Unser Glaube
Ein Versuch zeitgemäßer Antworten
Grundsätzliches zur ökumenischen Zusammenarbeit - Impulsreferat - 2014
Eigentlich könnten wir es ja ganz einfach machen. Eigentlich hätte sich das mit der ACG (Arbeitsgemeinschaft Christlicher Gemeinden) ja ganz schnell erledigt. Wir müssen nur zur Kenntnis nehmen, dass die Katholiken die Wahrheit haben und alle anderen in die Hölle kommen und damit ist ja alles geklärt.
Wem diese Klärung nicht behagt, der kann sie übrigens auch ganz einfach modifizieren; der könnte etwa sagen, dass alle Papisten keine Chance auf Erlösung haben, weil sie das Evangelium verraten hätten - so, wie mir das im Gespräch mit zwei Vertretern einer Freikirche mal gesagt wurde: "Ach, Herr Sieger, wir wissen doch, dass von uns Dreien hier nur zwei in der Ewigkeit sein werden!"
Und wir könnten das noch beliebig weiterführen.
Auf dieser Basis könnten wir übrigens durchaus zusammenleben. Ganze Jahrhunderte hinduch wurde so ganz gut nebeneinanderher gearbeitet. Und ich unterstelle jetzt einmal, dass vielerorts Ökumene auch heute noch insgemein genau so läuft. Es geht dann darum, dass man ordentlich miteinander auskommt, ohne sich dabei aktiv zu bekriegen.
Von den konfessionellen Schützengräben
Auch wenn das jetzt sehr extrem klingt, ich unterstelle einfach einmal, dass in der ein oder anderen Form, unterschwellig bei dem ein oder anderen Kollegen und der ein oder anderen Kollegin, solch ein Denken durchaus noch sein Unwesen treibt. Man denkt immer noch: Die anderen sind zwar schon recht, aber ich mache alles halt doch ein wenig richtiger als die und hab halt doch die Wahrheit auf meiner Seite und die anderen eben zumindest nicht ganz.
Hand aufs Herz: diese Art des Denkens prägt immer noch da und dort schon unser sogenanntes "ökumenisches Miteinander". Manchmal drängt sich mir da dann das Bild auf, dass man zwar immer noch in den konfessionellen Schützengräben sitzt, aber eben nicht mehr aufeinander schießt - und das wird dann als große ökumenische Errungenschaft gefeiert.
Auch wenn das jetzt überspitzt ist und übertrieben klingen mag, Fakt ist, dass historisch betrachtet das mit dem "aufeinander schießen" gar nicht so abwegig ist. Es gab ja durchaus Zeiten in unserer Geschichte, in denen Christen Konfessionskriege ausgefochten haben.
Spaltungen von Anfang an
Wie konnte es bei uns denn so weit kommen? Nun, es kam ja schon sehr früh dazu. Es gab so etwas in der Christenheit ja von früh an. Wir leben mit Spaltungen schon seit den ersten Jahrhunderten. Seit den ersten Jahrhunderten hat sich die Christenheit gespalten, weil man sich gegenseitig vorwarf, nicht richtig zu glauben.
Das hat ganz eng mit unserem Verständnis des Wortes "glauben" zu tun. Christen sind da griechisch-abendländisch geprägt. Wir konstruieren unser Wort "glauben" in der Regel mit dem Akkustativ: Ich frage danach, was ich glaube. Ich glaube dies, ich glaube jenes und das glaube ich auch noch. Auf dieser Basis lassen sich hervorragend Glaubensbekenntnisse formulieren und die sind denn auch etwas ganz typisch Christliches.
Bei einer Liste von Glaubenssätzen lässt sich dann aber ganz einfach überprüfen, ob der andere das, was ich glaube, auch glaubt. Und wenn er das nicht tut, dann haben wir schon ganz logisch, den besten Grund für eine Spaltung.
Unbiblisches Verständnis des Wortes "Glaube"
Im Judentum gibt es so etwas übrigens nicht. Natürlich gibt es da auch unterschiedliche Gruppen - Gruppen mit völlig unterschiedlichem Vorstellungen und Glaubensinhalten. Da stehen die Sadduzäer, die nicht an ein Leben nach dem Tod glauben, neben den Pharisäern, die das sehr wohl tun. Das wäre für Christen nicht nur Grund, von unterschiedlichen Konfessionen, sondern wohl gleich von unterschiedlichen Religionen zu sprechen.
Aber Pharisäer und Sadduzäer fühlten sich trotz allem zusammengehörig. Und das hängt nicht zuletzt mit der anderen Vorstellung des Hebräers vom Wort "glauben" zusammen. "Glauben" wird im Hebräischen nämlich mit dem Dativ konstruiert. Ich frage nicht, was ich glaube, sondern wem ich glaube: Ich glaube diesem Gott, dass er mein Gott ist und dass er es gut mit mir meint.
Warum ich das so breit entfalte? Ich denke, dass von daher gut erklärt werden kann, woran es in unserer Ökumene und den ökumenischen Anstrengungen der Vergangenheit letztlich gekrankt hat und wo genau es hakt. Wir haben als unterschiedliche Konfessionen unser je eigenes Verständnis von dem und jenem. Und jetzt untersuchen wir, ob das mit dem Verständnis der anderen harmoniert oder nicht. Und wenn wir Übereinstimmungen sehen, dann können wir Gemeinschaft haben, wenn nicht, dann eben nicht.
Auf diesem Weg werden wir aber nicht weiterkommen. so versuchen wir es seit Jahrzehnten und bewegen uns eigentlich nur auf der Stelle.
Von der Initialzündung des Zweiten Vatikanischen Konzils
Katholischerseits gab es im Zweiten Vatikanischen Konzil gleichsam eine Initialzündung, einen regelrechten Dammbruch. Erstmals hat man wirklich zur Kenntnis genommen, dass andere Formen des Christseins keine Fehlformen sind, sondern dass dort auch wirklich Christsein gelebt wird.
Fundamentalistische Kreise werfen dem Konzil vor, es hätte mit der Aufgabe des Alleinvertretungsanspruches letztlich die Wahrheit verraten.
Ich glaube, das genaue Gegenteil ist der Fall. Ich ganz persönlich glaube zutiefst, dass wirklich niemand von sich behaupten kann, dass er im Besitz der Wahrheit sei. Wir alle suchen sie und wir sind auf dem Weg zu ihr. Denn diese Wahrheit ist allein Jesus Christus. Und ihn besitzen wir nicht, er ist unser Ziel.
Wir sind Christen, weil wir ihn in den Mittelpunkt stellen und ihm glauben, dass er der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Und genau das eint alle, die diesem Jesus Christus folgen. So wie alle Juden zusammengehören, weil der Glaube an den einen Gott sie über alle unterschiedlichen Praktiken und Glaubensinhalte hinweg eint.
Von Christus her denken
Das aber bedeutet für unser ökumenisches Zusammenarbeiten eine völlige Umkehr der Perspektive. Wir müssen endlich aufhören, von uns her zu denken, wir müssen von Christus her denken.
Wir müssen nicht erst mühsam eine Einheit herstellen, es ist nicht nur unsere Pflicht und Schuldigkeit, eins zu werden, weil genau das Jesu erklärter Wille ist, dass wir eins sind. Wir müssen vielmehr zunächst einmal zur Kenntnis nehmen, dass wir von Christus her bereits eins sind
Wir sind eins, weil wir zu ihm gehören, weil für Christus alle, die ihm folgen Geschwister, seine Schwestern und Brüder sind.
Das bedeutet aber im Konkreten, dass wir endlich aufhören müssen, in demjenigen, dem wir im ökumenischen Dialog begegnen, nicht jemanden zu sehen, den wir erst einmal überprüfen müssen, ob er für die Gemeinschaft mit uns überhaupt taugt, sondern jemanden, der genauso wie wir, der voll gültig die Nachfolge Jesu zu leben versucht.
Und deshalb kann es für mich nicht zuerst darum gehen, auszubreiten, welches Verständnis ich von den Dingen habe, um zu überprüfen, ob sich das mit dem, das der andere hat, deckt. Ich muss vielmehr, zu begreifen versuchen, wie der andere Nachfolge lebt, was er erkannt hat, was ich von ihm lernen und für meinen Glauben neu entdecken kann.
Ökumene auf Augenhöhe
Das ist das, was ich ökumenische Zusammenarbeit auf Augenhöhe nenne. Sie ist für mich Voraussetzung für jede wirkliche Ökumene.
Antrieb dafür kann nur eine brennende Sehnsucht sein: die brennende Sehnsucht, die bestehenden Spaltungen endlich - und nicht erst am Sankt Nimmerleins Tag - zu überwinden.
Diese Spaltung ist nämlich nicht einfach nur ein Makel, sie ist ein Ärgernis und sie verdunkelt das Zeugnis, das wir Christen in dieser Welt für Christus abzulegen haben bis zur Unkenntlichkeit.
Diese brennende Sehnsucht danach, wirklich eins zu sein, muss uns treiben, weil wir ohne diese Einheit letztlich Christus verraten. Sein Wille, dass wir eins sein, damit die Welt glauben kann, muss uns mehr als nur Ansporn sein.
Ein Bild für das Ziel, das uns dabei vor Augen steht, ist das gemeinsame Mahl, das Jesus gestiftet hat. Dass wir es nicht miteinander feiern können, wollen, nicht so weit sind, das muss uns schmerzen, wenn wir nicht letztlich dokumentieren möchten, dass wir uns nicht in den konfessionellen Spaltungen eigentlich ganz bequem eingerichtet haben.
Weg zur Eucharistischen Gemeinschaft
Genau deshalb steht in der Satzungs-Vorlage der ACK (Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen) - Baden-Württemberg, auf die wir uns bei der Formulierung der Präambel bezogen habender Satz, dass wir auf dem Weg zur eucharistischen Gemeinschaft sind.
Das wäre völlig missverstanden, wenn man damit eine Eucharistiefeier im konfessionell katholischen Sinne meint - so nach dem Motto, am Ende muss eine katholische Messe stehen. Der Ausdruck eucharistische Gemeinschaft steht für die Gemeinschaft, die Jesus mit seinen Jüngern im Abendmahlssaal hatte, als er das Brot und den Kelch nahm, das Dankgebet sprach - "eucharistäsas" - beides weiterreichte und ihnen auftrug, dies künftig zu seinem Gedächtnis zu tun.
Wenn wir uns nicht auf den Weg machen, sondern nur darüber diskutieren, ob wir überhaupt aufbrechen wollen, dann gehen wir am Auftrag Jesu vorbei.
Und wenn wir dieses Ziel nicht vor Augen haben, wenn wir, die wir zu Christus gehören und von ihm her schon längst eins sind, uns nicht klar machen, dass es unsere Pflicht und Schuldigkeit ist, uns auch untereinander zusammenzuraufen, dann verraten wir unsere Mission, nämlich Zeugnis abzulegen, damit die Welt glauben kann.
Ökumene muss gut tun
Was bedeutet das konkret?
Ökumene ist mehr, als eine reine Organisationsstruktur. Sie muss es zu mehr bringen als zu einem reinen Koordinationsgremium. Sie ist der Geist, der unsere Zusammenarbeit und unser Miteinander zutiefst prägen muss.
Ökumene ist keine neue Konfession - So nach dem Motto: Vor Ort bleibt alles beim Alten, aber wir schaffen zusätzliche Sitzungen, zusätzliche Termine und zusätzliche Gottesdienstverpflichtungen. Ökumene muss gut tun. Es muss spürbar sein, dass sie Erleichterung bringt und entlastet.
Das kann sie auch, wenn ich ernst nehme, dass in der Nachbarschaft keine Konkurrenz werkelt, sondern genauso wie "bei uns" Christsein gelebt wird. Dinge, die dort gut laufen, müssen von uns nicht auch noch einmal erfunden werden, weil ich jweiß, dass diejenigen, die dort hingehen und dort dies oder jenes erleben und leben, dies im gleichen Geist Christi tun, wie bei uns. Auch dort ist nämlich Christus und seine Kirche.
Keine Vervielfachung der Amtsträger
Deshalb ist Ökumene für mich auch nicht wirkliche Ökumene, wo sie letztlich lediglich von einer Vervielfachung der Amtsträger geprägt ist.
Eigentlich ist es kein Zeichen von wirklicher Ökumene, wenn bei einem Gottesdienst einfach Vertreter mehrerer Konfessionen tätig sind.
Wirkliche Ökumene wäre für mich, wenn einer oder eine Vertreterin einer Konfessiion vollkommen auzreichen, weil ich darum weiß, dass wenn er oder sie am Altar stehen, dann bin ich mit meinem Christsein genauso vertreten, als stünde da ein Vertreter meiner eigenen Konfession.
Wirkliche Ökumene wäre für mich das Bewusstsein, dass das, was da geschieht, dann völlig gleich-gültig - und das im wahrsten Sinne der Einzelworte, nämlich gleich gültig - ist.
Dies ist für mich auch eine Anfrage an viele ökumenische Gottesdienste, die wir feiern. Unsere ökumenischen Trauungen etwa, sind in diesem Sinne noch kein wirkliches Zeichen von Ökumene, wenn man für ein Brautpaar zwei Amtsträger braucht.
Es könnte ja immer noch so verstanden werden - im vollen Bewusstsein darüber, wie wichtig als Zeichen diese Form derzeit schon ist -, dass es für Braut und Bräutigam nur dann wirklich gültig ist, wenn auch ein Vertreter der eigenen Konfession mit dabei ist, weil der andere es halt doch nur bedingt recht macht.
Anfrage an das Selbstverständnis ökumenischer Zusammenarbeit
Diesen Fragen gilt es meines Erachtens nachzuspüren, wenn wir nach dem Selbstverständnis der ACG suchen. Wir müssen uns klar darüber werden, auf welcher Basis wir durchstarten wollen. Begegnen wir uns tatsächlich auf Augenhöhe oder geht es um das gegenseitige Abchecken und die Freude schon einmal darüber, sich nicht mehr zu bekämpfen, obwohl man den eigenen Schützengraben noch längst nicht verlassen hat.
Geht es darum, von Christus her zu denken zu versuchen, darum zu wissen, dass er es ist, der uns eint, und nicht unsere Überlegungen und Diskussionen über das dogmatische Verständnis der jeweiligen Sakramente und der Form, wie wir sie feiern.
Geht es darum, seinen Auftrag ernst zu nehmen, dass wir uns als seine Kinder zusammenzuraufen haben, weil wir einen Auftrag haben, weil wir für ihn Zeugnis ablegen sollen vor dieser Welt, und weil wir genau deshalb eins zu sein haben, damit die Welt glauben kann.
Wenn wir uns wirklich auf diesen Weg machen wollen, dann gilt es zu überlegen, was dazu dienlich ist. Das heißt nicht einfach, neue Aktionen zu suchen und neue Termine zu produzieren, sondern zuerst einmal zur Kenntnis zu nehmen, was konkret schon an Christsein gelebt wird, wechselseitig darauf zu verweisen, und dazu einzuladen. Und sich dann auch darüber zu freuen, wenn Menschen das Angebot dort annehmen, und nicht neidisch darauf zu schielen, dass sie es dann bei uns nicht tun.
Und vor allem gilt es darauf zu schauen, was hilfreich dafür ist, uns gegenseitig weiter kennenzulernen. Ich glaube nicht, dass wir neue, ökumenische Formen erfinden müssen, wir werden eine Fülle von Neuem entdecken, schon dadurch, dass wir die Schätze, die die einzelnen einzubringen haben, entdecken, sie als solche ernstnehmen und uns davon bereichern lassen.
Die einzelnen Gemeinden, die sich jetzt in der ACG Bruchsal wiederfinden, haben da eine Fülle von Erfahrungen einzubringen. Wir können eigentlich alle nur davon profitieren.
Dr. Jörg Sieger, November 2013