Kleine Kirchengeschichte


Weiter-Button Zurück-Button Von Nicäa bis Konstantinopel

1. Vorbemerkung

Der nächste Abschnitt unseres Überblicks umfasst insgesamt 750 Jahre. Allein diese Zahl macht schon deutlich, dass die Fülle des Stoffs, die wir jetzt in der gleichen Zeit betrachten möchten, um ein Vielfaches größer ist. War es im ersten Teil schon schwer genug, die großen Linien auch nur anzureißen, so ist es jetzt beinahe eine Unmöglichkeit, dieser Zeit und ihrer Bedeutung auch nur annähernd gerecht zu werden.

Natürlich kommt uns indirekt zu Hilfe, dass die Nachrichten aus der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends weit spärlicher sind, als die Aufzeichnungen, die uns aus der Zeit des römischen Imperiums vorliegen. Vieles, was sich etwa in den Wäldern Germaniens oder Britanniens zugetragen hat, ist unserem Zugriff schließlich wahrscheinlich endgültig verborgen.

Aber dennoch bleibt eine Unzahl von Ereignissen und richtungsweisenden Entscheidungen, eine unüberschaubare Zahl von Personen, die bedeutungsschwer in die Geschichte der Kirche eingegriffen hat und die Entwicklung des Christentums entscheidend prägte. Vieles werden Sie hier vermissen, viele wichtige Persönlichkeiten werden ganz einfach unerwähnt bleiben.

Ich möchte mich nämlich auf ganz wenige Themenkreise und nur wenige Persönlichkeiten beschränken. Diejenigen aber, die ich ausgewählt haben, vermögen meines Erachtens sowohl die Entwicklung als auch geistige Haltung jener Zeit gleichsam schlaglichtartig zu beleuchten. Und so mag dennoch, wenn auch holzschnittartig verkürzt, ein bescheidenes Bild entstehen, das zumindest eine Ahnung davon vermittelt, was die Menschen in diesen Jahrhunderten der Geschichte der Kirche bewegte.

2. Die Auswirkungen des Konzils von Nicäa

Und das erste, was die Christen nach dem Konzil von Nicäa beschäftigte, war das Konzil selbst; genaugenommen, die Entscheidung, die das Nicänum gefällt hatte.

a. Nicäa und das "homoousios"

Über ein halbes Jahrhundert hat man sich in der Kirche darüber gestritten, was die Aussage des Konzils von Nicäa nun genau zu bedeuten habe.

Im Jahre 325 n. Chr. wurde ja auf dem Konzil von Nicäa definiert, dass der Sohn wesenseins mit dem Vater sei. "homoousios", wesenseins, lautete der entsprechende Terminus. Damit meinte man die Streitigkeiten, die zu Beginn des Jahrhunderts aufgebrochen waren, endgültig gelöst zu haben. Der Theologe Arius hatte ja behauptet, dass der Sohn lediglich ein Geschöpf, gleichsam ein Engelwesen sei. Er sei deutlich vom Vater zu unterscheiden. Jetzt hatte das Konzil entschieden: der Sohn und der Vater sind eins, "homoousios".

Nicäa aber ist ein Lehrstück dafür, wie viel- und nichtssagend theologische Formeln in gleicher Weise sein können. Mit dem Begriff allein war ja eigentlich gar nichts gewonnen. Was sollte man darunter verstehen?

Und deswegen hörten die Auseinandersetzungen um das Verhältnis von Vater und Sohn nach dem Konzil von Nicäa auch nicht auf. Eine nicht zu unterschätzende Zahl von Theologen blieb im Grunde dabei, dass der Sohn nicht auf der gleichen Ebene des Vaters stehe. Manche sagten, er sei halt ähnlich zu denken, wie der Vater, aber in keinster Weise gleich. Wieder andere gingen so weit zu sagen, dass er schon ähnlicher Wesenheit sei, aber eben nur von ähnlicher, nicht von gleicher Wesenheit - was auch immer das bedeuten mochte.

Das, was das Konzil von Nicäa eigentlich verbindlich vorgeschrieben hatte, dass nämlich Vater und Sohn von gleichem Wesen seien, dass der Sohn demnach wirklich Gott ist, das wurde im Grunde nur von einer Handvoll Theologen wirklich vertreten. Und die waren sogar noch angefeindet. Einer von ihnen, der Kirchenvater Athanasius, wurde wegen seiner nicäatreuen Haltung sogar in die Verbannung geschickt, und das gleich fünfmal.

b. Die drei Kappadokier

Es brauchte mehrere Jahrzehnte, um die Entscheidung von Nicäa wirklich theologisch aufzuarbeiten.

Und das war um so schwieriger, als sich mit diesen Fragestellungen immer auch gleich politische und kirchenpolitische Anliegen vermengten. Es war natürlich ein probates Mittel, um an die Macht zu kommen, demjenigen, der einem den Bischofsstuhl etwa vor der Nase weggeschnappt hatte, vorzuwerfen, dass er nicht rechtgläubig sei.

Dass die Frage schließlich einer Lösung zugeführt werden konnte, ist das Verdienst vor allem von drei großen Theologen. Wir nennen sie - ihrer Heimat Kappadozien entsprechend - die drei Kappadokier: Basilius der Große, Gregor von Nyssa und Gregor von Nazianz.

Sie erweiterten die Fragestellung nach dem Verhältnis von Vater und Sohn und brachten die Frage nach dem Heiligen Geist mit ins Spiel. Und so formulierten sie erstmals die in der Schrift bereits angelegte Wesenseinheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Dass wir heute von einem dreieinigen Gott, von einem Gott in drei Personen sprechen, ist also letztlich der theologischen Arbeit der drei Kappadokier zu verdanken.

c. Das Konzil von Konstantionopel

Im Jahre 381 n. Chr. wurde diese Formulierung als Lösung der großen theologischen Auseinandersetzung des 4. christlichen Jahrhunderts auf dem Konzil von Konstantinopel für die ganze Kirche verbindlich festgelegt. Man formulierte dort das sogenannte nicäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis. Wir kennen es heute als sogenanntes "Großes Glaubensbekenntnis". Es ist letztlich das einigende Band aller großer christlicher Konfessionen und damit neben den Schriften des Neuen Testamentes das wichtigste Zeugnis der altkirchlichen Theologie überhaupt.

d. Zur Würdigung der theologischen Auseinandersetzungen im 4. Jahrhundert

Wegen ihrer theologischen Bedeutung habe ich diese Entwicklung der kirchlichen Lehre im 4. Jahrhundert etwas breiter dargestellt, aber nicht nur deshalb. Wir können nämlich, wenn wir diese Entwicklung nüchtern betrachten, einiges aus dieser Geschichte lernen.

Oftmals stellt man sich auch die Geschichte der Theologie viel zu einfach vor. Die kirchlichen Aussagen sind aber nicht vom Himmel gefallen. Sie ist der Versuch, mit den unzulänglichen Methoden des menschlichen Verstandes, das eigentlich unsagbare Geheimnis Gottes ins Wort zu bringen. Und dieser Versuch war immer und zu allen Zeiten von zähem Ringen und endlosen Diskussionen geprägt. Bereits nach dem ersten großen Konzil in unserer Kirche, haben sich die Theologen über ein halbes Jahrhundert um die Wahrheit gestritten - und das im wahrsten Sinne des Wortes.

Das sollten wir im Hinterkopf behalten, wenn wir die gegenwärtigen theologischen Diskussionen betrachten. Die sind nichts Abartiges und auch nichts Furchtbares und erst recht kein Zeichen unserer Zeit. Sie sind Ausdruck eines Suchens und Ringens nach der Wahrheit, die Jesus Christus selber ist - eines Ringens, das es zu allen Zeiten in der Kirche gegeben hat, heute genauso wie damals.

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