Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Die kritische Epoche bis Wellhausen ⋅1⋅

Nach diesen mehr oder minder nur tastenden Versuchen, beginnt man nun im 18. Jahrhundert die Forschung auf ein solides Fundament zu stellen.

"Die besten Arbeiten der Epoche wenden sich von den übereilten Hypothesen ab, um sich "undankbaren Aufgaben zu widmen, Texte herauszugeben, Dokumente zu entziffern, Steine abzukratzen, Münzen abzureiben" (P. Hazard)." ⋅2⋅

Damit beginnt nun die dritte Phase der Pentateuchforschung, die sogenannte "kritische Epoche".

1. Die ältere Urkunden-Hypothese

Die genaue Untersuchung des Textes ließ zunächst einmal auf einen Umstand aufmerksam werden, den ich ja auch schon bereits erwähnt habe.

Wenn wir die Genesis anschauen, dann stechen, wie wir bereits mehrfach gesehen haben, sogenannte Dubletten ins Auge, Texte, die anscheinend mehrfach vorhanden sind.

Auffallenderweise verwenden manche dieser Texte der Genesis den Gottesnamen Jahwe. Das ist in sofern verwunderlich, als dieser Name ja erst bei der Sinaitheophanie geoffenbart wurde.

Und besonders auffällig werden diese Texte, die so mir nichts dir nichts mit dem Gottesnamen umgehen, durch den Umstand, dass es mindestens genauso viele Texte gibt, die diesen Namen beinahe peinlich genau zu vermeiden suchen. Erst ab der Erscheinung Jahwes am Sinai wird der Gottesname durchgängig ohne Umschweife verwandt.

Die Texte der Genesis, die den Gottesnamen nicht verwenden, bezeichnen Gott durchweg, ganz einfach mit dem ganz normalen hebräischen Wort für Gott, nämlich אֱלֺהִים [">ælohim"].

Ein Beispiel können wir etwa in Gen 6,13 ausmachen. Diese Textstelle kommt ganz ohne die Nennung des Gottesnamens aus:

"Da sprach Gott (אֱלֺהִים [">ælohim"]) zu Noach: Ich sehe, das Ende aller Wesen aus Fleisch ist da; denn durch sie ist die Erde voller Gewalttat. Nun will ich sie zugleich mit der Erde verderben." (Gen 6,13)

In Gen 6,5-8 haben wir eine dazu parallele Aussage vorliegen. Sie fällt dadurch auf, dass sie im Gegensatz zu Gen 6,13 ungeniert Gott bei seinem Namen nennt:

"Als Jahwe sah, dass die Bosheit der Menschen auf Erden groß war und alles Gedankengebilde ihres Herzens allezeit nur auf das Böse gerichtet war, da reute es Jahwe, dass er die Menschen auf Erden gemacht hatte, und er grämte sich in seinem Herzen. Und Jahwe sprach: "Ich will die Menschen, die ich auf Erden geschaffen habe, vom Erdboden hinweg vertilgen, die Menschen samt dem Vieh, dem Gewürm und den Vögeln des Himmels, Denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe."" (Gen 6,5-8.)

Da dies immer wieder der Fall ist, da es also immer wieder Texte gibt, die Gott lediglich mit dem Wort אֱלֺהִים [">ælohim"] umschreiben, aber gleichzeitig Parallelen dazu existieren, die Gott mit seinem Namen nennen, dürfte hier ja kaum eine Zufälligkeit vorliegen.

Auf dieses auffällige Phänomen wurden als erste Henning Witter und Jean Astruc aufmerksam.

a. Henning Witter

Henning Bernhard Witter (1683-1715) war evangelischer Pfarrer von Hildesheim. Er untersuchte den Schöpfungs- und Paradiesesbericht und stellte dort genau diese unterschiedliche Verwendung der Gottesbezeichnungen fest. ⋅3⋅ Dies veranlasste ihn dazu, die jeweiligen Textstücke genauer zu untersuchen.

Seine Analyse ergab, dass auch verschiedene Stile in diesen Texten vorlagen. Da es sich bei den entsprechenden Textstellen zudem um Dubletten handelte, von denen eine jeweils den Gottesnamen, die andere jedoch die Gottesbezeichnung אֱלֺהִים [">ælohim"] verwendete, ging er davon aus, dass alle Texte, die das Wort אֱלֺהִים [">ælohim"] als Gottesbezeichnung verwendeten ursprünglich einmal zusammengehörten. Und genauso meinte er, dass alle Texte, die den Gottesnamen "Jahwe", den er - wie damals noch üblich - als "Jehowa" las, dass alle Texte also, die den Gottesnamen verwendeten, ebenfalls einmal zusammengehört haben mussten. Er schloss also auf zwei ursprünglich selbständige Urkunden.

Henning Witter ging also davon aus, dass es einmal einen Bericht gegeben habe, in dem Gott durchweg mit seinem Namen genannt wurde, und gleichzeitig einen zweiten Bericht, der ähnlichen Inhaltes war, der aber den Gottesnamen nicht verwendete.

In seinem Werk aus dem Jahre 1711 ⋅4⋅ wies er auf seine Forschungsergebnisse erstmals hin.

Die beiden ursprünglich einmal selbständig gewesenen Berichte, die Witter zu finden geglaubt hatte, bezeichnete er mit dem Wort "Urkunden". Das gab der von seinen Untersuchungen ausgehenden Theorie ihren Namen. Man nennt sie nämlich die "Ältere Urkunden-Hypothese" oder auch "Dokumenten-Hypothese".

"Älter" heißt sie deshalb, weil wir in der späteren Entwicklung auch noch auf eine "Neuere Urkunden-Hypothese" stoßen werden.

Diese ältere Urkunden-Hypothese ist die erste große Theorie, die die Entstehung des Pentateuchs zu erklären sucht.

b. Jean Astruc

Den nächsten Schritt unternahm der vom Protestantismus zum Katholizismus konvertierte Leibarzt Ludwigs XV., Jean Astruc (1684-1766).

Ihm kam zugute, dass er gut Hebräisch konnte. ⋅5⋅ Er führte Witters Untersuchungen weiter und analysierte die Verwendung der unterschiedlichen Gottesbezeichnungen nun nicht mehr nur in den ersten Kapiteln, sondern in der ganzen Genesis bis hin zu den ersten beiden Kapitel des Buches Exodus. ⋅6⋅

Auch seiner Meinung nach konnte die Verschiedenheit in der Verwendung der Gottesbezeichnungen nur durch die Hypothese erklärt werden, dass hier Parallelberichte vorliegen. Und zwar Parallelberichte, die ursprünglich einmal selbständig gewesen sein müssen. ⋅7⋅

Im Jahre 1753 veröffentlichte er ein Werk, ⋅8⋅ in dem er die Vermutung äußerte, dass für das Buch Genesis ursprünglich einmal zwei separate Texte von zwei unterschiedlichen Autoren vorgelegen haben. Ein Text, in dem Gott mit seinem Namen bezeichnet wird, und ein zweiter, der diesen Namen bis zur Offenbarung am Sinai vermeidet.

Zur Unterscheidung beider Texte verwendete Astruc die in diesen Texten gebrauchte Gottesbezeichnung.

Die Quelle, in der Gott ganz einfach als אֱלֺהִים [">ælohim"] bezeichnet wurde, nannte er Quelle A.

Quelle B war dementsprechend der Text, in dem Gott mit seinem Namen bezeichnet wurde. Diesen Gottesnamen las auch Astruc noch fälschlicherweise als "Jehowa". ⋅9⋅

Textstücke, die Astruc in diesen beiden rekonstruierten Quellen nicht unterbringen zu können glaubte, ordnete er weiteren Nebenquellen zu. Hier meinte er, von 10 Nebenquellen ⋅10⋅ ausgehen zu müssen. Diese Nebenquellen fasste er in einer Quelle C zusammen.

Das Buch Genesis habe nach Jean Astruc demnach ursprünglich einmal aus zwei selbständigen Hauptquellen bestanden, die um Texte aus anderen Quellen erweitert worden wären.

Jean Astruc ging nun davon aus, dass die beiden Hauptquellen dem Mose bereits vorlagen. Mose selbst hätte nun diese Quellen ganz einfach in Kolumnen nebeneinander geschrieben.

Erst in späterer Zeit hätte man diese unterschiedlichen Quellenstränge dann ganz einfach Abschnitt für Abschnitt - so wie sie nacheinander kamen - ineinander verwoben.

c. J. G. Eichhorn 

J. G. Eichhorn, ein evangelischer Alttestamentler, baute die Thesen Astrucs im Jahre 1781 dann selbständig weiter aus. Er bemühte sich um den wissenschaftlichen Nachweis für die von Jean Astruc postulierten Hauptquellen der Genesis.

Eichhorn war es, der der Dokumentenhypothese ihr eigentliches Ansehen verschaffte. Ganz besonders anhand der Sintflutberichte arbeitete er die literarischen Eigentümlichkeiten der postulierten Hauptquellen heraus, so dass er deren Stil und Inhalt genauer bestimmen konnte. ⋅11⋅

So konnte er diese Hauptquellen auch über die beiden ersten Kapitel des Buches Exodus hinaus weiterverfolgen. Er konnte zeigen, dass die unterschiedlichen Stile der einzelnen Quellenschriften auch nach der Sinaitheophanie im Text nachzuweisen waren. So verfolgte Eichhorn die von Astruc postulierten Hauptquellen der Genesis auch im Buch Levitikus.

Wie Astruc ging er dabei von zwei Hauptquellen und einigen weiteren Nebenquellen aus. Gen 14 mit der Melchisedek-Erzählung gehörte für ihn zum Beispiel ursprünglich nicht zu einer der Hauptquellen. Dieser Text stammt seiner Meinung nach aus einer der postulierten Nebenquellen. ⋅12⋅

d. Karl David Ilgen

1798 entdeckte dann Karl David Ilgen (1783-1834), dass man mit einer Unterscheidung von zwei Quellensträngen für die Genesis allein nicht auskommt. Die Quellenschicht, die Gott mit dem Wort אֱלֺהִים [">ælohim"] bezeichnete, war für ihn viel zu uneinheitlich, als dass er sie als eine einzige Quelle gelten lassen konnte. Ilgen versuchte herauszuarbeiten, dass es wohl zwei Quellenstränge gegeben haben muss, die den Gottesnamen bis zur Sinaitheophanie vermeiden.

Karl David Ilgen geht dementsprechend davon aus, dass es neben der von Jean Astruc genannten Quelle B, die den Jahwenamen ungeniert verwendet, noch zwei Elohim-Quellen geben müsse. Zwei Quellen also, die lediglich den allgemeinen Begriff אֱלֺהִים [">ælohim"] für Gott verwenden. ⋅13⋅

e. Würdigung

Auch wenn Ilgens These zunächst kaum Beachtung fand, so sollte sie bahnbrechend für die spätere Pentateuchforschung werden.

Die von Witter und Astruc ausgehende und durch Eichhorn und Ilgen erweiterte ältere Urkunden-Hypothese war denn auch wohl der entscheidendste Schritte auf dem Weg zu einer umfassenden Pentateuchhypothese.

Die Beobachtungen bezüglich der Verwendung des Gottesnamens sind bis heute wichtig geblieben. An ihnen kommt kein moderner Exeget mehr vorbei.

Damit schließt aber zunächst einmal die erste Phase dieser kritischen Epoche der Pentateuchforschung.

2. Die Fragmenten-Hypothese

Die "ältere Urkunden-Hypothese", die ausgehend von Astruc, Eichhorn und Ilgen in der Folge immer stärker diskutiert wurde, kam in eine erste Krise, als man um die Jahrhundertwende vor allem die Rechtsbücher des Pentateuchs und die Gesetzestexte näher untersuchte.

a. Das Problem der Rechtstexte

Gerade diese Rechtstexte erwecken den Eindruck, mehrere Stücke kleineren oder größeren Umfanges zu sein, die völlig selbständig sind und kaum eine Beziehung zueinander haben. Sie scheinen ganz einfach ohne inneren Zusammenhang nebeneinander gestellt worden zu sein. ⋅14⋅

Schon die Vertreter der Urkunden-Hypothese hatten ja Schwierigkeiten mit einzelnen Texten, die sie ihren Hauptquellen nicht zuordnen konnten. Wir haben oben ja bereits gesehen, dass Eichhorn beispielsweise Gen 14 in keine seiner Quellen einordnen konnte. Im Laufe der weiteren Forschung nahm die Zahl dieser anscheinend nicht zuordbaren Texte immer mehr zu. Und dies vor allem im Blick auf die Fülle der eben genannten Rechtstexte.

Gerade dieses Phänomen der immer größer werdenden Zahl von Texten, die anscheinend in keine der postulierten Hauptquellen passten, rief nun eine ganze Reihe von Forschern auf den Plan, die die Hypothese von größeren Hauptquellen schlichtweg ablehnte.

Man ging in diesen Kreisen also nicht mehr von durchgehenden Dokumenten aus, die jeweils ihren eigenen Verfasser gehabt haben, sondern von einer Fülle kleinerer und größerer Fragmente, aus denen der Text des Pentateuchs gleichsam komponiert worden sei. Ein Verfasser hätte also nichts anderes getan, als eine Unmenge kleinerer Texte zu einem Ganzen zusammengeschrieben.

Diese Annahme von zahllosen Fragmenten mit größtenteils unbekannter Herkunft liefert den Namen dieser Theorie. Sie heißt allgemein die "Fragmenten-Hypothese".

b. Die unterschiedlichen Gottesbezeichnungen in der Erklärung durch die Fragmenten-Hypothese

Die unterschiedliche Verwendung von Gottesbezeichnungen - an der auch die Vertreter der Fragmenten-Hypothese nicht vorbei kamen - führte man nun auf verschiedene Traditionskreise zurück, in denen diese Fragmente entstanden oder auch weitergegeben worden wären. Man ging also davon aus, dass einige Fragmente in einem elohistischen, andere in einem jehovistischen Traditionskreis - je nach der verwendeten Gottesbezeichnung - entstanden sind.

c. Alexanders Geddes

Erster Vertreter dieser Fragmentenhypothese war Alexander Geddes, ein englischer katholischer Alttestamentler.

In seinen Werken, die in den Jahren 1792 und 1800 erschienen, nimmt er zahlreiche Fragmente aus salomonischer Zeit an. Dieselben seien in zwei Verfasserkreisen - eben entsprechend den darin gebrauchten Gottesbezeichnungen - entstanden. ⋅15⋅

d. Johann Severin Vater

In Deutschland führt Johann Severin Vater (gestorben 1826) in seinem Pentateuchkommentar diese Hypothese weiter.

Vater geht vom Gesetzeswerk des Pentateuchs aus. Dasselbe datiert er in die Zeit Davids und Salomos. Dabei scheint ihm das Buch Deuteronomium der Kern dieser Gesetzessammlung zu sein. Neben diesem Kern nimmt er weitere 39 selbständige Fragmente an, aus denen sich im Laufe der Zeit der Pentateuch entwickelt habe. ⋅16⋅

Diese Fragmente mit dann meist erzählendem Inhalt, haben sich nach Johann Vaters Theorie um die Gesetzessammlung vor allem des Buches Deuteronomium gleichsam wie um einen Kristallisationskern herum angelagert.

e. Schwierigkeiten der Fragmenten-Hypothese

Bei der Fragmenten-Hypothese geht es nun also schwerpunktmäßig darum, dass viele Einzelstücke zu einem Ganzen zusammengefügt wurden.

Bei der Betrachtung der Rechtstexte kommt man mit dieser Hypothese sicher sehr weit. Sobald man sie aber auf die erzählenden Abschnitte anwendet, ist es schwer, den planmäßigen Aufbau, die sorgfältige Anordnung des Ganzen und die damit zusammenhängende Chronologie zu erklären.

So haben wir gesehen, dass schon bei Vater, der ja eigentlich Vertreter der Fragmenten-Hypothese ist, ein anderer Gesichtspunkt mit hinzu kommt.

Schon Vater geht ja davon aus, dass zuerst eine Gesetzessammlung da gewesen sei, und dass diese Gesetzessammlung dann durch das Hinzunehmen einzelner weiterer, vor allem erzählender Fragmente erweitert wurde.

Das sind aber bereits Züge der nächsten Hypothese, mit der man das Werden des Pentateuchs zu erklären suchte, nämlich der sogenannten "Ergänzungs-Hypothese".

3. Die Ergänzungs-Hypothese

Die Ergänzungs-Hypothese ist eigentlich recht eng verwandt mit der Fragmenten-Hypothese.

Auch sie geht davon aus, dass viele kleinere und größere Einzelstücke vorgelegen haben. Dieselben wurden jetzt nach dieser Hypothese aber nicht einfach unkoordiniert zusammengesetzt.

Man geht vielmehr davon aus, dass eine Quelle den Kern des Penteuch gebildet hat. Diesen Kern müsse man dann als so etwas wie eine Grundschrift betrachten. Und diese Grundschrift wäre dann nach und nach um einzelne Stücke, Fragmente von unterschiedlicher Art, erweitert worden.

a. Heinrich Georg August Ewald

Der Hauptvertreter dieser Ergänzungshypothese wurde Heinrich Georg August Ewald (gest. 1875).

Bei seinen Pentateuch bzw. Hexateuch-Studien fiel Ewald auf, dass die Texte eine viel größere Einheitlichkeit aufwiesen, als die Fragmenten-Hypothese erwarten ließ.

Er nahm deshalb in seinem 1831 erschienen Werk für die Bücher Genesis bis Josua, also für den sogenannten Hexateuch, eine durchgehende Geschichtserzählung an, die als Grundschrift quasi den roten Faden für den Hexateuch abgab.

Diese Grundschrift begann für Ewald mit der Schöpfung und ging bis zur Eroberung Kanaans durch die Israeliten.

Ewald sah diese Grunderzählung in den Textteilen, die die Gottesbezeichnung אֱלֺהִים [">ælohim"] verwendeten. Diesen von Heinrich Ewald postulierten roten Faden nennt man daher auch elohistische Grundschrift.

Ein Redaktor habe dann in diese ältere Grundschrift Fragmente von unterschiedlicher Herkunft und meist jüngerer Entstehungszeit eingearbeitet. Ewald glaubte einen Teil dieser später eingearbeiteten Fragmente in den Textteilen zu entdecken, die den Gottesnamen verwendete. Auch er las denselben im übrigen damals noch als "Jehowa".

b. Die Schwierigkeiten der Ergänzungs-Hypothese

Diese Ergänzungshypothese schien einen Großteil der Fragen zu beantworten. So kehrte auch Wilhelm Martin Leberecht de Wette (1780-1849), ein evangelischer Theologe und ursprünglich wichtiger Vertreter der Fragmenten-Hypothese, im Jahre 1840 der Fragmenten-Hypothese den Rücken und übernimmt die Ergänzungs-Hypothese Ewalds.

Die Ergänzungs-Hypothese krankt jedoch von Anfang an an einem Punkt. Und dieser Punkt ist im Grunde ihre wichtigste Voraussetzung.

Ewald hatte ja behauptet, dass die sogenannte elohistische Grundschrift den Kern und damit auch den roten Faden durch den Pentateuch darstellen würde.

Nun hatte aber bereits Karl David Ilgen im Jahre 1798 darauf hingewiesen, dass diese Texte, die die Gottesbezeichnung אֱלֺהִים [">ælohim"] verwenden, so uneinheitlich sind, dass man sie beinahe zwangsläufig auf zwei verschiedene Quellen zurückführen müsse. Karl David Ilgen hat ja bereits damals zwei Quellen postuliert, die Gott mit dem Wort אֱלֺהִים [">ælohim"] bezeichnen und den Jahwe-Namen bis zur Sinai-Theophanie vermeiden.

c. Kombination von Ergänzungs- und Älterer-Urkunden-Hypothese

So hat Heinrich Ewald selbst in späterer Zeit seine eigene Theorie verworfen und Karl David Ilgen recht gegeben. Auch er ging nun davon aus, dass es ursprünglich zwei elohistische Quellen gegeben habe.

Er hielt jedoch daran fest, dass diese beiden Quellen dann durch Fragmente ergänzt worden waren. So sagte er, dass in einer späteren Zeit ein Redaktor diese beiden elohistischen Quellen zusammengefasst und dabei gleichzeitig noch weitere Fragmente hinzugefügt habe. Diese Fragmente seien unter anderem genau die Texte, die ungeniert den Gottesnamen verwendeten.

Im Unterschied zu Karl David Ilgen ging der späte Ewald also nicht von drei Quellenschriften oder Urkunden aus, sondern von zwei elohistischen Quellen, die von einem Redaktor zusammengefügt worden seien, um dann auch noch durch - sagen wir - zum Teil jahwistische Fragmente ergänzt zu werden.

So haben wir am Ende dieser Periode also gleichsam eine Kombination der Älteren-Urkunden-Hypothese mit der Ergänzungs-Hypothese.

Dies zeigt aber auch schon, dass man ganz ohne die Urkunden-Hypothese anscheinend nicht auskam.

4. Die Neuere Urkunden-Hypothese

Es kommt nun also beinahe folgerichtig zu einer Renaissance der von Witter und Astruc begründeten Urkunden-Hypothese. Diese ist zunächst verbunden mit dem Namen Hermann Hupfeld.

a. Hermann Hupfeld

Hermann Hupfeld (1796-1866) gilt als der Begründer der Neueren Urkunden-Hypothese. Er baut auf den Überlegungen des späten Ewald auf. Hupfeld nimmt dementsprechend an, dass die Genesis zunächst einmal aus einer Grundschrift bestanden hat, die die Gottesbezeichnung אֱלֺהִים [">ælohim"] verwendete. Bis der Gottesname dann in der Sinaitheophanie geoffenbart wird, vermeidet diese Grundschrift die Verwendung des Gottesnamens peinlich genau. Diese Grundschrift nennt Hupfeld eben nach der Bezeichnung Gottes mit dem Wort אֱלֺהִים [">ælohim"] "Elohistische Grundschrift".

Zu dieser Grundschrift kommt nach Meinung Hupfelds dann eine weitere jüngere elohistische Quelle hinzu. Diese wäre dann später mit der älteren kombiniert worden. ⋅17⋅

Soweit geht also Hupfeld mit Ewald konform. Im Gegensatz zu Ewald denkt Hupfeld jetzt aber nicht an eine Erweiterung dieser beiden elohistischen Quellen um zahlreiche Fragmente. Er geht vielmehr davon aus, dass nicht etwa Fragmente, sondern eine dritte Quellenschrift, die nun jünger als die beiden elohistischen Quellenschriften zu denken wäre, zu diesen beiden anderen hinzugefügt wurde.

Diese Quelle hätte dann, im Gegensatz zu den beiden anderen, anscheinend keine Schwierigkeiten damit gehabt, den Gottesnamen auch schon in der Genesis zu verwenden, also noch bevor er eigentlich geoffenbart worden ist.

Da man diesen Gottesnamen damals fälschlicherweise als "Jehowa" las, nennt Hupfeld diese dritte Schicht "jehovistische Grundschicht".

Alle drei Quellenschichten hätten ihren je eigenen Verfasser gehabt und wären von einem späteren Redaktor zum heutigen Pentateuch kombiniert worden.

In der Theorie Hupfelds ist also jetzt - wie ansatzweise früher schon bei Karl David Ilgen - von drei Quellenschichten die Rede: zwei elohistische und eine jehovistische Quellenschicht.

b. Das Problem des Buches Deuteronomium

Bereits im Jahre 1805 hatte Wilhelm Martin Leberecht de Wette jedoch noch eine weitere Quelle ins Gespräch gebracht.

Um de Wettes Überlegungen zu verstehen, ist es hilfreich, einmal kurz ins 2. Königsbuch hineinzuschauen.

Es heißt dort 2 Kön 22,3-10:

"Im 18. Jahre des Königs Joschija sandte der König den Schreiber Schafan, den Sohn des Azalja, den Enkel des Meschullam, in den Tempel Jahwes und trug ihm Folgendes auf: "Geh hinauf zum Hohenpriester Hilkija, damit er das Geld einschmelze, das in den Tempel Jahwes gebracht worden ist und das die Schwellenhüter vom Volk eingesammelt haben."" (2 Kön 22,3-4.)

Ich lasse jetzt drei für uns unerhebliche Verse aus. Es geht dann 2 Kön 22,8 weiter:

"Da teilte der Hohepriester Hilkija dem Schreiber Schafan mit: "Ich habe das Gesetzbuch gefunden im Tempel Jahwes." Und Hilkija übergab das Buch dem Schreiber Schafan, und dieser las es. Dann begab sich der Schreiber Schafan zum König und erstattete dem König Bericht mit den Worten: "Deine Diener haben das Geld, das sich im Tempel fand, eingeschmolzen und es den Werkmeistern ausgehändigt, die zu Aufsehern im Tempel Jahwes bestellt sind." Weiter meldete der Schreiber Schafan dem König: "Ein Buch hat mir der Priester Hilkija gegeben"; und Schafan las es dem König vor. Und es geschah, als der König die Worte des Gesetzbuches hörte, zerriss er seine Kleider. Darauf gab der König dem Hilkija, dem Ahikam, dem Sohne des Schafan, dem Achbor, dem Sohn des Michaja, dem Schreiber Schafan und dem Asaja, dem Diener des Königs, diesen Befehl: "Geht, befragt Jahwe für mich und für das Volk wegen des Inhaltes dieses aufgefundenen Buches; denn groß ist der Grimm Jahwes, der gegen uns deswegen entbrannt ist, weil unsere Väter auf die Worte dieses Gesetzes nicht gehört haben, um nach all dem zu handeln, was in ihm vorgeschrieben ist."" (2 Kön 22,8-13.)

Man schickt nun zur Prophetin Hulda und diese bestätigt, dass es sich hier um ein Gesetzbuch Jahwes handelt, das offenbar in Vergessenheit geraten und dementsprechend auch nicht mehr beachtet worden war.

Ausgehend von diesem Fund im Tempel unternimmt Joschija nun eine weitreichende religiöse Reform in Juda. 2 Kön 23 wird dieses joschijanische Reformwerk geschildert.

c. Wilhelm Martin Leberecht de Wette

Von dieser Stelle ging Wilhelm Martin de Wette nun in seiner Dissertation aus dem Jahre 1805 aus.

Dieses סֵפֶר הַתּוֺרָה ["sefær hatorah"], dieses Gesetzbuch, von dem 2 Kön 22 berichtet, muss nach der Chronologie der Könige des Südreiches etwa um 621 v. Chr. aufgefunden worden sein. Da es der Auslöser für die joschijanische Reform gewesen ist, dürften die Anordnungen, die Joschija nun erlässt und die in 2 Kön 23 geschildert werden, auf die Forderungen dieses Gesetzbuches zurückgehen. Nun gibt es aber im Alten Testament ein Buch, das genau diese Forderungen, denen Joschija in seinem Reformwerk Geltung verschafft, enthält. Dieses Buch ist das sogenannte "Deuteronomium".

Bereits die Kirchenväter - z. B. Hieronymus und Chrysostomus - haben schon die Vermutung geäußert, dass das Buch Deuteronomium mit der Reform des Joschija zusammenhänge. Die hier niedergeschriebenen Forderungen entsprechen sehr genau dem, was in der joschijanischen Reform erfüllt worden ist.

Wilhelm Martin de Wette wies nun nach, dass das Buch Deuteronium, das als letztes der fünf Bücher des Pentateuchs aufgeführt ist, tatsächlich eine Sonderstellung unter diesen fünf Büchern einnimmt. Es passt in vielen Punkten nicht zu den vorangegangenen vier Büchern. Es wiederholt weite Teile der vorangegangenen Bücher, und es hat vor allem einen ganz eigenen Stil.

So ging de Wette also davon aus, dass das Buch Deuteronomium mit diesem unter Joschija um das Jahr 621 v. Chr. aufgefundenen Gesetzbuch identisch ist. Dieses Buch wäre dann unabhängig von den anderen Schriften des Pentateuchs entstanden und eine eigene Quellenschrift des heutigen Pentateuch.

Damit werden also zu diesem Zeitpunkt wenn wir Hupfeld und de Wette zusammennehmen, vier Schichten des Pentateuchs bzw. des Hexateuch postuliert: Zwei elohistische Grundschriften, eine jehowistische bzw. jahwistische Grundschrift und das Buch Deuteronomium als eigene Quellenschicht.

Damit waren die für die weitere wissenschaftliche Diskussion bestimmend gewordenen vier klassischen Schichten des Penta- bzw. Hexateuchs gefunden.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Lothar Ruppert, Einleitung in das Alte Testament (Teil I) - autorisierte Vorlesungsmitschrift (WS 1984/85) 68-76. Zur Anmerkung Button

2 P. Hazard, zitiert nach: André Robert / A. Feuillet, Einleitung in die Heilige Schrift (Wien 1963) I/288. Zur Anmerkung Button

3 Vgl.: André Robert / A. Feuillet, Einleitung in die Heilige Schrift (Wien 1963) I/288. Zur Anmerkung Button

4 "Jura Israelitorum in Palaestinam terram Chanaanaeum commentatione etc." Zur Anmerkung Button

5 Vgl.: Alfons Deissler, Einleitung in das Alte Testament - Zusammenschrift entsprechend einer autorisierten Vorlesungsmitschrift des WS 1969/70 bzw. einer nicht autorisierten Mitschrift anhand von Bandaufnahmen des WS 1976/77 mit teilweisen Ergänzungen für das WS 1979/80 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.) 62. Zur Anmerkung Button

6 Vgl.: André Robert / A. Feuillet, Einleitung in die Heilige Schrift (Wien 1963) I/288. Zur Anmerkung Button

7 Vgl.: André Robert / A. Feuillet, Einleitung in die Heilige Schrift (Wien 1963) I/288-289. Zur Anmerkung Button

8 Conjectures sur les mémoires dont il paroit que Moyse s'est servi etc.
(Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 118.) Zur Anmerkung Button

9 Auf die unterschiedlichen Gottesnamen gehen die späteren Bezeichnungen "Elohist" und "Jahwist" für die Verfasser dieser Quellen zurück. Zur Anmerkung Button

10 Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 118. Zur Anmerkung Button

11 Vgl.: André Robert / A. Feuillet, Einleitung in die Heilige Schrift (Wien 1963) I/289. Zur Anmerkung Button

12 Vgl.: André Robert / A. Feuillet, Einleitung in die Heilige Schrift (Wien 1963) I/289. Zur Anmerkung Button

13 Ilgen nahm an, dass im Jerusalemer Tempelarchiv Urkunden gesammelt worden seien. In der Genesis seien 17 Urkunden auf drei Quellen zu verteilen. Zur Anmerkung Button

14 Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 118. Zur Anmerkung Button

15 Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 118, Anm. 8. Zur Anmerkung Button

16 Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 118, Anm. 8 Zur Anmerkung Button

17 Ende des 19. Jahrhunderts schlossen sich ihm August Dillmann und Franz Delitzsch an. Zur Anmerkung Button