Die Bibel
Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...
Die bittenden und wünschenden Gattungen
Nach den anordnenden Gattungen kommen wir zur zweiten großen Gruppe, nämlich zu den bittenden und wünschenden Gattungen.
1. Bitte und Wunsch ⋅1⋅
a. Die Bitte
Die Bitte war im Leben des Israeliten nicht seltener als bei anderen Völkern.
Wenn wir die ausdrückliche Bitte an Jahwe, die besonders in den Klageliedern zum Ausdruck kommt, zunächst einmal außer Acht lassen, dann fallen immer noch eine ganze Reihe von Bitten im alltäglichen Leben ins Auge.
Man bittet um kleine Dinge wie Brot (Gen 47,15) oder Wasser (1 Kön 17,10), ebenso um eine Frau (Ri 14,3) oder eine lebenswichtige Gefälligkeit (Gen 12,13).
Auch an den König kann man sich mit dem bittenden Ruf "Hilf doch, König!" (2 Sam 14,4) wenden. Solches Helfen und Retten ist schließlich seine Aufgabe.
Eingeleitet werden kann die Bitte durch den Imperativ "Hilf!" oder höflicher und eindringlicher durch den Ausdruck "Geruhe doch" (z. B. Ri 19,6; 2 Kön 6,3).
Ebenfalls als Ausdruck der Höflichkeit dient die Redewendung "Gefallen finden in den Augen von jemandem".
- Sie entspricht manchmal ganz einfach dem Wort "Bitte" und kann so einem Wunsch hinzugefügt werden (Vgl.: Gen 18,3; 47,29).
- Diese Wendung kann aber auch insgeheim selbst einen Wunsch enthalten, ohne dass eine ausdrückliche Bitte ausgesprochen wird. Ein Beispiel dafür ist 2 Sam 15,25:
"Der König sagte zu Zadok: Bring die Lade Gottes in die Stadt zurück! Wenn ich vor den Augen des Herrn Gnade finde, dann wird er mich zurückführen und mich die Lade und ihre Stätte wiedersehen lassen." (2 Sam 15,25) - Mit der Wendung "Gefallen finden in den Augen von jemandem" kann auch die Bitte eines Abhängigen oder Schwachen um das Halten eines ihm gegebenen Versprechens eingeleitet werden (2 Sam 16,4).
- Und auch die einfache Bitte um die Erteilung einer Erlaubnis kann mit dieser Wendung eingeleitet werden (Rut 2,2. 10).
b. Der Wunsch
In gleicher Weise wie die Bitte durchzieht auch der Wunsch das ganze Leben des Israeliten. Bei besonderen Anlässen nimmt er sogar den Charakter eines Segenswunsches an.
- Die aus dem Elternhaus ausscheidende Frau wird etwa von einem Wunsch begleitet (Gen 24,60).
- Man wünscht jemandem, dass er zu Reichtum und Ansehen kommt (Rut 4,11).
- Bei der Thronbesteigung des Königs erklingt der Leben zusagende Wunsch: "Es lebe der König!" (1 Sam 10,24)
Auch den irrealen Wunsch gibt es. Er wird mit der Formel מִי יִתֵּן ["mi jitten"] (= "Wer gibt?") - im Sinne von "Wer könnte geben?", "Wer gibt doch?" - eingeleitet. Dieser Wunsch richtet sich an eine Person oder Macht, von der man dasjenige erhalten kann, was man wünscht; also in aller Regel an Gott. ⋅2⋅
2. Die Grußformeln ⋅3⋅
Eine zweite Form der bittenden und wünschenden Gattungen sind die Grußformeln.
Sie sind durchweg als Wünsche gestaltet.
Ursprünglich liegt ihnen die Vorstellung von der Wirksamkeit des ausgesprochenen Wortes zugrunde. Sie sprechen dem anderen Menschen also etwas zu und übermitteln es ihm gleichzeitig durch die Wirksamkeit dieses ausgesprochenen Wortes.
a. שָׁלוֺם לְךָ "schalom leka"]
Man wünscht zum Beispiel שָׁלוֺם לְךָ ["schalom"], also "Gedeihen" oder "Heil", vor allem in der alten Grußformel שָׁלוֺם לְךָ ["schalom leka"], was soviel bedeutet wie "Mögest Du Gedeihen haben". ⋅4⋅
Als Abschiedsgruß verwendet man auch die Formel "Geh zu Gedeihen!" (Ex 4,18). Sie kann dann auch offizielle Entlassungsformel sein (2 Sam 15,9).
b. "Du seist gesegnet bei Jahwe!"
Auch das Verb "segnen" kann in Grußformeln verwendet werden, vor allem im Ausdruck "Du seist gesegnet bei Jahwe!" oder "... was Jahwe angeht!" Damit wünscht man dem Angeredeten die Segenskraft oder spricht sie ihm zu (1 Sam 15,13).
c. "Jahwe sei mit dir!"
Schließlich findet sich der Gruß: "Jahwe sei mit dir!" (Ri 6,12; Rut 2,4). Er hat die doppelsinnige Bedeutung der Zusage und der Feststellung; zum einen also die Feststellung "Jahwe ist mit dir!" und gleichzeitig der Wunsch, dass es auch wirklich so sein möge.
3. Segens- oder Fluch-Sprüche ⋅5⋅
Besonders bei den Segens- und Fluchsprüchen wird deutlich, wie sehr man davon überzeugt war, dass ein ausgesprochenes Wort eine kaum zu brechende Wirkmacht besitze. Einmal ausgesprochen bewirkt ein Wort nämlich, was es besagt.
Gerade die Segens- und Fluchsprüche stammen daher aus der magischen Sphäre um den Glauben an das wirkmächtige und unwiderrufliche Wort.
Segen und Fluch können in ihrer Wirkung verstärkt werden und zwar
- durch metrische Formung,
- durch Wiederholung
- und durch begleitende Handlungen.
Der Fluch
- wird auf ein Land gelegt (Dtn 11,29),
- haftet an einer Stadt (Jos 6,26),
- frisst ein Haus (Sach 5,4)
- und bestimmt das Schicksal ganzer Völker (Gen 9,25)
sofern Gott seine Kraft nicht in Segen verwandelt (Num 22-24) oder auf den Fluchenden zurücklenkt (Gen 12,3).
Der Segensspruch wird gewöhnlich mit בָּרוּךְ ["barukh"] (= "gesegnet") eingeleitet. ⋅6⋅
Den Fluchspruch leitet in der Regel das Wort אָרוּר [">arur"] (= "verflucht") ein. ⋅7⋅
Grundsätzlich kann jeder Mensch Segen und Fluch aussprechen und das zu jeder Zeit. Am wirksamsten schienen jedoch solche Sprüche zu sein, die in der Todesstunde gesprochen wurden. ⋅8⋅
Ganz besondere Vollmacht zu Segen und Fluch besitzen später dann aber die Priester. Indem sie den Namen Jahwes "auf die Israeliten legen", wird der göttliche Segen wirksam (Num 6,27).
4. Die Schwurformel ⋅9⋅
Die vierte Untergruppe der wünschenden und bittenden Gattungen bildet die sogenannte Schwurformel.
Sie hängt sehr stark mit dem Fluch zusammen. Im Grunde ist sie eine bedingte Selbstverfluchung. Man verpflichtet sich, etwas zu tun oder zu lassen, oder man behauptet, etwas getan oder unterlassen zu haben. Für die Richtigkeit dieser Behauptung setzt man das eigene Leben als Pfand ein (Num 14,21). Falls das Behauptete unerfüllt blieb, sollte die Schwurformel dann wie ein Fluch gegen sich selbst wirken.
Wer bei seinem Leben schwört, der sagte damit also, dass er nicht am Leben bleiben will, wenn er dies oder das (nicht) tut oder getan habe.
Anmerkungen
(Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 81.)
(Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 81.)
(Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 82.)
(Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 82.)
Auch versucht man einen Fluch mit einem Segen unwirksam zu machen (Ri 17,2).
Daneben gibt es allgemeine Segenswünsche, so bei der Ernte (Ps 129,8; Rut 2,4), beim Abschied (1 Sam 20,42) oder als Ausdruck des Wohlwollens (Gen 43,29).
Manchmal sucht man den eigentlichen Fluch zu vermeiden, indem man ihn umschreibt, z. B. durch den Satz: "So möge (dir) Gott tun und so es wiederholen" (1 Sam 3,17), oder an Stelle von "fluchen" das Verb "segnen" benutzt (Ijob 1,5).
Der Bekräftigung von Segen und Fluch dient das Wort "Amen" (Jer 11,5).
(Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 82.)