Kleine Kirchengeschichte


Weiter-Button Zurück-Button Der neue geistliche Aufbruch im 11. Jahrhundert

Die Epoche, die wir im folgenden betrachten wollen, die Zeit zwischen dem großen Schisma der Ost- und der Westkirche und dem Ausbruch der Reformation, ist alles andere als eine einheitliche Zeit. Es ist im Grunde genommen die Zeit eines ständigen Auf und Ab. Ich möchte hier mit den paar wenigen Linien, die ich durch diese Jahrhunderte hindurchziehen kann, dieses Wechselspiel von höchsten Höhen und tiefsten Tiefen ein wenig beleuchten.

Und vielleicht gelingt es mir ja, ein klein wenig zu verdeutlichen, dass die Kirche des Mittelalters, mit der wir es ja in dieser Zeit zu tun haben, nur ganz schwer zu beurteilen ist. Sie war sicher nicht gut, aber sie war genauso wenig schlecht. Die Kategorien von schwarz und weiß greifen in diesen Jahrhunderten überhaupt nicht.

Deshalb muss man die Kirche, die heutzutage für diese Geschehnisse im Mittelalter ungeheure Prügel einstecken muss, sehr differenziert betrachten. Es gab zugegebenermaßen sehr, sehr viel Schatten in diesen Jahrhunderten - das soll hier gar nicht in Abrede gestellt werden -, aber es gab diesen Schatten nicht, ohne dass es dazwischen ungeheuer viel Licht gegeben hätte. Nur wo viel Licht ist, dort ist auch viel Schatten. Und beides taucht in der Wirklichkeit meist gleichzeitig nebeneinander auf - so auch in unserer Kirche.

Das beginnt schon mitten im Zeitalter des großen Schismas, das ja im Jahre 1054 n. Chr. seinen traurigen Höhepunkt erlebte. Dieses 11. Jahrhundert ist nämlich auf der anderen Seite als das Zeitalter des großen geistlichen Aufbruchs in die Geschichte eingegangen.

Während wir einerseits die mehr als nur bedauerlichen Ereignisse um Humbert von Silva Candida und die Exkommunikationsbulle gegen die Ostkirche haben, kommt es andererseits gerade in diesen Jahrzehnten zu einer Fülle von neuen geistlichen Bewegungen, die alle von der Sehnsucht geprägt sind, das Eigentliche des Christentums rein und unverfälscht und mit einem hohen Maß an Radikalität zu leben. Weg von den eingefahrenen, lau gewordenen alten Bahnen, hin zu einer neuen, attraktiven und vor allem authentischen Art des Christseins.

1. Cluny und die cluniazensische Reform

Turm

Ruine der Klosterkirche Cluny.

Foto: Jörg Sieger, September 2019

Vor allem im Bereich des Mönchtums, lassen sich solche Bewegungen leicht ausmachen. Die großen, alten Abteien waren reich und satt geworden. Von der einstigen Dynamik war bei vielen nicht mehr viel zu spüren.

Als Herzog Wilhelm von Aquitanien im Jahre 908 bzw. 910 n. Chr. das Kloster Cluny gründete, war ihm wahrscheinlich noch nicht bewusst, dass er damit den Grundstein zu einer umfassenden Reform des Benediktinerordens legte. Von dieser Gründung in Burgund ging ein Aufbruch durch das benediktinische Mönchtum aus, der in der Geschichte seinesgleichen sucht.

Die benediktinische Regel wieder in aller Strenge zu befolgen und alle Auswüchse und Fehlformen des monastischen Lebens aus dem Klosteralltag zu verbannen, das war eines der Hauptanliegen von Cluny. Der Erfolg war so durchschlagend, dass es zu einer Fülle von Neugründungen im Geist von Cluny kam.

Das Schwarzwaldkloster Hirsau hat den Reformgedanken von Cluny im südwestdeutschen Raum verbreitet und wurde zu einem richtigen Zentrum der Erneuerung des benediktinischen Mönchtums am Oberrhein.

2. Die Kartäuser

Die Gründung des Bruno von Köln (1030/35-1101) aus dem Jahre 1084 n. Chr. hatte sicher keine so weitreichende Bedeutung. Sie war weit weniger spektakulär und weit weniger breitenwirksam als die Gründung von Cluny. Aber der Kartäuserorden, der sich auf Bruno von Köln zurückführt, ist eine der intensivsten und vielleicht auch geheimnisvollsten Formen des monastischen Lebens geworden, die unsere Kirche kennt.

Welche Strenge und Disziplin in dieser Ordensneugründung lag, macht die Geschichte der Kartäuser deutlich. Sie sind stolz darauf, der einzige Orden in der ganzen Christenheit zu sein, der noch nie reformiert werden musste.

"Cartusia numquam reformata, quia numquam deformata",

sagen die Kartäuser stolz über sich selbst. Der Kartäuserorden musste nämlich noch nie reformiert werden, weil er noch nie deformiert war, also von seinen ursprünglichen Zielen und seiner ihm eigenen Strenge abgewichen ist.

3. Cîteaux, die Gründung des Zisterzienserordens und die Rolle des Bernhard von Clairvaux

Ähnlich streng war die innere Ausrichtung der Gründung des Robert von Molesme, der 1111 n. Chr. gestorben ist. In Cîteaux gründete er ein strenges benediktinisches Reformkloster. Aus ihm ging der Orden der Zisterzienser hervor.

Diesem cistercienischen Ideal verhalf eine der faszinierendsten Gestalten der damaligen Zeit zum Durchbruch. Cîteaux kam eigentlich erst mit dem Eintritt des Bernhard von Clairvaux zu seiner wirklichen Blüte. Bernhard, der von 1090/91-1153 n. Chr. lebte, war einer der begnadetsten Theologen der damaligen Zeit. Nachdrücklichen Eindruck müssen seine Predigten bei seinen Hörern hinterlassen haben. Die Kirche verehrt ihn als einen ihrer großen Kirchenlehrer.

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