... auf der Spur Jesu
Dokumentation eines gemeinsamen Weges
Predigt beim 3. Treffen
am 22. Januar 2013 in St. Paul
"Abba, Vater" - der Gott, den Jesus verkündet
w:Herrad of Landsberg, Hortus deliciarum Jesse tree,
als gemeinfrei gekennzeichnet,
Details auf Wikimedia Commons
Es ist über 800 Jahre her, dass dieses Bild entstand. Es fand sich einmal in einem großartigen Buch, das im Jahre 1870 mit der Straßburger Universitäts-Bibliothek - Gott sei es geklagt - verbrannt ist: in jenem berühmten "Hortus delicarium" nämlich, im "Wonnegarten" der Herrad von Landsberg, jener genialen Äbtissin des Klosters auf dem Odilienberg. Dieses Werk ist die erste nachweislich von einer Frau verfasste Enzyklopädie der Menschheitsgeschichte.
Und hier haben wir nun die Nachzeichnung einer der eigenartigsten Abbildungen überhaupt aus diesem leider Gottes verloren gegangenen Buch. Da und dort kann man lesen, es würde sich um eine Darstellung der Wurzel Jesse, des Stammbaumes Jesu, handeln. Das aber ist Quatsch.
Das macht schon der Vermerk im oberen Bildteil deutlich: Dort werden die dargestellten Köpfe nämlich als Patriarchen und Propheten bezeichnet. Und damit wird klar, dass dieses Bild nur ganz schwer mit einem einfachen Titel zu bezeichnen ist. Es ist nämlich einzigartig. Ich zumindest kenne keine zweite Darstellung dieser Art.
Gut zu erkennen ist Gott, und auch, dass er eine Angel in der Hand hält. Und damit fischt er nun nach dem Leviatan, nach dem Bösen. Gott fischt das Böse aus der Welt. Und er verwendet dazu eine ganz eigenartige Angelschnur: jene ununterbrochene Reihe der Patriarchen und Propheten nämlich an deren Ende der gekreuzigte Jesus von Nazareth steht.
Es ist die Geschichte unseres Heiles, die hier auf einzigartige Weise dargestellt ist. Und es ist ein Bild das in seiner ganz eigenen Bildsprache letztlich auf den Punkt bringt, was dieser Jesus von Nazareth über Gott verkündet hat.
Liebe Schwestern und Brüder,
dieses Bild zeichnet uns einen Gott, der das Heil der Menschen möchte. Und es erklärt darüber hinaus, dass dies von Anfang an so war. Wie hätte Herrad von Landsberg im 12. Jahrhundert schon die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen, wenn da Möchtegern-Theologen heute vom Rachegott des Alten Testamentes und dem Gott der Liebe des Neuen Testamentes sprechen. Als ob es einen Unterschied in den Gottesvorstellungen der Bibel gäbe. Gott ist von Anfang an und unterschiedslos der Gott, den Jesus Vater nennt.
Schon das Ur-Evangelium der Bibel, die Namensoffenbarung Gottes, gleich zu Beginn des zweiten biblischen Buches überhaupt, macht dies unmissverständlich deutlich. Und sie sagt es uns, indem sie uns das Wesen dieses Gottes auf eine Art und Weise beschreibt, die die Botschaft Jesu bereits vorweg nimmt: Gott ist Jahwe, der, der für uns da ist, wann, wo und wie es auch sei. Das ist nicht einfach ein Name, das ist die Umschreibung für das Wesen Gottes: Gott ist der, der sich selbst verfasst hat, als reine Proexistenz für Welt und Mensch, der, der für uns da ist, wann, wo und wie es auch sei.
Und er will gar nichts anderes sein - so gibt er es Mose mit auf den Weg. Es ist sein freier und unumstößlicher Wille, das Wesen, dass er sich selbst gewählt hat, sich nämlich um diese Welt und seine Menschen zu kümmern.
Und das ohne Gegenleistung!
Im ältesten Bericht über den Bund Gottes mit den Menschen verpflichtet sich dieser Gott, für sein Volk da zu sein. Die Menschen hingegen gehen keinerlei Verpflichtung ein. Die Berichte von der Verpflichtung auf ein göttliches Gebot stammen alle aus späterer Zeit.
Von Anfang an aber kannten die Menschen in Israel die Botschaft von einem Gott, der sich ihrer annimmt und zwar einzig und allein deshalb, weil er das will.
Und sie kannten auf der anderen Seite auch die Geschichte ihres Volkes, die ihnen immer wieder vor Augen führte, dass man sich diese Zuwendung Gottes alles andere als verdient hatte. Ganz im Gegenteil: Gott wirbt immer wieder neu um seine Menschen, er sendet immer wieder neu Prophetinnen und Propheten bis hin zum Menschensohn Jesus von Nazareth, den nicht nur Herrad von Landsberg genau in diese Reihe der Patriarchen und Propheten einreiht; das tut lange vor ihr schon die Heilige Schrift selbst.
Gott geht den Menschen immer wieder aufs Neue nach, weil ihn die Ablehnung, die er von seinen Geschöpfen erfährt, offenbar im Innersten zerreißt. Diese Geschichte wiederholt sich stets aufs Neue und offenbar bis hinein in unsere Tage.
Was aber hat Jesus von Nazareth dann wirklich Neues verkündet? Viele Theologen sagen: Nichts!
Er musste gar nichts Neues verkünden. Er verkündete keinen neuen Glauben, keine neue Ordnung. Er sagte nicht einmal etwas Neues über Gott. Letztlich brachte er nur wieder neu auf den Punkt, was wir Menschen eigentlich von Anfang an hätten wissen können: Dass Gott uns beständig hinterhergeht und wir eigentlich gar nichts anderes tun können als ihn einfach wirken zu lassen, uns erlösen zu lassen, uns mit ihm versöhnen zu lassen.
Wir brauchen gar nichts zu tun und eigentlich können wir auch gar nichts tun. Die Initiative zu unserem Heil, geht immer von Gott aus und das von Anfang an. Herrad von Landsberg hatte das offenbar kapiert.
Spätestens jetzt aber kommt der Punkt, an dem sich Menschen dann fragen: Ja, irgendetwas werden wir doch am Ende tun müssen! Hat man uns nicht etwas von guten Werken und dem Lohn dafür gelehrt?
Wenn, dann können sie es getrost vergessen. Denn was wir von Gott empfangen, lässt sich nicht verdienen. Wir können uns den Himmel nicht kaufen. Gott hat uns als seine Kinder angenommen, noch längst bevor wir auch nur irgend etwas dafür hätten tun können. Alles was wir tun können, bedeutet lediglich weiterzuschenken, was wir selbst als Geschenk empfangen haben.
Wir können lediglich die Liebe, die Gott uns schenkt, weitergeben. Und genau das will Gott offenbar auch.
Auch das machen vor Jesus bereits die Propheten deutlich, in deren Spur sich Jesus stellt, wenn er etwa Hosea zitiert, der schon Jahrhunderte vor ihm gesagt hat, dass Gott Barmherzigkeit will und keine Opfer. Mit diesem Zitat stellt sich Jesus erneut ganz in die Tradition biblischer Verkündigung. Und er tut es letztlich mit allem was er sagt.
Aber irgendetwas etwas Besonderes, irgendetwas Bahnbrechendes, völlig Neues muss er doch gesagt haben!
Eigentlich nicht. Jesus holt die ursprüngliche und längst bekannte Botschaft von Gott lediglich unter dem Schutt all der Überlieferung hervor und er verkündet sie so, dass die Menschen sie wirklich verstehen.
Das aber, genau das, war offenbar zu seiner Zeit eine wirkliche Revolution. Denn dazu gehörte auch die Botschaft, dass jeder und jede von uns ihren ganz unmittelbaren Zugang zu Gott haben, dass es keinen Mittler zwischen Gott und den Menschen braucht.
Auch das war nichts Neues. Aber es klang völlig ungewohnt, absolut befreiend und wie eine neue, mit Vollmacht verkündete Lehre. Das nämlich hatten die Menschen seiner Zeit so noch nicht gehört. Das wurde nicht gepredigt. Dass es keinen Mittler zwischen Gott und den Menschen braucht, das hat die Priesterschaft in damaliger Zeit schön brav unter der Decke gehalten. Man sägt sich schließlich nicht den liebgewordenen Ast ab, auf dem man bequem sitzen kann.
Die Priesterschaft einer jeden Religion und einer jeden Zeit lebt ganz gut davon, dass sie die Menschen in der Überzeugung hält, man brauche sie, um zwischen Gott und einem selbst zu vermitteln. Nur die Priester konnten die Opfer am Tempel darbringen, nur die Priester konnten die Menschen mit Gott versöhnen. Sie waren notwendig, um das Heil zu vermitteln. Und sie lebten ganz gut davon.
Es kann nicht verwundern, dass die Predigt Jesu ihn unweigerlich in Konflikt mit den Funktionären seiner Religion bringen musste. Das was er von Gott berichtete, das war nicht neu, erst recht nicht falsch, aber bedrohlich. Es bedrohte die wirtschaftliche Grundlage, das gesellschaftliche Ansehen und die ganze Bedeutung der Priesterschaft Jerusalems und Israels. Und es ist nur folgerichtig, wenn genau bei den Theologen und Priestern der Gedanke reift, dass es wohl besser sei, wenn dieser eine Mann für das Volk - oder besser, für diesen kleinen, aber einflussreichen Teil des Volkes - stirbt, als dass das ganze System am Ende vor die Hunde geht.
Genau das aber konnte man nicht verhindern. Jesus hatte es vorhergesagt. Er hatte vorhergesagt, dass der Tempel und seine Priesterschaft keine Zukunft hätten. So wie sich das entwickelt hatte, hatte Gott das offenbar nicht gewollt.
In den ersten christlichen Gemeinden hat es solch ein Priestertum deshalb auch nicht mehr gegeben. Es gab "Presbyter", Älteste, die die Gemeinden sammelten, sie leiteten und das Brot brachen.
Genau aus diesem Wort "Presbyter" hat sich die Bezeichnung für das Amt entwickelt, das viele christliche Kirchen bis heute prägt: das Amt des Priesters nämlich. Auffallend aber ist, dass dieses Wort "Priester" offenbar schon lange nicht mehr taugt, um das neutestamentliche Wort vom "Presbyter" zu übersetzen. Im Deutschen wird "presbyteros" mit "Ältester" wiedergegeben. Das Wort Priester verwendet man aber zur Übersetzung des griechischen Ausdruckes "hiereus". "hiereus", das aber war genau die Bezeichnung für jene Amtsträger, für die Priester, mit denen Jesus damals aneinandergeraten ist.
Er würde es heute wohl nicht minder tun.
Wir halten in unserer Kirche zwar den Grundsatz hoch, den Jesus den Menschen damals nahegebracht hat, dass es keinen Mittler zwischen Gott und den Menschen braucht. Wir sprechen in unserer Theologie davon, dass Christus der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen ist.
Über Jahrhunderte hinweg war allerdings für römische Katholiken unbestritten klar, dass Christus dieses Heil von Gott den Menschen allein durch die Sakramente vermittelt, diese aber werden durch die Priester gespendet, die anstelle Christi handeln.
Kritiker der Kirche haben genau an dieser Stelle die Frage gestellt, ob nicht genau hier eine Priesterschaft sich ihre Mittlerfunktion gleichsam durch die Hintertür wieder zurückerobert hat.
Vor 50 Jahren, auf dem zweiten Vatikanischen Konzil hat man in unserer Kirche zu hinterfragen gewagt, ob hier unter der Überlieferung und der Praxis der vergangenen Jahrhunderte nicht wieder so viel vom Gottesbild der Bibel, gleichsam zugedeckt und verschüttet worden ist, dass manches nur noch sehr verzerrt herüberkommt. Und man hat versucht wichtige Korrekturen vorzunehmen, die Akzente wieder anders zu setzen, und zwar den Ursprüngen entsprechend zu setzen.
Das ist nicht immer konsequent genug gelungen. Und manche werfen unserer Kirche vor, dass sich die Akzente schon längst wieder verschoben haben. Deshalb gilt es wohl auch heute noch, das, was Gott von Anfang an wollte, immer wieder neu ins Bewusstsein der Menschen hineinzutragen.
Es geht nämlich nicht um eine Kirche, es geht erst recht nicht um eine Institution oder ein wie auch immer geartetes Amt. Es geht um diesen Gott, der uns Menschen liebt, der für uns da ist, wann wo und wie es auch sei, und der immer, wie wir dem Beispiel Jesu auf allen Seiten der vier Evangelien uneingeschränkt entnehmen können, der immer den Menschen in den Mittelpunkt stellt.
Alle Gebote, die unser Glaube kennt, sind nie und nimmer für diesen Gott gemacht. Gott braucht kein Gebot und er braucht auch nichts von uns Menschen. Wir sind nicht einmal in der Lage, ihm etwas geben zu können. Sein ist die Welt und was sie erfüllt, er ist auf unseren Dienst nicht angewiesen.
Das was er uns als Wegweisung mitgegeben hat, dass soll dazu dienen unser Leben glücken zu lassen und zwar als Leben in Gemeinschaft. Seine Botschaft will dafür dienen, unser Leben zu weiten, damit es sich gemeinsam mit dem all der anderen Menschen entfalten kann.
Jesus hat immer wieder deutlich gemacht, nicht zuletzt am Beispiel des Sabbats, dass dieser Ruhetag - und er steht stellvertretend für das ganze Gesetz - uns Menschen hilfreich sein soll. Es geht um den Menschen, nicht um den Sabbat. Und wenn wir ihn als Gebot halten, dann dienen wir nicht Gott. Wie denn auch? Dieses Gebot Gottes will doch uns dienlich sein.
Gott will grundsätzlich nie Begrenzung, Einschränkung, Bedrohung für unser Leben sein. Er ist der, der unsere Finsternis hell und unsere Enge weit machen will. Und überall wo Religion etwas anderes propagiert, überall dort, wo Religion das Leben der Mensch eng und schwer macht, überall dort darf sich diese Religion nicht auf den Gott berufen, den uns Jesus und die Bibel verkünden.
Vor etwa 15 Jahren hat mir eine ältere Frau aus unseren Gemeinden im Zusammenhang mit einem unserer ersten Glaubenskurse den für mich erschütternden und zutiefst traurig machenden Satz gesagt: "Herr Pfarrer, hätte man mir das in meiner Jugend gesagt, ich hätte mein Leben anders gelebt!"
Dieser Satz hat mich getroffen und lässt mich seither nicht mehr los.
Aber vielleicht ist ja genau das die eigentliche Botschaft Jesu: Er lehrt uns anders zu leben - befreit, ohne Ängste und Zwänge, hinausgeführt ins Weite, als Menschen von Wert und Bedeutung, mit Zukunft und Perspektive, weil geliebt von Gott.
Ist es so verwunderlich, dass Menschen, die das begriffen hatten, die gespürt hatten, dass hier eine befreiende Botschaft waltet, dass hier alle Enge und Härte von ideologisch erstarrter Religiosität, aus ihren Fesseln gesprengt wurde, dass hier ein Denken um sich griff, das neue Luft in stickige Räume brachte, das atmen ließ und Leben weit gemacht hat - ist es so verwunderlich, dass Menschen, die das begriffen hatten, anfingen davon zu sprechen: Mit dieser Botschaft, mit diesem Jesus von Nazareth, hat sich genau das erfüllt, was Gott eigentlich immer schon wollte, damit hat - mitten unter uns - die Herrschaft Gottes wirklich, damit hat dieses Reich Gottes letztlich bereits begonnen ...
(Jörg Sieger)