Die Bibel

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Weiter-ButtonZurück-Button Die Geschichte des jüdischen Kanons ab der Makkabäer-Zeit und diverse Zeugnisse ⋅1⋅

1. Judas Makkabäus

2 Makk 2,14 berichtet ferner, dass Judas Makkabäus eine Buchsammlung heiliger Schriften gehabt habe. Diese Büchersammlung dürfte die meisten der später als kanonisch geltenden Schriften des Alten Testamentes umfasst haben.

Wichtig ist hierbei die Auskunft, dass Judas diese Schriften, die während des syrischen Religionskrieges zum Teil zerstreut worden waren, wieder gesammelt habe. Er hat sich demnach ganz besonders um den Bestand des jüdischen Kanons verdient gemacht.

2. Der Übersetzer des Buches Ben Siras

Sehr sichere Aussagen lassen sich dann ab etwa 130 v. Chr. machen. Der um dieses Jahr herum geschriebene Prolog des Übersetzers von Jesus Sirach setzt das hebräische Alte Testament in seiner Gänze bereits voraus.

Er bringt im übrigen bereits die geschichtlich gewachsene und spätestens im Mittelalter allgemein übliche Dreiteilung des hebräischen Kanons. So spricht der Übersetzer des Sirach-Buches von

  • ὁ νόμος ["ho nómos"], also vom Gesetz, was der hebräischen תּוֺרָה ["torah"] entspricht,
  • dann von καὶ οἱ προφήται ["kaì hoi prophætai"], "und die Propheten", also den zweiten Teil der hebräischen Bibel
  • und schließlich von kκαὶ τὰ ἄλλα πάτρια βίβλιαs ["kaì tà álla pátria bíblia"], was soviel bedeutet wie "und die anderen von den Vätern überkommenen Bücher". Dies entspricht demnach dem dritten Teil des jüdischen Kanons.

3. Qumran

In den Höhlen bei Qumran, deren Funde sich auf die Zeit vom zweiten vorchristlichen bis ins erste nachchristliche Jahrhundert datiert werden können, fanden sich zumindest Teile nahezu aller Schriften des jüdischen Kanons. Lediglich von einem Buch des Kanons wurde bisher in Qumran noch kein Fragment gefunden, nämlich vom Buch Ester. Dies muss aber noch nicht bedeuten, dass man das Ester-Buch in Qumran nicht unter die kanonischen Schriften rechnete. Das Fehlen des Ester-Buches könnte auch ganz einfach ein Zufall sein.

Andererseits fand man in Qumran eine Reihe von Fragmenten von sogenannten deuterokanonischen Büchern, also Büchern, die in der Reihe des hebräischen Kanons nicht zu finden sind.

Dazu gehören etwa Fragmente der Bücher

  • Tobit,
  • Sirach
  • und Teile des sogenannten Jeremia-Briefes, der heute in der Vulgata als 6. Kapitel des Baruch-Buches erscheint.

4. Das apokryphe vierte Esra-Buch

Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. entstand das sogenannte 4. Esra-Buch. Diese apokalyptische Schrift gehört zu den apokryphen Büchern, also zu denjenigen, die nicht mehr in die Bibel aufgenommen wurden.

In ihm wird aber berichtet, dass Esra, der spätestens um 400 v. Chr. gewirkt haben muss, den offiziellen jüdischen Kanon abgeschlossen habe. Dieser Kanon habe insgesamt 24 Schriften enthalten.

4 Esra berichtet dabei, dass dem Esra der Wortlaut dieser 24 Bücher noch einmal in seiner Gänze geoffenbart worden sei.

5. Flavius Josephus

Um die gleiche Zeit, in der das vierte Esra-Buch entstanden ist, also Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr., bezeugt auch der jüdische Historiker Flavius Josephus den offiziellen jüdischen Kanon, so wie er zu seiner Zeit bestanden hat.

Der in diesem Zusammenhang wichtigste Text aus seinem Werk findet sich in der Schrift "Contra Apionem". Seiner Bedeutung wegen soll er hier im Wortlaut wiedergegeben werden:

"Die Tatsache, dass es bei uns nicht gestattet ist, Geschichte zu schreiben, hat zur natürlichen, ja zur notwendigen Folge, dass unsere Schriften keine Abweichungen aufweisen, weil nur die Propheten die in weiter Vergangenheit zurückliegenden Geschehnisse erzählen, die sie auf Grund göttlicher Erleuchtung erfahren haben, die Zeitgeschehnisse dagegen so, wie sie sich vor ihren Augen abgespielt haben - dies hat, wie gesagt, zur natürlichen Folge, dass es bei uns keine Unzahl von abweichenden und widersprechenden Büchern gibt, sondern nur 22, die die Annalen aller Zeiten enthalten und die ein gerechtes Vertrauen genießen. Da sind zunächst die Bücher Mosis, fünf an der Zahl, die die Gesetze und die Überlieferungen von der Erschaffung des Menschen bis zu seinem eigenen Tode enthalten. Es ist dies eine Periode von zirka 3000 Jahren. Vom Tode des Moses an bis auf Artaxerxes, den Nachfolger des Xerxes auf dem persischen Throne, haben die Propheten, die nach Moses kamen, die Geschichte ihrer Zeit in 13 Büchern erzählt. Die vier letzten enthalten Hymnen an Gott und sittliche Vorschriften für die Menschen. Von Artaxerxes bis auf unsere Tage wurden zwar alle Geschehnisse aufgezeichnet, doch erkennt man diesen Büchern nicht dieselbe Glaubwürdigkeit zu wie den vorausgehenden, weil die Propheten nicht mehr lückenlos aufeinander gefolgt sind. Dieser Tatbestand beweist, mit welchem Respekt wir an unsere eigenen Bücher herangehen. Nach Ablauf so vieler Jahrhunderte hat es niemand gewagt, ihnen etwas anzufügen oder an ihnen etwas zu ändern. Jedem Juden ist es von Geburt an eine Selbstverständlichkeit, zu denken, dass diese Bücher den Willen Gottes enthalten, sie zu achten und notfalls freudig für sie zu sterben. Man hat schon viele von ihnen gesehen, die sich lieber gefangen nehmen ließen und Folterungen und jegliche Todesart in den Amphitheatern auf sich nahmen, als dass sie auch nur ein Wort gesprochen hätten, das den Gesetzen oder den ihnen beigefügten Annalen widersprochen hätte." ⋅2⋅

Interessanterweise zählt Flavius Josephus hier 22 Schriften und nicht 24 Schriften.

Vielleicht versucht er hier ganz bewusst auf 22 Schriften zu reduzieren, um auf die Zahl der Buchstaben des hebräischen Alphabetes zu kommen. Die Anzahl der Buchstaben galt ja als Fülle alles Sagbaren.

Das Büchlein Rut könnte er als Anhang zum Richter-Buch und die Klagelieder als Anhang zum Jeremia-Buch gezählt haben. Dadurch hätte er durchaus auf die besagte Zahl 22 kommen können.

Interessant ist auch das von ihm genannte Kriterium für die Kanonizität. Er spricht von der ununterbrochenen Abfolge der Propheten. Sie also bürgt seiner Ansicht nach dafür, dass tatsächlich Gottes Wort in Menschenwort vorliegt.

6. Das Zeugnis des Babylonischen Talmud

Noch deutlicher, als die Ausführungen von Flavius Josephus ist das Zeugnis des Babylonischen Talmud.

Im Traktat "Baba batra" folio 14b und 15a befindet sich eine Aufstellung der bekannten 24 - bzw., wenn man sie einzeln zählt, 39 Bücher des Alten Testamentes:

"Die Rabbinen lehren: Die Ordnung der Propheten ist: Jos und Jdc, Sm und Rg, Jer und Ez, Is und die Zwölf [...] Die Ordnung der "Schriften" ist: Rut und Buch der Pss und Job und Prv, Koh, Ct und Lam, Dn und Roll Est, Esr und Chr [...] und wer schrieb sie? Moses schrieb sein Buch und die Parasche über Bil'am ⋅3⋅ und Job. Josue schrieb sein Buch und acht Verse in der Torah. Samuel schrieb sein Buch und Jdc und Rut. David schrieb das Buch der Pss durch zehn Älteste, durch den ersten Menschen, durch Melchisedech und durch Abraham und durch Moses und durch Heman und durch Jedutun und durch Asaph und durch die drei Söhne des Korah. Jeremias schrieb sein Buch und das Buch Rg und Lam. Hizikijja und seine Versammlung schrieben Is, Prv, Ct und Koh. Die Männer der großen Synagoge schrieben Ez und die Zwölf, Dn und die Rolle Est. Ezra schrieb sein Buch und das Geschlechtsregister der Chr bis auf sich [...] Und wer führte es weiter? Nehemias, der Sohn des Hakalja." ⋅4⋅

Durch dieses Zitat wird im übrigen schon deutlich, dass die Talmudisten die Bibel kritisch gelesen haben.

  • So wird der Bericht über den Tod des Mose nicht der Verfasserschaft des Mose zugeschrieben.
  • Auch wird gesagt, dass andere für David Psalmen geschrieben haben.
    Der Ausdruck "... durch den ersten Menschen" bezieht sich möglicherweise auf Ps 8, der als Reflexion Adams gedeutet wurde.
    Auf Melchisedek hat man wohl Ps 110 zurückgeführt. Dort heißt es:
    "Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks". (Ps 110,4)
  • Beim Jesaja-Buch hat man bemerkt, dass die zweite Hälfte erst weit später anzusetzen ist, als die ersten Kapitel. So sagt man hier, dass Hiskija zusammen mit seinen Weisen das Buch verfasst habe.
  • Die Endfassung des Ezechiel-Buches wird noch später angesetzt, erst durch "die Männer der großen Synagoge".

Damit haben wir die endgültige Form des jüdischen Kanons umschrieben.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Lothar Ruppert, Einleitung in das Alte Testament (Teil I) - autorisierte Vorlesungsmitschrift (WS 1984/85) 23-30. Zur Anmerkung Button

2 Flavius Josephus, Contra Apionem, 1,8, zitiert nach: André Robert / A. Feuillet, Einleitung in die Heilige Schrift (Wien 1963) I/37-38. Zur Anmerkung Button

3 Das ist Num 23-24.
(Vgl.: Lothar Ruppert, Einleitung in das Alte Testament (Teil I) - autorisierte Vorlesungsmitschrift (WS 1984/85) 27). Zur Anmerkung Button

4 Traktrat Baba batra folio 14b-15a, zitiert nach: Johann Goettsberger, Einleitung in das Alte Testament (Freiburg 1928) 359.
Die mittlerweile ungewöhnlichen Abkürzungen bedeuten im einzelnen: Jdc [Iudicum] = Richter; Rg [Regum] = Könige, Prv [Proverbia] = Sprüche, Ct [Canticum Canticorum] = Hoheslied; Lam [Lamentationes] = Klagelieder.
(Vgl.: Lothar Ruppert, Einleitung in das Alte Testament (Teil I) - autorisierte Vorlesungsmitschrift (WS 1984/85) 27.) Zur Anmerkung Button