Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Die Errettung aus Ägypten ⋅1⋅

Gehen wir also nun davon aus, dass einzelne prae-israelitische Gruppen bereits im Land Kanaan sesshaft geworden waren, während andere Gruppen des nachmaligen Israels noch geraume Zeit am Rande des Kulturlandes als Halbnomaden lebten.

Dies dürfte der geschichtliche Hintergrund für die Ereignisse sein, die das Buch Exodus schildert.

Wenden wir uns nun den dort geschilderten Ereignissen um die Knechtschaft der Israeliten in Ägypten zu. Dazu lassen wir die bereits sesshaft gewordenen Gruppen nun einmal außer Betracht und verfolgen vor allem, was sich bei den Gruppen ereignete, die noch zu den Halbnomadengruppen gehörten.

1. Halbnomadengruppen in Ägypten

Im bereits erwähnten kleinen geschichtlichen Credo in Dtn 26,5 findet sich die Aussage, dass die Vorfahren Israels von den Ägyptern geknechtet und bedrückt wurden, dass Jahwe sie aber herausgeführt habe

"...mit starker Hand und ausgestrecktem Arm, unter großen Schrecknissen, unter Zeichen und Wundern." (Dtn 26,8.)

a. Hungersnöte zwingen Halbnomaden nach Ägypten zu ziehen

Wir haben bereits gesehen, dass der Aufenthalt von Halbnomaden in Ägypten etwas ganz normales war. Weidewechselnde Halbnomaden zogen in der Trockenzeit ins fruchtbare Nildelta, um dort ihre Herden ernähren zu können.

Aber auch Nomaden, die normalerweise im Bereich Palästinas Zuflucht vor der Trockenzeit fanden, konnten ab und an gezwungen sein, nach Ägypten zu ziehen.

Wenn im Bereich Palästinas während des Winters die Regenfälle ausgeblieben waren, entstand unweigerlich eine Hungersnot. Das Land vermochte dann den in der Trockenzeit aus der Wüste zuwandernden Halbnomaden keine Lebensmöglichkeit zu bieten.

Dann blieb einzig und allein der Ausweg in das vom Regen unabhängige, fruchtbare Niltal zu ziehen.

Wir müssen demnach wohl den Ägyptenaufenthalt der Vorfahren Israels im Rahmen dieser Lebensbedingungen weidewechselnder Wanderhirten sehen.

b. Biblische Belege

An einigen Stellen der Patriarchenerzählung scheinen solche Vorfälle vorausgesetzt zu sein.

Gen 26,1 heißt es:

"Im Land brach eine Hungersnot aus, eine andere als die frühere zur Zeit Abrahams. Isaak begab sich nach Gerar zu Abimelech, dem König der Philister. Da erschien ihm der Herr und sprach: Geh nicht nach Ägypten hinunter, bleib in dem Land wohnen, das ich dir verspreche." (Gen 26,1-2.)

Die normale Reaktion auf diese Hungersnot wäre demnach gewesen, nach Ägypten zu ziehen.

Im 41. bzw. 42. Kapitel der Genesis heißt es:

"Als die Hungersnot über das ganze Land gekommen war, öffnete Josef alle Speicher und verkaufte Getreide an die Ägypter. Aber der Hunger wurde immer drückender in Ägypten. Auch alle Welt kam nach Ägypten, um bei Josef Getreide zu kaufen; denn der Hunger wurde immer drückender auf der ganzen Erde. Als Jakob erfuhr, dass es in Ägypten Getreide zu kaufen gab, sagte er zu seinen Söhnen: Warum schaut ihr einander so an?" (Gen 41,56-42,1.)

Alle Welt kommt also nach Ägypten, um dort während der Hungersnot Getreide zu kaufen. Und Jakob in Palästina schickt seine Söhne ebenfalls dorthin, weil es anscheinend keine andere Möglichkeit mehr gibt.

In diesen Stellen hat sich mit Sicherheit die alte Erinnerung niedergeschlagen, dass man als Angehöriger einer Halbnomaden-Gruppe in Ägypten Hilfe finden konnte, wenn es in Palästina keine Möglichkeit mehr gab, sich selbst und die Herden zu ernähren.

Auch Gen 12,20ff; 43,1ff und 46,1ff ließen sich hier anführen.

Solch eine Hungersnot dürfte der historische Hintergrund für den in der Bibel geschilderten Ägyptenaufenthalt der Vorfahren Israels gewesen sein.

c. Ägyptische Quellen

Auch in ägyptischen Quellen sind solche Vorfälle belegbar. Eine Inschrift aus der Zeit um 1350 v. Chr. berichtet, dass eine Gruppe von Halbnomaden

"... die nicht wußte, wo sie leben sollte, kam, um ein Heim in dem Gebiet des Pharao zu erbitten." ⋅2⋅

Um 1200 v. Chr. meldet ein ägyptischer Grenzbeamter seinen Vorgesetzten, dass er Beduinenstämme aus der Steppe die Grenzfestungen habe passieren lassen

"... um sie und ihr Vieh auf der großen Besitzung des Pharao, der guten Sonne eines jeden Landes, am Leben zu erhalten." ⋅3⋅

d. Nomadengruppen werden zu Frondiensten herangezogen

Im Normalfall kehrten solche hilfesuchenden Nomadengruppen natürlich beim Anbruch der Regenzeit wieder in ihr angestammtes Wandergebiet zurück.

Nun konnte es aber geschehen, dass Halbnomadengruppen, die in Ägypten vor einer Hungersnot Zuflucht suchten, von den Ägyptern zu Dienstleistungen herangezogen und wider Willen als billige Arbeitskräfte festgehalten wurden.

Wir haben auch hierfür eine außerbiblische Quelle. In einem ägyptischen Brief aus dem 13. Jahrhundert v. Chr. ist von Leuten die Rede

"... die für den großen Pylon (= Eingangsturm eines ägyptischen Tempels) von Ramses Miamun Steine ziehen." ⋅4⋅

Durch solche Texte ist belegt, dass es Fronarbeit für ägyptische Tempelanlagen gab.

Woher wissen wir aber jetzt, dass die in diesem Brief genannten Leute tatsächlich Nomadengruppen waren? Das hängt mit der Bezeichnung dieser Leute zusammen.

Sie werden in diesen ägyptischen Dokumenten mit einem Wort benannt, das folgende Form hat: "<pr".

2. Die Hebräer

a. Die Vorfahren Israels gehören zu den "Habiru"

Wir wissen zwar - wie bei allen ägyptischen Texten - nicht mehr, wie dieses Wort ausgesprochen wurde, aber die drei Konsonanten "<pr" begegnen uns in der damaligen Zeit nicht nur in Ägypten. Sie begegnen im gesamten Bereich Ägyptens, Syrien/Palästinas und Mesopotamiens. Und zwar immer in der gleichen Form.

  • In Urkunden des Zweistromlandes finden wir Leute, die "Habiru" genannt werden.
  • In ähnlichen Formen kommt der Ausdruck in hetitischen und ugaritischen Texten vor.
  • Und in Ex 2,11, also einer biblischen Quelle, finden wir das Wort אִישׁ־עִבְרִי [">isch-<ibri"], also wiederum die Wortwurzel עבר [Ajin - beth - resch].

Ins Deutsche übertragen heißt diese Stelle aus dem Buch Exodus:

"In jener Zeit, als Mose herangewachsen war, ging er einmal hinaus zu seinen Brüdern und sah ihre Fronarbeit an. Und da sah er, wie ein Ägypter einen אִישׁ־עִבְרִי [">isch-<ibri"], (also einen Mann von den עִבְרִי ["<ibri"]), einen von seinen Brüdern, schlug." (Ex 2,11)

Hinter diesem Ausdruck עִבְרִי ["<ibri"] steckt das gleiche Wort wie in den ägyptischen Dokumenten. Wir haben hier dieselbe Wortwurzel wie im mesopotamischen Ausdruck "Habiru".

Gewöhnlich übertragen wir dieses Wort עבר ["<br"] im Deutschen mit dem Ausdruck "Hebräer". Ein Wort, dass im Zusammenhang mit der Knechtschaft in Ägypten ab Ex 1 immer wieder in der Bibel Verwendung findet.

Die Israeliten wussten sich also zugehörig zu den "Hebräern" oder zu den "Habiru".

Was sind das nun für Leute? Wen bezeichnete man in der damaligen Zeit mit "Habiru"? Und warum begegnet dieses Wort plötzlich in Texten aus allen Gegenden des sogenannten fruchtbaren Halbmondes?

b. Wer oder was waren die "Habiru"?

Es lässt sich zeigen, dass mit dem Wort "Habiru" in all diesen Quellen keine nationale oder völkische Größe gemeint sein kann. Die "Habiru" sind also kein eigenes Volk.

Es scheint sich bei diesem Ausdruck in erster Linie um die Bezeichnung einer soziologischen Größe zu handeln. "Habiru" scheint die Bezeichnung für nichtsesshafte Gruppen von Menschen minderen Rechtes zu sein. Und damit auch nichtsesshafte Gruppen, die für andere Dienste leisten müssen.

Im Zusammenhang mit der zweiten aramäischen Wanderwelle scheint dieses Phänomen, dass Nomadengruppen in das Gebiet der einzelnen Hochkulturen eindrangen, im ganzen fruchtbaren Halbmond aufgetreten zu sein. Von den Kulturlandbewohnern wurden diese nichtsesshaften Gruppen als Menschen minderen Rechtes betrachtet. Man nannte sie "Habiru" oder dann auch mit dem Ausdruck der Bibel "Hebräer".

Und anscheinend kam es auch immer wieder vor, dass solche Gruppen zu Dienstleistungen herangezogen wurden.

c. Die zeitliche Einordnung des Ägyptenaufenthaltes der Hebräer

Mumie

Mumie des Pharaos Ramses II. (1301-1234 v. Chr.) im ägyptischen Museum in Kairo.

Foto-ButtonLizenz: Speedster, Ramses2 (2), CC BY-SA 4.0)

In Ex 1,11 wird berichtet, dass Hebräer, also sol­che no­ma­di­schen Grup­pen, die man zu den Vor­fahren Israels zähl­te, zum Bau der Städte Pitom und Ramses he­rangezo­gen wur­den. Es heißt dort:

"Sie setzten da­rum über es [= das Volk der Israeliten] Fron­vögte, damit sie es durch ihre Fronarbeiten bedrückten. Es musste Vorratsstädte für den Pharao bauen, nämlich Pitom und Ramses" (Ex 1,11.)

Diese Angabe ist für uns ganz besonders wichtig. Sie erlaubt nicht nur den Schluss, dass die Vorfahren Israels nun eben zu solchen Fronarbeiten he­ran­ge­zogen wur­den, sie lässt uns diesen Sklavenaufenthalt der Hebräer in Ägypten auch recht genau zeitlich eingrenzen.

Die genaue Angabe in Ex 1,11 lässt nämlich darauf schließen, dass der Pharao dieser Unterdrückung Ramses II. (1301-1234 v. Chr.) gewesen ist.

Archäologische Grabungen und literarische Nachrichten lassen erkennen, dass die Städte Pitom und Ramses, die Ex 1,11 nennt, zur Zeit Ramses' II, ausgebaut wurden. Vor und nach seiner Zeit waren sie kaum besiedelt. Dadurch lassen sich die Ereignisse, die hinter dem Buch Exodus stehen, zeitlich recht genau eingrenzen.

Es ist also recht wahrscheinlich, dass um die Mitte des 13. vorchristlichen Jahrhunderts eine prae-israelitische Gruppe in Ägypten festgehalten und zu Sklavenarbeiten herangezogen wurde.

3. Die Gestalt des Mose

Auf diese Ereignisse in Ägypten müssen wir noch ein wenig genauer eingehen. Mit ihnen hängt schließlich der zentrale Glaubenssatz Israels zusammen.

Es ist eine uralte, im Alten Testament häufig wiederkehrende Aussage, dass Jahwe Israel aus Ägypten befreit habe. Dieser Glaubenssatz findet sich z. B. an der so zentralen Stelle in der Einführung des Dekalogs, der Zehn Gebote:

"Ich bin Jahwe, dein Gott, der ich dich aus dem Lande Ägypten, dem Sklavenhaus, herausgeführt habe." (Ex 20,2.)

Interessant ist hierbei, dass die Errettung aus Ägypten von Anfang an mit der Person des Mose verknüpft war. Wer aber war dieser Mann?

a. Die Historizität des Mose

Die Historizität des Mose war - genauso wie die der Patriarchengestalten - äußerst umstritten. In der gegenwärtigen Forschung neigt man wieder eher dazu, von einer konkreten historischen Persönlichkeit auszugehen.

Dafür dass er eine historische Persönlichkeit ist, spricht einiges. Und es spricht auch einiges dafür, dass seine Person im Zusammenhang mit den Ereignissen in Ägypten gestanden hat.

b. Der Name

Hierauf weist schon der Name "Mose" hin.

Dieser Name ist die Kurzform eines zusammengesetzten ägyptischen Namens. Er weist dieselbe Konsonantenfolge auf - nämlich "ms" - wie das ägyptische Wort für "Sohn".

Dieses Wort kehrt in ägyptischen Namen häufig wieder, z. B. in Thutmose, Amose, Ramose und Ramses.

Die alttestamentliche Überlieferung verweist auch ausdrücklich auf die ägyptische Herkunft des Mosenamens (Ex 2,10).

c. Mose in ägyptischen Diensten

Es ist nun sehr wahrscheinlich, dass dieser Mose zu einer Gruppe vorisraelitischer Wanderhirten gehörte, die mit Ägypten in Berührung gekommen waren.

Die Geschichte von seiner Aussetzung im Binsenkorb darf hierbei nicht mit einem historischen Bericht verwechselt werden. Hier handelt es sich um einen altbekannten Topos, der immer wieder in die Biographie von großen Gestalten eingetragen wurde. Es geht um die wunderbare Errettung der zukünftigen Rettergestalt.

Der ägyptische Name des Mose könnte aber ein Hinweis darauf sein, dass dieser Mose in ägyptischen Diensten stand. In ägpytischen Quellen ist nämlich belegt, dass Ausländer durchaus in ägyptische Dienste treten konnten.

Wichtig für unsere Überlegungen ist, dass solche Fremde, die in ägyptische Dienste traten, in diesem Zusammenhang häufig auch einen ägyptischen Namen erhielten. Vielleicht hat der Name des Mose hier seinen Ursprung.

d. Die Flucht zu den Midianitern

Der biblischen Überlieferung zufolge geriet Mose in Konflikt mit den Ägyptern, floh außer Landes in das Gebiet der Midianiter und heiratete dort die Tochter eines midianitischen Priesters (Ex 2).

Auch für derartige Vorgänge gibt es Parallelen in ägyptischen Texten. In der bekannten Erzählung von Sinuhe dem Ägypter z. B. wird geschildert, wie derselbe infolge eines Konfliktes mit dem Pharao ins Ausland floh und sich dort verehelichte. ⋅5⋅

Die Überlieferung von der Verschwägerung des Mose mit den Midianitern muss darüber hinaus sehr alt und damit auch sehr zuverlässig sein.

In späterer Zeit herrschte ein äußerst gespanntes Verhältnis zwischen Israeliten und den Midianitern. Dies lässt sich beispielsweise in Ri 6 festmachen.

Man hätte also in späterer Zeit kaum eine familiäre Beziehung zwischen den Midianitern und einer für die israelitische Tradition so bedeutenden Gestalt wie Mose konstruiert. Dies spricht sehr für eine Verwurzelung in historischen Tatbeständen.

4. Der Gott Jahwe

Nach alttestamentlicher Überlieferung wurde Mose im Bereich der Midianiter eine entscheidende Jahweoffenbarung zuteil (Ex 3,1ff).

Wer war dieser Gott Jahwe, wie kam Mose zum Glauben an diesen Gott und warum geschah dies wohl bei den Midianitern?

Die Bibel beantwortet diese Frage ganz eindeutig. Wenn man diesem Bericht aber nicht einfach blind folgen möchte, wenn man ihn eben nicht mit einem historischen Bericht verwechselt, dann ergeben sich eine Fülle von Fragen. Einigen von ihnen möchte ich hier nachgehen.

Begann der Jahweglaube tatsächlich allein damit, dass dem Mose eine Offenbarung zuteil wurde? Spielte also plötzlich von einem Tag auf den anderen der Gott "Jahwe" eine Rolle?

Nach dem heutigen Stand der wissenschaftlichen Forschung scheint das nicht der Fall zu sein. Es scheint sogar sehr wahrscheinlich zu sein, dass der Jahwe-Glaube nicht einfachhin allein durch Mose vermittelt wurde. Es gibt Hinweise darauf, dass die Jahweverehrung selbst bereits älter als Mose ist. Dass also Mose hier auch bereits auf einer älteren Tradition aufbauen kann.

Schon in der Zeit lange vor dem Sesshaftwerden der einzelnen prae-israelitischen Gruppen scheint nämlich ein Gott mit Namen Jahwe verehrt worden zu sein.

a. Jahwe, der Gott vom Sinai

Ein Hinweis darauf findet sich in Ri 5,5 und Ps 68,9. Dort findet sich die offenbar sehr altertümliche Gottesbezeichnung

"Jahwe, (der Gott) vom Sinai" (Ri 5,5).

Auch Dtn 33,2 charakterisiert mit der Wendung

"Jahwe kommt vom Sinai her" (Dtn 33,2.)

diesen Gott durch seine Zuordnung zum Sinai (vgl. Hab 3,3).

Wir haben hier - wie man zeigen kann - sehr alte Textstücke vorliegen. Ri 5,5 gehört zum sogenannten Debora-Lied, einem der ältesten Texte der Bibel überhaupt.

Nach dieser Tradition scheint aber der Sinai einmal als eigentlicher Wohnsitz Jahwes verehrt worden zu sein.

Jetzt kann man sich ja ruhig fragen, ob diese alte Tradition, diese alte Erinnerung, dass Jahwe auf dem Sinai wohnt, den Exodusbericht nicht etwa beeinflusst hat. Möglicherweise hat sich hier ja genau diese alte Tradition niedergeschlagen.

Vielleicht lässt der Bericht des Buches Exodus Israel nur deshalb nach dem Auszug aus Ägypten am Berg Sinai halt machen, weil das eben der Berg Jahwes ist. Möglicherweise lebt in dieser Erzählung vom Wüstenaufenthalt am Sinai nichts anderes weiter als die Erinnerung an den Sinai als früher einmal eigentlicher Verehrungsort Jahwes.

b. Wie wäre eine solche, frühe Jahweverehrung zu denken?

Was müsste man sich dann unter einer solchen frühen Jahweverehrung vorstellen? Wie hätte man sich diese Ursprünge der Jahwereligion zu denken?

Grundsätzlich kann man sagen, dass es wohl Gruppen von Halbnomaden gab, die ihre kultischen Begehungen an oder auf Bergen abgehalten haben.

Berge haben in der Religionsgeschichte schon immer eine große Rolle gespielt. Ich brauche hier nur an die vielen heiligen Berge in den verschiedenen Kulturen erinnern.

Eine dieser Gruppen, die ihr Wandergebiet im Bereich der Wüste südlich Palästinas gehabt haben dürfte, scheint auf oder an einem Berg Sinai einen Gott verehrt zu haben, der nun den Namen "Jahwe" trug.

Wo dieser Berg Sinai genau lag, ist heute nicht mehr eindeutig lokalisierbar. Die heutige Tradition, die den Berg Sinai auf der Sinaihalbinsel sucht, ist sicher jüngeren Ursprungs und von der jetzigen Gestalt der Exodusüberlieferung beeinflusst.

Wir haben aber in der jetzigen Gestalt der biblischen Überlieferung einen Hinweis darauf, welche Art von Berg der eigentliche Sinai ursprünglich einmal gewesen sein könnte. Hier ist Ex 19,16-19 besonders wichtig:

"Am dritten Tag, als es Morgen wurde, brachen Donner und Blitze los, eine schwere Wolke lagerte sich über den Berg, und es ertönte mächtiger Posaunenschall. Das ganze Volk, das im Lager war, erbebte. Mose führte das Volk aus dem Lager heraus Gott entgegen, und sie stellten sich am Fuße des Berges auf. Der Berg Sinai war ganz in Rauch gehüllt, weil Jahwe im Feuer auf ihn herabgekommen war. Der Rauch stieg auf wie der Rauch eines Schmelzofens. Der ganze Berg erbebte heftig. Der Posaunenschall wurde immer stärker. Mose redete, und Gott antwortete ihm im Donner." (Ex 19,16-19.)

Dieser Abschnitt gehört zur ältesten Schicht der Überlieferung von der Gotteserscheinung am Sinai. Und hier fällt auf, dass die Jahwe-Theophanie, also die Erscheinung Jahwes, so geschildert wird, als ob es sich um einen Vulkanausbruch handeln würde.

Möglicherweise hat sich hier tatsächlich eine Erinnerung daran erhalten, dass der Sinai ursprünglich ein vielleicht zeitweilig tätiger Vulkan gewesen war, ein Vulkan, der der ursprüngliche Ort der Jahweverwehrung gewesen ist. Die frühe Jahweverehrung wäre dann möglicherweise am Anfang mit den Ausbrüchen dieses Vulkanes in Zusammenhang zu bringen.

In Ri 5,4-5, wiederum einem Text aus dem Deboralied - wie bereits erwähnt einem der ältesten Texte des Altes Testamentes überhaupt -, finden wir einen Hinweis, der diese Vermutung zu stützen scheint. Es heißt dort:

"Als du auszogst, Jahwe, von Seïr, anrücktest von Edoms Gefild, da bebte die Erde, die Himmel zitterten, die Wolken brachen in Wasser aus. Vor Jahwe zerrannen die Berge, vor Jahwe, dem Gotte Israels." (Ri 5,4-5.)

Hier wird gesagt, dass Jahwe von Seïr auszog. Seïr ist ein Gebirgsland östlich der Araba, wo es in historischer Zeit tatsächlich tätige Vulkane gab. Vielleicht muss man den eigentlichen Berg Sinai und damit den Ursprung der Jahweverehrung hier suchen.

c. Das Mahl auf dem Gottesberg

Warum sucht man den Berg Sinai heute aber auf der jetzt so genannten Sinaihalbinsel?

Hier ist vielleicht wichtig, dass nicht nur der Sinai beim Exodus eine Rolle spielt, sondern auch ein Berg, der Gottesberg genannt wird.

Hier scheint eine andere Tradition vorzuliegen. Sie dürfte neben der älteren (jahwistischen) Sinaitradition bestanden haben und ursprünglich wohl einmal selbständig gewesen sein.

Auch sie spricht davon, dass ein Gott auf einem Berg verehrt wird, hier geht es aber nicht um einen Vulkanausbruch, sondern um ein Mahl, das auf diesem Berg abgehalten wird. Ex 24,9-11 heißt es:

"Alsdann stiegen Mose und Aaron, Nadab und Abihu und siebzig von den Ältesten Israels hinauf. Sie schauten den Gott Israels und unter seinen Füßen ein Gebilde wie aus Saphirplatten und glänzend wie der Himmel selbst in seiner Reinheit. Er streckte aber seine Hand nicht gegen die Edlen Israels aus, vielmehr durften sie Gott schauen. Und sie aßen und tranken." (Ex 24,9-11.)

Diese andere (elohistische) Tradition scheint also die Verehrung eines Gottes mittels eines kultischen Mahles auf einem Berg, der Gottesberg, genannt wird, zum Hintergrund zu haben.

In unserem heutigen Buch Exodus sind beide Traditionen nun miteinander verwoben worden. Einmal lesen wir davon, dass das Volk unten am Berg steht, während derselbe wie ein Vulkan ausbricht, daneben wird berichtet, wie die 70 Ältesten auf dem Berg das Mahl halten.

Wenn wir davon ausgehen, dass die Überlieferung vom Sinai und die Tradition vom Gottesberg, auf dem man zu Kultmahlzeiten zusammen kam, ursprünglich selbständige Traditionen waren und nichts miteinander zu tun hatten, dann ist es auch sehr wahrscheinlich, dass dieser Gottesberg nicht identisch mit dem Sinai ist.

Vielleicht ist nun dieser Gottesberg aber genau in dem Gebirgsmassiv zu suchen, das im Südteil der heute sogenannten Sinaihalbinsel liegt. Dieser Gottesberg auf der Sinaihalbinsel hätte dann, als die beiden Traditionen miteinander verschmolzen wurden, die eigentliche Sinaitradition und damit auch den Namen "Sinai" an sich gezogen.

So könnte erklärt werden, wieso sich die Tradition der Jahweoffenbarung später an die heutige Sinai-Halbinsel gebunden hat. Und wieso bis heute das Durcheinander mit den verschiedenen Bezeichnungen des Ortes besteht, auf dem Jahwe erschienen ist.

Ich möchte da, um dieses Durcheinander deutlich zu machen, nur am Rande noch erwähnen, dass das Buch Deuteronomium ja noch eine andere Tradition zu kennen scheint. Dort erscheint Jahwe nämlich weder auf dem "Sinai", noch auf dem "Gottesberg", sondern auf dem Berg "Horeb". Auch dieser Berg Horeb wurde später dann mit dem Sinai identifiziert, der jetzt ganz einfach Gottesberg Horeb oder Sinai heißt.

Das gerade zeigt aber, wie vielschichtig die Tradition vom Berg der Jahwe-Theophanie war.

d. Der Jahweglauben keine rein israelitische Angelegenheit

Wir können diese vielschichtigen Traditionen hier nicht erschöpfend behandeln. Auch lassen sich letztlich nur Vermutungen anstellen und bestenfalls Hypothesen erarbeiten.

So muss hier zum Beispiel die Frage völlig offen bleiben, ob die Gruppen, die Jahwe an einem Vulkan Sinai verehrt haben, dieselben Gruppen waren, wie die, die an den kultischen Mählern auf dem Gottesberg teilnahmen.

Auch können wir hier jetzt nicht klären, ob diese Gruppen von Halbnomaden zu den direkten Vorfahren Israels zu zählen sind oder nicht, ob also unabhängig von einer Mosegruppe eine Verehrung des Gottes Jahwe bei einzelnen Gruppen der Vorfahren Israels verbreitet war oder nicht.

Sicher ist auf jeden Fall, dass auch Gruppen, die nicht zu den Vorfahren Israels gehörten, am Jahwekult teilnahmen und ihn kannten. Die Bibel deutet noch wage darauf hin, dass die Keniter (Ri 4,11) z. B. und die Midianiter (Ex 3,1; 18,12) Jahweverehrer waren. ⋅6⋅

Von Jetro, dem Schwiegervater des Mose, wird beispielsweise gesagt, dass er Priester von Midian gewesen sei (Ex 3,1) und in Ex 18 heißt es:

"Jetro, der Schwiegervater des Mose, brachte alsdann Gott ein Brandopfer und ein Schlachtopfer dar, und Aaron kam mit allen Ältesten Israels, um mit dem Schwiegervater des Mose vor Gott ein Mahl zu halten." (Ex 18,12.)

Der Priester von Midian bringt also dem Gott Jahwe ein Opfer dar.

Die Jahweverehrung scheint also ursprünglich keine rein israelitische Angelegenheit gewesen zu sein. Vielleicht hat sich in dieser genannten Stelle sogar die Erinnerung niedergeschlagen, dass Mose den Jahweglauben überhaupt erst von den Midianitern übernommen hat.

Vielleicht war es ja gerade dieser Jetro, der Schwiegervater des Mose, durch den letzterer überhaupt erst zum Jahweglauben kam. Dies könnte auch erklären, warum die verwandtschaftliche Beziehung zwischen Mose und Jetro sich so stark im Pentateuch niedergeschlagen hat.

Möglicherweise beinhaltet der Bericht von der Flucht des Mose zu den Midianitern und die dort angesiedelte Jahwetheophanie ja genau die Erinnerung daran, dass Mose bei den Midianitern den Glauben an Jahwe kennengelernt hat und diesen Glauben danach seinen Stammesgenossen in Ägypten nahebrachte.

5. Exodus und Wüstenwanderung

Der Auszug aus Ägypten

Der Auszug aus Ägypten.

Foto-Button© Westminster John Knox Press. All rights reserved.

Mose kehrte auf jeden Fall nach seinem Auf­enthalt bei den Midi­ani­tern nach Ägypten zu­rück und rief die fron­dienst­leistenden Vor­fah­ren der Israeliten im Namen dieses Jahwes auf, sich der ägyptischen Oberherrschaft zu ent­zie­hen.

Als die im Namen Ja­hwes vollzogene Flucht gelang und man am Meer die Rettung vor der Streiwagenmacht der Ägyp­ter erfuhr, wurde die aus Ägypten befreite Gruppe von Halbnomaden vermutlich endgültig zu Jahweverehrern (Ex 14,31).

a. Die Rettung am Schilfmeer

Diesen Auszug aus Ägypten darf man sich nun allerdings nicht nach Hollywood-Manier vorstellen.

Wir haben bereits gesehen, dass die Zahl der flüchtenden Israeliten nicht mit über 600.000 angegeben werden kann. Dies ist eine spätere, kunstvolle Zahlenangabe.

Auch ist der Durchzug durch das Meer selber nicht als großartiges Naturschauspiel zu denken. Das kann man nur verstehen, wenn man begreift, was im Alten Testament ursprünglich unter einem Wunder zu verstehen ist. Israel hatte hier einen ganz anderen Wunderbegriff als wir.

Israel glaubte Gottes Wirken nicht in der Außerkraftsetzung von Naturgesetzen zu entdecken. Im geordneten Ablauf der Welt entdeckte man Gottes begleitendes Wirken.

Der Text von Ex 14-15 lässt demnach an so etwas wie ein Konstellationswunder denken.

Der älteste Textbestand schildert, dass ein Gewässer, vielleicht ein wasserführender Wadi, durch den aus der Wüste blasenden Ostwind ausgetrocknet wurde.

"Jahwe ließ die ganze Nacht das Meer [genauer: das Wasser] vor einem starken Ostwind zurückweichen und legte das Meer [das Wasser] trocken." (Ex 14,21.)

Das ist ein leicht nachzuvollziehendes Ereignis. Die aus dem Osten, also aus der Wüste kommende Luft war trocken und heiß.

Ausgetrocknete Flussbette aber waren und sind in Palästina beliebte Verkehrswege. Möglich, dass die fliehenden Hebräer solch einen Weg wählten.

Ein Umschlagen des Windes führt nun feuchte Meeresluft herbei, die sich im Gebirge abregnete. Man kann auch heute noch beobachten, dass sich ausgetrocknete Flussbette durch die zu Tal stürzenden Wassermassen dann in Windeseile füllen. In diesem Fall besteht für die im Wadi wandernden Menschen tatsächlich Lebensgefahr.

Wenn Ex 14,27 vermerkt:

"Da fluteten die Wasser bei Tagesanbruch zu ihrem alten Ort zurück, während die Ägypter ihnen entgegenflohen." (Ex 14,27.)

kann man durchaus an solch einen Vorfall denken.

Dieses "ganz normale" Ereignis war für Israel ein Wunder. Es war das begleitende Handeln Jahwes, der bewirkte, dass die Ereignisse gerade zu diesem Zeitpunkt so zusammenkamen.

Diese Vorstellung vom Konstellationswunder ist der für das Alte Testament vorherrschende Wunderbegriff.

b. Mose und die Wüstenwanderungszeit

Dies dürfte in etwa der historisch fassbare Kern der Mosegestalt und des Auszuggeschehens sein. Mit großer Wahrscheinlichkeit war Mose an der Vermittlung des Jahweglaubens maßgebend beteiligt.

Umstritten ist, welche Rolle Mose historisch betrachtet bei der in der Bibel sich jetzt anschließenden Wüstenwanderung und in der Sinaiüberlieferung spielte.

Es kann durchaus sein, dass er erst im Laufe des Überlieferungsprozesses, als die ursprünglich selbständigen Pentateuchüberlieferungen miteinander verbunden wurden, in die übrigen Pentateucherzählungen Eingang gefunden hat. Seine Rolle bei der Wüstenwanderung und in der Sinaiüberlieferung braucht deshalb nicht unbedingt historisch zu sein.

Es könnte durchaus sein, dass man ihm die Leitungsfunktion in der Sinaiüberlieferung und in den Überlieferungsstücken von der Wüstenwanderung erst im Laufe der Entwicklung einfach zugeschrieben hat.

Dann müsste man davon ausgehen, dass die Gruppe, die am Auszugsgeschehen beteiligt war und dementsprechend auch Träger der Auszugstradition wurde, mit den Gruppen, die am Sinaikult teilnahmen und die vor allem dann auch die Sinaiüberlieferung ausformten, nicht identisch waren. Wir haben auf diese Fragestellung oben ja bereits hingewiesen.

Da es Anzeichen dafür gibt, dass Auszugstradition und Sinaitradition ursprünglich je eigenständige Überlieferungen waren und dass sie erst sekundär miteinander verbunden wurden, liegt für die Anhänger dieser These der Schluss nahe, dass je verschiedene Gruppen des nachmaligen Israels Träger der Sinaiüberlieferung auf der einen und der Auszugstradition auf der anderen Seite waren.

Die Träger der Sinaiüberlieferung wären dann natürlich auch - und zwar unabhängig von der Mosegruppe - Jahweverehrer gewesen und zwar durch die Teilnahme am Jahwekult, der am Sinai gepflegt wurde. Ihre Tradition wäre dann nachträglich mit der der Mosegruppe zusammengebunden worden.

Diese These ist allerdings recht umstritten. In den Überlieferungen des Pentateuchs hat sich die Mosegestalt so tief eingegraben, dass man sie auch historisch wohl nur schwerlich ganz daraus entfernen kann.

Vielleicht kann man die Spannungen so lösen, indem man davon ausgeht, dass die aus Ägypten entflohene Gruppe nach ihrer Rettung am Schilfmeer tatsächlich so etwas wie eine Wallfahrt an den Ort der Jahweverehrung unternommen hat. Damit sollte der gerade als mächtig erfahrene Gott an seiner Wohnstatt verehrt werden.

In der Bibel hat sich ein Hinweis auf diesen Zug in die Wüste zur Verehrung des Gottes Jahwe möglicherweise erhalten. Mose verlangt ja vom Pharao das Volk ziehen zu lassen, damit es seinen Gott verehren kann.

Solch eine Jahwe-Wallfahrt wäre dann wohl auch unter der Leitung des Mose geschehen. Die Berichte von der Sinaioffenbarung könnten dann eine Erinnerung an solch eine Wüstenwallfahrt zum Wohnsitz Jahwes sein. Vermutlich hat eine solche Wallfahrt die Mosegruppe jedoch nicht zum Sinai im Bergland von Seïr sondern zum "Gottesberg" auf der Sinaihalbinsel geführt. Dass dieser die Sinaitradition später an sich gezogen hat, könnte dadurch gut erklärt werden. ⋅7⋅

6. "Ägyptengruppe" und Volk Israel

Für die weitere Entwicklung der Geschichte Israels wird jetzt wichtig, dass die Mosegruppe ja nicht im luftleeren Raum anzusiedeln ist. Bevor sie aufgrund einer Hungersnot nach Ägypten zog hatte sie ja mit Sicherheit umfangreiche Kontakte zu anderen Halbnomaden-Gruppen am Rande des palästinensichen Kulturlandes, Gruppen des nachmaligen Israels. Solche Kontakte sind gut belegt.

Zur Begegnung von verschiedenen Gruppen des späteren Israel kam es aller Wahrscheinlichkeit nach beispielsweise am Oasenheiligtum von Kadesch, ⋅8⋅ 80 km südwestlich von Beerscheba.

Kadesch wird in den Pentateuchüberlieferungen mehrfach als Aufenthaltsort von Israeliten in der Zeit vor dem Sesshaftwerden ⋅9⋅ bezeugt.

Als die Mitglieder der Mosegruppe nach ihrem Exodus wieder in ihr angestammtes Wandergebiet kam, waren sie dort also keine Fremden. Alte Kontakte wurden wieder aufgenommen. Die Erlebnisse der Mosegruppe wurden so auch den anderen Halbnomadengruppen bekannt. Wir können also davon ausgehen, dass sich die Exodustradition rasch unter den Halbnomadengruppen verbreiten konnte.

Der Jahweglaube scheint sich nun auf diese Gruppen übertragen zu haben.

Diese nun zum Jahweglauben gekommenen Halbnomadengruppen könnten nun aber genau die späteren Rahel-Stämme gewesen sein.

Als sie nun in einer weiteren Einwanderungswelle im Land Kanaan sesshaft wurden, brachten sie den Glauben an den Gott Jahwe nach Palästina. Dort hat er sich dann die Jahweverehrung anscheinend auch auf die anderen - bereits zuvor sesshaft gewordenen Stämme - übertragen. Wieso dies so leicht möglich war, werde ich später noch andeuten.

Diese nun in das Land kommenden Stämme stellten zwar nicht das ganze Volk Israel dar, wie die Bibel es schildert. Man kann also nicht davon sprechen, dass das quantitative Israel an der Exoduserfahrung direkt teilhatte. Wohl aber kann man sagen, dass mit den hier genannten Gruppen das qualitative Israel in Palästina sesshaft wurde. Denn der Jahweglaube dieser Gruppe und die Erfahrung der Mosegruppe wurde nun maßgebend für den späteren Zusammenschluss der Israeliten unter dem einen Gott Jahwe und für den Zusammenschluss zur späteren Größe Israel.

Der Gott Jahwe wurde nun - wie vormals schon "El" - mit dem "Gott der Väter" identifiziert und zum gemeinsamen Gott Israels.

7. Die Bedeutung des Auszugsgeschehens

Das Auszugsgeschehen und die Errettung am Meer wurden von grundlegender Bedeutung für den Glauben und das Gottesverhältnis Israels. In diesem Geschehen erfuhren die Vorfahren Israels in übermächtiger Weise das Heilshandeln Jahwes.

  • In der Dynamik dieses Handelns eröffneten sich neue Aspekte für den Jahweglauben. In der Tatsache, dass Vorfahren Israels den Sieg Jahwes über die Mächte Ägyptens und sein Heilshandeln in einer geschichtlichen Tat erfuhren, liegen die Wurzeln für die Geschichtsbezogenheit des Jahweglaubens. Jahwe wird zum Gott der Geschichte.
  • In der Erfahrung, dass Jahwe über die Naturgewalten - etwa des Meeres oder aber der Wüste - verfügte und sie sich dienstbar machte, ist der Grund gelegt für den Glauben an die Herrschaft Jahwes über die "Naturkräfte", was für die spätere Auseinandersetzung Israels mit der Baalreligion von Bedeutung wurde.
  • Beim Auszugsgeschehen hatte sich Jahwe auf die Seite der versklavten "Hebräer" gestellt. Darum wurden später Gebote, die sich auf den sozialen Bereich beziehen, etwa das Verhalten gegenüber den Fremdlingen und gegenüber Menschen minderen Rechtes, mit diesem Heilshandeln Jahwes begründet (z. B. Ex 22,9; Dtn 5,15).

Das Auszugsgeschehen wurde als so charakteristisch für das Handeln Jahwes angesehen, dass man in Israel Jahwe in einer fest geprägten liturgischen Formel kennzeichnete, als den Gott

"... der Israel aus Ägypten herausgeführt (= befreit, errettet, erlöst) hat."

In der Herausführung aus Ägypten sah Israel den Ursprung seines Erwähltseins (2 Sam 7,23) und den Beginn seiner Geschichte (2 Sam 7,6).

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Martin Metzger, Grundriß der Geschichte Israels (Neukirchen 5. Auflage 1979) 30-36. Zur Anmerkung Button

2 Zitiert nach: Martin Metzger, Grundriß der Geschichte Israels (Neukirchen 5. Auflage 1979) 31. Zur Anmerkung Button

3 TGI 2, Nr. 16, zitiert nach: Martin Metzger, Grundriß der Geschichte Israels (Neukirchen 5. Auflage 1979) 31. Zur Anmerkung Button

4 TGI 2, Nr. 12, zitiert nach: Martin Metzger, Grundriß der Geschichte Israels (Neukirchen 5. Auflage 1979) 32. Zur Anmerkung Button

5 Vgl.: TGI 2, Nr. 1, vgl.: Martin Metzger, Grundriß der Geschichte Israels (Neukirchen 5. Auflage 1979) 34. Zur Anmerkung Button

6 In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung, dass in ägyptischen Inschriften aus der Zeit Amenophis' III. (14. Jahrhundert v. Chr.) und Ramses' II. (13. Jahrhundert v. Chr.) die Konsonanten des Gottesnamens Jahwe (JHW') in der Wortverbindung "Land der Schasu Jahwe" erscheinen. Schasu ist die ägyptische Bezeichnung für nomadisierende Gruppen im Bereich südlich Palästinas. In den gleichen Texten werden diese Gruppen auch näher bezeichnet als "Schasu von Seïr" und als "Schasu von Edom". Dieser Parallelsetzung von Schasu Jahwe, Schasu von Seïr und Schasu von Edom in ägyptischen Texten entspricht der Tatbestand, dass im Alten Testament Jahwes Kommen vom Sinai synonym zu einem Kommen von Seïr steht (Dtn 33,2) und dass Seïr, wie in den genannten ägyptischen Texten, wiederum als Parallele zum "Gefilde Edoms" erscheint (Ri 5,4). Diese Parallelen in ägyptischen und alttestamentlichen Texten lassen erkennen, dass auch außerisraelitischen Nomaden der Jahwe-Name bekannt war, ja dass die Konsonanten des Jahwe-Namens geradezu zur Näherbestimmung einer solchen Gruppe dienen konnten. Dabei ist auffällig, dass in ägyptischen Texten das Wandergebiet dieser durch den Jahwenamen näher charakterisierten Schasugruppen gerade dort zu suchen ist, wo sich nach Ri 5,4 und Dtn 33,2 der Wohnsitz Jahwes befindet und wo der Sinai zu lokalisieren ist, nämlich im Gebirge Seïr, dem Gebiet der Edomiter. So sprechen auch diese ägyptische Parallelen für eine Lokalisierung des Sinai im Gebiet östlich der Araba zwischen dem Golf von Akaba und dem Toten Meer.
(Martin Metzger, Grundriß der Geschichte Israels (Neukirchen 5. Auflage 1979) 28-29.) Zur Anmerkung Button

7 Da manches dafür spricht, dass die Errettung am Meer in einer bei Gilgal gefeierten Kulthandlung vergegenwärtigt wurde (Jos 4,19-24), Gilgal aber zum Bereich der nachmals in Mittelpalästina ansässigen Rahel-Stämme gehört, ist es wahrscheinlich, dass die Rahelstämme Träger der Auszugsüberlieferung waren und dass Vorfahren dieser Stämme zu den Gruppen des Auszugs gehörten.
Vgl.: Martin Metzger, Grundriß der Geschichte Israels (Neukirchen 5. Auflage 1979) 35. Zur Anmerkung Button

8 Der Name bedeutet "Heiligtum".
(Vgl.: Martin Metzger, Grundriß der Geschichte Israels (Neukirchen 5. Auflage 1979) 35.) Zur Anmerkung Button

9 Num 20,1. 14. 16. 22; 27,14; 22,36-37. Kadesch ist darüber hinaus Ausgangspunkt der Landnahme von Gruppen, die in Südpalästina ansässig wurden. (Vgl.: Num 13,26; 32,8.) Zur Anmerkung Button