Louis René de Rohan
Kardinal im Schatten der Französischen Revolution
im Schatten der Franz. Revolution
8. Gefahr für Leib und Leben
- a. Zwischen Wald und Reben
- b. Willkür, Schikane und übertriebene Strafen
- c. 'Mißliebige Händel und Sittenverderbl. Verführungen'
Die Lebenshaltungskosten in Ettenheim stiegen allmählich an,⋅1⋅ und im September 1791 traten im Oberamt 'Faulfieber' auf.⋅2⋅ Hinzu kam die wachsende Bedrohung der Bevölkerung durch eine Reihe schwerwiegender Verbrechen.
a. Zwischen Wald und Reben
Im Juli bereits war die Mirabeau'sche Legion in Wildereiverdacht geraten. Im Wirtshaus Linde in Wittenweier beobachte man am 2. Juli vier Soldaten beim Treffen von Vorbereitungen.⋅3⋅ Einen Tag später verzehrten vier andere Soldaten in" der gleichen Wirtsstube einen mitgebrachten Hasen, ohne dass man ihnen etwas beweisen konnte.⋅4⋅
Zur Zeit der Weinlese begannen Soldaten gruppenweise, um vor den Rebbannwarten sicher zu sein, die Rebberge heimzusuchen. Die Bannwarte wagten nicht, die Bewaffneten festzunehmen, und kaum eine Frau wagte sich noch allein in die Reben.⋅5⋅ Als Anfang September 1791 eine arbeitende Frau auf badischem Territorium von acht Soldaten überrascht wurde und sich gerade noch rechtzeitig zurückziehen konnte, beschloss das Oberamt Mahlberg, die Rebwachen zu verdoppeln und in Ettenheim zu protestieren.⋅6⋅ Oberamtsverweser Stuber antwortete umgehend auf das Mahlberger Schreiben vom 7. September ⋅7⋅ und sicherte strengste Bestrafung der Übeläter, die man erwischen würde, zu.⋅8⋅ Der Kardinal entschuldigte sich schriftlich beim Markgrafen für die Vorkommnisse.⋅9⋅ In der Folge enden diese Zwischenfälle. Der letzte nennenswerte Vorfall ereignete sich Ende September, als mehrere 'Volontairs' in den Rebbergen von Ettenheimer Bürgern - trotz heftiger Gegenwehr mit den Seitengewehren - festgenommen und Oberamtsverweser Stuber ausgeliefert wurden.⋅10⋅
b. Willkür, Schikane und übertriebene Strafen
Das übergroße Misstrauen der Verantwortlichen in Ettenheim, vorab des Kardinals, als auch die Versuche, Soldaten mit Wacheschieben und Patrouillen zu beschäftigen, bedingten eine Reihe von Zwischenfällen.
Frühzeitig hatte man Posten in Ringsheim errichtet, die Passanten anhielten und über Herkunft und Ziel bzw. Zweck ihrer Reise befragten. An einem Tor der Residenzstadt war ein 12- bis 13jähriger Junge postiert, der selbst von dort stammend Straßburger Bürger identifizierte.⋅11⋅
Am 21. April 1791 wurde der Sonnenwirt Caspar Jenne von Teningen ohne Angabe von Gründen in Kappel verhaftet, nach Ettenheim abgeführt und erst am darauffolgenden Tag wieder freigelassen.⋅12⋅ Einem Kaufmann von Riegel widerfuhr Ähnliches bei Ringsheim.⋅13⋅ Vor allem aber waren es Elsässer, insbesondere Straßburger, die unter der Willkür der Soldaten zu leiden hatten.⋅14⋅
Ein Straßburger namens Genshirt, der aufgrund von Erbschaftsangelegenheiten in Emmendingen war, wurde auf dem Rückweg in Ringsheim angehalten, in Ettenheim 'eingetürmt' und am anderen Morgen mit der Entschuldigung, dass ein Versehen der möglicherweise angetrunkenen Soldaten vorgelegen habe, wieder entlassen.⋅15⋅
Am 21. Mai wurde Friedrich Hofmann aus Westhausen in Kappel von Soldaten, solange bis der dortige Stubenwirt eingriff, verprügelt.⋅16⋅ Als 40 Mann am. 29. Mai mit einem Schiff von Basel kommend in Kappel anlegen wollten, hielt man sie dort für die Vorhut einer Invasion der Franzosen. Das Schiff wurde, allerdings ohne größeren Schaden anzurichten, beschossen.⋅17⋅
Bereits einen Tag später ereignete sich in Kappel der nächste Zwischenfall. Zwei oder drei Straßburger Schiffleute wurden, während sie Holz in Kappel abholen wollten, als verdächtig verhaftet und, obschon der dortige Stubenwirt für ihre Zuverlässigkeit bürgte, mit 'Stock streichen' belegt ⋅18⋅.
Am 10. Oktober sollen in Oberkirch die Wirte Grimeisen und Kiener aus Straßburg mit Schimpfworten überhäuft und
"... meuchelmörderischer Weise an hellem Tage,
sowohl in dem Ort, als auf öffentlicher
Landstraße geschlagen und fast getödet
worden (sein)." ⋅19⋅
Wenige Tage später wurde Catarina Herr als angebliche Spionin des Maire von Straßburg misshandelt, ⋅20⋅ während der Hänfer Michael Mißmer für vielleicht etwas gewagte Worte im November eine Nacht in Haft verbringen und 12 Taler Strafe bezahlen musste. Darüber hinaus erhielt er 50 Hiebe auf den Hintern.⋅21⋅ Besonders übel wurde es in Straßburg aufgenommen, als der von dort stammende Johann Jacob Jung am 7. Dezember mit seinem Vater an der Rheinbrücke in Kehl belästigt wurde.⋅22⋅
c. 'Mißliebige Händel und Sittenverderbl. Verführungen'
Opfer einer Unzahl schwerer Verbrechen wurde vor allem die einheimische Bevölkerung. Im ganzen Oberamt Ettenheim beschuldigte man die Soldaten, besonders die gebürtigen Franzosen, immer wieder Frauen bedroht zu haben.⋅23⋅ Dies wurde mit Sicherheit durch Feste in Ettenheim gefördert. Tanzveranstaltungen in der Stadt zogen die Jugend der Umgebung in nicht geringer Zahl an.⋅24⋅
Als im Juli 1791 ein 12jähriges Mädchen vergewaltigt wurde, war dies letzter Anlass für die Errichtung des Lagers in Ettenheimweiler.⋅25⋅ Wie notwendig es war, für eine bessere Kontrolle über die Soldaten zu sorgen, zeigt auch der Vorfall vom 6. Juli 1791. Abends zwischen 6 und 7 Uhr stiegen einige Soldaten in ein Ettenheimer Bierhaus ein, wo sie mit den beiden Töchtern des Besitzers 'nach Gefallen umgehen wollten'. Nur durch 'Feurio-Rufe' gelang es den sich wehrenden Wirtsleuten, den Soldaten Einhalt zu gebieten und die Bevölkerung zu Hilfe zu rufen.
Nachdem die herbeigeeilte Wache, um die Unruhen beizulegen, zwei Bürger verhaftet hatte, wollten die aufgebrachten Ettenheimer Sturm läuten, wurden allerdings durch Soldaten daran gehindert. Da man jedoch auf der Freilassung der Inhaftierten bestand und der Tumult immer größere Ausmaße annahm, ließ Mirabeau Militär aufmarschieren und den Feuerbefehl auf die Bevölkerung geben. Im letzten Moment konnte die Ausführung aber durch die Ortsverwaltung und angesehene Bürger verhindert werden; die Inhaftierten wurden freigelassen, und die Bürgerschaft gab sich damit zufrieden.⋅26⋅
Auch als die Lager eingerichtet waren, dauerten die Zusammenstöße mit der Bevölkerung fort. In Lauterbach misshandelten am 1. September 1791 Soldaten bei einer Auseinandersetzung in einem Wirtshaus den Wirt, dessen Ehefrau und das Gesinde. Ein Bauernbursche wurde schwer verwundet und einem Werber, der zum Frieden mahnte, mit einem Stein das Auge ausgeworfen.⋅27⋅ Im Oktober fügte man einem Wirt in Kappel eine gefährliche Verletzung im Unterleib zu.⋅28⋅ Als am Barbaratag 1791 ein Bürgerssohn, der sich als Schneider anwerben lassen wollte, ohne Erlaubnis über ein von Truppen bewachtes Feld ging, wurde er von einem Jäger erschossen.⋅29⋅ Schimpfreden über den Kardinal wurden in Ettenheim laut und mehrten sich, nachdem ein weiterer Bürgerssohn im Dezember an einer Wirtshaustüre von einem Soldaten mit jemand anderem verwechselt und durch einen Säbelhieb im Unterleib so verwundet wurde,
"... daß die Gedärme sich gleich aus der Wunde gedränget." ⋅30⋅
Von weiteren grausamen Verbrechen zeugten die zwei Leichen, die man um die Jahreswende in Renchen in einem Dunghaufen gefunden hatte,⋅31⋅ und vor allem die vielen Frauenschicksale der Jahre 1791 und 1792. Dreißig Frauen wurden durch Soldaten schwanger, eine sogar 'venerisch angesteckt'.⋅32⋅ Am 22. Januar 1792 wurde Chatarina Beck in den Turm gesperrt. Unter dem Boden eines Schweinestalles hatte man die Leiche ihres unehelichen Kindes gefunden.⋅33⋅
Anmerkungen
vgl. auch: Joann Conrad Machleid, Diarium II, *133v.
gegen zwei Uhr morgens verschwanden sie, kehrten allerdings nach neun Uhr vom Tau durchnässt zurück.
(Vgl.: GLA 74-6282, 102r.)
"Das schlimste dabei ist, daß die Weibsleute sich
fast nicht mehr getrauen, allein in die Weinberge zu
gehen, weil man diese Leuten in Ansehung des
weibln Geschlechts nichts gutes erwarten kann, und
es ist zu befürchten, daß das Uibel sich noch vermehre,
wenn die Zeitigung der Trauben zunimmt."
(Vgl.: GLA 74-6283, 140v.)
die Frau hatte sich zunächst nicht getraut, den Vorfall anzuzeigen.
(Vgl.: GLA 74-6283, 141r.)
Mirabeau, dem die Soldaten übergeben wurden, ließ dieselben verurteilen und inhaftieren.
(Vgl.: GLA 74-6284, 10v.)
man rechtfertigte diese Maßnahmen mit 'gefährlichen Reden', die man von Jenne als auch von dem Riegler Kaufmann gehört haben wollte.
(Vgl.: GLA 74-6281, 178v.)
bei seiner Rückreise soll Hofmann noch einmal ähnliches widerfahren sein.
(Vgl.: GLA 138-83, 158r.)
Vgl. über diesen Vorfall: GLA 74-6282, 34v-35r, 53r; GLA 138-83, 158v-159v;
die Berichte sind nicht völlig harmonisierbar. Auf diesen Vorfall hin haben die Straßburger übrigens einen ebenso unschuldigen auswärtigen Bürger als Genugtuung inhaftiert.
(Vgl.: GLA 74-6282, 200r/v.)
vgl. auch GLA 74-6284, 34v-35r;
die Straßburger beschwerten sich aufgrund dieses Vorfalles bei der Nationalversammlung in Paris.
(Vgl.: GLA 74-6284, 52v-53r.)
"... sags der Maire von Strasburg
hat dich geschickt, wenn dus sagst, so
soll dir nichts geschehen, wo nicht, so wirst
du aufgehangen."
(GLA 138-83, 161r, vgl. auch 160v.)
(Vgl.: GLA 138-83, 159r-160v.);
auch in Oberkirch erhielt im Dezember ein Ortenauer Bürger von Soldaten 28 Stockstreiche.
(Vgl.: GLA 74-6284, 177r.)
ob jener Mann mit der Kokarde einer der bischöflichen Soldaten war, ist allerdings unwahrscheinlich (GLA 138-83, 162v-163v.);
vgl. auch den Vorfall unter GLA 138-83, 161r-162r.
"... daß nicht nur
ledige Manns und Weibs Personen, sonder(n)
auch Weiber dieser bede(n) Orte an Sonn-
und Werktagen dem Tanzen in Ettenheim
und dortiger Gegend nachziehen Woher
bey den jungen Purschen mißliebige Händel,
bey den Weibsleuten aber Sittenverderb(liche)
Verführungen zue besorgen stehet, welche
zu steuren wir unter Anhoffung hoechster
Genehmigung beeden Gemeinden der gemes=
senen Befehl ertheilt haben, daß alte und
junge Leute beiderley Geschlechts sich der Tänze
und anderer öffentl. Lustbarkeiten im Et=
tenheimischen um sogewisser enthalten sol=
len, als wir wiedrigenfalls die ühertre=
tende ledige Leute durch Stok Streiche die
verheurathete aber mittels Einthürmung
hievon abhalten und xxxxxx zur Strafe ziehe(n)
werden."
(GLA 74-6282, 167v-168r.)
Mirabeau ließ daraufhin in allen Ortschaften des Oberamtes Ettenheim Gerichte einberufen, bei denen die Bürger ihre Klagen über die Soldaten vorbringen sollten.
(Vgl.: GLA 74- 6282, 137r.)
"... Dieser Vorgang erregt eine nachtheilige Sensation in dem
Ober Amt Oberkirch. Die Bürger sagen: Gott bewahre uns, vor
solche Sicherheits Truppen, die der Herr Kardinal unter diesem
Vorwand der Stadt Oberkirch aufgedrungen hat."
(Landvogt von Blittersdorf in einem Schreiben vom 16. September an die Regierung in Karlsruhe, GLA 74-6283, 194r.)
der Husar, der das Verbrechen begangen hatte, wurde durch Spießruten gejagt und anschließend einem K. und K. Werber in Ringsheim übergeben.
(Vgl.: GLA 74-6284, 71r.)
Rohan ließ seinem Vater 6 Louisd'or überreichen.
(Vgl.: GLA 74-6284, 153r; vgl. auch GLA 74-6284, 166r.)
dass der Übeltäter nach Renchen in Haft gebracht wurde, erregte den Unwillen der Bevölkerung, die mutmaßte, dass er dort unbehelligt bleiben werde. Als der Junge Anfang 1792 starb, wunderte sich die Nachbarschaft darüber, dass keine Ausschreitungen festzustellen waren.
(Vgl.: GLA 74-6285, 20v-21r, 22v-23r, 34r, 49v.)
letztere hatte viel mit Obst im Lager gehandelt. Nach bekannt werden der Krankheit wurde der Kippenheimerin untersagt mit ihren Schwestern weiterhin im selben Bett zu schlafen. Da sich die Hebammen weigerten, ihr Geburtshilfe zu leisten, fungierte Landchirurgus Oberle als Geburtshelfer. Im Januar 1792 brachte die bald darauf genesende junge Mutter einen Sohn zur Welt.
(Vgl.: GLA 74-6284, 150v; GLA 74-6285, 40v.)
Vgl. zu ihrem Fall: Joann Conrad Machleid, Diarium II, *145r, *146v; GLA 74-6285, 92r.