Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Die Landnahme ⋅1⋅

1. Die Darstellung der Landnahme im Buch Josua ⋅2⋅

Unser Versuch einer Rekonstruktion des langsamen Sesshaftwerdens einzelner israelitischer Stämme - vermutlich in verschiedenen Wellen - stößt sich natürlich ungeheuer am heutigen Bericht der Bücher Exodus bis Josua, nach dem Israel als Ganzes aus Ägypten auszog und danach das ganze Land Kanaan in einem riesigen Feldzug in Besitz nahm.

Wir sind ja von einem allmählichen Sesshaftwerden ausgegangen, ohne dass die ursprüngliche Bevölkerung aus dem Land vertrieben wurde. Von einem Feldzug, in dem die Israeliten ganz Palästina unterworfen hätten, kann nach unserer Darstellung keine Rede sein. Es ist nicht einmal ein einheitliches Volk, das sich hier niederlässt, sondern eher verschiedene Gruppen und Stämme, die vermutlich nur lockere Beziehungen zueinander unterhalten.

Wie ist diese Spannung zwischen historischer Rekonstruktion und biblischem Bericht aufzulösen?

a. Zur Art der Berichterstattung von Josua 2-12

Wenn wir uns die Überlieferungen, die der "Eroberungsbericht" in Jos 2-12 verarbeitet, genauer anschauen, dann werden wir feststellen, dass es im Buch Josua selbst eine ganze Reihe Widersprüche gibt. Das Buch scheint seiner eigenen Darstellung vom gemeinsamen Einmarsch ganz Israels nämlich selber zu widersprechen.

Zunächst einmal fällt auf, dass es sich bei den Berichten von Jos 2-12 gar nicht so recht um eine folgerichtige Schilderung eines Feldzuges handelt.

Allerlei Merkwürdigkeiten, die das vor den Israeliten liegende Land "bis auf den heutigen Tag" aufweist - eine immer wiederkehrende Formulierung -, werden hier erklärt.

b. Eine Sammlung von Ortssagen?

Wenn man sich diese Aufzählung der "Merkwürdigkeiten" genauer ansieht, dann muss man fast den Eindruck gewinnen, als seien hier keine Protokolle eines Feldzuges, sondern ganz einfach die unterschiedlichsten Ortssagen gesammelt worden.

(1) Der Steinkreis von Gilgal

So gab es beispielsweise anscheinend in Gilgal einen Steinkreis, vielleicht vergleichbar mit den Menhiren. Dieser Steinkreis könnte in der damals längst vergessenen Steinzeit aufgestellt worden sein.

Nachdem die Israeliten hier sesshaft geworden waren, hatte man versucht, die Entstehung dieses Steinkreises zu erklären. Es entstanden Ortssagen über den Steinkreis von Gilgal.

Eine Erklärung, die im Umkreis Gilgals anscheinend kursierte, dürfte folgende gewesen sein:

"Dann stellte Josua zwölf Steine auf mitten im Jordan an der Stelle, wo die Füße der Priester, die die Lade des Bundes trugen, gestanden hatten, und dort findet man sie noch heute." (Jos 4,9.)

Einige Verse später wird noch einmal auf diesen Steinkreis Bezug genommen. Es heißt dort:

"Jene zwölf Steine, die man im Jordan aufgehoben hatte, stellte Josua in Gilgal auf. Dann sprach er zu den Israeliten: "Wenn eure Kinder eines Tages ihre Väter fragen: 'Was bedeuten diese Steine?', dann sollt ihr euren Kindern diese Deutung geben: 'Im Trockenen ist Israel durch den Jordan da gezogen, denn Jahwe euer Gott, hat vor euch die Wasser des Jordan austrocknen lassen, bis ihr hindurchgezogen waret, so wie Jahwe, euer Gott, es mit dem Schilfmeer getan hatte, das er vor uns austrocknen ließ, bis wir hindurchgezogen waren, damit alle Völker der Erde erkennen sollten, wie stark die Hand Jahwes ist, damit ihr selbst allezeit fürchtet Jahwe euren Gott."" (Jos 4,20-24.)

Wir haben hier also eine Ortssage vorliegen, die das Entstehen des Steinkreises zu Gilgal zu deuten versucht. Das sind aber Ortssagen, wie Menschen sie lieben, die bereits in einem Land zu Hause sind. Der Ursprung solcher Namen liegt demnach mit großer Wahrscheinlichkeit in der Zeit nach der Sesshaftwerdung Israels.

(2) Die Deutung des Namens Gilgal

Der Ort Gilgal hatte von diesem Steinkreis im übrigen vermutlich auch seinen Namen. Man kann das Wort "Gilgal" in seinem Ursprung vom kanaanäischen Wort für "Kreis" herleiten.

In Israel hat sich aber eine andere Tradition festgesetzt. Josua 5,9 bringt den Namen des Ortes Gilgal mit der angeblich dort vollzogenen Beschneidung des Volkes in Verbindung. Eine Deutung des Namens Gilgal, wie sie im Israel der späteren Zeit erzählt wurde:

"Und Jahwe sprach zu Josua: "Heute habe ich die Schmach Ägyptens von euch abgewälzt." Und man nannte den Namen jenes Ortes Gilgal, bis auf den heutigen Tag." (Jos 5,9.)

Den Hintergrund für diese Deutung bildet ein Wortspiel. Man leitet den Namen Gilgal vom hebräischen Wort גלל ["galal"] (= "abwälzen") ab.

Auch das ist eine Ortssage, die in der Zeit nach der Sesshaftwerdung entstanden sein dürfte.

c. Eine Ortssagensammlung des Stammes Benjamin

Wir können also sagen, dass der oder die Autoren des Buches Josua gar keinen Kriegsbericht, keine Schilderung eines Feldzuges wiedergaben. Sie stützten sich vielmehr auf Ortssagen, die sie zum Buch Josua kombinierten.

Wenn wir jetzt alle in Jos 2-12 erwähnten Orte in eine Karte eintragen, so zeigt sich darüber hinaus, dass in all diesen Berichten eigentlich nur von Orten gehandelt wird, die in einem ganz eng begrenzten Landstrich liegen. Ausführlich erzählt werden hier nämlich nur Ereignisse, die in einem kleinen, etwa 30 km breiten Streifen stattgefunden haben.

Auffälligerweise handelt es sich hierbei aber genau um das Siedlungsgebiet des Stammes Benjamin.

Die Überlieferungen, die das Buch Josua hier verarbeitet, scheinen also Ortssagen zu sein, die der Stamm Benjamin gesammelt und tradiert hatte. Diese Sammlung von Ortssagen diente als Material, um damit einen Eroberungszug durch das Land Kanaan darzustellen.

d. Listen von Ortsnamen als weitere Material

Karte

Übersichtskarte zur Darstellung
des Josuabuches.

Foto-ButtonEntnommen aus: Annemarie Ohler,
Grundwissen Altes Testament
(Stuttgart 1987) II/15.

Mit Ortssagen aus Benjamin ließ sich ein Eroberungszug durchs "ganze Land" natürlich nicht darstellen. Die Autoren des Josuabuches griffen darum zusätzlich auf eine andere Art von Quellen zurück. Sie verwendeten Listen von Ortsnamen.

  • Josua 10,20-40 liegt beispielsweise eine Liste von sechs kanaanäischen Städten zugrunde. Hier wird lediglich geschildert, wie Josua immer in der gleichen Art eine Stadt nach der anderen erobert. Konkrete Erinnerungen an Kämpfe sehen aber anders aus. Es scheint hier also ganz einfach eine Liste von sechs kanaanäischen Städten rein schematisch zu einem Bericht von einem Siegeszug nach Süden aufgefüllt worden zu sein.
  • Josua 10,1-5 und Josua 11 gehen anscheinend auf ähnliche Listen zurück. Hier wird in genau der gleichen Weise einmal davon gehandelt, wie fünf Könige um den König von Jerusalem eine Koalition gegen Josua bilden (Jos 10,1-5) und zum anderen, wie die Könige des Nordens sich um den König von Hazor scharen (Jos 11).
  • Josua 12,9-24 bietet dann sogar ganz unverhüllt eine Liste von 31 Königen, die Josua besiegt haben soll.

Die Autoren des Josuabuches stellten den Siegeszug Gesamtisraels durch das Land also mit Hilfe älterer Materialien dar, die ursprünglich anderen Zwecken dienten. Sie verwendeten Ortssagen aus Benjamin und Städtelisten aus Palästina. ⋅3⋅

e. Der Sinn dieser Darstellung

Wenn das Buch Josua aber nicht der historische Bericht eines Feldzuges der Israeliten durch das ganze Land Kanaan ist, was ist er dann? Welchen Zweck verfolgt dann diese Darstellung?

Jos 21,43ff stellt zusammenfassend fest:

"So gab Jahwe den Israeliten das ganze Land, das er ihren Vätern zu geben geschworen hatte. Sie nahmen es in Besitz und ließen sich darin nieder. Jahwe verschaffte ihnen Ruhe an allen ihren Grenzen, ganz so, wie er es ihren Vätern geschworen und vor allen ihren Feinden; keiner hatte vor ihnen standgehalten, Jahwe hatte sie in ihre Hand gegeben. Von allen Verheißungen, die Jahwe dem Hause Israel gemacht hatte, wurde nicht eine hinfällig, alles ging in Erfüllung." (Jos 21,43-45.)

So sprechen nicht Historiker, hier reden Theologen. Hier versuchen Menschen anderen klar zu machen, dass Gott es war, der Israel in das Land geführt hat.

Ihnen geht es nicht um den geschichtlichen Vorgang, es geht ihnen um die praktischen Konsequenzen: Kein Stamm, keine Sippe darf besondere Ansprüche erheben. Das Land ist Gottes gute Gabe an das ganze Volk.

Dabei versuchen die Autoren des Buches Josua auch zu zeigen, dass das Land nicht einfachhin erobertes Gebiet ist, in dem Israel Rechte des Siegers hat. Es ist "Erbe Jahwes", "Land Jahwes". Das sind alte biblische Begriffe.

Von daher wäre es eigentlich weit korrekter zu sagen, dass das Buch Josua die Landgabe schildert. Der Begriff Landgabe umschreibt viel zuverlässiger dieses Geschehen als unser Ausdruck Landnahme.

Das Anliegen des Buches Josua ist also ein theologisches. Die Darstellung in diesem biblischen Buch widerspricht also nicht unbedingt unserer Rekonstruktion der Ereignisse.

Wenn wir den Zielsinn des Buches Josua richtig im Blick haben, dann können wir zwischen den Zeilen sogar eine Reihe von Hinweisen finden, die unsere Darstellung der Ereignisse stützen.

2. Archäologische und biblische Belege für ein langsames Sesshaftwerden neben der kanaanäischen Bevölkerung ⋅4⋅

Das "Epos" vom Siegeszug Josuas ist ja auch nicht einfach frei erfunden. Hinter den einzelnen Sagen und Städtelisten verbirgt sich auch hier wohl ein historischer Kern. Es hat sich in diesen Berichten vermutlich die Erinnerung niedergeschlagen, dass es tatsächlich Kämpfe um das Land zwischen Prae-Israeliten und Kanaanäern gab.

a. Tatsächliche Eroberungen der Prae-Israeliten am Beispiel der Stadt Hazor

Der Vorgang der Sesshaftwerdung der Halbnomadengruppen, die das spätere Israel bildeten, ist schließlich mit Sicherheit nicht immer ganz friedlich und nicht ganz ohne Komplikationen bzw. Gewalt vor sich gegangen.

In diesem Zusammenhang scheinen die Vorfahren des nachmaligen Israels tatsächlich die ein oder andere Stadt eingenommen zu haben.

Jos 11,10-11 heißt es zum Beispiel:

"In jener Zeit kehrte Josua um und nahm Hazor ein; dessen König erschlug er mit dem Schwert. Hazor war einst das Haupt aller dieser Königreiche gewesen. Man schlug alle Lebewesen darin mit der Schärfe des Schwertes und vollzog den Bann. Keine lebende Seele blieb übrig, und Hazor wurde verbrannt." (Jos 11,10-11.)

Die Stadt Hazor war nach archäologischen Untersuchungen - für die damalige Zeit - tatsächlich eine überraschend große Stadt. Ausgrabungen haben ergeben, dass sie etwa um die Hälfte größer war, als die Reichsstadt Nördlingen im Mittelalter. Allein die Akropolis von Hazor umfasste beinahe die halbe Größe der Stadt München in den mittelalterlichen Mauern.

Diese Stadt wurde nun tatsächlich zu Beginn der Eisenzeit vollständig zerstört. Ein bloßer Unglücksfall kann nach den archäologischen Ergebnissen nicht allein Ausschlag dafür gegeben haben. Dagegen scheint schon die Tatsache zu sprechen, dass niemand versuchte, die Stadt neu aufzubauen. Lediglich einige bescheidene Wohnungen, die einige Feuerstellen hinterlassen haben, gab es auf dem Gebiet der Stadt Hazor in späterer Zeit. ⋅5⋅

Im biblischen Bericht könnte sich also tatsächlich eine Erinnerung an die Eroberung der Stadt Hazor durch prae-israelitische Einwanderer erhalten haben.

Solche kriegerischen Erfolge über die militärisch überlegenen Kanaanäer dürften vor allem auf List oder Verrat zurückzuführen sein. Entsprechende Hinweise liefern die Traditionsstücke in den Büchern Josua und Richter.

  • Jos 8 bringt die Eroberung der Stadt Ai durch die Benjaminiter mit einer Kriegslist in Verbindung.
  • Dem Haus Josef fällt die Stadt Bet-El durch Verrat in die Hände (Ri 1,22-26).
  • Von Verrat berichtet auch Josua 2 in Zusammenhang mit der Eroberung der Stadt Jericho durch den Stamm Benjamin.

Unabhängig davon, ob diese Eroberungen nun historisch waren oder nicht, so hat sich dennoch die Erinnerung daran erhalten, dass List und Verrat eine Rolle bei der Landnahme spielten.

b. Erinnerungen von der Zerstörung einzelner Städte in früherer Zeit

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass im Falle der Stadt Jericho beispielsweise der Bericht des Buches Josua mit Sicherheit keinen israelitischen Triumph zum Hintergrund haben kann.

  • Die mächtigen Mauern, die Jericho in der Frühzeit besessen hatte, lagen bereits seit dem 16. Jahrhundert v. Chr. in Trümmern. Hier müssen andere kriegerische Auseinander­setzungen die Ursache der Zerstörung gewesen sein.
  • Auch Ai war in der frühen Eisenzeit nichts als eine Ruinenstätte. Darauf deutet schon der Name Ai hin. Er bedeutet vom Wort her nichts anderes als "Trümmerstätte"!
  • Den Ort Arad gab es sogar seit der Mittleren Bronzezeit schon nicht mehr.

Als die einwandernden prae-israelitschen Gruppen an diese Orte kamen, fanden sie nicht mächtige Städte sondern Trümmerstätten vor. Sie konnten sich demnach ganz leicht im Gebiet dieser Städte niederlassen.

Die alten Ortssagen, die von der Zerstörung dieser Stätten möglicherweise kursierten, hat man später dann vermutlich zu Berichten über eigene Großtaten in der Vergangenheit umgestaltet. Als solche, mittlerweile nun zu israelitischen Ortstraditionen gewordene Erzählstücke, lagen sie dann den Autoren des Buches Josua vor.

c. Die Vorfahren der Israeliten konnten einen Großteil des Landes nicht einnehmen

In aller Regel wird es den prae-israelitischen Stämmen anfangs nicht möglich gewesen sein, mit Waffengewalt den kanaanäischen Stadtstaaten angestammte Gebiete streitig zu machen.

In den alten Überlieferungsstücken des Buches der Richter hat sich die Erinnerung daran sehr deutlich erhalten. Die dort enthaltenen Aussagen widersprechen daher auch dem "Epos" vom Siegeszug Josuas.

Dass diese Nachrichten sehr alt sein müssen, kann man an einer Stelle des Richterbuches ganz deutlich sehen. Im ersten Kapitel heißt es:

"Die Jebusiter aber, die in Jerusalem wohnten, vertrieben die Söhne Benjamins nicht; so blieben die Jebusiter in Jerusalem bei den Söhnen Benjamins wohnen bis auf den heutigen Tag." (Ri 1,21.)

Die Nachricht darüber, dass die Benjaminiter Jerusalem nicht einnehmen konnten und die Jebusiter deshalb "bis heute" unter den Benjaminitern wohnen, muss selbstverständlich aus der Zeit vor der Eroberung Jerusalems stammen. Wir haben hier also einen sicheren Beleg dafür, dass diese Text-Stelle noch vor David entstanden sein muss, also noch vor der Jahrtausendwende.

Solch alte Überlieferungen belegen, dass die Israeliten gegen die Streitwagenmacht der Stadtstaaten machtlos waren. Es gelang ihnen nicht, solch befestigte Städte wie Jerusalem einzunehmen, und es gelang ihnen erst recht nicht, in den Ebenen Fuß zu fassen. Dort befanden sich die großen befestigten Städte der Kanaanäer, dort konnten die gefürchteten Streitwagen zum Einsatz kommen.

Ri 1,19 heißt es:

"Und Jahwe war mit Juda, und er nahm das Gebirge in Besitz; denn die Bewohner der Niederung trieb er nicht aus, weil sie eiserne Wagen hatten." (Ri 1,19⋅6⋅

In den gebirgigen Teilen des Landes, die spärlich besiedelt und kaum befestigt waren, haben sich einwandernde Gruppen daher wohl auch zuerst angesiedelt. Solche Territorien konnten die prä-israelitischen Gruppen bereits in der Frühzeit erobern. Hier war das Gelände unübersichtlich und für den Einsatz von Streitwagen ungeeignet. Hinzu kam, dass diese Territorien von den Kanaanäern landwirtschaftlich auch wenig genutzt wurden.

d. Hinweise auf friedliche Koexistenz

Mit Sicherheit haben einzelne Gruppen auch durch Verträge mit den Kanaanäern ihr Siedlungsgebiet erhalten. Solche Vertragsschlüse haben sich auch im Buch Josua niedergeschlagen.

(1) Die Stadt Gibeon

In Jos 9 wird beispielsweise geschildert, wie die Stadt Gibeon durch eine List einen Friedensvertrag mit den Einwandernden geschlossen hat. Hier ist vermutlich die Erinnerung an einen Vertrag mit Gibeon erhalten geblieben.

Ausgrabungen haben bestätigt, dass Gibeon die Einwanderungszeit nicht nur unberührt überstanden hat, sondern sogar einen Aufschwung erlebt.

(2) Der Stamm Issachar

Ein weiteres Beispiel für Niederlassung von prae-israelitischen Gruppen im Einvernehmen mit der bereits ansässigen Bevölkerung scheint sich auch hinter dem Namen des Stammes Issachar zu verbergen.

In diesem Namen "Issachar" spiegeln sich offenbar die Verhältnisse wider, unter denen die Landnahme jenes Stammes erfolgte. Sein Name bedeutet nämlich "Lastesel". Im Jakobssegen (Gen 49,14. 15) wird er so gedeutet: Issachar sei mit einem "knochigen Esel" zu vergleichen, weil er um der Ruhe und des lieblichen Landes willen "seinen Rücken zum Tragen beugte" und "ein fronender Knecht" wurde.

Dies lässt sich mit historischen Nachrichten in Einklang bringen. Der Stamm Issachar siedelte im Südteil des galiläischen Gebirges, in einem Gebiet zu dem die Stadt Schunem gehört.

Schunem wurde im 14. Jahrhundert v. Chr. zerstört. Nun ergibt sich aus den Amarnatafeln, dass das Gebiet der Stadt in ägyptischem Auftrag unter der Aufsicht umliegender Stadtstaaten von fronpflichtigen Menschen bestellt wurde.

Die Angehörigen des Stammes Issachar könnten nun diese eingewanderten und fronpflichtig gewordenen Menschen sein. Sie hätten das Gebiet um Schunem, wo sie sich ausbreiteten, demnach nur um den Preis der Abhängigkeit von kanaanäischen Stadtstaaten erhalten können.

Dieses Faktum hat sich dann im Namen des Stammes "Issachar", "Lastesel", niedergeschlagen.

e. Die Landnahme - ein blutiger Prozess?

War also die Landnahme tatsächlich solch ein blutiges Geschehen, wie sie im Buch Josua geschildert wird?

Wir haben gesehen, dass es den Israeliten erst in einem zweiten Stadium, nachdem sie schon längere Zeit im Lande saßen und "erstarkt" waren (vgl. Jos 17,13), gelang, in größerem Umfang befestigte Städte zu erobern und deren Gebiet zu annektieren.

Zunächst einmal muss man sich die ganze Landnahme daher als in der Regel durchaus unblutigen oder zumindest nur bedingt blutigen Prozess vorstellen.

Die heutige Überlieferung in der Bibel hört sich vermutlich nur deshalb so blutig an, weil Eroberungserinnerungen natürlich immer besonders eindrücklich waren. Sie wurden selbstverständlich besonders lebhaft weitergegeben und wurden vornehmlich Gegenstand der Überlieferung. Daher darf man diesen Darstellungen auch nicht zu viel Gewicht verleihen. Die Bibel ist natürlich heiliges Buch Israels und Nationalliteratur zugleich.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Martin Metzger, Grundriß der Geschichte Israels (Neukirchen 5. Auflage 1979) 39-48. Zur Anmerkung Button

2 Vgl. zu diesem Abschnitt: Annemarie Ohler, Grundwissen Altes Testament (Stuttgart 1987) II/13-16. Zur Anmerkung Button

3 Vgl. hierzu - auch zur Grafik: Annemarie Ohler, Grundwissen Altes Testament (Stuttgart 1987) II/15. Zur Anmerkung Button

4 Die folgende Darstellung beruht auf den Angaben von "Martin Metzger, Grundriß der Geschichte Israels (Neunkirchen 5. Auflage 1979) 39-48" und "Annemarie Ohler, Grundwissen Altes Testament (Stuttgart 1987) II/16-18". Zur Anmerkung Button

5 Vgl.: Annemarie Ohler, Grundwissen Altes Testament (Stuttgart 1987) II/18. Zur Anmerkung Button

6 Vgl. Jos 16,10; 17,12ff. 16. Zur Anmerkung Button