verhörte. Da man ihm zu erkennen gab, dass man ihn für nichts anderes als einen Spion halte, verlegte sich Julian d'Espiard, der keine andere Möglichkeit mehr sah, darauf, mehr oder minder Wahres zu bekennen. ⋅60⋅
Erst am darauffolgenden Morgen - man hatte sich zunächst damit begnügt, dieses 'Geständnis' anzuhören -‚ nachdem der Delinquent geschlafen und ein Frühstück - jedoch keinen Wein, Bier oder sonst ein berauschendes Getränk, wie eifrig beteuert wurde ⋅61⋅ - zu sich genommen hatte, vernahm man denselben noch einmal zu den bereits angegebenen Punkten und verfasste eine 'Declaration',⋅62⋅ in der d'Espiard folgendes zu Protokoll gab:
Als erstes habe ihn die Municipalität zu Straßburg gedungen, nicht nur die Handlungen des Kardinals auszuspionieren, sondern ihn sogar zu ermorden, alsdann habe man ihm gleichzeitig aufgetragen, sich über die Ettenheimer Truppen zu informieren und dieselben zur Desertion zu bewegen. Als drittes gestand er, dass er bei allen in Frankreich vorgefallenen Unruhen auf Befehl der vom Herzog von Orleans bezahlten Leute eine Rolle gespielt habe. So sei er am 5. und 6. Oktober 1790 bezahlt gewesen, sich in Frauenkleidung zu verstecken, zu bewaffnen und den König von Frankreich mitsamt der Königin zu ermorden. Zu Marseilles wäre er an der Ermordung des 'Herrn Büffet' beteiligt gewesen, und während der Unruhen in Nancy habe er sich ebenfalls in der Stadt befunden, sei in der Gesellschaft derjenigen gewesen, die den Herrn de Borie zu Lyon ermorden wollten, und wisse darüber hinaus noch viele die damalige Zeit betreffende Umstände anzugeben, da er überall selbst dabei gewesen sei.⋅63⋅
Nach erfolgter Niederschrift dieser Angaben unterzeichnete der Delinquent mit 'Testard', und behauptete fortan, in Givry bei Chalons sur Saone in Burgund geboren zu sein.⋅64⋅
Mit der Annahme dieses falschen Namens, durch den d'Espiard nach eigenen Angaben seine Familie zu schützen suchte,⋅65⋅ begann die Reihe der Unglaubwürdigkeiten und Widersprüche in diesem 'außergerichtlichen Protokoll'. D'Espiard scheint am Sonntag Abend durch den Alkoholgenuss des Nachmittags in einem nicht voll zurechnungsfähigen Zustand gewesen zu sein, scheint durch Angst und Furcht in völlige Verwirrung geraten zu sein; ein Zustand, der sich auch am anderen Morgen wenig geändert zu haben schien, zumal man den Verdächtigen anscheinend immer wieder fragte,ober dies oder jenes getan habe, und er nur 'Ja' zu sagen brauchte.⋅66⋅
Doch so ungesichert diese Deklaration in ihrem Wert war, so rasch und bereitwillig wurde das außergerichtliche Protokoll des Julian d'Espiard, alias Testard, von der Propaganda aufgegriffen. Bereits nach wenigen Tagen war es im ganzen Reich und ganz Frankreich publiziert und bekannt.⋅67⋅
e. Hochverratsprozess im Ettenheimer Oberamt
Am 31. Juli wurde das Oberamt Ettenheim vom Fiscal Mylius von der Verhaftung des Testard unterrichtet,⋅68⋅ woraufhin am folgenden Tag die Verhörung von Zeugen angeordnet,⋅69⋅ Julian d'Espiard in gerichtliche Haft gebracht und durchsucht wurde.⋅70⋅
Noch bevor die eigentliche Untersuchung begann, kam es anscheinend zu einer Unterredung zwischen dem Beschuldigten und dem Kardinal. Man berichtete von der Zusicherung, dass keine Todes-Strafe verhängt werde, wenn der Franzose die Wahrheit bekenne. Auch war d'Espiard während der folgenden Verhöre, die sich vom 3. bis 17. August hinzogen, gut untergebracht und wurde sogar von der Hofküche aus versorgt.⋅71⋅
Landvogt von Bruder mit Oberamtsverweser Stuber, sowie Amtsschultheiß Müller, Stadtrat Hog und Fiscal Mylius standen der Untersuchung vor, während Xaver Sartori das Protokoll verfasste. Die Beteiligten, die Herren de Duvailler, de Pyrault, de Borie, Simmonaire, Lion, Simonet, König, Driquet und Blank, wurden der Reihe nach mit Eid belegt und vernommen, und, da der größte Teil von ihnen der deutschen Sprache kaum mächtig war, Amtmann Stoll und der Kaufmann Laible als Dolmetscher hinzugezogen.
Der Befragung des angeblichen Attentäters wurde selbstredend eine besondere Aufmerksamkeit beigemessen, wie die insgesamt 170 Fragen,⋅72⋅ vermehrt um die Gegenüberstellung mit verschiedenen Zeugen belegen.
Doch das Bild des Julian d'Espiard bleibt widersprüchlich und lückenhaft. Mit einiger Mühe lässt sich der Verlauf des gesamten Vorfalles aus den Prozessakten wie oben geschehen rekonstruieren.⋅73⋅ Das Ettenheimer Oberamt musste demnach den Eindruck gewonnen haben, dass d'Espiard sich lediglich zu dem Zweck unter die Mirabeau'sche Legion hatte anwerben lassen, um - nach eigenen Aussagen - den Auftrag Rohan zu ermorden, einfacher vollziehen zu können.⋅74⋅
Nachdem die Tatumstände allmählich deutlicher wurden, entzog man dem Angeklagten das bis zum 12. August gewährte gute Essen und Bett, legte ihn in Ketten und verschaffte ihm ein Strohlager für die Nachtruhe.⋅75⋅ Der von den Ergebnissen der Untersuchung unterrichtete Kardinal beschloss zur Abfassung des Urteils in Ettenheim ein eigenes 'provisorisches Collegium iuridicum' einzusetzen.⋅76⋅ Am 22. August ergingen Schreiben an den Oberamtsrat Schmid von Seelbach, Amtmann Reich von Ettenheimmünster und Franz Joseph Stuber in seiner Eigenschaft als 'Freiherrlich Ehrtalischer Amtmann' nach Offenburg.⋅77⋅ Da sich nur Reich und Stuber mit der Berufung in diese Kommission einverstanden erklärten,⋅78⋅ wurde zusätzlich Oberamtsrat Josef Solf von Oberkirch angegangen,⋅79⋅ wonach das Collegium iuridicum unter der Leitung von Hof- und Regierungsrat Nicolaus Franciscus de Heille - einzigem Vertreter der ehemaligen Zaberner Regierung in Ettenheim - am 29. August 1791 die Arbeit aufnahm.⋅80⋅ Aus dem erneut von Xaver Sartori verfassten Protokoll lässt sich entnehmen, dass man sich auch nach eingehender Bearbeitung des Untersuchungsmaterials nicht in der Lage sah, ein Urteil zu fällen, weshalb man dem Oberamt nahe legte, zunächst die Straßburger Seite zu hören und gegebenenfalls eine Gegenüberstellung d'Espiards mit den von ihm beschuldigten Herren Dietrich, Levrault und Noisette zu veranlassen.⋅81⋅
f. Straßburg contra Ettenheim
Am 31. August unterzeichnete Stuber, den Anweisungen der Kommission nachkommend, ein Schreiben an das Distrikt-Gericht zu Straßburg, worin selbiges, während Julian d'Espiard Ettenheim bereits am 30. August verlassen hatte, 'dienstfreundlich ersucht' wurde, den Maire Dietrich, Gemeindeprokurator Levrault und den Kaufmannssohn Noisette binnen 14 Tagen persönlich nach Ettenheim vor Gericht zu bringen.⋅82⋅
Anzeige in der 'Montägigen Frankfurter Kaiserl.
Reichs=Ober=Post=Amts=Zeitung' vom 17. Oktober 1791.
Badisches Generallandesarchiv Karlsruhe 138-83 -
Reproduktion: Jörg Sieger, 2014
Selbstverständlich erschienen die drei Straßburger nicht. Dahingegen traf ein auf den 8. September datiertes Schreiben der Municipalität gemeinsam mit einer gedruckten Abhandlung ein, in denen heftig gegen die Anschuldigungen, insbesondere gegen diejenigen des veröffentlichten 'außergerichtlichen Protokolls' vom 1. August, protestiert wurde.⋅83⋅ Am 15. September erschien daraufhin das 'Schreiben des Hofraths und Oberamtsverwesers Stuber in Ettenheim, an die Munizipalität zu Strasburg', in dem einige Missverständnisse richtig gestellt wurden und vor allem gegen die Meinung, dass die Ettenheimer Obrigkeit die Abfassung des erwähnten Protokolls begünstigt habe, angegangen wird. Stuber betonte darüber hinaus, dass man d'Espiard ordentlich vernommen habe,⋅84⋅ und verfasste ferner ein in der 166. Nummer der 'Frankfurter Kaiserl. Reichs=Ober=Post=Amts=Zeitung' ⋅85⋅ veröffentlichtes 'Avertissement des Hochfürstlich Bischöflich Straßburgischen Oberamtes Ettenheim', durch welches der Maire Dietrich, der Gemeindeprocurator Levrault und Caspar Noisette vorgeladen wurden. Nach Verstreichen einer vierzehntägigen Frist wollte man die drei Beschuldigten als ihres Verbrechens überführt und geständig betrachten.⋅86⋅
In Straßburg, das diesen öffentlichen Angriff nicht schweigend hinnehmen konnte,⋅87⋅ reagierte man am 20. Oktober, an dem Tag, an dem die Straßburger Behörden von dieser Zeitungsnotiz erfuhren, mit einer 'Nichtigkeitsbeschwerde', die besonders auf das schändliche Betragen d'Espiards im Mai des gleichen Jahres verwies. Johann Gottfried Scheid, Notar aus Kehl, hatte den Auftrag, diese 'querelam nullitatis' zu unterbreiten und die Antwort nach Straßburg zu überbringen.⋅88⋅
Aus diesem Grund begab er sich am Montag, 22. Oktober 1791 nach Ettenheim, ließ seinen Wagen außerhalb des Stadttores halten und ging mit seinen Zeugen zum Wohnhaus des Amtmanns Stuber. Da derselbe nicht anwesend und Scheid von einer Magd an den Landvogt Bruder verwiesen worden war, eröffnete er diesem seinen Auftrag und unterbreitete das Requisitionsschreiben in beglaubigter Abschrift, dessen Annahme Bruder verweigerte, indem er die Behauptung aufstellte, nur Stuber sei in dieser Angelegenheit zuständig. Noch einmal begab sich Scheid also zum Wohnhaus der Stubers und bat die Magd, das besagte Schreiben an Stuber weiterzuleiten, auch wenn - wie dieselbe einwarf - der Hofrat erst in einigen Tagen oder Wochen aus Wetzlar zurückkehren würde. Als die Magd den Brief entgegengenommen hatte - Scheid hatte das Haus noch nicht endgültig verlassen -‚ rief ihr Landvogt Bruder zu, sie solle ja nichts von dem Notar annehmen und ihm das Papier zurückgeben. Völlig verwirrt trug die Frau Scheid die Requisition nach und wusste sich, da dieser keine Anstalten machte, dieselbe wieder an sich zu nehmen, nicht anders zu helfen, als sie auf die Straße zu werfen, wo sie vorerst liegen blieb.
Während sich Scheid, unbeeindruckt von diesem Vorgang, mit den Zeugen seinem Wagen näherte, folgten ihm plötzlich, 'Arréte! Arréte! Arréte!' rufend, vier Mann des Mirabeau'schen Korps, woraufhin ihn einige Berittene vom Wagen abschnitten und auf Befehl des Landvogts festnahmen. Die Fremden wurden auf die mit Hessen-Darmstädtischen Soldaten besetzte Hauptwache geführt.⋅89⋅ Scheid musste Stock und Degen abgeben, erhielt jedoch vom wache- habenden darmstädtischen Unteroffizier die Zusicherung, mit geziemender Achtung behandelt zu werden, und wurde von Amtmann Stoll der zusammen mit Bruder in dieser Sache bei Rohan selbst vorgesprochen hatte, darüber informiert, dass dem Kardinal bewusst sei, dass Scheid nur seine Pflicht getan habe und der Arrest nicht mehr lange dauern würde.⋅90⋅
Gegen 11.30 Uhr kam Bruder selbst und winkte Scheid, der als Arrestant ohne Hut, Stock und Degen zu ihm ging. Bruder erklärte demselben, dass der Arrest nur dessen Sicherheit diene und Scheid sich aus dem Wirtshaus bringen lassen solle, was er wünsche.⋅91⋅ Danach kehrte der Notar auf die Wachtstube zurück.
Begierig zu erfahren, wie lange er noch in Haft bleiben müsse, sandte er einen Fuhrmann zu Bruder, um eine weitere Unterredung zu erbitten,⋅92⋅ bei deren Gelegenheit er darauf aufmerksam machte, dass die Angehörigen seiner Zeugen allmählich in Sorge sein müssten und er - sofern er noch länger bleiben müsse - die Kutsche zurückschicken wollte, sich auf diesen Fall allerdings ein Quartier in einem Wirtshaus erbitte. Bruder entschuldigte sich, dass er wegen Unpässlichkeit des Kardinals noch keine näheren Anweisungen habe erhalten können, so dass Scheid erst gegen halb sechs Uhr davon in Kenntnis gesetzt wurde, Ettenheim möglicherweise noch am selben Tag verlassen zu können.⋅93⋅
Wenig später erhielt er die Erlaubnis mit den beiden Zeugen aufzubrechen, wobei Bruder noch einmal versicherte, wie viel Dank er ihm dafür schulde, dass er ihn vor sicher zu befürchtenden Ausfälligkeiten der Soldaten bewahrt habe.
Auf des Landvogts Anordnung hin wurden die drei Fremden zu Fuß bis zur Grenze geführt, wo sie auf die Kutsche, die ihnen aus unerfindlichen Gründen nachgesandt wurde, warteten. Als das Gefährt an Ort und Stelle war, erklärte ein Hatschier, dass er Befehl vom Landvogt habe, dem Notar das auf der Straße gelegene Papier wieder zuzustellen. Da man sich noch auf Ettenheimer Territorium befand, sah sich Scheid genötigt, das Schreiben wieder an sich zu nehmen.⋅94⋅
Straßburg wandte sich in der Folge direkt an das Reichskammergericht in Wetzlar und legte dort seine 'querelam nullitatis insanabilis' vor.⋅95⋅ Die 76 Seiten umfassende Schrift legt in ihrem ersten Teil in Beispielen dar, dass die Ettenheimer Verantwortlichen seit Ausbruch der Revolution gegenüber Straßburg feindlich gesinnt gewesen wären und der Hass des bischöflichen Militärs sich insbesondere gegen den Maire von Straßburg richtete.⋅96⋅ Alsdann wurden die Straßburger Vorfälle um Julian d'Espiard und eine Zusammenfassung der Ereignisse, die in der Folge der Demission des Offiziers vorgefallen waren, angeführt, wobei das außergerichtliche Protokoll erneut, wie auch der Fall des Notars Scheid, der für Straßburg die Praktiken des Oberamtes Ettenheim charakterisierte, eine große Rolle spielte.⋅97⋅
Im zweiten Teil versuchte man den Fall aufgrund der Formalien für nichtig zu erklären. Man wollte zeigen, dass die Personen der Richter, jene der Parteien und die Substantialien das Verfahren als nichtig erweisen würden.⋅98⋅ Doch bereits am 16. April 1792 wurde die Klage der Straßburger abgewiesen und diese an die dem Kardinal vorgesetzte Stelle bzw. den Kardinal selbst verwiesen.⋅99⋅
Damit beginnen die Nachrichten über den Fall des Franzosen Julian d'Espiard zu versiegen, und mit dem Hinweis darauf, dass am 15. Mai 1792 die Anweisung gegeben wurde, die in Ettenheim verbliebenen Habseligkeiten des Delinquenten zu versteigern, was auch am 16. erfolgte und nach Abzug der Steigerungsgebühr 11 fl 6 ß und 5 xr erbrachte, enden sie völlig.⋅100⋅
g. Attentat oder Propaganda
Eine Beurteilung von Fall und Prozess bleibt mit einer Reihe offener Fragen belastet. So bleibt unbekannt, was aus Julian d'Espiard oder Leonard Pfister letztendlich geworden ist.⋅101⋅ Auch die Wirren des Jahres 1792 - mit Ursache dafür, daß Straßburg nichts mehr in diesem Fall unternahm - trugen das Ihre dazu bei, vieles im Dunkeln zu belassen. Angesichts dieser Quellenlage scheint es jedoch zu einfach, J. Haas in allem zu folgen und die Straßburger Municipalität von vorneherein von jedem Verdacht freizusprechen. Stuber selbst - aus seinen Amtshandlungen als äußerst zuverlässig bekannt ⋅102⋅ - macht nicht den Eindruck, als wäre er
"...von der Unschuld der Straßburger Herren überzeugt...",⋅103⋅
wie Haas vermutet.
War es Julian d'Espiard zuzutrauen, seine angebliche Rache an der Municipalität so weit getrieben zu haben, dass er selbst die Gefahr der Todesstrafe oder der Festungshaft auf sich nahm? War er ein solch guter Schauspieler, dass Tränen und Gefühlsausbrüche während des Prozesses nur Mittel zum Zweck gewesen wären? War er Strohmann des General Mirabeau, der sich immer darum bemühte, seinen Soldaten das Feindbild vor Augen zu halten? Wurde der Burgunder durch die Mirabeau'schen Offiziere in eine Position gedrängt, in der ihn der General nach einem Gespräch unter vier Augen für seine Zwecke auszunutzen vermochte? Oder war letztendlich der Straßburger Maire und das revolutionäre Frankreich, das schließlich durchaus den Versuch, in das Ettenheimer Oberamt verschiedentlich einzufallen, gemacht hatte, für diese Ereignisse verantwortlich?
Das Reichskammergericht in Wetzlar scheint bereits 1792 nicht in der Lage gewesen zu sein, diese Fragen eindeutig zu beantworten. Der Fall des Julian d'Espiard wird ein Rätsel bleiben.
Anmerkungen
beide Schreiben sind erhalten.
(Vgl.: GLA 138-83.)
(Vgl.: GLA 138-83, 28v.)
Bei einer dieser Gelegenheiten soll ihm Dietrich im Beisein des Gemeindeprokurators Levrault versprochen haben, 'sein Glück zu machen' (GLA 138-83, 28v-29r).
(Vgl. auch: GLA 138-83, 27r.)
wenig später war das Gerücht allgemein bekannt, dass ein Feldwebel des Regiments Bourbonnais diesen Auftrag übernommen habe.
(Vgl.: GLA 138-83, 33v.)
die Absprache soll dahin gelautet haben, dass die Municipalität Julian d'Espiard zum Schein bestrafen, die Art der Strafe öffentlich bekannt machen und der Offizier daraufhin suspendiert werden solle. Weiterhin habe man beschlossen, dass er seine Demission verlangen solle.
(Vgl.: GLA 138-83, 27v.)
dort lernte d'Espiard den 38jährigen Michael Blank (über ihn vgl. GLA 138-83, 47r.), der am 9. Juli mit Briefen aus dem Schloss zu Ettenheim in den Bischofshof geschickt und dort aufgrund des gespannten Verhältnisses zwischen Straßburg und Ettenheim festgenommen worden war, kennen.
(Vgl.: Joann Conrad Machleid, Diarium II, *137r; vgl. zu seinem Fall auch hier. GLA 74-6282, 34v-35r, 53r, 200r/v; GLA 138-83, 158v-159r.)
Blank verbrachte 14 Tage in Straßburger Haft und traf am Donnerstagnachmittag, 14. Juli, gegen zwei Uhr im Bürgerlichen Gefängnis, wohin man auch Julian d'Espiard gebracht hatte, mit demselben zusammen. Gemeinsam mit dem Turmhüter nahmen beide dort ihre Mahlzeiten ein, hatten allerdings aufgrund der Sprachbarriere kaum Kontakt miteinander. Blank erinnerte sich beim nachmaligen Prozess daran, dass gleichzeitig ein zuvor in Ettenheim gewesener Herr von Kirchheim inhaftiert war. Möglicherweise hat d'Espiard über diesen von der in Ettenheim stationierten Legion erfahren bzw. Informationen eingezogen.
(Vgl.: GLA 138-83, 47r/v.)
Blank konnte das Gefängnis bereits um 16 Uhr verlassen und behauptete d'Espiard gegen 18 Uhr noch einmal in Straßburg gesehen zu haben.
(Vgl.: GLA 138-83, 47r/v.)
die Urkunde - ohne Unterschrift und Siegel - ist erhalten geblieben.
(Vgl.: GLA 138-83, 80v)
man soll ihm einen Pass versprochen, zwei Louisd'or mit auf die Reise gegeben und empfohlen haben, sich unter dem falschen Namen Testard unter die Mirabeau'sche Legion zu engagieren, um so leichter ein Gewehr erhalten und bei Ausführung seines Auftrages seine Familie nicht in Mitleidenschaft zu ziehen.
(Vgl.: GLA 138-83, 25r-30r.)
Selbstredend widersprach die Straßburger Municipalität diesen Behauptungen und stellte den weiteren Verlauf der Ereignisse als Rache d'Espiards an der Straßburger Obrigkeit dar.
(Vgl.: GLA 138-83, 20r.)
der Passierschein ist erhalten.
(Vgl.: GLA 138-83, 80v)
der ledige Protestant Johann Leonard Pfister befand sich auf der Suche nach einer Metzgerstelle auf dem Weg über Morges, Bern, Solothurn und Basel nach Freiburg, nachdem er in Morges die letzten zwei Jahre bei Sebastian Pfluger seiner Profession nachgegangen war, und schloss sich bei Schliengen dem auch nach Freiburg reisenden d'Espiard an.
(Vgl.: GLA 138-83, 21r, 47v-49r.)
unterwegs waren beide von einem Fuhrmann mitgenommen worden.
(Vgl.: GLA 138-83, 21r, 47v-49r.)
der Bauer wollte in Lahr Bier abholen.
(Vgl.: GLA 138-83, 49r/v.)
(Vgl.: GLA 138-83, 46r.)
der 29jährige Xaverius Simmonaire, von Molsheim gebürtig, befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits fünf Monate in Ettenheim.
(Vgl.: GLA 138-83, 13r.)
Bereits seit vier Monaten war in Ettenheim das Gerücht bekannt, dass ein Feldwebel des Regiments Bourbonnais abgesandt worden sei, um den Kardinal zu ermorden (vgl.: GLA 138-83, 6v-7r, 13r/v.), und d'Espiard gestand später, dass er sich durch seine Unvorsichtigkeit selbst weitgehend verdächtig gemacht habe (vgl.: GLA 138-83, 32r).
D'Espiards Erscheinung wird als schlank, von mittlerer Größe, mit schwarzen, in einem Zopf gebundenen Haaren, braungebranntem Gesicht, grauen Augen, länglicher Nase und recht starkem schwarzem Bart beschrieben. Seine Kleidung bestand aus einem braunen, grün gefütterten Rock, einem weißen Halstuch, schwarzweiß gestreiften Hosen, weißen Strümpfen, Schuhen ohne Schnallen und einem großen, runden, grün gefütterten Hut.
(Vgl.: GLA 138-83, 75r.)
(Vgl.: GLA 138-83, 6v.)
Julian erklärte bei der Einschreibung, dass er Offizier beim Regiment Bourbonnais gewesen sei und d'Espiard heiße. Mit diesem Namen unterschrieb er und belegte diese Angaben mit Urkunden aus seiner Brieftasche.
Vgl.: (GLA 138-83, 14r/v.)
Dass er nicht - wie angeblich von der Straßburger Municipalität empfohlen - mit Testard unterzeichnete, liegt - so behauptet d'Espiard - daran, dass er seinen Offiziersstand so leichter zu belegen hoffte. Erst bei Missglücken seines Vorhabens wollte er sich des Decknamens bedienen.
(Vgl.: GLA 138-83, 32r; 66v-67r.)
(Vgl.: GLA 138-83, 16r.)
(Vgl.: GLA 138-83, 44r.)
(Vgl.: GLA 138-83, 14v.)
(Vgl.: GLA 138-83, 11r.)
wir haben bereits an anderer Stelle gesehen, wie das Ettenheimer Militär mit Verdächtigen umzugehen pflegte (vgl. hier).
Dabei scheinen die Soldaten in ihren Annahmen bestätigt worden zu sein, da Juiian d' Espiard einige Male Dinge anführte, die er durch Gerüchte erfahren hatte, die Duvailler, de Borie, Pyrault und Lion jedoch unbekannt waren.
(Vgl.: GLA 138-83, 9r/v, 10v.)
Zu denken gibt auch die Tatsache, dass d'Espiard nach Unterzeichnung des Protokolls heftig zu weinen begann.
(Vgl.: GLA 138-83, 71r.)
(Vgl.: GLA 138-83, 166v.)
"Überhaupt hat man sich alle Mühe gegeben dieses angebliche Verhör in den mehresten Zeitungs Blättern Teutschlands bekannt zu machen".
(GLA 138-83, 166v.)
bei dieser Gelegenheit wurde ein Verzeichnis seiner Habe erstellt. Neben etwas Bargeld fand sich ein weißes Schnupftuch mit den Initialen J. und D., vier weiße Krägen, von denen zwei ebenfalls die besagten Buchstaben trugen, ein altes, schwarzes, seidenes Halstuch, eine alte weiße Schlafmütze, ein schwarzes Hutband mit Schnallen, ein leinenes und seidenes Kopfband, ein paar zinnene Schuhschnallen, ein paar stählerne Hosenschnallen, eine Kleiderbürste, ein Schlüssel und das Offiziersschild mit dem Königl. Französischen Wappen. In einem gesonderten Beutel trug der Arrestant neben weiteren Kleidungsstücken seinen Offiziersdegen mit sich.
(Vgl.: GLA 138-83, 78r/v, 80r/v.)
Julian d'Espiard beklagte sich darüber, dass bei der Prozedur ein paar Überstrümpfe, zwei paar 'florentseidene' Strümpfe und ein Hemd verloren gingen.
(Vgl.: GLA 138-83, 78v.)
Unter den zahlreichen Schriftstücken haben sich folgende bedeutsame erhalten: Taufschein vom 9. Januar 1766, Anstellungspatent als 'Unterlieutenant' (10. Februar 1783), eben dasselbe vom König unterschrieben vom nämlichen Datum, Anstellungspatent als 2. 'Lieutenant' (3. Juli 1787), Abschied vom 22. Juli 1791 und ein Verzeichnis einiger in Mömpelgart zurückgelassener Dinge.
Vgl.: (GLA 138-83, 80v.)
die an Pfister gerichteten Fragen sind hier mitgezählt worden.
Leonard Pfister hatte Ettenheim, nachdem man ihm zu verstehen gegeben hatte, keinen Regimentsmetzger zu benötigen, seinem ursprünglichen Vorhaben getreu in Richtung Lahr verlassen, um bei einem Bekannten Arbeit zu finden. Da er diesen dort nicht mehr antraf und ihm das Geld auszugehen drohte, beschloss er, sich in Ettenheim anwerben zu lassen, wurde dort jedoch als Verdächtiger scharf beobachtet und schließlich, vermutlich wegen eines beiläufigen Grußes von d'Espiard, den Pfister ohne von dessen Verhaftung zu wissen, erwiderte, inhaftiert.
(Vgl.: GLA 138-83, 13v, 17v-52v; vgl. besonders: 50r/v.)
(Vgl.: GLA 138-83, besonders die Zeugengegenüberstellungen.)
Selbstverständlich erfuhren die umliegenden Herrschaften recht bald, dass jenes Anfang August veröffentlichte 'außergerichtliche Protokoll' nicht der Wahrheit entsprach (vgl.: GLA 74-6283, 113r); 'Despinal', nicht 'Destard', heiße der Ettenheimer Gefangene, meldete von Blittersdorf nach Karlsruhe.
(Vgl.: GLA 74-6283, 113r.)
(Vgl.: GLA 74-6283, 74r.)
(Vgl.: GLA 138-83, 121r-124v.)
in der vermutlich auf den 22. August 1791 zurückdatierten Urkunde, mit der der Kardinal das 'Collegium iuridicum' konstituierte, ist bereits sein Name erwähnt.
(Vgl.: GLA 138-83, 128r-129r; vgl. auch: GLA 74-6283, 113r/v.)
eine Gegenüberstellung in Ettenheim war demnach nicht mehr möglich. Am 3. August hatte der ehemalige Offizier, nachdem er noch einmal vernommen worden war (vgl.: GLA 138-83, 193r-194v), Ettenheim in aller Stille in einem geschlossenen, von Offizieren bewachten Wagen verlassen, wobei man in Mahlberg annahm, dass der Gefangene nach Darmstadt gebracht werde.
(Vgl.: GLA 74-6283, 115r/v.)
In Bühl machte man Station, ohne daß jemand den Wagen, in dem zwei Offiziere der Mirabeau'schen Legion den in Ketten gelegten Gefangenen bewachten, verlassen hätte, wechselte die Pferde (vgl.: GLA 74-6283, 173r/v) und setzte die Fahrt in Richtung Waghäusel bei Philippsburg fort, wo d'Espiard einem Mainzischen Offizier übergeben wurde. Die Mirabeau'schen Offiziere kehrten umgehend nach Ettenheim zurück (vgl.: GLA 74-6283, 173r/v, 175r/v), während der mutmaßliche Attentäter aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Feste Königstein geführt wurde. In Bühl wie Rastatt war man der Überzeugung, dass er zu mehrjähriger Festungshaft verurteilt worden sei.
(Vgl.: GLA 74-6283, 175r/v.)
Den Ärger der Karlsruher Regierung erregte die Tatsache, dass dieselbe nicht: um die Erlaubnis für die Durchführung des Gefangenen durch badisches Gebiet gefragt worden war, von all dem auch erst am 12. September durch das Oberamt Yberg erfuhr.
(Vgl.: GLA 74-6283, 173r/v.)
Oberamtsrat Solf informierte die Karlsruher Beamten später in Ottersweier darüber, dass den Offizieren eine 'offene Requisition' mitgegeben worden sei, die nach Ansicht der Ettenheimer Verantwortlichen das Einholen einer förmlichen Durchführungserlaubnis unnötig machte. Die Soldaten machten von diesem Schreiben, dessen Entwurf erhalten geblieben ist (vgl.: GLA 138-83, 130r), jedoch keinen Gebrauch, um etwaige Verzögerungen des Transportes zu vermeiden, zumal bei der großen Menge Kutschen und Reisender, die Tag und Nacht die an der Landstraße gelegenen Ortschaften passierten, ihr Gefährt kaum auffiel.
(Vgl.: GLA 74-6283, 174r/v.)
dass in Ettenheim mittlerweile bekannt war, dass der vermeintliche Attentäter nicht 'Tassart' oder ähnlich, sondern d'Espiard hieß, scheint bis zur Straßburger Municipalität, ebenso wie die weiteren Ergebnisse der Untersuchung aus der ersten Hälfte des Monats August, nicht durchgedrungen zu sein. Die Straßburger Schriften beriefen sich ausschließlich auf das 'außergerichtliche Protokoll'.
(Vgl.: GLA 138-83, 153r.)
(Vgl.: GLA 74-6284, 62r, 67v.)
über die Ausführung seines Auftrages sind wir durch einen ausführlichen Bericht von Straßburger Seite unterrichtet, der umso glaubwürdiger ist, als ihn das Mahlberger Oberamt in seinem Schreiben an die Karlsruher Regierung indirekt bestätigte.
(Vgl.: GLA 74-6284, 71v-72r; wir folgen GLA 138-83, 168r-173r.)
(Vgl.: GLA 138-83, 169r.)
"wie er sich habe unterstehen können, eine
Nichtigkeits Beschwerde des Herrn Dietrich
Maire von Straßburg zu insinuiren
da dieses eine odiose Sache seye -.
Er habe als Dolmetscher denen Verhören bei=
gewohnt, und der Espiard habe seine Aussagen
dreymal mit Thränen wiederholt, und deren
Wahrheit behauptet."
(GLA 138-83, 169v-170r.)
Stoll selbst behauptete, nachdem Scheid beteuerte, von diesem Fall keine Ahnung gehabt und lediglich seine Pflicht getan zu haben, dass er ein solches Geschäft nicht für 1000 Louisd'or übernommen hätte.
(Vgl.: GLA 138-83, 170r.)
"Aber um Gottes wille, mein lieber Herr
Lt was haben sie sich ausgesezt, wissen
Sie nicht, daß der Name Dietrich bey dem
Mirabeauischen Corps so verhaßt ist, dass
wenn man gewußt hätte, daß sie dessen
Namen in der Tasche geschrieben haben,
sie Gefahr liefen von solchen auf die
ärgste Art mishandelt ja sogar in
Stücke gehauen zu werden! Sie sind mir
danck schuldig, daß ich sie zu ihrer
Sicherheit auf. die Hauptwache bringen
laßen.
Wie kann man aber Nullitäten bey
einer procedur erdenken, ohne solche
gelesen zu haben. Sie hätten sollen klü=
ger und vorsichtiger handlen und sich keiner
solcher Gefahr aussetzen, wann man
mir 1000. Louisd'or gegeben hätte, so würde
ich keine dergleichen Insinuation in Stras-
burg verrichten, wann ich gleich die Eigen-
schaft dazu hätte."
(GLA 138-83, 170v-171r; Hervorhebungen im Text weggelassen.)
(Vgl.: GLA 138-83, 171r.)
(Vgl.: GLA 138-83, 172r.)
J. Haas vermutet, dass es dem Ettenheimer Oberamt später zur Kenntnis gegeben wurde.
(Vgl.: J. Haas, Ein Hochverratsprozeß in Ettenheim im Jahre 1791, in: Schauinsland (30/1903) 32.)
Da es sich allerdings um eine Kopie einer Kopie handelt, ist wahrscheinlicher, dass es am 22. Oktober während des Arrestes in Ettenheim kopiert wurde.
Mit Sicherheit darf man annehmen, dass dieser Vorfall bei Stubers Anwesenheit anders verlaufen wäre. Die Rolle, die der Landvogt von Bruder bei den Unruhen im Oberamt Oberkirch in den Jahren 1789 und 1790 spielte, wird durch. den Fall des Notars Scheid noch einmal von einer anderen Seite beleuchtet.
(Vgl.: Henriette Stuber, Memoiren einer Ahnherrin (Abschrift einer Handschrift) *6;
vgl. auch: hier.)
(Vgl.: GLA 138-83, 177v.)