Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


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1. Literarkritik und Gattungskritik

Hermann Gunkel suchte - wie bereits gesagt - nicht so sehr die einzelnen Schichten des Pentateuchs - gleichsam in Längsschnitten - herauszulösen, er versuchte vielmehr in Querschnitten die stofflichen Einheiten abzuleiten.

Gunkels Forschungen gingen damit in eine andere Richtung als die der Wellhausen-Schule. Das heißt aber nicht, dass sie einen Gegensatz zur literarkritischen und literarhistorischen Arbeit in der Tradition Wellhausens darstellen würden. Die Ergebnisse der Wellhausen-Schule wurden durch Gunkels Arbeit ergänzt, sie waren dadurch in keiner Weise überholt.

Hermann Gunkel übernahm die 4 Quellen-Theorie Julius Wellhausens mit der Spätdatierung des Priesterkodex.

Die einzelnen Erzähleinheiten, die er untersuchte, waren für ihn nicht etwa Fragmente, aus denen dann der gesamte Text - wie bei den Vertretern der Fragmentenhypothese - mehr oder minder zusammenhanglos komponiert worden sein soll.

Gunkel untersucht demnach den vorliterarischen Charakter seiner Überlieferungseinheiten. Also das, was sich bereits getan hat, bevor diese Stoffe niedergeschrieben wurden.

Als die jeweiligen Erzähleinheiten zu den großen Pentateuchquellen komponiert wurden, hatten die einzelnen Überlieferungen nach Gunkel bereits eine Geschichte, einen je verschiedenen Sitz im Leben, den sie nun in den größeren Textzusammenhang mitnahmen.

Die Untersuchungen Gunkels möchten dementsprechend die Arbeit der Wellhausen-Schule nicht widerlegen, aber sie modifizieren sie. Sie brachten implizit eine ungeheure Veränderung der Sichtweise der klassischen Pentateuchquellen mit sich.

Diese Pentateuchquellen erscheinen - im Licht der Arbeit Gunkels - nun ja weniger als planvoll durchgeführte Schriften einzelner Autoren, sondern vielmehr als Sammlung schon vorher ausgeformter Erzählstücke. Die einzelnen Autoren der Quellenschichten des Pentateuchs sind nach Gunkel dementsprechend auch eher als Redaktoren alter Überlieferungen zu denken denn als schöpferische Verfasser neuer Texte.

Diese Sichtweise Hermann Gunkels kann man schon an der Überschrift über seinen Genesiskommentar ablesen. Es heißt hier nämlich:

"§ 1: Die Genesis ist eine Sammlung von Sagen"

Dementsprechend sah man im Umfeld Gunkels in den Verfassern der klassischen Pentateuchquellen auch nicht mehr so sehr bestimmte Einzelpersönlichkeiten, als vielmehr Verfassergruppen; also schon so etwas wie Schulen, in denen die alten Überlieferungen tradiert, gesammelt und niedergeschrieben wurden.

Die formgeschichtliche Methode Gunkels wirkt im übrigen bis heute nach und wird selbstverständlich auch noch weiterentwickelt.

In neuerer Zeit sucht vor allem Wolfgang Richter durch linguistische und semantische Fragestellungen, die moderne Literaturwissenschaft für die formgeschichtliche Methode fruchtbar zu machen. ⋅1⋅

Seine Forschung führt zur sogenannten "Literaturwissenschaftlichen Methode", auf die hier allerdings nicht näher eingegangen werden soll.

2. Die vergleichende Gattungsforschung Hermann Gunkels und das Spezifikum des AT

Ein Vorwurf, der Hermann Gunkel immer wieder gemacht wurde und gemacht wird, ist, dass seine vergleichende Methode die israelitische Kultur und damit auch die Bibel auf andere Kulturen zurückführen will. Der Bibel käme dann aber kein eigenständiger Wert mehr zu.

Dies ist aber schon eine theologische Wertung. Und eine solche nimmt Gunkel nicht vor.

Gunkels Methode will vielmehr ganz einfach Parallelen und Unterschiede herausarbeiten, ohne dabei jetzt theologische Wertungen vorzunehmen.

Weil diese Methode von religionsphilosophischen Vorentscheidungen (anders als bei Frd. Delitzsch) frei ist, ist sie jedoch dann auch offen für das religiöse Ergreifen des AT.

Allerdings birgt die formgeschichtliche Methode die Gefahr in sich, dass durch die starke Konzentration auf den jeweiligen Sitz im Leben, der theologische Inhalt einer Erzählung lediglich als Zeugnis des damaligen Israels gewertet wird.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkung

1 Ähnlich wie Hermann Gunkel bezeichnet er seine aus Literaturkritik und modifizierter Formkritik gekoppelte Methode als literaturwissenschaftliche Methode.
Nach einem literarkritischen Arbeitsgang setzt bei ihm die Formkritik ein:
Analyse der inneren, äußeren, strukturalen, ornamentalen Form; Untersuchung von Struktur und Ziel des Textes, Suchen nach geprägten Wendungen.
Darauf folgt die Gattungskritik:
Fragen nach Schichten, Strukturen, Vergleich, Gattungsbestimmung, Bestimmung des Sitzes im Leben.
Das theologische Ergebnis dieses enormen methodischen Aufwands ist relativ gering. Zu kurz kommen vor allem die großen Zusammenhänge, so dass die literaturwissenschaftliche Methode Wolfgang Richters als Zugang zur theologischen Interpretation zwar unverzichtbar ist, aber ihr Wert auf das Handwerkliche beschränkt bleibt, denn Identität zwischen biblischer Literaturwissenschaft und Exegese bestehen keineswegs.
(Vgl.: Lothar Ruppert, Einleitung in das Alte Testament (Teil I) - autorisierte Vorlesungsmitschrift (WS 1984/85) 84-85.) Zur Anmerkung Button