Die Bibel

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Weiter-ButtonZurück-Button Die berichtenden Gattungen

Kommen wir abschließend zur Reihe der berichtenden Gattungen. Hier gilt es zunächst die unterschiedlichen Listen zu betrachten.

1. Listen ⋅1⋅

Das Alte Testament überliefert zahlreiche Listen verschiedener Art, die sich in drei Gruppen einteilen lassen.

a. Völker- und Personenlisten

Die erste Gruppe stellen die Völker- und Personenlisten dar.

Zu ihnen gehören zunächst die genealogischen Listen. Als Beispiele lassen sich anführen:

  • zwei in Gen 10 zusammengestellte Völkerlisten,
  • die Aufzählungen der Nachkommen Nahors (Gen 22,20-24),
  • die Aufzählung der Nachkommen der Ketura (Gen 25,1-4),
  • die Aufzählung der Nachkommen Ismaels (Gen 25,12-16),
  • die Nachkommen Esaus - Seïrs - Edoms (Gen 36),
  • der Hauptbestand von 1 Chr 1-9
  • und nicht zuletzt die mehrfachen, im einzelnen voneinander abweichenden Listen der Jakobkinder als Ahnen Israels (Gen 49; Num 1,5-15; Num 26). ⋅2⋅

Ferner gibt es Listen

Aus wesentlich späterer Zeit stammen die Listen in den Büchern Esra und Nehemia

b. Geschichtlich-geographische Listen

Die zweite Gruppe bilden die geschichtlich-geographischen Listen. Sie enthalten die Namen von Ortschaften (z. B. in Grenznähe), Festungen und Levitenstädten.

Mehrere von ihnen sind vielleicht in Jos 15-19 verarbeitet worden.

Eine Stationenliste enthält Num 33. Eine andere, ältere Liste, scheint Ex 13,20; 14,1-2; 15,22-23 und auch an anderen Stellen verarbeitet worden zu sein.

c. Sachlisten

Die dritte Gruppe stellen die Sachlisten dar. Hier handelt es sich zum Beispiel um die Listen von Weihegeschenken oder ähnlichem (Ex 35,21-29; Esra 2,68-69) sowie von erbeutetem Vieh und Sklavinnen (Num 31,32-47). Bei den Listen von Beutegut wird auch häufig ein Verteilungsschlüssel mitgeliefert.

d. Zum Alter der Listen

Gräber

6000 Jahre alte Steingräber.

Foto-Button© Katholisches Bibelwerk Linz, Kapuzinerstr. 84, A-4020 Linz

Über das Alter und die Ursprünglichkeit der Li­sten ist mit ihrer Einordnung an ihre jetzi­ge Stelle noch nichts ge­sagt.

Einige von ihnen sind zweifellos sehr alt und stammen aus der Zeit, die durch ihren heutigen Ort im Alten Testament angegeben wird. So zum Beispiel die Liste der Gauvögte Salomos und die Teilnehmer am Mau­er­bau Nehemias.

Andere, insbe­sondere die geschichtlich-geographischen Listen spiegeln die Verhältnisse jüngerer Zeiten als derjenigen, der sie zugewiesen worden sind, wider.

Wieder andere sind künstliche Erzeugnisse und nach dem Muster von Listen für bestimmte Zwecke hergestellt. Das gilt auch dann, wenn sie einige ältere und tatsächliche Einzelangaben benutzt haben sollten (z. B. Num 33).

2. Annalen ⋅3⋅

Damit kommen wir zu den Annalen.

Als Annalen sind die nach den einzelnen Jahren gegliederten, meist amtlichen Aufzeichnungen über wichtige Vorgänge zu bezeichnen. Sie sollten die Erinnerung an diese festhalten und sind daher in Archiven aufbewahrt worden. Sie stellen daher eine wirklich berichtende Gattung dar. Vor allem am Königshof, seltener an den Heiligtümern wurden sie von alters her geführt. Freilich sind sie nicht erhalten geblieben; nur einzelne Mitteilungen in den Büchern des Alten Testamentes lassen sich mit großer Wahrscheinlichkeit von ihnen herleiten. Hierzu gehören Mitteilungen

  • über Salomos Gauvögte und Festungen (1 Kön 9,15ff),
  • über Salomos Heiligtümer für seine ausländischen Frauen (1 Kön 11,7)
  • oder über den Einfall des Pharao Sisak in Juda zur Zeit Rehabeams (1 Kön 14,25ff).

Die Annalen sind auf dem Weg über die noch zu nennenden Geschichtsbücher, die die Verfasser der Königsbücher benutzt haben und auf die sie verweisen, in die jetzige Darstellung gelangt.

Vielleicht stammen auch die Notizen über den Jerusalemer Tempel, der ja ein königlicher Eigentempel war, aus den Hofannalen, so zum Beispiel:

Das schließt die Möglichkeit von Tempel-Annalen in Juda und Israel nicht aus, obwohl sie für den Alten Orient wenig belegt sind.

Ferner wird man für die beiden Staaten Juda und Israel die Existenz von Chroniken annehmen müssen, die wie die altorientalischen Vorbilder die Daten der verschiedenen Könige und kurze Bemerkungen über ihre Taten und Schicksale enthielten. Vielleicht lässt sich das Vorkommen dieser Gattung, die ebenso wenig wie die Annalen durch Funde belegt ist, aus den Königsbüchern erschließen. ⋅5⋅

3. Die Geschichtserzählung und -schreibung ⋅6⋅

Die Geschichtserzählung und Geschichtsschreibung ist die nächste zu betrachtende Untergruppe.

Sie dient weniger amtlichen als allgemein öffentlichen und privaten Zwecken, zumal der Ich-Bericht des Königs, der im übrigen Alten Orient die Hauptrolle in der geschichtlichen Überlieferung bildet, in Israel völlig fehlt. Dies und die Eigenarten der Königspsalmen weisen auf eine andere Konzeption des Königtums in Israel gegenüber seiner Umwelt hin.

Lediglich die ägyptische Königsnovelle scheint in 1 Kön 3,4ff nachgeahmt worden zu sein.

a. Die Einzelerzählung

An den Beginn dieser Gattungsgruppe der Geschichtserzählungen ist die in sich abgeschlossene Einzelerzählung zu stellen. Sie soll mehr oder weniger ausführlich berichten, was und wie sich etwas ereignet hat. Beispiele dafür sind

  • die Erzählungen über das Königtum Abimelechs in Sichem (Ri 9)
  • und die Befreiung der Stadt Jabesch in Gilead durch Saul (1 Sam 11).

b. Die Sammelbücher

Eine andere Art der geschichtlichen Berichterstattung ist durch die Verweise der Verfasser der Königsbücher auf weitere Materialsammlungen - sofern man diese als existent annehmen möchte - zu erschließen:

Diese drei Bücher beinhalteten offenbar Auszüge aus den Hofannalen, müssen aber allgemein zugänglich gewesen sein. Der Verweis auf sie ist schließlich nur unter dieser Voraussetzung sinnvoll.

Anscheinend bildeten solche Hofannalen allerdings keine planvoll aufgebauten literarischen Werke. Sie waren vielmehr Sammlungen von Einzelnachrichten aus einem großen Zeitraum. So berichteten sie

Vielfach heißt es kurz und bündig, dass die genannten Geschichtsbücher über die Könige alles darbieten, was sie getan haben - also auch die Notizen der jetzigen Königsbücher.

c. Die eigentliche Geschichtsschreibung

Neben den Einzelerzählungen und den Sammelbüchern entstand die eigentliche Geschichtsschreibung: literarische Kompositionen, die einen bestimmten Zeitraum umfassen, die Stoffe innerlich und sachlich miteinander verbinden und durch einen überlegten Aufbau zu einem Ganzen gestalten.

Diese Literaturgattung nimmt ihren Ausgang in der Zeit des erwachenden Nationalbewusstseins auf der religiösen Grundlage des Jahwe-Glaubens in und nach der Regierung Davids (Weiser).

Gleich das erste Werk dieser Art, die sogenannte Thronfolgegeschichte Davids, ist eine meisterhafte Leistung.

Weitere Schritte zu umfassenderen Darstellungen sind dann die älteren Quellenschichten des Pentateuchs bzw. Hexateuchs, die die Geschichte von der Weltschöpfung bis zur Landnahme Israels in Palästina überblicken.

An sie schließt sich mit anderen Akzenten die deuteronomistische Geschichtsschreibung an. Ihre besonderen Kennzeichen lassen sich vor allem an ihrer Gestaltung der Darstellung der Richter- und der Königszeit erkennen.

In der nachexilischen Zeit verstärkt sich der von ihr eingeführte Zug, den profanen Stoff nämlich möglichst weitgehend abzustoßen und sich auf eine religiöse Geschichtsbetrachtung oder eine Art "Kirchengeschichte" zu konzentrieren. Besonders in der priesterschriftlichen und chronistischen Darstellung lässt sich dieses Bemühen feststellen.

4. Die Biographie ⋅7⋅

In der Biographie sucht der Mensch sein eigenes oder das Tun und Lassen anderer Menschen festzuhalten, und zwar

  • zur Erinnerung an den Geschilderten,
  • zur Rechtfertigung vor der Mit- und Nachwelt
  • oder als eine Weihegabe an Gott.

Biographische Züge finden sich weniger in der israelitischen Geschichtsdarstellung als vielmehr in prophetischen Berichten, z. B. über die Ausweisung des Amos aus Betel (Am 7,10-17). Auch in ihnen ist das biographische Interesse allerdings nicht grundlegend, wie die Erzählungen von Jeremia zeigen. Sie wollen nicht zuerst eine Biographie darbieten. Sie wollen vielmehr Jeremia als wahren Jahwe-Propheten erweisen.

Andere prophetische Berichte tragen selbstbiographische Züge, z. B. Hoseas Bericht über die symbolische Handlung seiner zweiten Ehe (Hos 3). Doch sind sie - zumindest nach Georg Fohrer - ebenso wenig Selbstbiographien wie die Denkschrift Nehemias, die viele Ähnlichkeiten mit dem Votivstil der echten oder fingierten "Selbstbiographien" von ägyptischen Würdenträgern oder Beamten aufweist. Sie ist ein dem Andenken des "Helden" gewidmeter Tatenbericht, als Denkmal für ihn und als Weihegabe für Gott gedacht, die im Tempel aufbewahrt werden soll.

5. Die Traumerzählung ⋅8⋅

Die Traumerzählung ist wegen ihrer selbstbiographischen Art, sei sie ursprünglich oder erdichtet, meist im Ich-Stil gehalten,

  • so bei den Erzählungen im Rahmen der Josefsnovelle (Gen 37,5ff; 40-41)
  • und in der Gideongeschichte (Ri 7,13).

Dass Träume als Mittel des Offenbarungsempfangs in priesterlichen oder prophetischen Kreisen eine bedeutende Rolle gespielt haben, zeigen die Polemik Jeremias (Jer 23,25ff) und die scharfen Maßnahmen in Dtn 13,2-6, die sich anscheinend gegen eine übernommene kanaanäische Sitte richteten.

Die oft auf die Traumerzählung folgende Traumdeutung ist gewöhnlich im Ich-Stil gehalten, da sie durch andere erfolgt. Sie kann die Form der Anrede an den Erzähler tragen oder einfach berichtender Art sein (Ri 7,14).

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 105-106. Zur Anmerkung Button

2 Diese letzteren Listen beruhen genauso wie diejenigen nichtisraelitischer Stämme auf dem ausgeprägten genaologischen Denken der Nomaden und stellen entgegen der Annahme sakraler Stämmebünde in Analogie zu den griechisch-italischen Amphiktyonien (Noth), die für den Alten Orient nirgendwo belegt sind, volkstümliche Kurzfassungen größere Genealogien dar.
(Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 105.) Zur Anmerkung Button

3 Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 106-107. Zur Anmerkung Button

4 Zumal diese gleichzeitig ein politisches Unternehmen war.
(Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 106.) Zur Anmerkung Button

5 Ob man mit Jepsen sogleich eine synchronistische Chronik für Juda und Israel annehmen darf, bleibt trotz der babylonischen Parallele, die von anderen staatlichen Voraussetzungen ausgeht, fraglich. Vielleicht ist eher mit je einer judäischen und einer nordisraelitischen Chronik zu rechnen, die die Verfasser der Königsbücher miteinander kombiniert haben. Daraus könnten sich manche Fehler in den Jahresangaben erklären, die die Anlage einer Chronologie der Königszeit erschweren.
(Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 106-107.) Zur Anmerkung Button

6 Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 107-108. Zur Anmerkung Button

7 Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 108. Zur Anmerkung Button

8 Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 108-109. Zur Anmerkung Button