Kleine Kirchengeschichte
Das 19. Jahrhundert und die soziale Frage
- 1. Die industrielle Revolution
- 2. Die soziale Frage im 19. Jahrhundert
- 3. Das Kommunistische Manifest
- 4. Die Rolle der Kirchen
Wir sind nun bereits im 19. Jahrhundert angelangt. Und dieses Jahrhundert begann - von der Säkularisation einmal abgesehen - zunächst recht ruhig. Auf die Wirren der Französischen Revolution und die Verunsicherung des traditionellen Gedankengebäudes durch die Aufklärung, suchte man in der Zeit nach dem Wiener Kongress an alte Traditionen anzuknüpfen. Die Restauration der überkommenen Zustände in Kirche und Welt war vorherrschendes Anliegen.
Aber eine neue Herausforderung wurde am Horizont der Geschichte bereits sichtbar. Das Zeitalter der Industrialisierung sollte alles bisher Dagewesene letztlich auf den Kopf stellen.
1. Die industrielle Revolution
Auch hier war die Französische Revolution ein durchaus mitauslösender Faktor. Sie hatte schließlich eine ganze Reihe von Freiheiten mit sich gebracht. Wichtig wurde in der Folge vor allem die Gewerbefreiheit, die kapitalkräftigen Unternehmern ermöglichte, neue Maschinen zu kaufen und Fabrikhallen zu bauen.
Diese neue Möglichkeit, gepaart mit der Fülle der Chancen, die die neuen Erfindungen des 18. und 19. Jahrhunderts boten - ich erinnere hier nur an die Dampfmaschine -, führten zu einer zweiten großen Revolution, nämlich zur Industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts. Das Europa, wie wir es heute kennen, begann sich hier zu formen.
Wie jede Revolution hatte aber auch diese industrielle Revolution ihre ganz großen Schattenseiten.
Marx-Engels-Denkmal
an der Berliner Karl-Liebknecht-Brücke.
Foto: Jörg Sieger, August 2011
2. Die soziale Frage im 19. Jahrhundert
Die Handwerker waren nun häufig gezwungen, als Arbeiter in die Fabriken zu gehen. Dasselbe galt für die jüngeren Bauernkinder, die keinen Hof geerbt hatten.
Das Angebot an Arbeitern war demnach groß, was zur Folge hatte, dass nur sehr unzureichende Löhne bezahlt wurden. Es entstand der besitzlose Arbeiterstand, "das Proletariat". Bald sprach man von zwei feindlichen Ständen in der Gesellschaft, den "Kapitalisten" und den "Proletariern".
Die soziale Not dieser Zeit war ungeheuer groß. Sie äußerte sich auch darin, dass viele Kinder mitarbeiten mussten, um das Überleben der Familien zu sichern. Kinderarbeit - und das 10 bis 14 Stunden am Tag - war zu dieser Zeit ungeheuer verbreitet.
3. Das Kommunistische Manifest
Eine Antwort auf diese soziale Frage des 19. Jahrhunderts gab das sogenannte Kommunistische Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels, das 1848 in London erschien. Ende 1849 wurde es auch in deutscher Sprache gedruckt.
Die Gedanken von Karl Marx und Friedrich Engels eroberten in der Folge weite Teile der Arbeiterschaft. Die Wirkungsgeschichte des von hier ausgehenden Kommunismus lässt sich ja bekanntermaßen bis in unsere Gegenwart verfolgen.
Von den Vertretern der katholischen und der evangelischen Kirche wurde das Kommunistische Manifest und das Gedankengebäude des Kommunismus von jeher abgelehnt. Es war vor allem die Aufforderung zur Revolution und zur Abschaffung der Religion, die für die Kirchen untragbar war.
4. Die Rolle der Kirchen
Glasfenster im Dom zu Mainz.
Foto: Jörg Sieger, Oktober 2017
Die bloße Ablehnung der Antwort von Marx und Engels reichte aber nicht aus. Die soziale Frage verlangte eine positive Antwort. Das haben die führenden Männer der Kirchen viel zu spät erkannt. Die Reaktion von Seiten der Kirchenleitungen kam um Jahrzehnte zu spät. Weite Teile der Arbeiterschaft gingen der Kirche von daher verloren.
a. Einzelne Theologen
Nicht übersehen werden darf allerdings, dass ebenfalls im Jahr 1848 zwei weitere Manifeste erschienen, die sich mit der sozialen Frage beschäftigten. Es handelte sich einerseits um das Manifest der "Inneren Mission" des evangelischen Pastors Johann Hinrich Wichern und um die Adventspredigten zum Thema "Die großen sozialen Fragen der Gegenwart" des westfälischen Pfarrers und späteren Mainzer Bischofs Wilhelm Emanuel von Ketteler (1811-1877).
Diese beiden Männer stehen für eine Reihe von Christen, die sich bemühten, den Unterdrückten dieser Zeit zu helfen und soziales Unrecht zu beseitigen. Lange bevor sich der Staat um die sozialen Probleme kümmerte, wurden einzelne, führende Theologen und christliche Fabrikbesitzer auf die Not der Arbeiter, aber auch der Handwerke und übriger Berufszweige, aufmerksam.
Herausragendes Beispiel auf evangelischer Seite ist neben dem bereits erwähnten Johann Hinrich Wichern, Friedrich von Bodelschwingh, auf katholischer Seite ist neben Wilhelm Emanuel von Ketteler vor allem Adolf Kolping (1813-1865) zu nennen, der sich insbesondere der Handwerksgesellen annahm.
b. Papst Leo XIII. (1810 - 1903; Papst von 1878 - 1903) und die Enzyklika "Rerum Novarum"
Die Schriften von Kettelers, etwa sein Buch "Die Arbeiterfrage und das Christentum" waren dann letztlich auch Wegbereiter für die offizielle kirchliche Stellungnahme zur sozialen Frage. Im Jahre 1891 machte Papst Leo XIII. dieses Anliegen zum Thema einer Enzyklika. Unter dem Titel "Rerum Novarum" handelte ein päpstliches Rundschreiben erstmals von der sozialen Frage.
Die dort aufgezeigten Wege und Maßnahmen sind heute noch richtungsweisend und die christlichen Gewerkschaften, die Leo XIII. anregte, haben in Form des Christlichen Gewerkschaftsbundes lange Zeit wertvolle Arbeit geleistet. Die Bedeutung dieser christlichen Gewerkschaften bis hinein in die Weimarer Republik darf nicht unterschätzt werden.