Die Bibel
Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...
Die vorkritische Epoche ⋅1⋅
Diese Fragestellung war es, die die Entwicklung der modernen Exegese in Gang brachte. In den verschiedenen Jahrhunderten wurde natürlich jeweils eine andere Antwort zu geben versucht.
Es lassen sich genaugenommen verschiedene Phasen ausmachen, die je andere Antworten hervorgebracht haben.
Mit Otto Kaiser kann man hier drei verschiedene Phasen, drei verschiedene Epochen der literarkritischen Arbeit ausmachen.
Zunächst einmal können wir sagen, dass lange Zeit die Frage nach Verfasserschaft und Abfassungszeit nur eine untergeordnete Rolle spielte. Sie tauchte zwar da und dort auf, wurde aber nie umfassend thematisiert. Literarkritische Fragen wurden dementsprechend bis ins ausgehende Mittelalter hinein nur ganz sporadisch behandelt.
1. Unkritischer Umgang mit dem Text
Natürlich fiel den Benutzern der Texte des Alten wie des Neuen Testamentes auf, dass der Text selber Spannungen und Brüche aufweist. Die Beobachtungen, die wir oben gemacht haben, die waren den Menschen damals ja auch nicht unbekannt. Von Anfang an hatte man solche Spannungen registriert. Sie waren aber kaum einmal Gegenstand einer größeren Diskussion.
Man versuchte vielmehr zunächst solche Spannungen im Text und damit auch die Fragen, die sich daraus ergaben, ganz einfach wegzuerklären.
Von daher können wir Otto Kaiser durchaus folgen und diese Phase der literarkritischen Auseinandersetzung mit der Schrift als "vorkritische Epoche" bezeichnen. Wir haben es hier durchweg mit einem recht unkritischen Umgang mit der Schrift zu tun. Eine Epoche, die bis hinein ins späte Mittelalter andauert.
2. Beispiel für die Erklärungsweise dieser Zeit
Wie man damals mit den Spannungen im Text umgegangen ist, lässt sich an einem Beispiel recht gut zeigen.
Von Anfang an stieß sich die Tradition, dass Mose der Verfasser des Pentateuchs sei, mit der Tatsache, dass im Buch Deuteronomium, dem letzten dieser fünf Bücher, ja der Tod des Mose berichtet wurde (Dtn 34,5ff). Wie konnte Mose seinen eigenen Tod verfasst haben?
Die jüdischen Autoren Philo von Alexandrien (gestorben um 40 n. Chr.) und Flavius Josephus (gestorben nach 100 n. Chr.) haben diese Spannung ganz einfach zu lösen versucht.
Philo von Alexandrien und Flavius Josephus zweifelten absolut nicht daran, dass Mose die Bücher des Pentateuchs geschrieben habe. Die Sache mit seinem Tod erklärten sie sich ganz einfach folgendermaßen: Mose habe seinen Tod eben bis in die Einzelheiten hinein gleichsam in einer Vision vorausgesehen. Er habe den Bericht von seinem Tod deshalb auch selbst - also bereits vor seinem Tod - niederschreiben können.
Solche Erklärungsversuche wurden lange tradiert. Im katholischen Bereich sind sie noch im 19. Jahrhundert anzutreffen.
Der Talmud (vgl. Baba bathra 14,b) versucht eine etwas andere Antwort. Er betont genauso wie Philo und Flavius Josephus die Verfasserschaft durch Mose. Die letzten 8 Verse des Buches Deuteronomium, die den Tod des Mose schildern, lässt er allerdings vom Verfasser des nächsten Buches, nämlich von Josua geschrieben sein. Damit geht der Talmud den Schwierigkeiten aus dem Weg, dass Mose auch seinen Tod berichtet haben soll.
Anmerkung