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Weiter-ButtonZurück-Button Die Überlieferungskritik - Gerhard von Rad und die am Kult orientierte überlieferungsgeschichtliche Methode ⋅2⋅

Es bleibt uns nun noch auf die weitere Entwicklung des Methoden-Apparates der modernen Exegese zu schauen.

Nach der Form- bzw. Gattungskritik brachte vor allem Gerhard von Rad noch einmal eine weiterführende Betrachtungsweise ein. Wir kommen zur "überlieferungsgeschichtlichen Methode" bzw. "Betrachtungsweise", oder kurz zur Überlieferungskritik.

Gerhard von Rad veröffentlichte 1938 eine kleine Schrift mit dem Titel "Das formgeschichtliche Problem des Hexateuch".

1. Der "Sitz im Leben" des Penta- bzw. Hexateuch

Rein äußerlich gibt sich diese Abhandlung wie eine gattungskritische Analyse. Gerhard von Rad fragt nach dem "Sitz im Leben", an dem das umfassende Geschichtsbild des Alten Testamentes benötigt wurde.

Diese Arbeit war für die Forschung am Alten Testament äußerst folgenreich. Der Unterschied der Gattungsforschung Gunkels zur Fragestellung von Rads ist nämlich ganz gewaltig.

Hermann Gunkel fragt nach dem "Sitz im Leben" eines einzelnen Stoffes. Gerhard von Rad fragt nach dem "Sitz im Leben" des Gesamtentwurfs des Penta- bzw. Hexateuchs.

Welchen Ort hat dieses gewaltige Werk? Was hat Menschen dazu veranlasst, die einzelnen Texte zu diesem Gesamtwerk zusammenzukomponieren?

Gerhard von Rad will also zeigen, wie und aus welchen Gründen Einzelstoffe zu übergreifenden Erzählungs- und Gesetzeskomplexen und schließlich dann zu den Pentateuchquellen J, E, D und P zusammenwuchsen.

2. Kultische Bezüge in den geschichtlichen Überlieferungen

Ausschlaggebend für seine Fragestellung waren Beobachtungen form- und gattungsgeschichtlicher Forscher am Psalter - besonders Sigmund Mowinkels.

Man hatte nämlich kultische Bezüge der im Pentateuch enthaltenen geschichtlichen Überlieferungen entdeckt. Auch die erzählenden Texte hatten also etwas mit den Gottesdiensten in Israel zu tun.

Man stellte mit den Methoden der Form- und Gattungskritik fest, dass an den Heiligtümern in Israel nicht nur Opfer dargebracht, sondern auch Texte vorgetragen wurden.

Diese Texte priesen im Sinne des beschreibenden Lobes die Taten Gottes und hielten die Erinnerung an den Ursprung der Kultstätte wach.

Das war für Gerhard von Rad der geschichtliche Ursprung der einzelnen Traditionen, die später im Pentateuch verarbeitet worden waren.

3. Sinai- und Landnahmetradition

Gerhard von Rad untersuchte daher die Feste in Israel. Einen wichtigen Hinweis fand er dabei im sogenannten "kleinen geschichtliche Credo" in Dtn 26,5-9, einem Text, den der Bauer bei der Abgabe der Erntedankgaben sprechen sollte

"Du aber sollst anheben und vor Jahwe, deinem Gotte sprechen:
Ein umherirrender Ara­mäer war mein Vater. Mit wenigen Leuten zog er hinab nach Ägypten und hielt sich dort als Fremdling auf, wurde aber daselbst zu einem großen und starken und zahlreichen Volke. Als uns dann die Ägypter schlecht behandelten und bedrückten und uns harten Frondienst auferlegten, schrien wir zu Jahwe, dem Gotte unserer Väter und Jahwe hörte auf unser Rufen und sah unser Elend, unsere Mühsal und Bedrängnis. Und Jahwe führte uns aus Ägypten weg mit starker Hand und ausgestrecktem Arme, mit großen Schrecken, unter Zeichen und Wundertaten. Er brachte uns an diesen Ort und gab uns dieses Land, ein Land, das von Milch und Honig fließt. Und hier bringe ich nun die Erstlinge von den Früchten des Landes, das du, Jahwe, mir gegeben hast." (Dtn 25,6-9.)

Gerhard von Rad entdeckte in diesem Text eine Fülle von Themen aus dem Pentateuch wieder. Auffallend ist jedoch, dass nirgendwo die Rede von einem Bundesschluss ist.

So kommt Gerhard von Rad zur Überzeugung, dass im Zusammenhang mit der Darbringung der Erntegaben nicht vom Bundesschluss am Sinai gesprochen wurde.

Die Darbringung der Erntegaben steht aber in direktem Zusammenhang mit dem großen Erntedankfest, dem späteren "Wochenfest" (Schebu'oth), das ursprünglich in Gilgal gefeiert wurde.

So vermutet Gerhard von Rad also, dass das Erntedankfest in Gilgal der eigentliche und ursprüngliche "Sitz im Leben" all der Traditionen ist, die mit der Landnahme zu tun hatten. Sie seien im Zusammenhang mit diesem Fest tradiert und ausgestaltet worden.

Gerade die Themen des Erntedankes - so haben wir ja bereits gesehen - sind schließlich im Zusammenhang der Landnahme von den Kulturlandbewohnern übernommen worden. So hätten sich die Traditionen, die mit der Landnahme zusammenhängen, leicht an dieses Fest anhängen können.

Die Überlieferungen vom Gottesbund am Sinai glaubte Gerhard von Rad dann an einem anderen Fest festmachen zu können, nämlich am Herbstfest.

Die drei Festtage:

  • Rosch ha-Schanah (also das Neujahrsfest)
  • Jom Kippur (der Versöhnungstag)
  • und Sukkoth (das Laubhüttenfest)

waren nach von Rad ursprünglich ein einziges Herbstfest in Sichem. Und bei diesem Herbstfest hätte man vor allem die Traditionen vom Sinai, vom Bundesschluss mit Jahwe, weitergegeben.

An diesen beiden Festen, die einmal unterschiedlichen Heiligtümern zugeordnet waren, hätten sich in der Frühzeit eine eigenständige Sinai- und eine Landnahmetradition gebildet.

Gerhard von Rad unterscheidet bei den größeren Traditionskomplexen also zwischen einer Sinai- und einer Landnahmetradition.

Die größeren Erzählkomplexe, die dann das Material für die späteren Pentateuchstränge geliefert hätten, wären dementsprechend an israelitischen Heiligtümern im Zusammenhang mit dem Kult, dem Gottesdienst entstanden.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkung

1 Vgl.: Annemarie Ohler, Grundwissen Altes Testament (Stuttgart 3. Auflage 1989) I/91. Zur Anmerkung Button